10.52

Abgeordneter Dr. Christoph Matznetter (SPÖ): Herr Präsident! Meine geschätzten Damen und Herren auf der Regierungsbank! Mein Vorredner Mag. Koza hat gemeint, es gebe Lücken in unserem Staat, was die Schnelligkeit von Auszahlungen betrifft. Reden wir über eine Lücke, die in der Verwaltung an der Spitze der Weisungspyramide, beim Finanzministerium, liegt.

Ich möchte dieses Beispiel, das Frau Dipl.-Ing. Doppelbauer vorhin gebracht hat, ein bisschen weiterspinnen: Nehmen wir an, die Republik ist ein Unternehmen und alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sind die Aktionäre, denen der Staat gehört. Sie haben einen CFO namens Gernot Blümel (Ruf bei der ÖVP: Hervorragende Wahl!), und der CFO, der für das Rechnungswesen zuständig ist, erklärt, dass jede Zahl, die er vor­legt, falsch ist, da er keine richtigen Zahlen vorlegen kann (Abg. Haubner: Stimmt ja nicht!), und dass, würde er andere Zahlen vorlegen, diese auch falsch wären. (Zwischen­ruf des Abg. Obernosterer.) Dann kommt es zum Jahresabschluss dieses Unterneh­mens. Dieses Haus, das Parlament, hat allen größeren Kapitalgesellschaften vorge­schrieben, dass der dortige Vorstand beziehungsweise die Geschäftsführung einen Lagebericht abgeben muss, der auch die künftige Entwicklung darstellen muss.

Ich schaue bewusst in Richtung des Kollegen Dr. Fuchs: Was müsste der Wirtschafts­prüfer machen, wenn der zuständige Vorstand einen Lagebericht dergestalt abgibt, dass er sagt: Die Zahlen sind falsch, ich bin nicht in der Lage, richtige Zahlen zu nennen, und im Übrigen, was der Gesetzgeber da will, ist eine Prognose, und die ist bekanntlich besonders schwierig, was die Zukunft betrifft, daher gebe ich gar keinen Lagebericht ab! Welchen Bestätigungsvermerk müsste die Kollegin oder der Kollege einem solchen Un­ternehmen geben? – Einen eingeschränkten oder keinen! Welche Aufgabe hätte die Generalversammlung oder die Hauptversammlung? – Sie müsste so einem Vorstand das Vertrauen versagen, weil er nicht in der Lage ist, die Mindestanforderung betreffend das, was er zu tun hat, zu erfüllen.

Das Argument, dass sich die Zahlen ändern können, ist lächerlich, meine Damen und Herren! Man muss immer mit Stand heute die richtigen Zahlen bekannt geben; auch Sie, Herr Blümel! Sie werden es bei Candy Crush nicht lernen! Versuchen Sie, es wirklich einmal zu machen, und tun Sie Ihre Arbeit! (Beifall bei der SPÖ.)

Jetzt komme ich zu dem Teil, der notwendig ist: Wir haben einen Anstieg der Arbeits­losigkeit auf 58 Prozent – im Vergleich zu 19 Prozent in Deutschland –; Hunderttausen­de Frauen und Männer in diesem Land sind arbeitslos und haben wenig Perspektive. Frau Dr. Rendi-Wagner hat zu Recht als erste Rednerin gefordert: „Österreich braucht das größte Investitions- und Beschäftigungspaket in der Geschichte der zweiten Re­publik“! – Jetzt, und nicht wieder in drei Monaten und nicht mit Nachbessern und Bemü­hen! Jetzt!

