Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 120. Sitzung / Seite 24

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Wir betrauern heute gemeinsam den Tod von Simon Wiesenthal und erweisen ihm unsere Hochachtung. Wir haben einen großen Österreicher verloren. – Ich danke Ihnen.

Eine Schweigeminute zu seinen Ehren werden wir nach den Reden der Klubobleute, die jetzt folgen werden, einhalten.

Ich bitte Sie, Platz zu nehmen, und bitte Herrn Klubobmann Mag. Molterer zum Red­nerpult. (Die Anwesenden nehmen ihre Plätze wieder ein.)

 


14.08.00

Abgeordneter Mag. Wilhelm Molterer (ÖVP): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Simon Wiesenthal, seine Persönlichkeit, vor allem aber sein Wirken ein ganzes Leben lang sind für uns Mahnung, Auftrag und Maßstab – Mahnung in dem Sinne, die Erinnerung wach zu halten und dieses „Nie Vergessen“ tatsächlich zu leben. Es ist eine Mahnung auch an uns, die wir nicht Zeitzeugen waren, weil wir die „Gnade der späten Geburt“ haben. Es ist daher an uns, die Stafette des Erinnerns und des Wach­haltens zu übernehmen.

Die Person und das Wirken Simon Wiesenthals sind aber auch und vor allem Auftrag – Auftrag an uns, die wir heute Verantwortung tragen, heute und in Zukunft gegen jede Form von Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit nicht nur aufzutreten, sondern auch anzukämpfen.

Die Person Simon Wiesenthals und sein Wirken sind Maßstab – Maßstab für unsere eigene Arbeit. Dieses „Recht, nicht Rache“ etwa ist ein Maßstab auch für uns, genauso wie sein Bekenntnis zur individuellen Schuld anstatt der kollektiven Schuld, aber auch die sich daraus ergebende Haltung, einerseits Ermordete vor dem Vergessen zu bewahren, andererseits jedoch die Täter der Strafe zuzuführen.

Wir dürfen dabei – auch an einem Tag wie heute – nicht vergessen, dass Simon Wiesenthal lange Zeit ein einsamer Rufer in der Wüste und auch angefeindet war. Er war auch als Person selbst mit ungerechtfertigten Vorwürfen konfrontiert. Simon Wiesenthal hat sich aber auf seinem Weg auch dadurch nicht beirren lassen.

Ich denke, dass sein Weg von Marksteinen gekennzeichnet war, der Weg, den er gegangen ist, nämlich in seinem ganzen Leben der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der Versöhnung verpflichtet.

14.11

 


14.11.16

Abgeordneter Dr. Alfred Gusenbauer (SPÖ): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Simon Wiesenthal war ein großer Österreicher. Er war deswegen ein großer Österreicher, weil er in einer Zeit, als die Vergangenheit verklärt, verschwiegen und verdrängt wurde, seine Stimme erhoben hat.

Es gibt ein Schlüsselwerk der österreichischen Literatur von Hans Lebert, „Die Wolfs­haut“. In diesem Buch beschreibt er die Nachkriegszeit in einem Dorf namens Schweigen, wo ganz bewusst versucht wird, all das, was davor passiert ist, zu ver­drängen, zu verschweigen und nicht zum Gegenstand des privaten oder des öffent­lichen Gesprächs zu machen. Und dieses Buch schildert offensichtlich sehr gut, wie weit verbreitet solche Stimmungslagen waren. Simon Wiesenthal war einer der Ersten, der entgegen einer solchen Stimmung, die offensichtlich mehrheitlich in Österreich verbreitet war, seine Stimme erhoben und auf die Verbrechen des Nationalsozialismus hingewiesen hat, sich ganz konkret auch auf die Suche der Täter des National-


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