Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 58. Sitzung / Seite 95

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beitslosen in dieser Alterskategorie immens hoch. Österreich schneidet, was die Be­schäftigungsquote bei älteren Arbeitnehmern betrifft, im EU-Vergleich besonders schlecht ab.

Waren im Jahr 2000 noch 689 000 Personen jährlich von Arbeitslosigkeit betroffen, so galt dies 2003 für bereits 774 000 Personen. Prognosen zeigen, dass wir heuer die 800000-Grenze überschreiten werden. Statistisch muss also jede dritte Arbeitskraft im privaten Sektor in Österreich damit rechnen, einmal im Jahr von Arbeitslosigkeit betroffen zu sein. Etwa 40 Prozent der unselbständig Erwerbstätigen im privaten Sektor haben Erwerbskarrieren mit laufend auftretender Arbeitslosigkeit. Für immer mehr ArbeitnehmerInnen machen die Existenzsicherungsleistungen der Arbeitslosen­versicherung daher einen Teil ihres Jahreseinkommens aus (zur Zeit: rund 3 Monate im Jahr Bezug aus Arbeitslosenversicherung). Die im internationalen Vergleich sehr niedrige Nettoersatzrate in Österreich (lediglich in Griechenland, Irland und Groß­britannien ist die materielle Absicherung bei Arbeitslosigkeit noch niedriger als in Öster­reich) bedroht die Existenzlage von immer mehr Arbeitnehmerhaushalten. Daten der Soziahilfe zeigen, dass Arbeitslosigkeit die Verarmungsursache Nr. 1 ist. Die negativen Entwicklungen am Arbeitsmarkt haben also noch eine weitere dramatische Aus­wirkung: die Armut in Österreich steigt weiter an.

Bisher ist es der Bundesregierung nicht gelungen, die Rekordarbeitslosigkeit in Öster­reich wirksam zu bekämpfen. Schuld daran ist ein verfehlter wirtschaftspolitischer Kurs in Österreich, Schuld daran ist aber auch ein verfehlter wirtschaftspolitischer Kurs in der EU, der von der Bundesregierung mitgetragen wird.

Die von der EU in der „Lissabon-Strategie“ ursprünglich angestrebte Verschränkung der Wirtschafts-, Beschäftigungs-, Umwelt- und Sozialpolitik, die den gemeinsamen Werten der Solidarität und nachhaltigen Entwicklung verpflichtet ist, findet nicht im er­forderlichen Ausmaß statt. Problematisch ist vor allem, dass der Zusammenhang zwischen einer primär stabilitätsorientierten Wirtschafts- und Währungspolitik und schwachem Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum, zwischen restriktiven Geld-, Fiskal und Lohnpolitiken und der andauernden Nachfrageschwäche von Kommission und Rat weiterhin systematisch verdrängt und ausgeblendet wird. Den Zielen der Preisstabilität und Budgetkonsolidierung wird deutlich mehr Bedeutung beigemessen als den Zielen der Vollbeschäftigung und der Verteilungsgerechtigkeit. Dadurch wird nicht nur die Schere zwischen den niedrigsten und den höchsten Einkommen noch größer. Die Menschen in der Europäischen Union verlieren auch das Vertrauen in den Willen und die Fähigkeit der Politik, die grundlegendsten Lebensfragen zu lösen. Seitens der österreichischen Bundesregierung wird der aktuelle wirtschaftspolitische Kurs der EU aber nicht in Frage gestellt. So gehört die österreichische Bundes­regierung in der EU zu jenen Regierungen, die eine Reform bzw. Neuinterpretation des Stabilitätspaktes verhindern.

Während von Österreich in den ersten Jahren seiner EU-Mitgliedschaft wichtige Im­pulse zur Stärkung der Beschäftigungspolitik auf europäischer Ebene ausgingen (bei­spielsweise erhielt durch den Amsterdamer Vertrag von 1997 die Beschäftigungspolitik ein eigenes Kapitel im EU-Primärrecht), sind vergleichbare Initiativen von der jetzigen, von ÖVP und FPÖ geführten Bundesregierung, nicht erkennbar. Obwohl die EU drin­gend Maßnahmen zur Konjunkturbelebung braucht, blieb die österreichische Bundes­regierung inaktiv. Als sich einige EU-Mitgliedstaaten (Italien, Deutschland, Frankreich etc.) für eine europäische Wachstumsinitiative in den Bereichen Infrastruktur, For­schung und Technologie stark machten (die letztlich auch beschlossen wurde), leistete Österreich keinen aktiven Beitrag. Das Verhalten der österreichischen Bundesre­gierung in dieser Frage war unverständlich, da dadurch wichtige Infrastrukturprojekte in Österreich mit größerer Beteiligung der EU finanziert werden können. Ebenso uner-


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