Daher bringe ich folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc, Kolleginnen und Kollegen betref­fend „Österreich braucht das größte Investitions- und Beschäftigungspaket in der Ge­schichte der zweiten Republik“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Nationalrat das größte Investitions- und Beschäftigungsprogramm in der Geschichte der zweiten Republik vorzulegen, das ge­eignet ist, Österreich mittelfristig zur Vollbeschäftigung zurückzuführen. Dies soll insbe­sondere durch ein Vorziehen der geplanten Steuerreform für kleine und mittlere Ein­kommen, öffentliche Investitionen – insbesondere im Bereich Klimaschutz -, die Schaf­fung von Investitionsanreizen für Unternehmen sowie öffentliche Beschäftigungspro­gramme gelingen.“

*****

Wenn wir das nicht machen, werden wir noch weiter abstürzen, und wenn die Insol­venzwelle rollt, werden wir genau jene verlieren, die es können.

An dieser Stelle, falls die ÖVP-Fraktion nicht weiß, wen sie statt Gernot Blümel nehmen soll: Gabriel Obernosterer hat ja gestanden, er schafft es, die Budgets für seine Hotels zu erstellen. Nehmt den Obernosterer, der schafft ein Budget! (Ruf bei der FPÖ: Na, bitte nicht!) Ihr müsst keinen Philosophen hinsetzen, nehmt einen erfahrenen Hotelier, der ist sicher eine Bereicherung für dieses Haus! – Danke. (Heiterkeit und Beifall bei der SPÖ.)

10.56

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Pamela Rendi-Wagner, Christoph Matznetter

Genossinnen und Genossen

Eingebracht im Zuge der Debatte zu TOP 1: Bericht des Budgetausschusses über die Regierungsvorlage (71 d.B.): Bundesgesetz, mit dem das Ausländerbeschäftigungsge­setz, das Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetz, das Insolvenz-Entgeltsicherungsge­setz, das Bauarbeiter-Schlechtwetterentschädigungsgesetz, das Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz, das Familienlastenausgleichsgesetz 1967, das Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979, das Gehaltsgesetz 1956 und das Umweltförderungsgesetz geändert werden (Budgetbegleitgesetz 2020) (175 d.B.)

Betreffend: Österreich braucht das größte Investitions- und Beschäftigungspaket in der Geschichte der zweiten Republik

Die Ausgangslage

Der Lockdown hat eine soziale und wirtschaftliche Krise ausgelöst, die beispielhaft ist in der zweiten Republik. Die Arbeitslosigkeit ist binnen kürzester Zeit explodiert (+76 % April 2020 im Vgl. zu April 2019), Unternehmen kämpfen um ihre wirtschaftliche Existenz. Das Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) erwartet angesichts der Corona-Pandemie in Österreich 2020 einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 5,2% (best case) bis 7,5% (worst case). Damit wäre das Wachstum der vergangenen zwei Jahre vernichtet und das BIP am Stand von 2017.

Österreich hat mithilfe der Bevölkerung und dank der gut ausgestatteten öffentlichen Spitäler das Corona-Virus bisher erfolgreich eigedämmt, bei der Bekämpfung der Aus­breitung der sozialen und wirtschaftlichen Krise versagt die Bundesregierung. Die Wirtschaftshilfen wurden zu spät beschlossen, sind zu wenig und zu bürokratisch. Den Ankündigungen in Pressekonferenzen folgen keine Taten – wortreich wird fast täglich mit Millionen jongliert, bei den Betroffenen kommt nichts davon an.

Steuern auf Arbeit senken, aus der Krise „hinausinvestieren“

Angesichts der negativen Wirtschaftsprognosen hat Österreich keine Zeit mehr zu verlieren. Es muss jetzt gehandelt werden. Der Beschäftigungsmotor muss gezündet werden, um die Arbeitslosigkeit zu senken und Beschäftigung zu schaffen. Senken wir die Steuern auf Arbeit, um den Konsum anzukurbeln. Investieren wir in Wachstum und Beschäftigung, um einen Neustart der heimischen Wirtschaft zu ermöglichen. Stellen wir die Wirtschaft auf ein widerstandsfähiges und nachhaltiges Fundament.

