Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 28. Sitzung / Seite 77

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Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Fassl­abend. – Bitte, Herr Kollege.

 


12.42

Abgeordneter Dr. Werner Fasslabend (ÖVP): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dass die bevorstehende EU-Erweiterung auf wirtschaftlichem Gebiet eine große Herausforderung darstellt, aber auch eine große Veränderung mit sich bringen wird, ist den meisten klar. Wie stark diese Veränderung sein wird, kann man etwa daran erkennen, dass wir heute einen Exportanteil von 60 Prozent, der in die EU-Länder geht, haben; er wird in Zukunft ungefähr drei Viertel ausmachen.

Zweifellos haben allein unsere Nachbarn – Polen als mitteleuropäisches Land zählt ja da dazu – dabei einen Hauptanteil. Den wenigsten ist bewusst, dass etwa der Export­anteil, der nur in diese fünf Länder – Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn und Slowe­nien – geht, fast doppelt so groß wie jener ist, der in sämtliche BENELUX- und nordi­schen Ländern innerhalb der Europäischen Union geht. Das heißt, die Niederlande, Belgien, Luxemburg, Finnland, Schweden und Dänemark haben nicht sehr viel mehr als die Hälfte des Exportanteils dieser neuen mitteleuropäischen EU-Länder. Wenn man einen globalen Vergleich heranzieht, dann wird es eigentlich erst so richtig dras­tisch: Diese fünf Länder haben einen um ein Drittel höheren Exportanteil als die Länder Amerika, Russland, China, Japan und Indien zusammen. Das zeigt doch ganz klar auf, wie wichtig Nachbarschaft auch auf wirtschaftlichem Gebiete ist.

Trotzdem ist die wirtschaftliche Schiene dabei eigentlich nur eine Nebensache. – Ich selbst bin ganz an der Grenze in einem Haus, das sich nur wenige hundert Meter vom damaligen Eisernen Vorhang entfernt befunden hat, aufgewachsen. Ich habe es fast wöchentlich miterlebt, dass dort nicht nur Stacheldrahtzäune sichtbar waren und Minenfelder angelegt wurden, sondern auch wie man in der Nacht mit Leuchtspur­munition nach Flüchtlingen gesucht hat. Keine Woche ist vergangen, ohne dass nicht auf der anderen Seite Schüsse gefallen sind.

Ich glaube daher, dass wir gerade diesen Aspekt, den Friedensaspekt, im Vordergrund sehen müssen. Meiner Überzeugung nach ist das nicht nur das Ende der Teilung Europas, die in Jalta beschlossen worden ist, sondern damit wird gleichzeitig auch eine mehr als hundertjährige Phase der Konfrontation beendet, eine Konfrontation – aus welchen Gründen auch immer: egal, ob das nationale, dynastische, religiöse, kulturelle oder wirtschaftliche Momente waren, die da mitgespielt haben – überwunden. Es geht nun zum ersten Mal in eine Phase der ständigen Zusammenarbeit, und dabei geht es nicht nur um eine Phase von einigen wenigen Jahren, sondern um eine ständige, dauerhafte Zusammenarbeit.

Europa gewinnt Stabilität, und zwar durch die Stabilisierung Mitteleuropas, aber auch in der Form, dass geo-strategisch gesehen in Zukunft fast der gesamte Ostseeraum zur EU gehört und dass gleichzeitig auch zwei ganz wichtige Drehscheiben im Mittel­meer – Zypern auf der einen Seite mit seiner ganzen Bedeutung für den Nahen Osten, und auf der anderen Seite auch Malta mit einer nicht zu unterschätzenden Bedeutung für den nordafrikanischen Raum – zur EU dazu kommen.

Worum es geht, ist, dass wir versuchen müssen, diese Chancen entsprechend umzu­setzen und zu nutzen. Wichtig ist dabei zweifelsohne, dass die Entscheidungsfähigkeit Europas gleichzeitig entsprechend mit aufgebaut wird, sodass durch die Erweiterung allein nicht nur sozusagen eine mengenmäßige Stärkung, sondern auch eine innere Vertiefung erfolgt.

Dieser Anlass sollte auch dazu genutzt werden, sowohl ein Wort zur Vergangenheits­bewältigung als auch zur Zukunft zu sagen. Selbstverständlich muss von uns ange-


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