Andreas MÖLZER: Ich bin ja der Meinung, dass Abgeordneter kein Beruf ist, und, dass man tunlichst einen Beruf daneben haben sollte, wenn es irgendwie geht.
Heinz FISCHER: Wenn er sich nicht in seinem anderen Beruf, ob das als Lehrer ist, ob das als Rechtsanwalt ist, ob das als Manager ist, ob das als Chirurg ist, durchsetzen kann, dann wird er sich im Parlament auch nicht durchsetzen.
Ingrid TICHY-SCHREDER: Wenn ich nicht ins Parlament und zu keiner Ausschusssitzung gefahren bin, war der erste Weg auf alle Fälle in die Firma, und dann von der Firma hierher ins Parlament. Und dann am Abend nach Hause und Babysitter organisieren.
Clemens HAIPL: Einen wunderschönen guten Tag und herzlich willkommen zurück im Gedächtnis des Parlaments! In diesem Podcast hören Sie persönliche Erinnerungen und Anekdoten von ehemaligen Mitgliedern des National- und Bundesrats, von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der parlamentarischen Klubs und der Parlamentsdirektion aus den Archiven des Parlaments aus den letzten Jahren. Haben Sie sich bei manchen Handwerkern schon mal gefragt, was macht denn der eigentlich hauptberuflich? Beziehungsweise haben Sie sich auch mal gefragt, ob Parlamentarierinnen und Parlamentarier neben ihrer Aufgabe im Hohen Haus noch einem anderen Beruf nachgehen? Oder wie viele von denen dem Mandat ohne eine Nebentätigkeit nachgehen? Wenn ja, hier wird Ihnen geholfen.
Jingle Geschichten aus dem Parlament
HAIPL: Na gut, gehen wir es mal mit Zahlen an, mit den Fakten. Und zwar: 71 Prozent [KF1] [SC2] der Nationalratsabgeordneten und 76 Prozent der Bundesratsmitglieder gehen einem Beruf nach – also circa drei Viertel. Sie arbeiten zum Beispiel in der Forstwirtschaft, in der Industrie, sind Dienstleister, Freiberufler, Rechtsanwältinnen, Landwirtinnen, Unternehmerinnen. Zirkusdirektoren und Freistilringer gibt es meines Wissens keine. 15 Prozent der Parlamentarier und Parlamentarierinnen gehen auch außerhalb des Parlaments einer politischen Funktion nach. Sie sind zum Beispiel Bürgermeister oder Bürgermeisterin. Und manche sind Nationalratsabgeordnete, Bürgermeister, Hausfrau und Mutter. Also vierfach-Belastung. Darf man nicht unterschätzen. Eine ganz schön bunte Liste. Aber ist es von Vorteil, wenn man zusätzlich zur Funktion im Parlament einen anderen Job hat? Bekommt man beides unter einen Hut? Abgesehen davon, dass man mehr verdient, aber man hat auch mehr Stress, muss man auch sagen.
Der frühere Nationalratspräsident Heinz Fischer, sieht einen zivile Berufserfahrung als Voraussetzung, um ein guter Politiker zu sein.
FISCHER: Er muss menschliche Qualitäten haben, er muss jemand sein, der sich auch in einem anderen Beruf, in einem ganz anderen Beruf, durchsetzen kann. Wenn er sich nicht in seinem anderen Beruf, ob das als Lehrer ist, ob das als Rechtsanwalt ist, ob das als Manager ist, ob das als Chirurg ist, durchsetzen kann, dann wird er sich im Parlament auch nicht durchsetzen.
HAIPL: Und der Herr Dr. Fischer weiß, wovon er spricht, er ist nämlich Professor für Politikwissenschaft. Wenn also jemand um 96/97 herum Staatswissenschaften studiert hat, dann gibt’s eine gute Möglichkeit, dass er den als Vortragenden gehabt hat. Vielleicht sitzen sogar ehemalige Studenten von ihm im Parlament, was weiß man?!
Es kann also von Vorteil sein, wenn man sich woanders betätigt hat und über einen beruflichen Hintergrund menschliche Qualitäten erworben hat.
Einen klaren Standpunkt für einen Beruf neben der Funktion des Abgeordneten oder Bundesratsmitglieds nimmt Andreas Mölzer ein, der für die FPÖ im Nationalrat und im Europaparlament saß.
MÖLZER: Ich bin ja der Meinung, dass Abgeordneter kein Beruf ist, sondern dass man tunlichst einen Beruf daneben haben sollte, wenn es irgendwie geht. Nicht nur, weil man dann unabhängiger ist von der Partei und von der Politik. Sondern, weil das auch die Anbindung zum Menschen und zum Bürger bedingt.
HAIPL: Abgeordnete können also durch einen Beruf eine Schnittstelle zu verschiedenen Lebensbereichen erlangen. Und kommen so möglicherweise zu mehr Austausch mit Bürgerinnen und Bürgern. Jedenfalls trifft man im Beruf auch immer wieder Menschen, die nicht unbedingt direkt etwas mit Politik am Hut haben. Eigentlich die meisten Menschen muss man sagen. Für den ehemaligen Abgeordnete Peter Michael Ikrath profitiert aber auch die parlamentarische Arbeit davon.
