Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 102. Sitzung / Seite 193

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20.04.27

Abgeordneter Dr. Reinhard Eugen Bösch (Freiheitliche): Herr Präsident! Frau Bun­desministerin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Pirklhuber, Sie sollten sich keine Sorgen über die EU-Präsidentschaft der Republik im kommenden Jahr machen! (Abg. Mag. Lunacek: Das lassen Sie unsere Sorge sein!) Ich bin überzeugt davon, dass sich die freiheitlichen Mitglieder der Bundesregierung (Abg. Mag. Lunacek: Wer jetzt? BZÖ oder Freiheitliche? – Abg. Dr. Einem: Freiheitliche?) im Rahmen ihrer Funktion und im Rahmen der Räte dieser Präsidentschaft, selbstverständlich genauso wie die Abgeordneten unseres Klubs, konstruktiv an dieser Arbeit Österreichs, auf welche die gesamte Welt und alle europäischen Länder schauen werden, beteiligen werden.

Frau Ministerin, lassen Sie mich zu Ihrer Funktion als Europaministerin einige Schwer­punkte bezüglich der weiteren Entwicklung herausheben. Es ist von einigen Vorred­nern schon angeschnitten worden, dass durch die Diskrepanz zwischen dem Beginn der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei und dem Abbrechen der Avancen an Kroatien in Bezug auf den Beginn von Verhandlungen politische Schwierigkeiten entstanden sind, die wir, so glaube ich, ernst nehmen sollten. Ich denke, es ist wichtig, dass sich Österreich klar ist, dass der Balkanraum ein verstärktes Interessengebiet unserer Republik ist und dass auch das Dokument, mit dem man die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sozusagen grundgelegt hat, auf Betreiben Österreichs einige richtige Dinge enthält.

Eines dieser richtigen Dinge ist zweifellos der Passus, dass die Verhandlungen von Seiten der Europäischen Union bei Verdacht auf Verletzung der Menschenrechte jederzeit beendet werden können. Das müsste auch in Bezug auf den Termin des Be­ginns der Verhandlungen gelten.

Es ist natürlich auffallend gewesen, dass bei all diesen offensichtlichen permanenten Menschenrechtsverletzungen, die alltäglich und für die ganze Welt sichtbar in der Tür­kei passiert sind, und den Standards, die nicht europäischem Niveau entsprechen, von Seiten der Europäischen Union – bei all dieser Sichtbarkeit! – in Bezug auf den Beginn der Verhandlungen mit der Türkei überhaupt keine Aussage gemacht worden ist. Im Gegenteil: Es wurde versucht, diese ganzen Ereignisse, die dort stattgefunden haben, zu verniedlichen, wohl mit einigen Protesten zu bearbeiten, aber im Wesent­lichen nicht mit einer Folge für den Beginn der Verhandlungen zu belegen.

Ich denke, es ist aber ganz besonders wichtig, dass wir im Rahmen dieser Verhand­lungen über die Erweiterung der Union nicht mit zweierlei Maß messen und nicht das Gefühl der Ungerechtigkeit aufkommen lassen. Denn was das Gefühl der Ungerechtig­keit international anrichten kann, zeigt uns der Nahe Osten, wo von einem Teil der Konfliktparteien die Ansicht vertreten wird, von einem großen Teil der internationalen Staatengemeinschaft oder von einer Weltmacht ungerecht behandelt zu werden, und dass dort mit zweierlei Maß gemessen wird.

Die Europäische Union sollte diesen Fehler, den ich angesprochen habe und den dort vor allem die USA machen, nicht machen. Wir sollten versuchen, dass von allem Anfang an eine klare und gerechte Linie in Bezug auf die Verhandlungen über die Erweiterung der Europäischen Union gelebt wird.

Wie wichtig auch der Vorschlag ist, dass man mit der Türkei, wenn es zu keiner konkreten Beitrittsvertragslösung kommt, eine andere Lösung versucht, zeigt uns auch das Problem, das durch den Umsturz in der Ukraine entstanden ist. Nach diesem Um­sturz legt dieses Land bereits Bestrebungen an den Tag, Mitglied der Euro­pä­i­schen Union zu werden. Auch andere Länder und Staaten der ehemaligen Sowjet­union, die in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten zusammengefasst sind, befin­den sich jetzt in


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