Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll68. Sitzung / Seite 74

HomeSeite 1Vorherige SeiteNächste Seite

große Unterschiede im Hinblick auf politische Interessen, soziale Normen, Werte und Präferenzen bestehen –, ist die Union nicht untätig. Hier versucht die Europäische Union mit dem Instrument der Offenen Methode der Koordinierung die Gratwanderung zwischen einer stärkeren Integration Europas auf der einen Seite und dem Verbleiben der politischen Souveränität bei den Nationalstaaten auf der anderen Seite zu schaf­fen.

All das sollte eigentlich denen, die immer wieder ein soziales Europa fordern, bekannt sein. Aber wissen Sie überhaupt, wie weit der von Europa gewährte soziale Schutz tat­sächlich geht? Der Begriff des sozialen Schutzes umfasst nämlich nicht nur das Sozial­leistungsrecht, sondern zum Beispiel auch die Arbeitsverhältnisse. Wissen Sie zum Beispiel, dass die Europäische Union auf die Entscheidung eines großen international tätigen Konzerns, den geplanten Stellenabbau in jenem Mitgliedstaat vorzunehmen, in dem die Kündigungen am schnellsten und leichtesten vonstattengehen, mit der Erlas­sung der sogenannten Massenentlassungsrichtlinie reagiert hat? Durch diese Massen­entlassungsrichtlinie erfahren die Arbeitnehmer einen Schutz im Falle von Massenent­lassungen.

Wissen Sie, dass sich die Union im Kampf zwischen einer unbeschränkten Dienstleis­tungsfreiheit und dem Schutz vor Sozialdumping für den Schutz vor Sozialdumping entschieden hat? (Beifall bei der ÖVP.)

Was bedeutet das? – Das bedeutet, dass zum Beispiel im Fall einer vorübergehenden Entsendung eines EU-ausländischen Arbeitnehmers nach Österreich auf diesen Arbeit­nehmer der harte Kern des österreichischen Arbeitsrechts zur Anwendung kommt. Das heißt, diese entsandten Arbeitnehmer werden den österreichischen Arbeitnehmern gleichgestellt. Die Union will damit das Risiko des Missbrauchs und der Ausbeutung der entsandten Arbeitnehmer ausschließen.

Wissen Sie, dass dieser Entsenderichtlinie, auf die ich jetzt Bezug genommen habe, eine Reihe von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes vorangegangen sind, zum Beispiel die Entscheidung Rush Portuguesa? Wissen Sie, dass es sehr oft der Europäische Gerichtshof ist, der sozialpolitische Entwicklungen vorantreibt? Kennen Sie zum Beispiel die Entscheidungen Christel Schmidt oder die Abler-Entscheidung, übrigens ein österreichischer Fall, oder den Fall Mahlburg, den Fall Kalanke, Jäger, Simap – und so weiter, ich könnte noch viele nennen –?

Kennen Sie die vielen Richtlinien zum Arbeitnehmerschutz: die Teilzeitarbeitsrichtlinie, die Richtlinie zu den befristeten Arbeitsverhältnissen, Mutterschutzrichtlinie, Gleichbe­handlungsrichtlinie, Betriebsübergangsrichtlinie, Nachweisrichtlinie? Es ist eigentlich schade, denn, wenn Sie die einschlägige Judikatur, Richtlinien und Verordnungen ken­nen würden, wüssten Sie, worin der soziale Charakter Europas heute besteht und wä­ren bei Ihrer Forderung nach einem sozialeren Europa viel glaubwürdiger. (Präsident Dr. Spindelegger gibt das Glockenzeichen.) – Danke. (Beifall bei der ÖVP.)

12.11


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Zu Wort gelangt als Nächste Frau Abgeordnete Dr. Glawischnig-Piesczek. Redezeitbeschränkung: 5 Minuten. – Bitte.

 


12.12.12

Abgeordnete Dr. Eva Glawischnig-Piesczek (Grüne): Herr Präsident! Geschätzte Mitglieder der Regierung! Werte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Ja, es wäre jetzt wohl ganz spannend, ein paar inhaltliche Argumente von Seiten der SPÖ zu hören. Es wäre spannend, zu erfahren, was die SPÖ aus Überzeugung heraus dazu motiviert hat, jetzt – nämlich nach der Ratifikation des Lissabonner Vertrages im Parla-


HomeSeite 1Vorherige SeiteNächste Seite