Gerulf STIX: 70- bis 80-Stunden-Woche ist der Normalzustand. Und jetzt muss ich sagen, da neige ich fast dazu aufzustehen, Hut ab vor meiner Frau.
Agnes SCHIERHUBER: Ich hätte all das nie machen können, wenn mein Mann nicht so offen gewesen wäre für das alles.
Sonja ABLINGER: Klar war, dass ich natürlich unter der Woche mehr in Wien sein werde und deswegen viel bei meinem Mann hängen bleibt. Das war der erste Schritt, zu klären, ob das für uns alle passt.
Eva GLAWISCHNIG-PIESCZEK: Ich bewundere Beate Meinl-Reisinger, die das mit drei Kindern irgendwie schupft, also das ist wirklich echt erstaunlich. Oder wie man das in einem Regierungsamt macht, Alma Zadić jetzt auch mit einem kleinen Kind, das kostet einfach Kraft und Energie.
Clemens HAIPL: Einen wunderschönen guten Tag und herzlich willkommen bei Geschichten aus dem Parlament. Mein Name ist Clemens Haipl. Wie Sie heißen, weiß ich leider nicht, aber ich freue mich, dass Sie wieder mit dabei sind. In diesem Podcast hören Sie Anekdoten und persönliche Erinnerungen von ehemaligen Mitgliedern des National- und Bundesrats, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Parlamentarischen Klubs und der Parlamentsdirektion. Die Aufnahmen stammen aus den Archiven des Parlaments aus den letzten Jahren und sie zeigen unter anderem eines: Politikerinnen sind auch nur Menschen.
Die meisten Menschen haben geregelte Arbeitszeiten und außerhalb dieser Zeiten sind sie einfach sie selbst. Also privat. Nicht so Politiker und Politikerinnen. Nationalratsabgeordneter ist man am Wochenende, in der Nacht, im Urlaub, einfach immer. Man kann also nicht sagen: Oje, das ist gerade ungünstig – da ist was passiert in Österreich, aber ich bin nicht zuständig, weil ich gerade frei habe. Ausschüsse, Sitzungen, Medientermine - die warten nicht. Politik ist also ein Vollzeitberuf. Davon kann Jakob Auer, Landwirt und Nationalratsabgeordneter der ÖVP von 1983 bis 2017 ein Lied singen.
Jakob AUER: Überall war man Tag und Nacht unterwegs, familienfeindlich bis zum Geht-nicht-mehr. Manche Ehefrau hätte uns ja hochkantig auswerfen müssen.
HAIPL: Es bleibt also kaum Freizeit. Man ist immer auf Abruf bereit, ob man will oder nicht. Diese Erfahrung hat auch Eva Glawischnig-Piesczek von den Grünen gemacht.
GLAWISCHNIG-PIESCZEK: Also ich kann mich noch gut erinnern an den Sommer, da waren wir gerade fünf Tage lang Radfahren und der Faymann ruft an und sagt, liebe Eva, wir haben ein Problem, wir müssen Flüchtlingsunterbringung auf Verfassungsgesetz beschließen. Ich bin in der Sekunde vom Rad abgestiegen und bin nach Wien ins Parlament gefahren und wir haben dann tagelang versucht, irgendwie eine Lösung zu finden, dass wir irgendeinen Hebel kriegen, dass man die Bürgermeister und die Länder zur Quartierbereitstellung irgendwie bewegt. Und war natürlich nicht Oppositionsaufgabe. Aber für mich als Grüne war das natürlich fix, dass ich sage, okay, da tragen wir dazu bei und wenn es ein Zweidrittelgesetz dazu braucht: Wir stellen das mit Sicherheit zur Verfügung. Ja, das waren fünf Tage Radfahren in dem Sommer.
HAIPL: Man kann Berufs- und Privatleben also nicht so leicht trennen wie die allermeisten anderen Menschen. Das heißt, dass auch die Familien der Abgeordneten davon betroffen sind. Die Partnerinnen und Partner von Abgeordneten sind eben nicht nur Partner, sondern eben Partner von Abgeordneten. Und das hält auch nicht jeder einfach so aus. Wie geht sich das alles im Zeitmanagement aus? Die parlamentarische Tätigkeit in Wien, die Betreuung der Wählerinnen und Wähler daneben und unter Umständen vielleicht sogar noch ein Privatberuf? Dazu Gerolf Stix von der FPÖ:
STIX: 70 bis 80 Stunden Woche ist der Normalzustand. Und jetzt muss ich sagen, da neige ich fast dazu aufzustehen, Hut ab vor meiner Frau.
