Der zweite Grundsatz, der für uns von ganz besonderer Bedeutung ist, die wir der jüngeren Generation – Klubobmann Molterer hat gesagt: mit der „Gnade der späten Geburt“ ausgestattet – angehören, ist, dass jede Gesellschaft immer von neuem für die Prinzipien der Demokratie, der Freiheit, der Menschenrechte und des Humanismus kämpfen muss. Das ist nicht selbstverständlich, sondern muss immer wieder von neuem erarbeitet werden. Deshalb ist es auch wichtig, sich zur eigenen Geschichte zu bekennen, zu informieren, denn Geschichte kann sich nur dort wiederholen, wo sie vergessen worden ist.
Das wird unsere Verantwortung auch in Zukunft sein. Wir müssen dafür sorgen, dass sich eine Biographie wie jene von Simon Wiesenthal nicht mehr wiederholen muss und dass es keine Diskussion in einem Land wie Österreich darüber gibt, wie viel Prozent an Antidemokraten oder Antisemiten oder inhumanen Ideen dieses Land aushält, sondern dass es einen Konsens – nicht zu 60, 70 oder 80 Prozent, sondern zu 100 Prozent – zu den Werten und auch zu 100 Prozent zu diesem „Nie wieder“ gibt, zu dem wir uns bekennen müssen.
14.18
14.18
Abgeordneter Dr. Alexander Van der Bellen (Grüne): Es ist wahr: Ein großer Österreicher ist gestorben – einer, der Recht und Gerechtigkeit vor den Grundsatz der Rache gereiht hat; aber auf dem Recht, auf der Gerechtigkeit hat er gegen härtesten Widerstand teilweise über die Jahrzehnte seiner Arbeit beharrt. Ich glaube, dass die Bedeutung Simon Wiesenthals weit über Österreich, ja weit über Europa hinausgeht und er vielleicht nicht unmaßgeblich an bestimmten Entwicklungen der jüngsten Jahre beteiligt war.
Damit meine ich Folgendes: Simon Wiesenthal hat darauf beharrt, dass es nicht um abstrakte Verbrechen des Nationalsozialismus schlechthin geht, sondern dass es hiebei um Täter, um Menschen geht, die diese Verbrechen begangen haben, um konkrete Verbrecher, von Adolf Eichmann abwärts.
Dieser Grundsatz, dass man eine individuelle Verantwortung für solche Verbrechen hat, ist, so glaube ich, in der Rechtsgeschichte etwas sehr Neues. Ich frage mich, ob ohne Simon Wiesenthal Entwicklungen wie die Etablierung des Internationalen Strafgerichtshofes oder die Kriegsverbrechertribunale in Den Haag ins Leben gerufen hätten werden können. Simon Wiesenthal hat dafür gesorgt, dass sich jeder, der sich solcher Verbrechen schuldig gemacht hat, unabhängig vom Rang der Person, vom Wächter des KZ in Mauthausen bis, um moderne Verhältnisse anzusprechen, zum Diktator und Staatspräsidenten, früher oder später vor einem internationalen Gerichtshof verantworten muss.
Insofern meine ich, Simon Wiesenthal ist unvergesslich in seinem Kampf für die Aufdeckung der Verbrechen des Nationalsozialismus, insbesondere im Rahmen des Holocausts gegen die jüdische Bevölkerung, aber sein Vermächtnis geht darüber weit hinaus. Das, was er geleistet hat, ist präventiv geworden für Verbrechen der Zukunft, die wir auch auf Grund seines Wirkens hoffentlich nicht erleben.
14.21
Präsident Dr. Andreas Khol: Ich danke den Klubobleuten und bitte nunmehr zum Zeichen der Trauer um eine Schweigeminute. (Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen und verharren einige Zeit in stummer Trauer.) – Ich danke Ihnen. (Die Anwesenden nehmen ihre Plätze wieder ein.)