Nationalrat, XXV.GPStenographisches Protokoll68. Sitzung / Seite 104

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Wir alle haben am Sonntagmorgen die Botschaft gehört: 800 Menschen im Mittelmeer ertrunken. – 800 Menschen! Das alles, nachdem wir wussten, dass im Herbst 2014 die Operation Mare Nostrum – die von Italien und Malta gemeinsam betrieben wurde und bei der man in Seenot geratene Flüchtlinge aufgesucht und ihnen geholfen hat, wobei man bis weit in die Gewässer hinausgefahren ist, 160 Seemeilen weit hinaus, von der italienischen Küste bis hinein in libysche Gewässer – aus Kostengründen gestoppt wurde. Sie hat 9 Millionen € pro Monat gekostet. Letztes Jahr hatten wir trotz dieser Aktion fast 3 000 Tote im Mittelmeer zu beklagen, und heuer sind es bis zum 19. April bereits 1 600 Menschen, die ertrunken oder erfroren sind.

Diese Politik der Flüchtlingsabwehr, die wir beobachtet und die wir auch sehr kritisiert haben, hat, denke ich, mit diesem Wochenende einen neuen Ausgangspunkt gefun­den. Viele österreichische Politiker haben am Minoritenplatz ihre Anteilnahme gezeigt, und auch der österreichische Bundespräsident hat gesagt, diese Politik muss geändert und beendet werden.

Es ist auch Ihre Aufgabe, Herr Bundesminister Kurz, in diesen Bereichen jetzt nicht nur Betroffenheit zu zeigen, sondern tatsächlich Taten zu setzen. Österreich hat sich in den letzten Jahren eigentlich dadurch ausgezeichnet, vor allem auf europäischer Ebene in der Frage der Flüchtlingspolitik genau diese Abschottungspolitik sehr stark zu unterstützen. Österreich war immer dabei, wenn es um die Frontex und ihre Stärkung gegangen ist. Die Frontex ist jetzt die Organisation, die im Mittelmeer Patrouille fährt – aber nicht zur Sicherung von Menschen und von in Seenot geratenen Flüchtlings­booten, sondern zur Sicherung der Grenzen. Sie fährt keine 140 Seemeilen mehr hinaus, sondern nur noch 30 Seemeilen.

Das heißt, wenn es eine Familie aus einem Gebiet, das vom IS kontrolliert wird, geschafft hat, sich über sehr gefährliche Wege in ein Boot gesetzt und den Weg über das Mittelmeer gesucht und gefunden hat, dann ist die Chance sehr groß, dass diese Familie vor unseren Mauern, die Europa hochgezogen hat, ertrinkt. Das ist, das sage ich in aller Offenheit, nicht mehr erträglich, für uns alle nicht mehr erträglich! (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten der NEOS.)

Konstantin Wecker hat in einem Lied Folgendes beschrieben: „Die Menschenwürde, hieß es, wäre unantastbar, jetzt steht sie unter Finanzierungsvorbehalt“. – Dann dis­kutieren wir einmal über das, was immer vorgeschoben wird, nämlich die sogenannten Kosten – die Kosten von Mare Nostrum. Wir wollen Mare Nostrum II, und jeder, der das nicht will, kann sich nur in die Reihen derjenigen einreihen, die dafür verantwortlich sind, dass weitere Menschen im Mittelmeer ertrinken. Ich sage es in aller Deutlichkeit: Jedes Argument, das sei eine Einladung an die Schlepper, ist zynisch. Meine Gegenfrage: Sollen wir deswegen weiter Menschen ertrinken lassen? – Ich denke, die Antwort darauf kann keinem Menschen hier im Nationalrat schwerfallen.

Wir wollen eine andere Flüchtlingspolitik in Europa haben und diese Abschottung beenden. Es gibt keine legale Einreisemöglichkeit – Sie wissen das, Herr Bundes­minis­ter, und Sie wissen auch, dass sich viele Organisationen und viele Menschen auch in Österreich mittlerweile hinter eine wichtige Petition gestellt haben, bei der es genau darum geht, Mare Nostrum II als Seenotrettungsaktion und als europäisches Projekt wiederzubeleben. Ich habe es gestern mit Jean-Claude Juncker besprochen, auch er sieht es als Notwendigkeit, ein europäisches Seenothilfeprogramm Mare Nostrum II zu unterstützen und wieder ins Leben zu rufen. – Da geht es um Tage.

Ich appelliere an Sie und fordere Sie auf, das tatsächlich in den nächsten Tagen mit allen Möglichkeiten – auch beim Sondergipfel – einzuleiten und vorzuschlagen. Allein die Mittel, die Frontex jeden Monat mit Triton und Poseidon, den beiden Grenz­schutz­sicherungsprojekten von Frontex, verbraucht, betragen 3,2 Millionen €. Das will man


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