Sigurd BAUER: Wir hatten in dem vertraulichen Ausschuss den Bericht vor uns liegen, haben einzelne Punkte durchdiskutiert. Eine Woche später steht, ich glaube, es war in der "Kronen Zeitung", eine ganze Seite in der Wochenendbeilage: "Sicherheitsmängel des österreichischen Parlaments".
Clemens HAIPL: Hallo und herzlich willkommen zurück im Gedächtnis des Parlaments! In diesem Podcast hören Sie alle zwei Wochen persönliche Erinnerungen aus dem hohen Haus: von Mitgliedern des National- und Bundesrats, von ehemaligen Mitarbeitern der parlamentarischen Klubs und der Parlamentsdirektion – und tief aus dem Maschinenraum des österreichischen Parlamentarismus.
Jingle: Geschichten aus dem Parlament.
HAIPL: In jedem Parlament der Welt gibt es ein zentrales Thema: Sicherheit. Sowohl die Sicherheit des Parlamentsgebäudes selbst und der Personen, die in ihm arbeiten, als auch die Sicherheit der Informationen, die dort zum Teil vertraulich besprochen werden. Heute ist das Parlament ja ein sehr sicherer Bau. Aber wie war das früher? Springen wir mal in die 1980er- Jahre. Sicherheit – neben noch einem ganzen Schwung anderer Aufgaben – unterliegt im Parlament dem Verwaltungsdienst. Und den leitet ab 1989 Sigurd Bauer. Seine Aufgabe ist es unter anderem dafür zu sorgen, dass das Parlamentsgebäude zeitgemäßen Sicherheitsanforderungen genügt, gleichzeitig aber auch weitestgehend seine historische Identität beibehält. Ende der 80er- und Anfang der 90er- Jahre standen, wie sich Sigurd Bauer später 2018 in einem Interview erinnert, einige Modernisierungsmaßnahmen an.
BAUER: Damals gab es ja auch die ersten Sicherheitsprobleme: Wie machen wir das mit Zutrittskontrolle und so weiter, es ist ein offenes Haus. Dass der Portier aufsteht und sagt: "Kompliment, Herr Nationalrat! Hamma gut geschlafen?", ist vielleicht da nicht immer das Beste. Also: Wie automatisieren wir das?
HAIPL: Eine persönliche Begrüßung – so nett sie ist – sollte einem automatisierten Eingangsbereich weichen.
BAUER: Wir haben dann als nächsten Schritt die Automatisierung der Eingangstore gemacht. Da waren wir in Europa die Ersten, dementsprechend hat es auch gedauert. Es mussten hier drei Firmen zusammenwirken: die Stahlbauer, die EDV-Leute und die Digitalisierungs-Leute.
HAIPL: EDV – die Elektronische Datenverarbeitung. Hier sind also jene Leute gemeint, die sich um Daten im Parlament kümmern. Daten, werden wir sehen, sind aber weniger das Problem.
BAUER: Wie halt jedes Pilotprojekt. Das hat halt etwas gedauert, daher haben die Tore ungefähr eineinhalb Jahren gedauert, bis sie funktioniert haben. Umso mehr ich also so nette Abgeordnete hatte wie den Abgeordneten Öllinger von den Grünen, der sich einen Jux daraus gemacht hat, beim Grünen Tor sich eine Wurstsemmel hinein zu stecken in den Mund und dann in den Monitor zu schauen. Natürlich hat ihn das System abgewiesen, das ist eh klar, worauf er sich wieder beschwert hat, er kommt nicht ins Haus.
HAIPL: Wurstsemmeln – halten wir fest – sind also suboptimal für automatische Eingangstore. Suboptimal ist auch die Technik, die dann vielleicht sogar ein Eigenleben entwickelt.
BAUER: Ich habe immer gesagt, vielleicht haben Maschinen doch eine gewisse Seele: Zum Beispiel der EDV-Leiter, der Hans Hopf, ist regelmäßig abgewiesen worden. Der hat machen können, was er wollen hat, wenn er beim Grünen Türl reinwollte – jedes andere hat funktioniert – wenn er beim Grünen Türl reinwollte, hat ihm das Türl den Zugang verweigert. Ich weiß nicht warum, weshalb, wieso – es war fast gespenstisch. Ja, das war auch eines der Dinge, die wir damals gemacht haben: die Automatisierung der Tore. War aber recht spannend. Und wie es dann funktioniert hat, war das erstes: Der Schweizer Bundesrat war da und hat sich das System angeschaut, und die haben dasselbe dann in Bern gemacht. Aber da haben wir sehr viel Blut geschwitzt, bei diesen Dingen. Ja, das war eine sehr spannende Zeit.
