Nationalrat, XXV.GPStenographisches Protokoll175. Sitzung / Seite 74

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Ich darf Sie daran erinnern: Europa, wie es sich heute darstellt, ist ja nicht wie das Manna vom Himmel gefallen, sondern es ist das Ergebnis ganz konkreter politischer Entscheidungen. Vor diesem Hintergrund ist es mir ein besonderes Anliegen, diese extrem verkürzte, immer wieder auf holzschnittartige Überschriften zusammengefasste Debatte, diese Proeuropäisch-antieuropäisch-Diskussion etwas aufzuräumen, denn ich persönlich habe mit größter Nachdenklichkeit gesehen, dass es da aus Ihrem Kreise mitunter auch den einen oder anderen gegeben hat, der der Bundesregierung eine antieuropäische Haltung vorgeworfen hat.

Ich kann Ihnen sagen, das ist natürlich falsch. Das ist das Gegenteil dessen, wofür wir stehen. Es geht uns um unsere Verantwortung, und diese wollen wir im ent­sprechen­den Bewusstsein wahrnehmen.

Wenn wir dieser Tage erlebt haben, dass bei der Präsidentenwahl in Frankreich im ersten Wahlgang ein Kandidat gewonnen hat, der eine proeuropäische Haltung hat, dann macht es, glaube ich, durchaus Sinn, sich dieser Diskussion zu widmen und zuzuhören, denn selbst ein Emmanuel Macron hat ja gesagt, bei allem europäischen Bewusstsein und Geist geht es schon darum, dass wir jetzt einen Reformprozess aufsetzen müssen. (Präsident Kopf übernimmt den Vorsitz.)

Die Analyse Europas ergibt aus meiner Sicht – vielleicht wird der Herr Vizekanzler da andere Nuancen finden –, dass man ganz klar sagen muss, dass in den letzten Jahr­zehnten die Deregulierung, die Marktöffnung und eine höhere Wettbewerbsfähigkeit im Vordergrund gestanden sind. Ich halte das einerseits für eine Entwicklung, die sicherlich ein großes Thema betrifft, andererseits reicht das aber nicht aus, um die Menschen für Europa zu begeistern. Ich darf an Jacques Delors erinnern, der einmal gemeint hat: „Niemand verliebt sich in einen Binnenmarkt.“

Unsere Aufgabe muss es sein, Europa wieder zu einem Projekt der Menschen und ihrer realen Interessen zu machen und nicht bloß als Projekt zu sehen, in dem es um Gewinn- und Verlustrechnungen und Bilanzen geht.

Heute wird die Europäische Kommission ihren Vorschlag zur sozialen Dimension Europas vorstellen. Es wird einen Diskussionsprozess geben, und wir werden uns dann im Herbst in Göteborg treffen, um das Thema ein weiteres Stück voranzutreiben, aber der Gedanke, der hinter diesem Konzept steckt – und man muss der Kommission dafür verbunden sein –, ist ja die Frage: Wie schaffen wir das ursprüngliche Ver­sprechen der Europäischen Union, nämlich Wohlstand für die große Mehrheit, ja, für alle, und Sicherheit, tatsächlich zu erfüllen?

Beim Brexit – ich möchte das noch einmal betonen – ist unser großes Problem, dass zu viele Menschen einfach nicht mehr daran geglaubt haben, dass die Europäische Union das hinbekommt. Deshalb ist es wichtig, dass wir einen Reformprozess beginnen, dass wir eine Diskussion im besten Wissen, dass wir Europäer sind und davon profitieren, führen und nicht bloß über Überschriften reden. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Ich darf Ihnen das anhand einiger Beispiele erläutern, die die gemeinsame Politik von uns, die wir hier auf der Regierungsbank sitzen, ausgezeichnet haben und die mir persönlich auch ein Anliegen sind, vielleicht auch etwas weiter interpretiert: Wenn wir heute in Österreich über Europa diskutieren, dann ist es proeuropäisch, sich massiv zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu bekennen. (Abg. Kickl: Sagen Sie mir einmal irgendjemanden, der sich dazu nicht bekennt!) Jeder, der die Arbeitslosigkeit in Europa ignoriert, leistet keinen positiven Beitrag für Europa, sondern betreibt ein Projekt der Entsolidarisierung, das letztendlich unsere Gesellschaft, aber auch das Projekt der europäischen Einigung angreift.

 


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