Terezija STOISITS: Da muss man jetzt nicht eine warmherzige Person oder so sein, aber man darf jedenfalls nicht konfrontationsscheu sein in der unmittelbaren direkten Begegnung.
Andreas KHOL: Also "Leutln wählt‘s mi, i mog euch a net", ist wirklich nicht ein geeignetes Erfolgsrezept.
Gottfried KNEIFEL: Zuhören können! Zuhören, das ist das ganz Wichtigste.
Clemens HAIPL: Einen wunderschönen Guten Tag und herzlich willkommen im Gedächtnis des Parlaments. Im Parlament sitzen ja Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und Berufen - haben wir in der letzten Folge geklärt hier im wunderschönen Podcast. Aber haben Sie sich auch schon mal gefragt, ob Sie ein guter Politiker oder eine gute Politikerin wären? Neben ein paar formalen Kriterien wie Volljährigkeit und österreichische Staatsbürgerschaft, die in der Verfassung geregelt sind, braucht man schon auch gewisse andere Eigenschaften, Charaktereigenschaften oder Umgangstöne. Was macht eine gute Parlamentarierin oder einen guten Parlamentarier aus? Was braucht man eigentlich, um diesen Job, wenn man es so nennen will, zu machen? Welche Fähigkeiten sollte man mitbringen? Das schauen wir uns heute an.
Jingle "Geschichte(n) aus dem Parlament"
HAIPL: In diesem Podcast hören Sie Anekdoten und persönliche Erinnerungen von ehemaligen Mitgliedern des National- und Bundesrats, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der parlamentarischen Klubs und der Parlamentsdirektion. Die Aufnahmen stammen aus den Archiven des Parlaments aus den letzten Jahren und die geben uns vor allem eins: sehr unterschiedliche Eindrücke. Das passt dieses Mal ganz wunderbar: Denn auf so eine Frage wie - Was braucht’s, um Politikerin oder Politiker zu sein? - gibt es wahrscheinlich nicht nur eine richtige Antwort und jeder, den man fragt, wird etwas anderes sagen.
Jeder Politiker und jede Politikerin wird ihre Aufgabe vermutlich ganz unterschiedlich auslegen, weil Menschen unterschiedlich sind und Politiker auch Menschen, deswegen unterschiedliche Ansätze. Nichtsdestotrotz gibt’s im Kern ein paar Sachen, die man als Parlamentarierin vermutlich mögen oder die einem als Parlamentarier zu eigen sein sollten. Andreas Khol, ehemaliger Nationalratspräsident und ÖVP-Abgeordneter fällt da zum Beispiel eine Sache ein, die vielleicht das Grundlegendste für einen Volksvertreter, eine Volksvertreterin sein sollte:
KHOL: Ein Abgeordneter, der prinzipiell die Leute nicht mag, sondern das Angesprochen-werden und das Kommunizieren als Arbeit betrachtet und nicht als etwas, was er gernhat, der sich zu einem Heurigen setzt und nicht gernhat, wenn sich jemand zu ihm dazu setzt, der ist von vornherein nicht sehr kompetent. Also "Leutln wählt‘s mi, i mog euch a net", ist wirklich kein geeignetes Erfolgsrezept. Also man muss eine gewisse Offenheit und auch einen gewissen Eros haben, dass man etwas tun will, etwas für andere tun will.
HAIPL: Es ist also kein Fehler, wenn man eher offen ist für andere Menschen und gut mit ihnen kann. Schließlich heißt der Job auch Volksvertreter oder -vertreterin. Terezija Stoisits, ehemaliges Nationalratsmitglied von den Grünen, sieht das ganz ähnlich:
STOISITS: Der Umgang mit Mitmenschen im Sinne von Bevölkerung, nämlich der Umgang von persönlicher Begegnung, das muss man mögen. Wenn man Menschen nicht mag im Sinne von Auseinandersetzung, ich glaube, das ist ganz, ganz wichtig, weil man dann auch nicht den nötigen Respekt ausstrahlen kann. Da muss man jetzt nicht eine warmherzige Person sein, aber man darf jedenfalls nicht konfrontationsscheu sein in der unmittelbaren direkten Begegnung. Das ist als eine Eigenschaft ganz wesentlich.