Ich bin zum zweiten Mal verheiratet aber wir haben in zweiter Ehe voriges Jahr, die goldene Hochzeit gefeiert. Und meine Frau hat insgesamt sechs Kinder großgezogen. Drei aus erster Ehe und drei habe ich ihr noch dazu gemacht. Aus allen ist was geworden. Ohne eine geduldige, verständnisvolle und zu vielen Entsagungen bereite Partnerin geht es nicht. Privatleben war auf Sparflamme
HAIPL: Partnerinnen und Partner übernehmen Verantwortung dort, wo der Partner aufgrund des hohen Einsatzes im Parlament weniger einspringen kann. Manchmal verändert das Abgeordnetensein nicht nur das partnerschaftliche Zusammenleben, sondern hat auch Auswirkungen auf das Leben des Partners, der Partnerin. Dazu Josef Pfeiffer von der SPÖ aus dem nördlichen Niederösterreich:
Josef PFEIFER: Vielleicht noch einmal eine Rückblende zu meiner Familie. Ich habe 1958 eine Weinhauers-Tochter aus Waizendorf geheiratet. Ich habe zwei Söhne, zwei Schwiegertöchter, vier Enkelkinder und drei Urenkel, und wie gesagt, meine Frau musste eigentlich später dann mit einem Wirtschafter den Betrieb führen, weil ich ja fast nie zu Hause war. Wir haben dann eine Wohnung in Wien, eine kleine Garçonnière, uns gemietet. Speziell im Winter war das ein Problem, das war nicht immer so wie jetzt. Und das Hin- und Herfahren war problematisch. Ich war manchmal eine ganze Woche in Wien, ich war insgesamt dann in fünf Ausschüssen.
HAIPL: Und weiter Jakob Auer von der ÖVP:
AUER: Ich muss ehrlich sein, in der Landwirtschaft, das war ich dem Namen nach, weil die wesentliche Arbeit hat mein Sohn und meine Frau geleistet. Ich war im Sommer, wo das Parlament ruhiger war, mehr am Hof, aber ansonsten… Und, das sage ich dazu, jeden Sonntag zur Arbeit. Bis 13 Uhr war meistens eine Veranstaltung und hat am Nachmittag jeden Sonn- und Feiertag zur Arbeit. Damit man manches einbringt und gut vorbereitet, damit die zwei, sprich meine Frau und mein Sohn, das dann in der laufenden Woche wieder erledigen.
HAIPL: Dass der Job als Politikerin allein kaum zu schaffen ist, bestätigt auch Agnes Schierhuber von der ÖVP.
SCHIERHUBER: Ich hätte all das nie machen können, wenn mein Mann nicht so offen gewesen wäre für das alles. Und er war immer im Hintergrund. Aber er war mein größter Kritiker und mein größter Freund. Und ich habe immer gesagt, er ist der Igel, wenn ich nach Hause komme. Der hat immer auf mich gewartet.
HAIPL: Aber nicht nur verständnisvolle Partnerinnen oder Partner braucht man. Als Familienvater oder Mutter mit Heranwachsenden ist es noch einmal anders. Weil man ist nicht nur rund um die Uhr Politikerin, sondern, und das kennen viele andere auch, rund um die Uhr Vater oder Mutter. Eva Glawischnig-Piesczek erzählt.
GLAWISCHNIG-PIESCZEK: Ich habe bei den berühmten Sommertouren, die wir gemacht haben, also quer durch Österreich, da sechs, acht Wochen mit Bus, habe ich die Kinder mitgehabt, weil das hätte ich als Mensch nicht ausgehalten acht Wochen lang meine Kinder da irgendwie, halt nur hier und da irgendwie zu sehen. Und da gab es natürlich schon immer Rücksichtnahme und wie organisiert man das, dass man das irgendwie regeln kann. Aber es ist natürlich schon schwierig. Ich bewundere Beate Meinl-Reisinger, die das mit drei Kindern irgendwie schupft, also das ist wirklich echt erstaunlich. Oder wie man das in einem Regierungsamt macht, Alma Zadić jetzt auch mit einem kleinen Kind, das kostet einfach Kraft und Energie. Egal ob jetzt Vater oder Mutter, ob das jetzt Schlafmangel ist, was auch immer, ja, also man ist einfach nicht tausend Prozent dann nur noch für die Funktion da. Ja, und das muss man auch ernst nehmen. Ja, ich habe es nicht so ernst genommen, ich habe mir gedacht, ich habe unendlich viel Energie und dann schlafe ich halt weniger und schreibe halt die Rede noch in der Früh. Ich habe dann oft viel um vier, fünf in der Früh gemacht, weil ich in der Früh sehr produktiv bin, da und das kannst du eine gewisse Zeit machen, aber man muss sich halt im Klaren sein, dass man das nicht nachhaltig bewirtschaftet, das eigene Kraftwerk.