Peter Michael IKRATH: Es sind zu wenige Fachleute im Parlament, zufällige Menschen. Ich werde nie vergessen, mir hat mal jemand gesagt: Also was machen Sie nebenberuflich? Da sage ich, bin ich Parlamentarier. Nein, nein, das sind Sie hauptberuflich. Da sage ich nein, ich bin hauptberuflich Manager in einer Bankengruppe und für eine gewisse Zeit meines Lebens, weil ich halt diese Voraussetzungen vorgefunden habe, bin ich nebenberuflich, engagiere ich mich auch für das Gemeinwohl in der Funktion. Aber einen Beruf haben, ins Parlament, eine gewisse Zeit seines Lebens, sich für die res publica heißt es, die öffentliche Sache zur Verfügung zu stellen, mit dem, was man kann, mit dem, was man an Lebens- und Berufserfahrung hat und dann wieder rausgehen; das kann man aber halt nur, wenn man auch weiß, wo man hingeht dann beruflich. Ja, dann würden die Gesetze wahrscheinlich qualitativ besser sein.
HAIPL: Peter Ikrath betrachtet es also andersrum, für ihn ist es nicht der Beruf neben dem Parlament, sondern man hat primär einen Beruf und dann erst auch ein Engagement im Parlament. Der ehemalige ÖVP-Nationalratsabgeordnete Herbert Kohlmaier geht auch darauf ein. Für ihn ist es auch wichtig, dass Abgeordnete noch eine andere Profession haben:
Herbert KOHLMAIER: Ich habe gewusst, wenn ich nicht mehr Abgeordneter, nicht mehr Politiker bin, stehe ich nicht vor dem Nichts, sondern habe einen interessanten, attraktiven Beruf, der auch ausreicht fürs Leben – und das macht einen unabhängig.
HAIPL: Aber nicht nur wegen der eigenen Absicherung war er’s. Herbert Kohlmaier ist auch ein Verfechter für den Nebenberuf. Wobei "Nebenberuf" vielleicht nicht das richtige Wort ist…
KOHLMAIER: Ich werde immer wahnsinnig, wenn gesagt wird, ein Abgeordneter hat einen Nebenberuf, und das muss gemeldet werden, das muss jetzt veröffentlicht werden … Was heißt "Nebenberuf"?! Ein Abgeordneter sollte einen Beruf haben, einen zivilen Beruf, und als solcher das Volk vertreten, aber nicht Berufspolitiker sein.
HAIPL: Es ist also ganz offensichtlich eine Frage der Auslegung von Abgeordneten und auch ihres Selbstverständnisses, was für sie der Haupt- und was der Nebenjob ist. Interessant ja, weil beim AMS sieht man das anders. Stichwort Zuverdienst-Möglichkeiten. Egal.
Dazu wie die Tätigkeit im Parlament verstanden wird, gehört auch die Frage, wie vereinbar sie mit dem Job oder einer Nebentätigkeit ist, also zum Beispiel einem Engagement nebenher in Gremien oder in Verbänden, Interessensvertretungen und so weiter und so fort. Lothar Müller saß für die SPÖ in beiden Parlamentskammern und findet:
Lothar MÜLLER: Wer in die Politik geht, ist öffentliches Eigentum – für die Zeit. Das habe ich auch schon ein paar Mal geschrieben, das müssen sich gerade die Jungen merken. Die können nachher nicht sagen: Ich bin ja Wirtschaftsbündler, alles andere geht mich nichts an: Gewählt und bezahlt wird der von allen; der kann nachher nicht sagen, das und das geht mich nichts an. Wenn ich im Sozialhilfebereich irgendetwas brauche, kann er nicht sagen: "Was soll denn ich damit?"
HAIPL: Lothar Müller spricht Interessenskonflikte an, denen sich Parlamentarierinnen und Parlamentarier zu stellen haben. Er muss wissen, wie wir unlängst erfahren haben, in diesem wunderschönen Podcast hat er Theologie studiert und hat dann gearbeitet als wissenschaftliche Hilfskraft und Vertragsassistent am Institut für Moraltheologie in Gesellschaftslehre der Universität Innsbruck. Einerseits sollen sie sich ja für alle Bürgerinnen und Bürger einsetzen. Andererseits sollten sie aber auch Expertise mitbringen, wie wir schon gehört haben. Ein kleiner Widerspruch?
Möglicherweise. Dem kann man aber mit Transparenz begegnen. Für Bürgerinnen und Bürger ist es wichtig, die Positionen ihrer Vertreterinnen und Vertreter genau zu verstehen. Hierfür gibt es das sogenannte Unvereinbarkeits- und Transparenzgesetz. Abgeordnete müssen transparent machen, wenn sie zusätzlich zum Mandat für einen Beruf ein Einkommen erzielen und wie hoch das ist. Außerdem müssen sie weitere Nebentätigkeiten angeben, wie etwa eine leitende Stellung in einer Aktiengesellschaft, einer GmbH oder einer Stiftung, aber auch wenn sie einer leitenden ehrenamtlichen Tätigkeit nachgehen. In der Schweiz dürfen die Politiker übrigens nichts dazu verdienen, dafür müssen sie aber auch nichts melden. Die Präsidentinnen und Präsidenten des Nationalrates, Mitglieder der Bundesregierung, Staatssekretäre und -sekretärinnen und die Klubobleute dürfen übrigens keiner Erwerbstätigkeit nebenbei nachgehen.
