Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll26. Sitzung, 16. Juni 2009 / Seite 170

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genheit, auch gegenüber einer Religionsgemeinschaft, von deren Mitgliedern zwischen 1938 und 1945 Tausende ermordet und vertrieben worden sind, an den Tag zu legen hat als ein FPÖ-Generalsekretär. Die Beweise liefern Sie fast wöchentlich aufs Neue.

Die FPÖ insgesamt leidet: Sie können offensichtlich mit Kritik sehr schwer umgehen – politische Kritik und Rücktrittsforderungen (ironische Heiterkeit bei der FPÖ – Abg. Strache: Das ist ja pervers!), damit haben Sie große Probleme. (Abg. Strache: Sie haben Probleme mit einem demokratischen Wahlausgang!)

Sie von der FPÖ ignorieren Verfassungsgrundlagen wie den Staatsvertrag oder die Unabhängigkeitserklärung. Sie sind extrem wehleidig, wobei Sie in anderen politischen Feldern mit voller brutaler verbaler Härte gegen Menschen von Religionsgemeinschaf­ten vorgehen, aber auch nicht davor zurückschrecken, gleichfalls gegenüber Men­schen – ob das jetzt Kinder oder Jugendliche sind –, die nicht den österreichischen Reisepass haben, so zu agieren. Das ist schon bemerkenswert.

Die SPÖ hat sich mittlerweile deutlich deklariert; viele Abgeordnete haben sich auch persönlich deutlich deklariert: Sie wollen einen Rücktritt von Martin Graf.

Die ÖVP breitet mittlerweile noch den Schutzmantel über Martin Graf. (Zwischenruf des Abg. Dr. Belakowitsch-Jenewein.) Sie haben sogar das Kunststück zustande ge­bracht, obwohl Sie sich vorwiegend immer gegen Anlassgesetzgebung aussprechen, ein Anlassgesetz vorzuschlagen, das den Anlass nicht einmal mehr berührt. Das ist schon ein besonderes Kunststück, Herr Kollege Kopf (Beifall bei den Grünen. – Abg. Kopf: ... Anlassgesetz!): etwas vorzuschlagen, was sich zwar auf einen Anlassfall be­zieht, das aber den Anlassfall mitnichten lösen kann, sondern ganz gezielt daran vor­beigeht.

Das ist aus meiner Sicht sehr, sehr fragwürdig, denn das Letzte, das wir jetzt in dieser Diskussion brauchen, ist so ein typisches Vorgehen: Man greift etwas an, aber man greift es auch nicht an. (Zwischenruf des Abg. Grillitsch.)

Es sind da Haltung und Klarheit gefragt, und Sie sollten sich hier heute auch offen de­klarieren (Zwischenruf des Abg. Amon), wie weit jetzt diese Untragbarkeit von Martin Graf tatsächlich geht. Ist er nun untragbar, ja oder nein? – Diesbezüglich sollten Sie sich heute deklarieren und nicht einen Ausweg suchen über einen verfassungspolitisch völlig unsinnigen Vorstoß, der das Problem in keiner Weise lösen kann – in keiner Weise lösen kann! (Beifall bei den Grünen.)

Wir bieten einen Ausweg, nämlich dass genau diejenigen, die Ihnen das Vertrauen ge­geben haben – und das ist der Nationalrat –, Ihnen mit einer Zweidrittelmehrheit dieses Vertrauen auch wieder entziehen können. Das ist ein absolut systemkonformer, ver­nünftiger, sinnvoller Vorschlag.

Den Vorschlag der ÖVP kann man, so glaube ich, sachlich nur zerpflücken, und man kann ihn auch politisch nur zerpflücken. Ich mache es zuerst einmal sachlich:

Man kann durchaus auf einer verfassungspolitischen Ebene diskutieren (Abg. Groß­ruck: Frau Oberlehrer!), welche Wahl- und welche Abwahlmöglichkeiten bestimmte Organe der Republik haben und welche Verantwortlichkeiten sie zu tragen haben, aber was Sie hier machen, ist die Nachbildung des Art. 142 Bundes-Verfassungsgesetz. Mit einer Zweidrittelmehrheit kann sich der Nationalrat de facto dazu durchringen, eine An­klage beim Verfassungsgerichtshof wegen Verletzung der Bundesverfassung auszu­sprechen, und der Verfassungsgerichtshof soll das dann entscheiden.

Da drängen sich schon einige Fragen auf, und vielleicht können Sie diese auch beant­worten. Es drängt sich die Frage auf, warum Sie einen Nationalratspräsidenten, der vorwiegend repräsentative Aufgaben hat, mit einem Bundespräsidenten, der direkt vom Volk gewählt ist, vergleichen. Warum kann nicht der Nationalrat selbst, der seinen Re-


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