HAIPL: Nicht konfrontationsscheu. Das dürfte offenbar wichtiger sein für Politikerinnen und Politiker. Wenn ich in meinen Lebenslauf reinschreib: Ich bin nicht konfrontationsscheu und gehe keinen Wickel aus dem Weg, weiß nicht, ob das gut kommt. Für Politiker ist das aber wichtig. Okay! Was noch? Thomas Barmüller - früher Abgeordneter der FPÖ im Nationalrat - bringt noch eine weitere interessante Eigenschaft ins Spiel, die man braucht, wenn man es dann ins Parlament geschafft hat:
Thomas BARMÜLLER: Man muss offen sein und offenbleiben, nicht nur gegenüber den anderen, weil alle, die dort drinnen sind, haben politische Anliegen, wollen etwas umsetzen, sie müssen offen bleiben für Wünsche aus der Wählerschaft. Wer nicht gerne mit Menschen umgeht, wird sich da sehr, sehr schwertun. Und ich weiß natürlich auch, dass es Menschen gibt oder Abgeordnete gibt, die ein ganz besonderes Spezialwissen haben und deshalb auch vielleicht im Parlament eine wichtige Position einnehmen, aber in der Essenz ist das Parlament immer noch die Volksvertretung. Das ist der grundsätzliche Gedanke, und dem muss man sich auch verpflichtet fühlen.
HAIPL: Klingt irgendwie fast logisch. Man muss sich also auch der Bevölkerung verpflichtet fühlen. Wenn man als Lebensmotto hat: Alle Menschen sind mir zuwider und rutschts mir den Buckel runter, ist man vielleicht im falschen Beruf als Politiker, Politikerin.
Mit diesem Rollenbild, das Thomas Barmüller beschreibt, identifizieren sich auch andere Abgeordnete. Der ehemalige ÖVP-Nationalratsabgeordnete Gottfried Kneifel zum Beispiel. Er meint, dafür muss man vor allem eines tun:
KNEIFEL: Zuhören können! Zuhören, das ist das ganz Wichtigste. Für mich war immer eine Quelle meiner Tätigkeit und eine Kraftquelle auch, wenn es auch oft viel Kraft gekostet hat: mein Sprechtag in Enns. Ich habe ein eigenes Sprechtagsbüro geführt, das ich selber finanziert habe aus den Mitteln, die ich aus meiner Entschädigung hier auch dafür aufwenden konnte. Aber das war mir wichtig: der periodische Sprechtag.
HAIPL: Für ihn war das ein Muss. Denn:
KNEIFEL: Da weiß man wirklich, wie es den Leuten geht. Da kommen Leute, von der Mindestpensionistin, die ihre Waschmaschinenreparatur nicht bezahlen kann, bis zum Großbauern, der eine Fläche umwidmen will für eine Wohnungsgenossenschaft oder was immer. Also die ganze Bandbreite, bis hin zu einem, der einen Lehrplatz sucht für seinen Sohn oder seine Tochter, oder der eine Wohnbauförderung rascher bekommen will oder fragt, ob da noch etwas fehlt beim Antrag. Also, die unwahrscheinlichsten Sachen.
HAIPL: Neben dem Zuhören gibt’s noch eine andere sehr wichtige Sache. Von Abgeordneten wird neben den Parlamentssitzungen auch Präsenz und Engagement für die eigene Partei und auf regionaler Ebene erwartet. Aber auch ansprechbar zu sein für die Arbeit des Parlamentsklubs zu sein, ist wichtig. Tag und Nacht. Es gibt keine Stechuhr. Man kann nicht sagen: Jetzt bin ich privat, jetzt bin ich kein Politiker. Jetzt interessiere ich mich nicht mehr für die Belange der Bevölkerung. Und das sieht auch genauso die ehemalige ÖVP-Nationalratsabgeordnete Ingrid Tichy-Schreder findet. Sie ist lange Zeit in Wien tätig gewesen und geht näher darauf ein:
Ingrid TICHY-SCHREDER: Da hat man ein paar Bezirke, für die man zuständig ist, da geht man halt zu den Sitzungen des zuständigen Klubs in den Bezirken. Ich bin halt zu den Sitzungen hingefahren, und wenn wer etwas wollte, konnte er mich erreichen. Also, das ist ohne weiteres gegangen. Aber ich habe es gefunden, dass das notwendig ist, dass man dort präsent ist, Auskunft gibt, wenn jemand etwas wissen möchte, das ist selbstverständlich.
