Nationalrat, XXV.GPStenographisches Protokoll68. Sitzung / Seite 207

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Zum Zweiten: Was ich auch immer wieder höre und was die Lehrer unter Ihnen wahrscheinlich bestätigen können, ist, dass es eine seltsame Verschiebung innerhalb der Kompetenzabgrenzung gegeben hat. Bildung war grob gesagt Sache der Schule. Und Erziehung, der Erwerb von Grundkompetenzen, von Grunderziehungsergeb­nis­sen, soziales Verhalten, die Bereitschaft, sich zu konzentrieren, Mühe auf sich zu nehmen, bei der Sache zu bleiben, das war dann stark die Sache des Elternhauses.

Je mehr wir übrigens – darf ich Ihnen das einmal zur Kenntnis bringen – die Erziehung verstaatlichen, desto mehr leidet diese Kompetenz der Kinder und desto mehr müssen die Lehrer dann die Defizite ausgleichen, die die Familien nicht mehr erfüllen – ich sage – können, weil die Politik sie daran hindert. (Beifall bei der FPÖ.)

Neben diesen Fehlentwicklungen, die nicht außerhalb der Politik, aber außerhalb der unmittelbaren Bildungspolitik liegen, jetzt zu jenen, die unmittelbar im Bildungsbereich sind. Ich sehe es völlig andersrum, als viele von Ihnen es hier gesagt haben.

Wir haben nicht einen Reformstau und es ist nicht so, dass nichts weitergeht, und wir beklagen auch keinen Stillstand. Das wäre ja so, als ob wir aus einer unzureichenden Vergangenheit jetzt endlich in eine bessere Zukunft wollten, das ist ja überhaupt nicht der Fall. Seit den 1970er Jahren – das werden Sie mir aber jetzt nicht abstreiten – jagt eine Schulreform und ein Schulversuch den anderen. Wir kranken vielmehr an einer Reformitis. Es ist nicht die Frage, ob wir zu wenig Reformen haben, sondern wir müssen die Fragen stellen: Gehen diese Reformen in die falsche Richtung? (Beifall bei der FPÖ), wenn ich mir die empirisch messbaren Ergebnisse, ich will es ja nicht über­bewerten, aber auch nicht unterbewerten, anschaue und auch die Klagen der Uni­versitätslehrer – auch das muss irgendwann einmal bestätigt werden –, die sagen, viele Maturanten kommen mit einem nichtakademischen Niveau an die Universität. Oder die Unternehmer sagen, wenn ich denselben Test für meine Lehrlinge, den ich vor zehn Jahren noch auflegen konnte, heute auflege, dann bekomme ich keinen Einzigen mehr. Also dieser Niedergang und dieser Bildungsverlust sind ja auch ein Faktum.

Umgekehrt ist es: Wir kommen von einer relativ guten Situation in eine immer schlech­tere, und das in einem ganz kurzen Durchgang! Was muss Schule leisten, auch wenn Sie jetzt gleich aufschreien werden? – Schule ist keine Veranstaltung zur Herstellung von Gleichheit und nicht mit Gerechtigkeit zu verwechseln. (Zwischenruf des Abg. Walser.)

Die Menschen sind gleich an Würde und Ansehen, aber sie sind verschieden in ihren Talenten. Deswegen braucht es ein gegliedertes Schulsystem. Es erreichen mehr Schüler über die Hauptschule und die berufsbildenden höheren Schulen die Matura als über die Langzeitform der AHS. Was wollen Sie da eigentlich zu diesem Thema?

Zum Zweiten: Wer darauf verzichtet, Leistung zu fordern, der verkennt völlig die Leis­tungsbereitschaft und die Ernsthaftigkeit von Kindern und schätzt den Menschen auch zu gering ein. Er beschneidet seine Entwicklungsmöglichkeit.

Apropos und nebenbei: Leistung ist ein urdemokratisches Prinzip. Nicht durch Geburt, Stand oder den Geldbeutel bestimmt sich der Wert oder der soziale Rang in der Gesellschaft, sondern durch Leistung. Warum wollen Sie dies den Kindern eigentlich schon in der Schule abtrainieren?

Zum Dritten: Es wird nicht reichen, dass wir Kompetenz vermitteln: Medienkompetenz, Lebenskompetenz, Sozialkompetenz, wir brauchen irgendwie auch Biologie, wir brauchen Mathematik, wir brauchen Tatsachen und feste Kenntnisse. Man kann auch nur kritisch an etwas herangehen, wenn es etwas gibt, woran man herangehen kann. Nur Kompetenzvermittlung, das ist wie Stricken ohne Wolle.

 


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