Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 110. Sitzung / Seite 239

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zunächst straflos, dann strafbar und später wieder straflos sind bzw. sein könnten, was in sich unsachlich sei.

Zu anderen in verfassungsrechtlicher Hinsicht geäußerten Bedenken hat sich der VfGH nicht geäußert, jedoch festgehalten, dass er das den einschlägigen Normen des Sexualstrafrechts zugrunde liegende Schutzziel, Kinder und Jugendliche vor frühzeitigen, vom Gesetzgeber als für die Entwicklung schädlich angesehenen (hetero- und homo-)sexuellen Kontakten sowie vor sexueller Ausbeutung zu bewahren, aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht in Zweifel ziehe. Die Festlegung eines bestimmten Schutzalters für Jugendliche falle weitgehend in den rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, wobei eine allfällige Neuregelung auch andere Elemente, wie etwa den Altersunterschied der Partner, berücksichtigen dürfte.

2. Vor allem im Hinblick auf anhängige Strafverfahren wegen Tatverdachts nach § 209 StGB und auf nach diesem Tatbestand ausgesprochene strafgerichtliche Verurteilungen empfiehlt es sich nicht, die durch das Erkenntnis des VfGH bewirkte Ungewissheit über das weitere Vorgehen des Gesetzgebers im angesprochenen Bereich längere Zeit aufrecht zu erhalten.

3. In einer beim BMJ eingerichteten Arbeitsgruppe zur Reform des Sexualstrafrechts sind bereits im Jahr 1997 vor allem von Praktikern in der Betreuung von Jugendlichen Überlegungen zu einer möglichen (geschlechtsneutralen) Neugestaltung des strafrechtlichen Schutzes Jugendlicher angestellt worden, die sich insbesondere auch auf Fallkonstellationen bezogen haben, in denen die sexuelle Selbstbestimmungsfähigkeit Jugendlicher zwischen 14 und 16 Jahren im Hinblick auf eine Zwangslage, das Anbot eines Entgelts oder dergleichen beeinträchtigt ist (vg. auch § 182 dStGB in der seit 1994 in Deutschland geltenden Neufassung).

Im Rahmen des 3. Pfeilers der Europäischen Union befindet sich seit dem Vorjahr der Entwurf eines Rahmenbeschlusses des Rates zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie in Vorbereitung, nach dem u.a. die Vornahme sexueller Handlungen mit Jugendlichen (bis zum 18. Lebensjahr) unter Strafe zu stellen sein soll, soweit "Geld- oder sonstige Vergütungen oder Gegenleistungen dafür geboten werden, dass sich das Kind zu den sexuellen Handlungen bereit findet".

4. Im Sinne dieser Erwägungen und Vorhaben empfiehlt es sich, die Frage des strafrechtlichen Schutzes Jugendlicher – unbeschadet weiterer legislativer Reformvorschläge zum Sexualstrafrecht, die sich insbesondere aus dem erwähnten Rechtsakt der EU ergeben werden – schon jetzt einer Neuregelung zuzuführen.

Hiebei ist im Sinne der internationalen Rechtsentwicklung (vgl. u.a. Art 13 EUV in der Fassung des Vertrages von Amsterdam sowie die Tendenz der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu den Art. 8 und 14 ERMK), aber auch der maßgebenden Auffassungen der Lehre und von Experten aus dem medizinisch-psychologischen Bereich davon auszugehen, dass neue Strafbestimmungen zur Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes Jugendlicher hinsichtlich des Geschlechtes und der sexuellen Orientierung "neutral" zu konzipieren sind.

Solche Bestimmungen sollten sich ferner auf Fallkonstellationen beschränken, in denen die – grundsätzlich vom Gesetzgeber mit Vollendung des 14. Lebensjahres angenommene – sexuelle Selbstbestimmungsfähigkeit junger Menschen aus besonderen Gründen fehlen bzw. deutlich eingeschränkt sein kann. Mit den Strafbestimmungen (insbesondere) gegen sexuelle Gewalt und Nötigung, gegen den Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses und gegen Kuppelei sowie gegen sittliche Gefährdung von Personen unter 16 Jahren deckt das geltende Recht Teile solcher Fallkonstellationen ab. Der vorgeschlagene neue § 207b StGB will diesen strafrechtlichen Schutz – im Sinne eines "Lückenschlusses" – durch Bestimmungen ergänzen, die Sachverhalte erfassen, in denen die individuell fehlende Reife oder eine besondere Zwangslage eines oder einer noch nicht 16-jährigen Jugendlichen zu sexuellen Kontakten ausgenützt und damit missbraucht wird, zu denen sich der/die Jugendliche andernfalls nicht bereit finden würde. Gleiches gilt für die Verleitung Jugendlicher (unter 18 Jahren) zu sexuellen Handlungen durch Anbieten oder Gewähren eines Entgelts im Sinne des erwähnten EU-Rechtsaktes.


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