HAIPL: Wie sieht der Alltag von Parlamentariern mit Kindern aus? Kann man einmal kurz aussteigen und keine Mama oder kein Papa mehr sein, wenn die Arbeit ruft? Schwer. Es gibt die unterschiedlichsten Wege Familie und Beruf zu verbinden. Zum Beispiel muss in der Familie eine neue Rollenverteilung gefunden werden. Wie bei Sonja Ablinger von 1996 bis 1999 für die SPÖ im Nationalrat.
ABLINGER: Also die erste Auseinandersetzung war natürlich zu Hause. Mein Mann und ich, wir haben damals unseren Sohn gehabt, der noch sehr klein war. Und zuerst mussten wir das einmal regeln, dass mein Mann mal in Teilzeit geht, weil unser Sohn war, glaube ich damals drei, vier Jahre. Und auch schauen, funktioniert das auch gut? Weil klar war, dass ich natürlich unter der Woche mehr in Wien sein werde und deswegen viel bei meinem Mann hängen bleibt. Das war der erste Schritt, zu klären, ob das für uns alle passt. Und dann war das schon eine ganz andere Ebene natürlich dazu, Politik zu machen.
HAIPL: Dass Politik keine Kinderjause ist, vor allem wenn man zehn Kinder hat, weiß Barbara Rosenkranz von der FPÖ.
Barbara ROSENKRANZ: Das geht natürlich nur, wenn die Eltern sich die Arbeit völlig anders einteilen, als es vorher war. Ich war vorher vor allem für die Kinder zuständig, und mein Mann hat versucht, die finanziellen Mittel heranzuziehen, die ja notwendig sind für so eine große Familie, und das mussten wir dann radikal umstellen. Also mein Mann hat dann die Familienarbeiten übernommen und ich war mehr oder weniger freigespielt.
HAIPL: Manchmal müssen nicht nur im Privatleben, sondern auch in der politischen Arbeit Abstriche gemacht werden. Eva Glawischnig-Piesczek:
GLAWISCHNIG-PIESCZEK: Und ansonsten habe ich natürlich viele Dinge, die eine Parteichefin oder eine Klubobfrau machen soll, nicht gemacht. Nämlich Netzwerken, viele Abendtermine wahrzunehmen, auch viele Journalisten am Abend zu treffen. Das ging einfach nicht, das habe ich nicht gemacht. Ich habe auch dann nicht mehr viele Auslandsreisen gemacht, die länger als zwei Tage gedauert haben, einfach um das mit der Familie irgendwie unter den Hut zu bringen.
HAIPL: Manch einer oder eine holt sich Unterstützung von außen. Einfach weil es anders nicht mehr geht. Gerade für mehr Vereinbarkeit von Beruf und Familie unter erschwerten Bedingungen. Dazu Helene Partik-Pablé von der FPÖ:
Helene PARTIK-PABLÉ: Ich habe ja eine besonders schwierige Situation, weil ich ja ein behindertes Kind habe. Und das war aber schon sehr schwer als Richter für mich, zeitmäßig. Weil, wie ich das große AKH-Verfahren gehabt habe, habe ich ja viele Wochenende durchgearbeitet und bis am Abend. Und mein Mann ist da sehr stark in Erscheinung getreten oder hat treten müssen. Und dann habe ich auch ein Au-pair-Mädchen gehabt, die sich um meine Tochter hauptsächlich gekümmert hat Und wie ich in die Politik gegangen bin, habe ich immer Beschäftigte gehabt, weil, wenn man berufstätig ist und intensiv berufstätig ist, dann muss man die Türe zumachen von zu Hause können und dann ist zu Hause nichts mehr, sondern ist nur noch der Beruf. Das ist das Allerwichtigste. Und ich habe Gott sei Dank immer brave Leute gehabt, die sich um meine Tochter gekümmert haben. Später ist meine Tochter in eine Tagesgruppe gegangen und ist geholt worden in der Früh. Und ist dann Nachmittag gekommen. Da war es dann etwas leichter, weil ich untertags niemanden gebraucht habe. Aber in der Früh ist es schon sehr mühsam, weil ich in der Früh immer alleine war und immer meine Tochter fertig habe machen müssen. Und wenn der Fahrtenbus später gekommen ist, war das schon ein riesiges Problem. Es war nur damals weniger Verkehr und man konnte vor dem Parlament parken, so dass ich hingekommen bin mit meinem Auto hinkommen und gleich in den Plenarsaal und mich gleich auf das Wesentliche konzentrieren konnte.