Das größte Investitions- und Beschäftigungspaket braucht einen vernünftigen Maßnah­menmix:

1.         Nachfrage stabilisieren, Konsum stärken

•           Arbeitslosengeld auf 70% Nettoersatzrate anheben – damit erhöht sich das Ein­kommen aller Arbeitslosen und auch jener Menschen, die aufgrund von Corona unverschuldet in die Arbeitslosigkeit gerutscht sind, um fast 30%.

•           Zwar wurde ein SV-Bonus zur Stärkung der kleinen und mittleren Einkommen beschlossen, für die ArbeitnehmerInnen und PensionistInnen greift diese Maß­nahme allerdings erst 2021 und damit viel zu spät. Der SV-Bonus soll für alle schon ab 1.1.2020 greifen – rückwirkend!

•           Zusätzlich Tarifsenkung für die Lohn- und Einkommenssteuer vorziehen. Für klei­ne und mittlere Einkommen sollen die Steuersenkung schon ab 1.7.2020 voll wirken.

2.         Investitionsturbo starten

Die Unternehmen halten sich aufgrund des größten Wirtschaftseinbruchs seit den 1930er Jahren mit Investitionen zurück. Dies führt zu einem (weiteren) Rückgang des Wirtschaftswachstums. Damit die Unternehmen wieder mehr investieren, müssen An­reize geschaffen werden.

a.         Vorzeitige Abschreibung als Investitionsanreiz: Einführung einer zeitlich begrenz­ten vorzeitigen Abschreibung – also steuerliche Anreize für Investitionen für Un­ternehmen, sodass Investitionen vorgezogen werden – zum Beispiel für Inves­titionen von 1.7.2020 bis 1.7.2021. Das stärkt die Industrie und belastet das Bud­get mittelfristig zudem nicht.

b.         Gemeinnützigen Wohnbau verstärken: Durch Zweckzuschüsse des Bundes für die Schaffung von leistbarem Wohnraum. Das schafft zusätzliche Arbeitsplätze.

c.         Sofortige thermische Sanierung aller öffentlichen Gebäude: Zur Stärkung der Bauwirtschaft und der Zulieferindustrie.

d.         Klimainvestitionspaket in Höhe von 1 Mrd. € jährlich (Verkehr, alternative Ener­gien, Forschung und Entwicklung etc.)

e.         Infrastrukturinvestitionspaket für Städte- und Gemeinden: Aufgrund des Wirt­schaftseinbruchs droht bei den Gemeinden ein riesiger Investitionsstau. Der Städtebund rechnet mit bis zu 2 Mrd. € Einnahmeverlust. Das ist für die lokalen KMUs ein großes Problem – weil die Gemeinden wichtige Auftraggeber sind. Daher braucht es ein jährliches Investitionspaket für Gemeinden von zumindest 500 Mio. € jährlich.

f.          Thermische Sanierung für Privathaushalte. Für Privathaushalte mit alten Heiz­systemen und schlechte gedämmte Wohnungen/Häusern soll es eine staatlich garantierte, zinslose Sanierungsaktion geben. Dabei soll bei der Bank die Be­stätigung/Rechnung des Installateurs bzw. der Baufirma direkt eingereicht wer­den können. Die Bank übernimmt die Rechnung und die betroffenen Haushalte erhalten einen zinslosen Kredit der über 10 Jahre abzubezahlen ist.

