Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung / Seite 146

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Gehen wir zu den Fragen der Grundrechte, zu den Beneš-Dekreten. Sowohl die öster­reichischen Stellungnahmen in europäischen Angelegenheiten als auch das Stock­holm-Programm sind ja voll von schönen Worten über Geschichtsbewusstsein, Erinnerungs­kultur, Antidiskriminierung, Antirassismus und dergleichen. Die Grundrechte sprechen davon. Wenn es aber darum geht, über konkret bestehende Diskriminierungen, konkret bestehenden Rassismus, konkret bestehende Geschichtsverweigerung und konkret bestehende Erinnerungsfälschung oder Erinnerungsverweigerung zu sprechen, da wird abgebogen. Da haben wir heute gehört: Na ja, wir haben ja die Beneš-Dekrete nicht wirklich anerkannt, sondern wir haben die Sache irgendwie auf die lange Bank gescho­ben, wir haben ja nicht Ja und nicht Nein gesagt, wir haben gesagt, zu­künftig können sie vielleicht austreten.

Tatsache ist, bei den Verhandlungen vom – ich glaube – 6. November im Rat ist es da­rum gegangen, dass die tschechische Regierung beziehungsweise der tschechische Präsident verlangt hat, aus Schutz vor einer Aushöhlung oder Aufhebung der Beneš-Dekrete – und ausschließlich deshalb! – eine Ausnahmeregelung vom europäischen Grundwertekatalog zu bekommen – ausschließlich deshalb! Das ist nicht vergleichbar mit dem, was für England oder für Polen gewährt wurde, wo die Hintergründe ganz an­dere waren, von der Abtreibung angefangen. Hier ist es ausschließlich darum gegan­gen, die Beneš-Dekrete abzusichern – ausschließlich!

Da hat es, zumindest in der Öffentlichkeit, keinen Widerstand gegeben. Heinz-Christian Strache hat ja schon ausgeführt, dass noch am Tag davor sowohl der Außenminister als auch der Bundeskanzler klargestellt haben: Alles, was die Beneš-Dekrete einze­mentiert, ist für uns eine rote Linie. – Und jetzt kommt ein Staat und sagt: Damit die Be­neš-Dekrete einzementiert sind, wollen wir die Grundrechte nicht auf die Tschechische Republik angewendet wissen! Und was passiert? – Es wird ein Opting-out, wie das so schön heißt, gegeben, das heißt es wird der Tschechischen Republik die Möglichkeit eingeräumt, beim Beitritt des nächsten Landes zu erklären, dass sie die Grundrechte nicht anwendet. Die Tschechische Republik kann sich also die Entwicklung anschauen, und wenn sie sieht, die Grundrechte sind für die Beneš-Dekrete gefährlich, da gibt es vielleicht anhängige Verfahren beim EuGH oder wo auch immer, dann können sie „out-opten“, um diese Gefahr zu beenden.

Schauen wir uns vielleicht bei dieser Gelegenheit die Beneš-Dekrete an – wir reden in diesem Haus ja sehr viel von Erinnerung und Erinnerungskultur, und das sollte auch in diesem Zusammenhang so sein.

§ 2 Abs. 1 des sogenannten Dekretes des Präsidenten der Tschechischen Republik vom 19. Mai 1945, der sogenannten Beneš-Dekrete:

§ 2 (1): „Das im Gebiet der Tschechoslowakischen Republik befindliche Vermögen der staatlich unzuverlässigen Personen wird gemäß den weiteren Bestimmungen dieses Dekretes unter nationale Verwaltung gestellt ...“.

Unter „nationaler Verwaltung“ zu verstehen war ein entschädigungsloser Raub, also keine Entschädigung, wie wir das in unseren Rechtssystemen kennen, sondern ein An-sich-Bringen ohne Recht auf Entschädigung, auf Vererbung oder irgendetwas Ähnli­ches.

Was sind „unzuverlässige Personen“?

§ 4 des Beneš-Dekrets: „Als unzuverlässige Personen sind anzusehen:

a) Personen deutscher oder magyarischer (=ungarischer) Nationalität ...“. – Es gibt dann noch b) und c), da kommen andere; das sind diese antifaschistischen Dinge, die


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