Nationalrat, XXV.GPStenographisches Protokoll173. Sitzung / Seite 124

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meinen Sozialversicherungsgesetz § 108). Die Freibetragsgrenze, Absetzbeträge und Steuertarifeckwerte im Steuersystem werden jedoch nicht angepasst.

Die kalte Progression entsteht sobald das zu versteuernde Einkommen einer Person an die Inflation angepasst wird und in der Folge zumindest den ersten Grenzsteuersatz von 25 Prozent überschreitet.

Illegitime Steuerbelastungsverteilung

Durch die kalte Progression verändert sich nicht nur die Steuerbelastung, sondern auch deren Verteilung. Das kann zu einer einkommensbezogenen Steuerverteilung führen, die in dieser Form niemals vom Gesetzgeber legitimiert wurde. Wissenschaftler des Münchner ifo Institutes fassen dies in einem Papier so zusammen: "Durch das Hineinrutschen in höhere Grenzsteuersätze kommt es zu einer Stauchung der gesell­schaftlichen Steuerlastverteilung und somit zu einer Abweichung von den ursprünglich vom Gesetzgeber intendierten Verteilungswirkungen des Steuersystems. Diese Ände­rungen der Steuerlastverteilung sind zudem nicht explizit demokratisch legiti­miert."(Quelle: Fuest, Clemens, Björn Kauder, Luisa Lorenz, Martin Mosler, Niklas Potrafke und Florian Dorn, Heimliche Steuererhöhungen – Belastungswirkungen der Kalten Progression und Entlastungswirkungen eines Einkommensteuertarifs auf Rädern, ifo Forschungsberichte 76, ifo Institut, 2016) Forscher des selbigen Instituts ziehen in einem aktuellen Papier zur kalten Progression folgende Schlussfolgerung: "Das Phänomen der (...) Kalten Progression jedoch muss als »Irrtum« des Steuer­systems aufgefasst werden. Die Kalte Progression schwächt die Verteilungswirkungen des Steuersystems und führt zu einer Ausweitung der Steuerquote, die sich der demokratischen Kontrolle entzieht. Es ist deshalb wünschenswert, die Kalte Progression zu beseitigen." (Quelle: Dorn, Florian; Clemens Fuest; Björn Kauder; Luisa Lorenz; Martin Mosler und Niklas Potrafke, "Steuererhöhungen durch die Hintertür – fiskalische Aufkommenswirkungen der Kalten Progression", ifo Schnelldienst 70 (02), 2017, 51-58)

Bei der Verteilung der Last geht es aber nicht nur um die Verteilung zwischen den verschiedenen Einkommensklassen, sondern um die Aufteilung von erwirtschafteten Erträgen zwischen privat und öffentlich. Die zusätzlichen Mittel, welche an die öffentliche Hand gehen, sind auch aus ökonomischer Sicht problematisch – vor allem vor dem Hintergrund der zweithöchsten Abgabenbelastung auf den Faktor Arbeit in ganz Europa. Es mangelt dem mit der kalten Progression verbundenen Anstieg der Steuerquote an Rechtfertigung. Auch aus ökonomischer Sicht ist es nicht schlüssig, warum eine schleichende Steuererhöhung im Sinne der Bürger_innen wäre, ohne dass der Gesetzgeber darlegt, dass die Nachfrage nach öffentlichen Gütern schneller steigt als die Nachfrage nach privaten Gütern – nur eine solche Nachfrageverschiebung würde eine Erhöhung der Steuerbelastung rechtfertigen.

D.h. eine Diskussion über eine Belastungsverteilung steht dem Gesetzgeber in jeder Form zu, diese sollte aber unabhängig von einer illegitimen, automatisierten Zusatz­belastung stattfinden. Fakt ist jedenfalls: Durch die kalte Progression kommt es zu einer Steuererhöhung, welche nicht vom Parlament beschlossen werden muss und welche somit nur selten das Ergebnis einer öffentlichen politischen Debatte ist. Diese Debatte ist aber dringend zu führen.

Mögliche negative Lenkungseffekte

Durch die immer größer werdende Steuerbelastung sinkt auch der Arbeitsanreiz, vor allem in den unteren Einkommensklassen. Denn nur wenn der Unterschied zwischen dem arbeitsfreien Einkommen und dem Nettoeinkommen groß genug ist, wird der Anreiz zu arbeiten groß genug sein. Mit derselben Argumentation rechtfertigt Kanzler Kern auch seine Forderung nach einer Erhöhung des Mindestlohns. Konkret ist in


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