3.         Beschäftigung stärken

Das WIFO hat festgestellt, dass uns bis 2030 rund 25.000 Pflegekräfte fehlen werden. Eine Investition in FacharbeiterInnenausbildung rentiert sich daher doppelt. Kurzfristig kommen Menschen in Schulungsmaßnahmen, mittel- bis langfristig mildern wir dadurch das Pflegeproblem.

a.         Qualifizierungsoffensive: Ein „Qualifizierungsgeld Neu“ soll allen Personen über 25 Jahre, die beruflichen Neuorientierungs- oder grundlegenden Weiterbildungs­bedarf haben, eine Weiterbildung ermöglichen. Es soll mit Rechtsanspruch aus­gestattet sein und auch gegenüber dem Arbeitgeber sollen Beschäftigte, die das Qualifizierungsgeld nutzen wollen, eine Freistellung für die Ausbildung analog zur Elternteilzeit durchsetzen können. Mit dem neuen Qualifizierungsgeld sollen schrittweise die bisherigen Instrumente Bildungskarenz, Bildungsteilzeit und Fachkräftestipendium ersetzt werden. Von dieser Offensive sollen als aller erstes potentielle Pflegekräfte erfasst sein.

b.         Aktion 20.000 zu einer Jobgarantie für Langzeitarbeitslose umwandeln: Die schwarz-blaue Bundesregierung hat mit dem vorzeitigen Stopp der „Aktion 20.000“ tausenden älteren Arbeitslosen die Tür vor der Nase zugeknallt. Im freien Spiel der Kräfte wurde eine Art „Aktion 20.000 light“ eingeführt. Dies wird an­gesichts Corona bei weitem nicht ausreichen, um den Anstieg der Arbeitslosigkeit in dem Segment der älteren Arbeitslosen und Langzeitarbeitslosen einzubrem­sen. Hier braucht es einen großen Wurf im Sinne einer Beschäftigungsgarantie für ältere Menschen und Langzeitarbeitslose.

a.         Lehrlingspaket

Die dramatischen Entwicklungen am Arbeitsmarkt treffen besonders Jugendliche sehr stark. Als letzte in den Betrieb gekommen, sind sie oft die ersten die ihren Job verlieren. Zuspitzen wird sich die Situation auch für jene, die jetzt die Schule abschließen. Sie werden im Herbst auf Lehrstellen bzw. Jobsuche sein. Die Aussichten hierfür allerdings düster: 5.000 Lehrstellen drohen zu fehlen. Jugendarbeitslosigkeit und Perspektivenlo­sigkeit für junge Menschen gehören zu den größten gesellschaftlichen Problemen und führen zu immensen sozialen Folgekosten. Dies wird nicht nur zu sozialen Verwerfungen führen, sondern in der Zukunft einen massiven Fachkräftemangel zur Folge haben.

Hier dürfen wir nicht tatenlos zu sehen. Ansonsten droht aus der Corona-Krise eine Ju­gendkrise zu werden, mit einer „Generation-Corona“, die in Jugendarbeitslosigkeit ab­driftet. Es braucht daher dringend ein umfassendes Maßnahmenpaket insbesondere für Lehrlinge, um den Wegfall tausender Lehrstellen entgegen zu wirken. Lehrbetriebe, die trotz Corona-Krise Lehrlinge aufnehmen, müssen besser unterstützt werden. Die Ausbil­dungsplätze im Rahmen der überbetrieblichen Lehrausbildung müssen dringend aufge­stockt werden. Hier braucht es eine Aufstockung der Finanzmittel um 70 Mio. Euro. Auch im staatlichen sowie staatsnahen Bereich müssen zusätzliche Lehrstellen geschaffen werden.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Nationalrat das größte Investitions- und Beschäftigungsprogramm in der Geschichte der zweiten Republik vorzulegen, das ge­eignet ist, Österreich mittelfristig zur Vollbeschäftigung zurückzuführen. Dies soll ins­besondere durch ein Vorziehen der geplanten Steuerreform für kleine und mittlere Ein­kommen, öffentliche Investitionen – insbesondere im Bereich Klimaschutz -, die Schaf­fung von Investitionsanreizen für Unternehmen sowie öffentliche Beschäftigungspro­gramme gelingen.“

*****

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Antrag ist ordnungsgemäß eingebracht, aus­reichend unterstützt und steht somit mit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Baumgartner. – Bitte.