Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 109. Sitzung / Seite 50

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Auch diese Verfassung wird ein dynamischer Prozess sein, und wir werden gleich ab dem Tag des Inkrafttretens auch daran arbeiten müssen, dass die Defizite in dieser Europäischen Verfassung beseitigt werden können.

Es gibt jetzt seit einigen Tagen – überraschend spät – eine Diskussion auch hier in Österreich über eine Volksabstimmung zu dieser Europäischen Verfassung. Ich sage deswegen „überraschend spät“, weil Verfassungsexperten natürlich darüber disku­tie­ren, ob es eine Gesamtänderung ist oder nicht und ob man eine Volksabstimmung verpflichtend abhalten müsste.

Ich sage: Mir wäre es recht gewesen – und auch in Zukunft wäre es mir recht –, wenn die europäische Bevölkerung EU-weit über solche Projekte abstimmen könnte. Und es ist nicht gut, dass es manche Länder gibt, die abstimmen lassen, und andere nicht. Im Zweifel hätte ich mir vorstellen können, dass auch wir hier in Österreich eine nationale Volksabstimmung durchführen.

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es in Österreich für dieses Projekt einer nationalen Volksabstimmung keine Mehrheit gibt. Aber wenn man heute darüber dis­kutiert, dann kommt das zu spät. Denn eines sagt uns die Bundesverfassung klar: dass über einen völkerrechtlichen Vertrag selbst keine Volksabstimmung durchgeführt wer­den kann. Deshalb haben wir damals, 1994, ja auch nicht über den Beitrittsvertrag selbst in einer Volksabstimmung abgestimmt, sondern über ein Ermächtigungsgesetz.

Und das Ermächtigungsgesetz für diese Europaverfassung hat das Parlament mit wenig – leider mit wenig – medialer Aufmerksamkeit im März dieses Jahres beschlos­sen, meine Damen und Herren. Da ist halt die Realität eine andere. (Zwischenruf des Abg. Eder.)

Herr Kollege Wittmann, wenn man heute hier sagt, ja, aber EU-Recht bricht jetzt nationales Recht, dann muss man darauf verweisen, dass das seit dem Tag, als wir Mitglied der Europäischen Union geworden sind, so der Fall ist. (Abg. Öllinger: Leider!) Ja, meine Damen und Herren!

Da ist schon die Frage zu stellen: Warum hat man damals die Bevölkerung nicht über alle Vor- und Nachteile, über alle Konsequenzen dieses Beitritts zur Europäischen Union informiert? Warum hat man damals, als es wirklich darum gegangen ist, eine klare Entscheidung – ja oder nein zu diesem Weg – in Europa zu treffen, auf ver­schiedene Dinge, auch auf die Auswirkungen auf die Neutralität – und das hat Mitte der neunziger Jahre massive Auswirkungen auf die Neutralität gehabt, bis hin zur Verfas­sungsnovelle 1998 – nicht hingewiesen, warum hat man damals nicht umfassend infor­miert? Diese Frage müssen auch Sie sich gefallen lassen und auch beantworten, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie. (Zwischenrufe der Abgeordneten Dr. Wittmann und Öllinger.)

Wir sind dafür, dass wir alle Kritikpunkte auch öffentlich diskutieren und versuchen, entsprechende Lösungen zu finden, dass wir uns aber dann unter Abwägung aller Vor- und Nachteile klar zu Europa, zu diesem Friedensprojekt eines gemeinsamen, fried­lichen Europas bekennen. Und wenn wir alle Kraft daransetzen, dass wir diese Instru­mente der direkten Demokratie auch einsetzen können, dann wird aus dieser Friedens­union auch noch ein demokratisches Europa – und das sollte im Interesse von uns allen sein. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

10.54


Präsident Dr. Andreas Khol: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Van der Bellen. Auch seine Redezeit beträgt 12 Minuten. – Bitte, Sie sind am Wort.

 


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