Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll55. Sitzung, 9. April 2008 / Seite 156

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Dieses Parlament hat viele Sachfragen zu beantworten, und eine davon ist die Frage nach der österreichischen Neutralität. Diese Frage ist ganz einfach zu beantworten: In diesem Reformvertrag – nicht irgendwo versteckt in Fußnoten, sondern ganz einfach lesbar und verstehbar, wenn man des Lesens noch mächtig ist und wenn man zum Verstehen bereit ist – steht ganz klar, dass Neutrale in eine besonders aussichtsreiche Position kommen. Sie können zum ersten Mal alles an gemeinsamen Aktionen der Uni­on insbesondere im militärischen Bereich verhindern, durch ein einfaches Nein blockie­ren, und sie können gleichzeitig zu nichts gezwungen werden. Eine derartige Position neutraler Staaten hat es in der Europäischen Union bis zu diesem Vertrag nicht gege­ben.

Jetzt geht es für mich nicht darum, zu diskutieren, ob die Neutralität beseitigt wird. Herr Abgeordneter Strache, Sie wissen, dass das einer Verfassungsänderung bedürfen würde, dass darüber wahrscheinlich eine Volksabstimmung – ich halte es für richtig! – stattfinden müsste. Uns liegt in diesem Zusammenhang kein einziger Antrag auf eine Verfassungsänderung vor. Ersparen Sie sich also diesen Unsinn!

Es geht vielmehr um eine Antwort auf die politische Frage: Wird die Bundesregierung diese Möglichkeit nützen? Wird sie sich einsetzen für eine Weiterentwicklung und teil­weise für eine Änderung der europäischen Sicherheitspolitik? Die Frage in Europa ist längst nicht mehr die Frage: Neutralität versus Europa, sondern: eine gemeinsame europäische Friedenspolitik auf der Basis des Völkerrechts mit Mandaten der Vereinten Nationen versus die Anmaßung möglicherweise nicht nur einer militärischen Super­macht, im Alleingang gegen Buchstaben und Geist des Völkerrechts und auch gegen den Widerspruch der Europäischen Union und vieler Menschen auf dieser Welt militä­risch tätig zu werden.

Der Vorschlag Europas ist: keine Kriege, sondern eine gemeinsame Regelung auch der militärischen Sicherheitsangelegenheiten auf Basis des Völkerrechtes. Unser Mo­dell ist das Modell Südosteuropa. Erklären Sie einmal den Menschen in Südosteuropa, die noch nicht wie wir in Österreich gewöhnt sind, jahrzehntelang in Frieden leben zu können, dass das eine Selbstverständlichkeit ist! Erklären Sie ihnen den Sinn solcher Diskussionen, wenn auf dem Balkan jede Betroffene und jeder Betroffene weiß, dass sie dringend die Aufnahme in ein Reich und in einen Bereich des Friedens und der Si­cherheit brauchen! Genau darum geht es. Aber eines verstehe ich nicht: warum die Bundesregierung das so defensiv vertritt, warum sich die Bundesregierung so ver­steckt, warum sie diese Debatte nicht offener geführt hat.

Ich glaube schon, dass es manchmal für die Regierung angenehm ist, nicht sagen zu müssen: Ja, die kalte Progression, die die Einkommen wegfrisst, daran ist nicht Brüs­sel schuld, das ist hausgemacht in Wien. Ja, die Zustände im Bildungswesen, daran ist nicht Brüssel schuld, das haben wir in Wien zu verantworten. Ja, die Situation in der Pflege, daran ist nicht Brüssel schuld, das ist unsere eigene Schuld. Ich glaube, es ist zu viel verlangt von einer Bundesregierung, offen und ehrlich zu sagen, dass von der Inflation bis zur Luftraumüberwachung unsere Probleme in erster Linie nicht aus Brüs­sel kommen, sondern hausgemacht sind. (Beifall bei den Grünen.)

Es ist eine billige Entschuldigung, die manchmal auch der Regierung zugute kommt, wenn sie sich duckt und die Menschen auf Brüssel schimpfen lässt, wenn eigentlich Wien und wenn eigentlich Gusenbauer, Molterer, Plassnik und Schüssel gemeint sind.

Deswegen ist das nur ein Halbfeiertag. Wenn jetzt nicht ernst genommen wird, was die Ängste der Menschen sind – und von Inflation, von Mittelstandsgefährdung bis hin zur


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