HAIPL: Das sind also die Herausforderungen, mit denen sich die Verwaltung des Parlaments beschäftigt. Herausforderungen kleinerer Natur. Es gab aber auch die größeren. Denn: selbstverständlich gibt es beim Ausbau der Sicherheit auch immer eine Analyse der Sicherheitslücken des Parlaments. Einen Crash-Test. Und der sollte in nicht allzu weiter Ferne kommen. Allerdings anders als geplant. Sigurd Bauer über die Planung zur Schwachstellenanalyse in der Parlamentssicherheit:
BAUER: Da hat es ein Sicherheitskomitee gegeben mit den jeweiligen Sicherheitssprechern der Fraktionen, und der [Sicherheitssprecher] von der SPÖ war der Toni Gaál. Und wir haben dann unter Zuhilfenahme externer Experten, die schon Erfahrung auf diesem Gebiet hatten, haben wir einen Sicherheitsbericht erstellt über die Schwachstellen unseres Hauses, wo es überall ein Problem geben könnte. Der war natürlich streng vertraulich, und um diese Vertraulichkeit sicherzustellen, habe ich angeordnet, dass der zu codieren ist. Also, jedes Exemplar war persönlich zugeordnet mit einer Nummer.
HAIPL: Und nun treten wir gedanklich einen Schritt zurück. Stellen Sie sich vor, Sie sind Abgeordneter oder Abgeordnete. Was machen Sie? Was wäre wohl das Schlimmste, was passieren könnte? Es wäre, dass genau dieser Sicherheitsbericht, darüber die Bemühungen das Haus sicherer zu machen, leakt. Also ungeplant nach außen dringt. Ein geheimes Dokument über die Schwachstellen der Sicherheit des Parlaments auf einmal für alle Augen lesbar. Na servus. Und das, wo man doch gerade versucht hat, das Parlament sicherer zu machen!
BAUER: Na prompt, eine Woche später, wir hatten in dem vertraulichen Ausschuss den Bericht vor uns liegen, haben einzelne Punkte durchdiskutiert – eine Woche später steht, ich glaube, es war in der "Kronen Zeitung", eine ganze Seite in der Wochenendbeilage: "Sicherheitsmängel des österreichischen Parlaments". Na, das war super! Das war sehr nett von den Kronen-Zeitungs-Leuten, dass sie auch die erste Seite des Berichtes in die Zeitung gestellt haben. Nach dem Code habe ich sofort gewusst, das war der Bericht vom Toni Gaál. Ich habe also den Herrn Abgeordneten höflich zu mir eingeladen und habe zu ihm gesagt: "Herr Abgeordneter, wir haben die Berichte codiert, der, der rausgegangen ist, das ist Ihrer gewesen." Na, der hat einen Anfall gekriegt. Ich will jetzt keine Namen nennen, weil der Betreffenden gibt es noch, der den Bericht weitergegeben hat. Seit damals hatte ich ein exzellentes Verhältnis zum Herrn Abgeordneten und Sicherheitssprecher Gaál, weil ich das natürlich nicht an die große Glocke gehängt habe, wo der [Bericht] rausgegangen ist.
HAIPL: Was passiert also, wenn interne Kommunikation aus dem Parlament nach außen gelangt? Wir sind immer noch in Österreich! Es wird gentleman-like nicht gleich rausposaunt, wer’s war und fürs nächste Mal vorgesorgt.
BAUER: Das Malheur war ja eh schon passiert. Es war nur intern für die Kommunikation wichtig, dass man einmal sichergestellt hat, dass nicht ein weiterer Klubsekretär auf diese famose Idee kommt, irgendwelche Dinge hinauszuspielen.
HAIPL: Doch die Geschichte ist noch lange nicht vorbei: Das Parlament hat dicke und verschwiegene Wände und Lüftungsöffnungen.
BAUER: Was besonders blöd war, [war,] dass in dem Bericht auch gestanden ist, eine der Schwachstellen sind die Lüftungsansaugöffnungen links und rechts der Rampe. "Man braucht dort nur ein bissel Buttersäure reinzuschmeißen, und das ganze Haus ist lahmgelegt", stand in der "Kronen Zeitung" als Anleitung für Terroristen.
HAIPL: Buttersäure stinkt unglaublich erträglich und wirkt in Kontakt mit der Haut ätzend. Nichts, was man so nebenbei als Eau-de-Toilette verwenden sollte. Ein Erlebnis, auf das die Parlamentarierinnen oder Beamte keinen gesteigerten Wert gelegt haben dürften.
BAUER: Das hat natürlich sofort Konsequenzen gehabt, dass nämlich, wenn es Nationalratssitzungen gegeben hat, bei den Ansaugöffnungen zwei Polizisten gestanden sind, damit keiner auf die Idee kommt, da Buttersäure reinzukippen. Wenn jemandem die Idee unter der Woche gekommen wäre, dann hätte es zwar die Abgeordneten nicht verstunken, aber die Beamtenschaft. Also das nur als kleines Detail vom Sicherheitsbericht.
HAIPL: Sagen wir es so: Beim Crashtest Ende der 80er ist das Parlament also eher durchgefallen. Die Maßnahmen für eine bessere Sicherheit wurden jedoch durchgeführt. Heute sichern den Eingang automatische Eingangstüren mit Handvenenscan für Mitarbeitende. Und wer schon einmal im Besucherzentrum war, der weiß: Im Eingangsbereich werden alle Eintretenden und ihre Taschen sehr genau gescannt. Eigentlich wie am Flughafen, nur ohne Duty-free-Shop.
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Jingle: Geschichten aus dem Parlament.