Vielleicht geht es aber auch als Hobby durch, dass man sagt, zum Beispiel, ich bin ein leidenschaftlicher Hinterglasmaler und dann gehe ich spazieren an der frischen Luft und dann arbeite ich nebenbei als Chirurg, als Astronaut und Nebenerwerbsindustrieller. Wäre ja vorstellbar.
Egal wie transparent es auch ist, ein ganz praktischer Widerspruch zwischen zivilem Beruf und politischem Mandat bleibt, wie Gerhart Bruckmann weiß. Er saß für die ÖVP im Nationalrat:
Gerhart BRUCKMANN: Einerseits wird verlangt, dass Politiker zu Recht eigentlich in ihrem Hauptberuf ihren Mann oder ihre Frauen stellen und eben nur abgeordnet sind, um zusätzlich zu ihrem Beruf dann die Öffentlichkeit als Abgeordnete im Sinne einer repräsentativen Demokratie zu vertreten. Andererseits aber wird von ihnen ein voller parlamentarischer Einsatz erwartet, und das allein ist schon im Allgemeinen, wenn man den Beruf ernst nimmt, mehr als eine 40-Stunden-Woche.
HAIPL: Tja, Zeitmanagement ist für viele Menschen eine Herausforderung. Schließlich hat der Tag ja nur 24 Stunden. Das schildert übrigens auch Ingrid Tichy-Schreder, früher ÖVP-Abgeordnete. Sie vereinte Beruf, Familie und Mandat:
TICHY-SCHREDER: Man arbeitet natürlich mehr. Gut, ich bin ein Kleinbetrieb, ich habe damals nicht mehr als fünf, sechs Leute gehabt und habe jetzt drei. Das ist einmal so. Ich wollte das auch so haben, und man kann es verbinden. Man muss sich auf seine Mitarbeiter verlassen können. Außerdem war ich damals, als ich ins Parlament gekommen bin, noch eine junge Mutter. Mein Sohn wird jetzt 40, der ist ’77 geboren, der war zwei Jahre alt. Da hatte ich noch die Hilfe meiner Mutter bei der Beaufsichtigung meines Sohnes, et cetera. Also, man bringt alles Mögliche unter einen Hut, nur, man muss sich halt mehr anstrengen und besonders engagieren. (…) Also, wenn ich nicht ins Parlament und zu keiner Ausschusssitzung gefahren bin, war der erste Weg auf alle Fälle in die Firma, und dann von der Firma hierher ins Parlament. Und dann am Abend nach Hause und Babysitter organisieren. Es ergibt sich alles, man kommt auf alles drauf, mit der Zeit weiß man sich das schon zu regeln. Wenn man etwas gerne macht und machen will, dann findet man auch den Weg darüber dazu.
HAIPL: Wir sehen: Politikerinnen und Politiker im Parlament kennen nicht nur politische Praxis, also Ausschussarbeit, Gesetzesentwürfe diskutieren, kritisieren oder verbessern und so weiter und so fort, sondern sie bringen auch Expertise aus vielen Bereichen mit in ihre parlamentarische Arbeit. Ob ein Parlamentarier, eine Parlamentarierin nun einen Nebenjob hat oder ob sie zusätzlich zu ihrem Beruf auch Abgeordnete sind, das liegt wohl im Selbstverständnis von jedem und jeder Einzelnen.
Und: Es ist nicht immer ganz leicht, mehrere Jobs unter einen Hut zu bringen. Egal, ob Familie, Beruf oder parlamentarische Arbeit. Wer kennt das nicht?!
Wenn Ihnen diese Folge gefallen hat, wovon wir ja fast ausgehen, weil sonst hätten Sie nicht bis hierhergehört, dann hinterlassen Sie gerne ein Abo oder eine Bewertung. Fragen, Kritik oder Anmerkungen können Sie wie immer gerne an diese E-Mail-Adresse Podcast@parlament.gv.at oder auf den Social-Media-Kanälen des österreichischen Parlaments schicken. Und auf der Webseite parlament.gv.at finden Sie jede Menge Wissen über das Parlament und seine Geschichte. Dort lässt sich übrigens für jeden und für jede Nationalratsabgeordneten und für jedes Bundesratsmitglied nachlesen, welchen Tätigkeiten sie neben der Parlamentsarbeit nachgehen und welche Einkommenskategorie sie gemeldet haben. Könnte interessant sein. Den Link finden Sie selbstverständlich in den Shownotes.
Ich heiße Clemens Haipl, bedanke mich herzlichst fürs Zuhören und freue mich wahnsinnig, wenn wir uns das nächste Mal an dieser Stelle wieder hören. Alles Liebe, ciao, ciao.
Jingle "Geschichte(n) aus dem Parlament"