Aber es ist sehr, sehr schwierig. Es lastet halt meistens doch auf einer Frau das Ganze. Und jetzt will ich nicht jammern, aber es ist schwierig zeitmäßig. Und es kostet natürlich Geld. Das muss man halt akzeptieren.
HAIPL: Manch einer entscheidet sich auch, sich für einen bestimmten Zeitraum zu engagieren und widmet sich dann wieder mehr der Familie. Der ehemalige Parteichef der NEOS, Matthias Strolz, entschied, seine Prioritäten zu ändern.
Matthias STROLZ: Weil ich erkannt habe ich muss in der Familie einrücken. Das war sieben Jahre gut, aber wenn ich nicht zeitlich und emotional präsenter bin, dann kommen wir als Familie in Schieflage, dann nimmt die Familie Schaden. Ich liebe Politik, aber ich liebe auch meine Frau, ich liebe meine Kinder. Es war klar, ich muss übergeben, zu Weihnachten 2017 in einer stillen Stunde ist mir die Erkenntnis gekommen,
HAIPL: Dass es ein Leben außerhalb der Politkarriere gibt und geben sollte, ist auch Anneliese Kitzmüller von der FPÖ klar geworden.
Anneliese KITZMÜLLER: Meine Motivation, dass ich gesagt habe, ich bin 60. Ich hätte zwar fertig gemacht noch, die GB, wäre aber dann sowieso auch nicht mehr angetreten. Aber ich war dann 60 Jahre alt, mein Mann ist in Pension gegangen und mein Sohn hat neben uns gebaut und meine Enkeltochter ist auf die Welt gekommen. Und ich habe mir gedacht, ich bleibe lieber zu Hause, wie vorher ich bei meinen Kindern zu Hause geblieben bin, bleibe ich jetzt zu Hause, weil mein Mann in Pension geht und eventuell meine Enkeltochter öfter zu beaufsichtigen ist. Und ja, ich habe die Entscheidung nicht bereut, weil ich gesagt habe, ich bin 60, ich bin gesund, mein Mann ist auch gesund in Pension, da können wir noch vieles miteinander machen.
HAIPL: Ich fasse zusammen. Vereinbarkeit hat viele Formen und Gesichter Es braucht Verständnis der Partner und Partnerinnen und der Kinder, oft auch von Freunden und Verwandten. Und damit geht es Politikerinnen und Politikern genauso wie vielen anderen Menschen, die versuchen Beruf und Familie und die damit verbundenen Herausforderungen unter einen Hut zu bekommen. Und wenn Sie nun Teil der Geschichten aus der Parlament-Familie werden wollen, würde mich das sehr freuen. Denn, wenn Ihnen diese Folge gefallen hat, dann können Sie diesen Podcast gerne abonnieren oder uns eine Bewertung hinterlassen. Das würde uns auch sehr freuen. Sollten Sie eine Frage oder Anmerkungen haben, dann schreiben Sie uns einfach an diese E-Mail-Adresse: Podcast@parlament.gv.at.
Weitere Informationen rund ums Parlament und seine Geschichte finden Sie auf den Social-Media-Kanälen des Parlaments und auf der Website www.parlament.gv.at.
Und noch ein Punkt in eigener Sache. Wir begeben uns ins Archiv des Parlaments und hören uns hunderte Stunden Archivmaterial durch, damit wir Ihnen bald neue Geschichten aus dem Parlament erzählen können. Das ist ein bisschen Aufwand und dauert, daher wird es im August keine neuen Folgen geben. Aber wir kommen am 5. September wieder. Bis dahin können Sie gerne unsere alten Folgen oder den Podcast "Rund ums Parlament" hören. Ich danke vielmals fürs Zuhören, freue mich sehr aufs nächste Mal. Alles Liebe. Ciao, ciao.