Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 115. Sitzung / Seite 94

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Wenn ich nur einmal überlege, wie das in Österreich selbst aussieht: Herr Bundesmi­nister Grasser sagte zum Beispiel, es soll am 3. Oktober nicht begonnen werden, mit der Türkei zu verhandeln. Das blieb unwidersprochen. Frau Bundesminister Plassnik sagte einen Tag später genau das Gegenteil: Alle Beschlüsse zur Erweiterung sind uneingeschränkt umzusetzen.

Oder: Nach dem, was ich heute gehört habe, vertritt Bundeskanzler Schüssel doch eher die Ansicht, dass wir uns auf dem Weg zum europäischen Bundesstaat befinden. Andere, etwa vom Koalitionspartner FPÖ oder BZÖ, vertreten eher die Auffassung, dass es ein Europa der Vaterländer sein soll.

Geschätzte Damen und Herren! Das bedeutet, auch wenn wir uns über den Finanz­rahmen einigen können, dass doch tiefe Risse in Europa bestehen, und zwar zwischen denjenigen, die an das politische Europa glauben, symbolisiert durch die Verfassung, und jenen, die mit dem Sieg des Marktes zufrieden sind. Ich glaube, das ist die wirk­liche Diskussion, geschätzte Damen und Herren!

Ich habe bereits gesagt, Europa braucht auch wieder Ideale, nämlich Ideale, um mehr an dieses Europa zu glauben. Das bedeutet, dass es, aus welchen Gründen auch im­mer, zu keinem Stopp der Bemühungen um mehr Europa kommen darf, sondern die Rolle Europas in einer globalisierten Welt wahrgenommen werden muss. Ich halte das für sehr wichtig. Die Chance liegt eben im Aufstieg zu einer Weltmacht, mit der sich die Bürgerinnen und Bürger identifizieren können.

Europa – und das hat der deutsche Bundeskanzler Schröder gesagt – braucht auch ein Signal der Einigungsfähigkeit. Denn das, was wir erlebt haben, ist eigentlich traurig, wenn man sich überlegt, dass man sich wirklich in Kleinlichkeiten entzweit und die große Linie Europas zu wenig erkennt. Ich möchte daher sagen, dass die Position der Regierungschefs, nämlich „Europa, bitte warten!“, kein richtiges Signal an Europa ist. Schüssel hat gesagt, es „befindet sich in der Warteschleife“; das bedeutet, dass wir von einer gemeinsamen Verfassung vielleicht im Jahr 2008 oder 2009 reden. Ich glaube, das ist nicht der richtige Maßstab, dem wir uns verpflichtet fühlen sollen.

Ich persönlich glaube, dass wir dieses starke, soziale Europa nicht nur schaffen sollen, sondern dazu im Sinne einer Vorbildregion in der globalisierten Welt geradezu ver­pflichtet sind. Das bedeutet, dass sich dieses Europa auch immer mehr zu einem sozi­alen Europa entwickeln muss und damit letztlich ein Europa der Bürgerinnen und Bür­ger wird. In dem Sinne, Herr Staatssekretär Winkler: Viel Erfolg bei Ihrem zukünftigen Wirken im Interesse Österreichs und im Interesse Europas! (Beifall bei der SPÖ.)

13.05


Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächste Rednerin zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Hagenhofer. Ich erteile es ihr.

 


13.05.36

Abgeordnete Marianne Hagenhofer (SPÖ): Herr Präsident! Geschätzte Dame und Herren auf der Regierungsbank! Das Nein zur europäischen Verfassung in Frankreich und in den Niederlanden zeigt, in welch kritischer Situation sich Europa – trotz Profits der österreichischen Wirtschaft und der westeuropäischen Wirtschaft – eigentlich befin­det.

Der „Spiegel“ berichtet in seiner Juni-Ausgabe aus Calais und schreibt, dass die Men­schen dort sagen: „Wir wollen ein Europa, aber nicht dieses.“ In Calais, muss man wissen, gibt es eine Arbeitslosigkeit von 15 bis, in manchen Regionen, 40 Prozent: arbeitslose Fischer, Kumpel, Seeleute und Klöpplerinnen, die einst zu Zehntausenden die Calaiser Spitze produzierten, ehe sich Europas Textilmärkte der Welt öffneten.

 


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