HAIPL: Ein Abgeordneter sollte aber auch rüberbringen können, für welche Werte oder Visionen er eigentlich steht oder sie steht, findet Thomas Barmüller, den wir vorhin schon mal gehört haben:
BARMÜLLER: Dann gehört, glaube ich, auch dazu, dass man in der Lage ist, auf diese politischen Werthaltungen hin nicht nur Regeln zu überprüfen, sondern das auch politisch zu kommunizieren, vielleicht auch manchmal Menschen zu zeigen, warum man einen bestimmten Weg wählt und nicht einen anderen Weg, und, wie ich es vorhin schon gesagt habe, einfach aus einer kleinen Frage, die so gar nicht so besonders erscheint, herauszudestillieren, wo hier eigentlich die grundsätzliche Bedeutung liegt. Und es ist in vielen Bereichen, so wie ich es empfunden habe und wie ich die Diskussionen wahrgenommen habe, für Menschen schon interessant zu sehen, worauf lässt sich etwas politisch rückführen, warum macht man das so und nicht anders, weil beide Möglichkeiten wären gegeben. Und ich finde, das sind auch die politisch interessanten Diskussionen, weil man auf einer Welt sich letztlich ein Gefüge von Regeln aufbaut, nach denen Menschen leben müssen. Und das ist toll. Ich glaube, wer das mag, wer das gut findet, der sollte politisch etwas machen.
HAIPL: Die Regeln für das Zusammenleben mit anderen auch wirklich gestalten zu wollen, dass einem das ein Bedürfnis ist, ist offenbar auch eine wichtige Eigenschaft.
Das heißt, fassen wir es mal kurz zusammen, den Stoff bitte, alle mitschreiben: Eine gute Parlamentarierin oder ein guter Parlamentarier sollten wahrscheinlich:
- Menschen zugetan
- Nicht konfrontationsscheu
- Seiner Rolle als Volksvertreter oder Volksvertreterin verpflichtet fühlen
- Zuhören können und das Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern suchen und ihre Anliegen und Probleme verstehen, zumindest probieren zu verstehen
- Präsent sein, man muss omnipräsent sein
- Unser Zusammenleben gestalten wollen
Eigentlich im Prinzip ein leiwander Mensch sein, hätte ich das gesagt. Also wenn man das alles zusammenbringt, ist man eh super. Fast alles kann man mit einem Zitat von Andreas Khol zusammenfassen:
KHOL: Man muss die Fähigkeit haben zu kommunizieren, und zwar aktiv und passiv. Das heißt also Information aufzunehmen, zuzuhören, den Leuten das Gefühl zu geben, dass man sie ernst nimmt, und sie auch ernst nehmen, und dann auch diese Information zu verarbeiten und weiterzugeben.
HAIPL: So das war’s für diese Folge. Wenn Ihnen diese Folge gefallen hat, dann abonnieren Sie diesen Podcast gerne oder hinterlassen uns eine Bewertung. Das würde uns sehr freuen. Sollte Ihnen etwas unter den Nägeln brennen, was ich nicht hoffe, weil das wehtut, oder Sie eine Frage oder Anmerkungen haben, dann schreiben Sie uns gerne an diese E-Mail-adresse: Podcast@parlament.gv.at Da freuen wir uns auch jedes Mal sehr drüber.
Wenn Sie sich bewerben wollen als Abgeordnete oder als Abgeordneter, bitte nicht uns schreiben, sondern direkt an die Parlamentsklubs. Die sind da zuständig.
Weitere Informationen rund ums Parlament und seine Geschichte finden Sie auf den Social-Media-Kanälen des Parlaments und auf der Webseite parlament.gv.at., die ich übrigens persönlich auch sehr empfehlen möchte.
Ich heiße immer noch Clemens Haipl, ich wünsche Ihnen eine wunderschöne Zeit. Bis zum nächsten Mal, bedanke mich herzlich fürs Zuhören, freue mich aufs nächste Mal und sage Tschüß.