Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 92. Sitzung / Seite 102

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Herr Bundeskanzler ist auch schon anwesend –, ob sie etwas dagegen haben, wenn wir zwei Minuten früher anfangen. – Wenn das nicht der Fall ist, dann unterbreche ich die vorgesehene Tagesordnung, um die verlangte Behandlung einer Dringlichen Anfrage durchführen zu können.

Dringliche Anfrage

der Abgeordneten Dr. Alfred Gusenbauer und Kolleginnen und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend die Regierungskrise zum Schaden Österreichs (3345/J)

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Wir gelangen zur dringlichen Behandlung der schriftlichen Anfrage 3345/J.

Da diese inzwischen allen Abgeordneten zugegangen ist, erübrigt sich eine Verlesung durch den Schriftführer.

Die Dringliche Anfrage hat folgenden Wortlaut:

Die Bundesregierung hat den ÖsterreicherInnen in den letzten Tagen und Wochen ein unglaubliches Bild der Uneinigkeit, Zerstrittenheit und der Handlungsunfähigkeit geboten. In einer zentralen Frage des Regierungsübereinkommens – der Erweiterung der Europäischen Union – zeigt sich ein unlösbar scheinender Konflikt zwischen beiden Regierungsparteien. In der Frage der nuklearen Sicherheit, insbesondere im Fall des AKW Temelin, gibt es keine gemeinsame Vorgangsweise der Bundesregierung. Tatsächlich ist es ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der Zweiten Republik, dass eine Koalitionspartei ein Volksbegehren initiiert, das gegen die Politik der Bundesregierung gerichtet ist, um sich damit gegen den anderen Teil der Koalitionsregierung durchzusetzen.

Das Ergebnis des Volksbegehrens zeigt die große Angst, die es in der Bevölkerung vor der Risikotechnologie Atomenergie gibt, zugleich ist es Ausdruck des Misstrauens in den von Ministerpräsident Zeman und Bundeskanzler Schüssel in Brüssel ausverhandelten Vertrag. Die Bundesregierung war bis heute nicht in der Lage, der Bevölkerung Aufschluss darüber zu geben, welche Schritte sie nun setzen wird, um ein Mehr an Sicherheit für die österreichische Bevölkerung zu erzielen bzw. einen Durchbruch in Richtung Stilllegung des AKW Temelin zu erreichen. Selbst innerhalb der Regierungsparteien, die "Europapartei" ÖVP ist davon nicht ausgenommen, gibt es völlig unterschiedliche Auffassungen über die weitere Vorgangsweise.

Innen- und außenpolitisch betrachtet kann man die Ereignisse der letzten Wochen nur als Fiasko bezeichnen. Der Rückfall in alte Denk- und Konfliktmuster ist unübersehbar. Der Ortstafelstreit belastet nicht nur das Verhältnis zur österreichischen Volksgruppe der Slowenen, sondern auch zur Republik Slowenien. Zwischen der Tschechischen Republik und Österreich eskaliert ein Krieg der Worte, alte Feindbilder werden wieder zum Leben erweckt, Emotionen und Vorurteile werden geschürt. Das Verhältnis, so das Resümee von Andreas Unterberger in der "Presse", zu einem wichtigen Nachbarland ist auf lange Zeit gestört, mit noch unabsehbaren Folgen ("Die Presse", 24. Jänner 2002). Von einer "Strategischen Partnerschaft" mit Österreichs mittel- und osteuropäischen Nachbarländern, die im letzten Jahr noch vollmundig von Außenministerin Ferrero-Waldner verkündet wurde, hat man bezeichnenderweise nie wieder etwas gehört. Dass die Regierung diese Sprechblase von Anfang an nicht wirklich ernst genommen hat, hat sie – etwa mit dem Verbot von Stromimporten – bereits in der Vergangenheit bewiesen. Ein weiteres Konfliktfeld, das nun gegenüber der Tschechischen Republik aufgebaut wird, ist das der Beneš-Dekrete. Für die FPÖ sind die Beneš-Dekrete ein weiterer Grund für ein Veto gegen den Beitritt der Tschechischen Republik ("NEWS", 24. Jänner 2002), die ÖVP sendet dazu – wie schon im Fall Temelin – widersprüchliche Signale. Zu befürchten ist, dass durch die verbalen Drohungen gegenüber der Tschechischen Republik eine Lösung der Frage, um die sich Diplomaten und Historiker im Hintergrund bemühten, scheitern könnte.

Innerhalb der Europäischen Union gerät die Regierung mit diesem Schlingerkurs zunehmend in Isolation. Die Unberechenbarkeit der österreichischen Regierungspolitik verunsichert die EU-Partner. Für die österreichische Bundesregierung wird es dadurch noch schwieriger, Unterstüt


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