Ich finde das schade, meine Damen und Herren, und wir sollten alles dazu tun, dass diese Kluft zwischen Theorie und Wirklichkeit, zwischen Institution und Bevölkerung in Europa überwunden wird. Dann – und nur dann! – werden wir dieses Europabewusstsein bekommen, das wir uns alle wünschen und das wir auf diesem Kontinent brauchen. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)
Die europäische Integration, meine Damen und Herren, ist ein Jahrhundertprojekt – ein Jahrhundertprojekt des 20. und des 21. Jahrhunderts. Der Herr Vizekanzler hat es gesagt: Dieses Friedensprojekt stand am Anfang und steht auch jetzt noch im Zentrum dieser europäischen Integration. – Aber auch darüber wird nicht viel geredet, auch das wird nicht aufgenommen; vielleicht deshalb, weil Frieden und Sicherheit dort, wo man sie hat, als selbstverständlich angesehen werden.
Gerade in einem Land wie Österreich brauchen wir uns nicht zu wundern, dass diese Sicherheit und dieser Frieden als selbstverständlich angesehen werden, in einem Land, in dem man der Bevölkerung – auch von politischen Repräsentanten – über Jahre und Jahrzehnte hindurch vorgemacht hat, dass der Frieden und die Sicherheit in Österreich durch Gesetzbücher, durch Dogmen, durch Begriffe und durch völkerrechtliche Verträge gesichert werden können. Gott sei Dank hat diese Linie den Wahrheitsbeweis nie antreten müssen.
Wir wissen, dass genau diese europäische Integration, das Zusammenführen ehemaliger Gegner Stabilität, Frieden und Sicherheit in diesem Europa gebracht haben, dass wir Kriege überwunden haben, dass wir – und wir haben ihrer heute gedacht – die dunkelsten Kapitel unserer Geschichte überwunden und daraus auch die Kraft für eine gemeinsame Zukunft gewonnen haben.
Auch vor diesem Aspekt ist die EU-Erweiterung positiv zu sehen. Europa als Kontinent ist mehr als die früheren 15 Mitgliedsländer dieser Europäischen Union. Deshalb sind wir sehr froh darüber, dass es dieses Prinzip der Erweiterung gibt. Es gab ja auch sehr viele Symbole bei dieser letzten Erweiterungsrunde der EU: Länder des ehemaligen Ostblocks sind jetzt Mitglied dieser Wertegemeinschaft. Ja sogar drei ehemalige Länder der Sowjetunion sind Mitglieder dieser Wertegemeinschaft geworden!
Für Österreich bietet diese EU-Erweiterung selbstverständlich Chancen in den Bereichen der Wirtschaft und der Sicherheit. Das neue Asylgesetz zeigt auch in diesem größer gewordenen Europa bereits erste Wirkungen. Gott sei Dank hat es diese Regierung – gegen die Stimmen der Opposition – durchgesetzt.
Wir werden jetzt auch die Möglichkeit, wenn wir sie nützen, durch eine aktive Außenpolitik mit diesen neuen kleinen und mittelgroßen Mitgliedsländern der Europäischen Union haben, vielleicht einige unserer Interessen besser in der Europäischen Union durchzusetzen. Aber – und es ist notwendig, auch dieses Aber zu sagen – in manchen Bereichen ist auch bei dieser Erweiterungsrunde eine Kluft zwischen der Theorie und der Praxis entstanden.
Sehen wir uns den Bereich der Sicherheit an! Wie sieht es denn mit dem Grundsatz aus, dass nur sichere Staaten Mitglied der Europäischen Union werden können, dass es keine Grenzprobleme geben darf? – Da muss man doch wohl – leider! – fragen: Wie dilettantisch hat man die Chance etwa bei Zypern mit dieser Möglichkeit verpasst, in die Europäische Union aufgenommen zu werden und mit einem gemeinsam mit der Bevölkerung und mit den Regierenden in diesem geteilten Land erarbeiteten Friedensplan eine wirkliche Lösung dieses jahrzehntelangen Konflikts zu erreichen? – Nichts hat man erreicht! Wer weiß, ob diese Chance so bald wieder kommen wird.
Oder: Wie sieht es mit der Durchsetzung der Menschenrechtsstandards aus? – Der Vizekanzler hat es angesprochen. Wir warten noch immer auf die versprochene