Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 58. Sitzung / Seite 62

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Aufhebung der Amnestiegesetze und der Beneš-Dekrete. Die letzten Beschlüsse, dass man Herrn Beneš auch noch ehrt, gehen sicherlich nicht in die Richtung, die wir uns erwarten, dass wir alle – alle! – in der Europäischen Union vorbehaltlos zu den schönen Seiten unserer Geschichte, aber auch zu den dunklen Seiten stehen. Wo immer Gewalt gegen Unschuldige verübt worden ist, wo gemordet, gefoltert, vertrieben worden ist, muss das auch als Unrecht anerkannt werden. Nicht mehr, aber auch nicht weniger verlangen wir von allen Mitgliedsländern dieser Werteunion in Europa, meine Damen und Herren!

Wie sieht es denn aus mit den Vorbereitungen betreffend EU-Institutionen, betreffend EU-Verfassung? – Auch ich glaube, dass es ein Signal wäre, wenn man eine hoffentlich dann beschlossene EU-Verfassung einem europaweiten Referendum unter­ziehen würde, damit die Bevölkerung auch das Gefühl bekommt: Wir entscheiden mit, wie sich dieses Europa in Zukunft gestaltet!

Dann müssen wir und sollten wir auch nicht über nächste und übernächste Erweite­rungsrunden reden und schon gar nicht über Gebiete, die geographisch nur zu einem kleinen Teil in Europa liegen. Versuchen wir lieber, aus diesem Europa, aus diesem jetzt erweiterten Europa, aus dieser Europäischen Union das zu machen, was es sein soll: ein Europa der Bürger, ein Europa der Vielfalt der Kulturen und der Vaterländer, aber nicht ein Europa der Bürokraten und der Institutionen!

Dann werden wir keine Probleme mehr haben, Verständnis auch für die schwierigen Seiten dieser europäischen Einigung zu finden, dann werden wir nicht mehr darüber diskutieren müssen, wie hoch die Wahlbeteiligung für europäische Parlamente sein soll, die sich mehr darüber unterhalten sollten, wie sie ihre eigenen Spesenprobleme lösen können, und darüber, wie sie auch die Interessen der Bevölkerung in den Nationalstaaten besser vertreten können – Stichwort: Transitvertrag. Dann wird dieses Europa wirklich vom Bewusstsein der Menschen getragen, und das sollte unser aller Ziel sein! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

14.14

 


Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Van der Bellen. Gleiche Redezeit: 10 Minuten. – Bitte.

 


14.14

Abgeordneter Dr. Alexander Van der Bellen (Grüne): Meine Damen und Herren! Als vierter Redner in der Debatte über solch ein Thema noch das gebührende Pathos zu entfalten, das ist nicht einfach, Herr Molterer, glauben Sie mir das! Ich stimme vielen Ihrer Äußerungen zu. Der 1. Mai ist ein historischer Tag gewesen, muss man schon sagen. Er ist in seiner Bedeutung gar nicht zu überschätzen. Mehrere meiner Vor­red­ner haben schon betont, dass unter den zehn neuen EU-Mitgliedern nicht weniger als sieben aus dem Einflussbereich des ehemaligen sowjetischen Imperiums stammen.

Für einige dieser Länder ist dieser Tag, der 1. Mai, vielleicht in irgendeiner Weise ver­gleichbar mit der Situation Österreichs im Jahr 1955, mit dem Staatsvertrag. Ich glaube, dass dadurch die Verhältnisse – wenn wir das ganz grob so nennen wollen – in Mitteleuropa nach der Nazizeit, nach dem Zweiten Weltkrieg, nach dem stalinistischen Terror in diesen Ländern endgültig vom Kopf auf die Füße gestellt werden.

Jetzt stoßen wir aber auf ein merkwürdiges Phänomen. Ich glaube gerne – und ich hoffe natürlich –, dass die Zustimmung bei den zehn neuen Mitgliedern sehr hoch war. Die Referenden haben phantastische Ergebnisse gebracht, die Bevölkerung hat sich hoffentlich am 1. Mai entsprechend gefreut. Bei den EU-15 merken wir jedoch eine gewisse Lethargie: So, jetzt haben wir zehn Neue im Klub! Und? Sind die Probleme jetzt dadurch kleiner geworden? (Zwischenruf des Abg. Rädler.)

 


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