Nationalrat, XXV.GPStenographisches Protokoll119. Sitzung / Seite 88

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staltung der Beziehung Großbritanniens zur EU für die Union tiefgreifende und nach­haltig negative Folgen haben wird.

Als Erstes sei festgestellt, dass das Abkommen praktisch sämtliche britische Forde­rungen erfüllt, wogegen die übrigen 27 Länder sich nicht getraut haben, auch nur eine einzige Gegenforderung zu stellen. Man hätte ja die Gelegenheit ergreifen können, die lange Liste an Sonderregeln und Ausnahmen, die Großbritannien akkumuliert hat, et­was zu durchforsten, vielleicht beginnend mit dem britischen Rabatt, den Premierminis­terin Thatcher 1984 ausverhandelt hatte, als Großbritannien noch das zweitärmste Land der EWG war, und den Großbritannien heute, 30 Jahre später, weiter einfordert, ob­wohl es ein Pro-Kopf-Einkommen hat, das höher als in Italien und Frankreich ist.

Nein, stattdessen hat der Rat in fast panischer Art die Verhandlungen innerhalb von drei Monaten abgeschlossen und ohne Gegenwehr jede Forderung Camerons erfüllt, um ihn innenpolitisch zu stärken und in der Hoffnung, damit den Brexit quasi um jeden Preis abzuwenden. Der ursprüngliche Ansatz, eine Reform der Union anzustoßen, ist dabei gänzlich auf der Strecke geblieben. Das ist schade, denn vieles, was die Briten an der EU kritisieren, läuft tatsächlich nicht richtig.

Die Gelegenheit, die Institutionen im Sinne stärkerer Subsidiarität, stärkerer demokrati­scher Legitimation zu reformieren, die EU näher an die Bürger zu bringen, den Ent­scheidungsprozess zu verbessern, wurde vertan. Vor allem aber hat die Vereinbarung einige rote Linien überschritten. Zum einen wird durch die Kürzung gewisser Sozial­leistungen für EU-Staatsbürger das Prinzip der Freizügigkeit der Person ausge­höhlt, und es wird damit an einem Grundpfeiler der Union gerüttelt. Zum anderen sollen jetzt die nationalen Parlamente mittels der sogenannten Roten Karte die Möglichkeit haben, EU-Gesetzgebung zu blockieren. Anstatt also die Kompetenzen des EU-Parlaments zu erweitern, gehen wir einen Schritt zurück.

Großbritannien hat natürlich noch nie einen wesentlichen Beitrag zur Vertiefung der Uni­on geleistet, aber diesmal legt Großbritannien kaltblütig den Rückwärtsgang ein. Zum ersten Mal verlangt ein Mitglied der Union, dass bereits Erreichtes abgeschafft wird, und der Rat, in seiner Kurzsichtigkeit und Panik, stimmt dem zu. (Abg. Haider: Gott sei Dank!) – Ja, Gott sei Dank, von Ihrer Ecke: Welcome at UKIP!

Am schwerwiegendsten aber wirkt, dass sich der Rat unter dem Druck Großbritanniens vom ursprünglichen Ziel der Union verabschiedet hat, und zwar, indem er die Klausel von Artikel 1 des EU-Vertrages, der „immer engeren Union der Völker Europas“, für Großbritannien – und nur für Großbritannien – explizit aussetzen möchte.

Natürlich hat das Vereinigte Königreich die Zielsetzung eines politischen Projekts nie geteilt, und 43 Jahre nach dem Beitritt sieht das Königreich in der EU bestenfalls eine Art turbogeladene Freihandelszone. Sogar ein angeblicher Befürworter der EU, näm­lich Premierminister Cameron, gibt in Bezug auf die immer engere Union unumwunden zu: „Das Bekenntnis (…) darf für Großbritannien nicht länger gelten. Wir glauben nicht daran. Wir stehen nicht dahinter. Wir haben eine andere Vision von Europa.“

Dabei ist doch Europa selbstverständlich primär ein politisches Projekt. Das war es schon immer, von Anfang an. Bereits bei der Gründung der EGKS 1951 war die Ziel­setzung die Aufrechterhaltung des Friedens innerhalb Europas. Und auch heute ist die Europäische Union noch ein politisches Einigungsprojekt. Sie war es bei der Aufnahme der Satellitenländer der ehemaligen Sowjetunion, sie ist es heute bei der Integration der Balkanländer, sie könnte es morgen für die Ukraine sein. Und die Menschen in diesen Staaten sehen in der Europäischen Union nicht nur ein Symbol von Wohlstand, sondern auch den Inbegriff von Freiheit, Demokratie, Stabilität und Rechtsstaatlichkeit. Auch die Briten seien daran erinnert, dass jede Generation den Frieden neu sichern muss. Das haben uns die Kriege im ehemaligen Jugoslawien vor Augen geführt, und


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