Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll55. Sitzung, 9. April 2008 / Seite 102

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rück! (Abg. Dr. Stummvoll: Ungeheuerlich!) Das hat nichts mit der österreichischen und europäischen Realität zu tun! (Beifall bei ÖVP, SPÖ, Grünen und BZÖ.)

Meine Damen und Herren, man kann und man soll über alles mit Leidenschaft diskutie­ren, was wichtig ist, und die Europäische Union ist wichtig für uns alle. Wir können da­her mit der gleichen Leidenschaft über Artikel 48 Abs. 7 des Europavertrages diskutie­ren. Sie haben zum Beispiel behauptet, dass die nationalen Parlamente nur eine gelbe Karte haben und keine rote Karte. – Das ist nicht wahr. Ich habe den Text hier, Sie können gerne nachlesen.

Es gibt zwei Verfahren, nämlich erstens das Konventsverfahren, bei dem die Einstim­migkeit gilt. Dort kann nichts ohne die nationalen Parlamente geschehen. Das österrei­chische Parlament hat es voll in der Hand, alles zu blockieren. Das Zweite ist das ver­einfachte Verfahren, die Passerelle-Klausel. In Artikel 48 Abs. 7 ist vorgesehen, dass, wenn der Europäische Rat einstimmig den Übergang von der Einstimmigkeit auf die Mehrstimmigkeit beschließt, innerhalb von sechs Monaten ein einziges Parlament sa­gen kann, dass es das nicht will, dann kommt der Beschluss auch nicht zustande.

Das ist keine gelbe Karte, das ist eine rote Karte, meine Damen und Herren! (Zwi­schenruf des Abg. Strache.) Nein, gar nicht. Der Beschluss ist nur mit Zustimmung al­ler Parlamente möglich, ein einziges Parlament allein kann Einspruch erheben. Genau diese Diskussion, das sage ich ganz offen, fürchte ich bei einer so polarisierten, so zu­gespitzten Diskussion. Wir können dann jeder falschen Behauptung mit dem Lasso oder dem Schmetterlingsnetz nachlaufen, weil Sie immer wieder etwas Neues erfinden und die Menschen verunsichern. In einer solchen Situation sind Mutmacher, nicht Angstmacher gefordert. (Beifall bei ÖVP, SPÖ, Grünen und BZÖ.)

Ich bin dafür, dass wir das alles mit Leidenschaft diskutieren, aber bitte auch das wirkli­che Ziel, den Sinn dieser Europäischen Union mit Leidenschaft diskutieren. Warum ist sie denn gegründet worden? – Josef Cap hat das schon sehr eindrucksvoll dargestellt. Aus den Schrecken des Weltkrieges heraus ist die Idee aufgetaucht, dass sich zu­nächst die Franzosen und die Deutschen und ein weiterer Kern – Gott sei Dank wird der Kreis immer weiter – zusammenschließen, um nie wieder Krieg, nie wieder blutige Auseinandersetzungen auf diesem Kontinent erleben zu müssen. Das ist ein Zusam­menschluss von unten nach oben gewesen, kein Oktroi. Das geschah nicht durch Krieg, durch Zwang, sondern durch freiwilligen Zusammenschluss der Völker. Das hat es in der Geschichte Europas vorher nie gegeben. Das ist der Grund dafür, dass Fran­zosen und Deutsche – die dieser Tage ein gemeinsames Geschichtsbuch herausgege­ben haben – sich in Frieden und Freundschaft vertragen, genauso die Polen, dass die Engländer mit den Iren in Frieden leben können, dass die Rumänen mit den Ungarn ihren Streit und ihre Grenzfragen beseitigen, dass auch wir mit unseren tschechischen Nachbarn oder mit den Italienern, Stichwort Südtirol, keine Probleme haben. Das ist doch ein riesiger Erfolg für uns. (Abg. Strache: Die Beneš-Dekrete werden auch schon seit ...!) – Jetzt lassen Sie doch Ihren Zwischenruf!

Ich sage Ihnen ganz offen: Das ist für mich ein Wunder. Das ist ein europäisches Wun­der, und das sollte man einmal aussprechen dürfen in diesem Hohen Haus. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie bei Abgeordneten der Grünen.) Dieses Wunder braucht natürlich auch leidenschaftliche Befürworter, die diese Fackel hinaustragen und diesen Funken weitertragen. Dazu brauchen wir auch Instrumente, und das ist doch das Ziel: dass wir Sicherheit, Stabilität und Frieden exportieren. Dazu braucht es eine Stimme in der Außenpolitik, den europäischen Außenminister, dazu braucht es einen starken aus­wärtigen Dienst, dazu braucht es einen konsularischen Schutz für alle europäischen Bürger. Dazu braucht es auch Präsenz, Polizei-, Truppenpräsenz, in Krisenherden.

 


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