Sigurd BAUER: Du, das ist ein Wahnsinn, das ist historisch ein Wahnsinn. Das Epstein zu verkaufen? – Theophil Hansen, Otto Wagner: eine Kombination! Und das neben dem Parlamentsgebäude, dazwischen also das Denkmal der Republik!
Andreas KHOL: Der Kostelka und ich haben gesagt: "Das geht net!" Das ist von Theophil Hansen, der hat auch das Parlament gebaut.
Clemens HAIPL: Herzlich willkommen zurück im Gedächtnis des Parlaments! In diesem Podcast hören Sie jede Woche persönliche Erinnerungen aus dem hohen Haus: von Mitgliedern des National- und Bundesrats, von ehemaligen Mitarbeitern der parlamentarischen Klubs und der Parlamentsdirektion – und tief aus dem Maschinenraum des österreichischen Parlamentarismus.
Jingle: "Geschichte(n) aus dem Parlament"
HAIPL: Wer an das Parlament denkt, der mag sich den großen Parlaments-Bau von Theophil Hansen mit zahllosen Räumen und Sälen darin vorstellen. Oder zu mindestens kennt man auf jeden Fall den Sitzungssaal aus dem Fernschauen. Da hat man vielleicht die langen Gänge, die vielen Zimmer mit schweren Holztüren vor Augen. Kurz: Da mag man den Eindruck haben, es gibt im Parlament für Abgeordnete und parlamentarische Mitarbeitende, Gäste und Besucherinnen Platz ohne Ende. Wer so denkt, den darf ich jetzt an dieser Stelle etwas sanft auf den Boden der Tatsachen holen. Platzmangel war im österreichischen Parlamentarismus zunächst ein Riesenthema. War - wohlgemerkt. Heute fällt man schon negativ auf, wenn man nicht nach mehr Platz fragt. An die knappe Raumsituation erinnern sich so einige Parlamentarier noch sehr gut. Unter anderem auch Andreas Khol, späterer Nationalratspräsident in Wien. 1983 kommt er als Abgeordneter für die ÖVP in den Nationalrat und blickt auf diese Zeit in einem Interview 2015 so zurück:
KHOL: "Als ich angefangen habe, ‘83, hat es kein Büro für einen Abgeordneten gegeben. Das Einzige, was er gehabt hat, ist ein Postfach, sonst nichts. Das waren die sogenannten "Kofferl"-Abgeordneten, die haben alles im Kofferl gehabt. Und das ist alles besser geworden und wird jetzt mit dem Ausbau des Parlaments wahrscheinlich noch besser werden."
HAIPL: Ganz besonders herrschte Raumnot dann, wenn man eine neue Fraktion gründet und Räumlichkeiten schlichtweg nicht vorgesehen sind - wie zum Beispiel in den 1980ern zur Gründung der grünen Parlamentsfraktion: Freda Meissner-Blau, Gründungsmitglied der Grünen und Fraktionsvorsitzende, erinnert sich daran im Interview 2015:
Freda MEISSNER-BLAU: Man kommt herein als Greenhorn, hat keine Ahnung. Wir sind zu acht, die wir damals waren, mit Christoph Chorherr und mit noch einem Referenten waren wir zehn, sind in den sogenannten Blauen Salon gesteckt worden – alle zusammen! –, ohne Computer, ohne Schreibmaschine. Und wir saßen da, es waren zwei Tische – aus! Na, was macht man da?
HAIPL: Und damit sind wir bei der Geschichte des Palais Epstein. Ich denke da immer an den Manager von den Beatles, den Brian Epstein. Wenn jemand weiß, ob der verwandt ist mit dem Palais, dann bitte kommentieren. Also das Palais Epstein und wie es zum parlamentarischen Gebäude wurde. Das ist eine ganz spannende Geschichte. Der eine oder die andere glaubt sie zu kennen. Aber hat er sie schon von den parlamentarischen Köpfen, die die Geschicke des Landes Österreich mitbestimmen, erzählt bekommen? Nein? Na, dann angeschnallt, plaudern einstellen und festhalten. Die Mitfahrgelegenheit ins Gedächtnis des Parlaments fährt jetzt los. Wir springen ins Jahr 1997. Als Sigurd Bauer damals Parlamentsvizedirektor war, drängte das Platzproblem bereits wie kein zweites. So! Und was ist die Lösung von einem Platzproblem? Man braucht mehr Platz! Viel Platz. Um genau zu sein: ein Palais.
BAUER: Dann hatte ich eine Zeitlang ein unheimlich interessantes Angebot: das war das Palais Auersperg mit einer Parkanlage und einer gewidmeten Bauklasse IV.
HAIPL: Das ist wieder Sigurd Bauer, 1997 Parlamentsvizedirektor.
BAUER: Da hätte man locker den Bundesrat absiedeln können, und da hätte man locker ein Abgeordnetenbürohaus hinstellen können, und da hätte man locker die Parlamentsrestauration verlegen können. Und das war ein Zeitfenster von drei Monaten – leider vor einer Nationalratswahl –, da hätten wir das Ganze um 80 Millionen Euro gekriegt. Das war ein Schnäppchen für die damaligen Verhältnisse – wir haben uns das mit dem Wasserbauer angeschaut. Der damalige Präsident, Fischer, hat sich das nicht getraut, er hat gesagt: "Das kann ich nicht machen, jetzt, zwei Monate vor der Wahl, noch dazu ein Palais kaufen. Schaut natürlich für ein demokratisches Parlament nicht so gut aus, wenn es gerade ein Palais kauft.
HAIPL: Für Sigurd Bauer war das zunächst ein Rückschlag. Wenn man ein Palais nicht kriegt, das tut weh. Die Lösung für das Problem, das vielen Abgeordneten die alltägliche Arbeit erschwerte, war in weite Ferne gerückt. Sie können sich vorstellen, dass das eine harte Nuss war. Sigurd Bauer bleibt aber dran und hält Ohren und Augen weiter offen. Und so trifft es sich, dass eine zweite Gelegenheit auftaucht
BAUER: Gut und eines Tages erfahre ich durch Zufall, dass das Palais Epstein verkauft wird. Nachdem ich historisch nicht ganz uninteressiert bin, habe ich gesagt: Das Epstein zu verkaufen? – Theophil Hansen, Otto Wagner: eine Kombination! Und das neben dem Parlamentsgebäude?! – und dazwischen das Denkmal der Republik. Ich habe erfahren, das ist schon im Ministerrat, wird verkauft um 120 Millionen, und es kauft die Hokkaido Bank, oder irgend so ein Japaner.
HAIPL: Also sagen wir es mal so: Wenn ein Parlament für viel Geld ein Palais kaufen möchte, und das nicht unbedingt gut ankommt in der Öffentlichkeit, ist das mal das eine. Wenn es aber eines kaufen möchte, das sowieso gekauft wird. Und das für noch mehr Geld von einer ausländischen Firma erworben werden soll, dann ist das eigentlich etwas ganz anderes. Also so gesehen rettet das Parlament nationales und historisches Kulturgut davor, veräußert zu werden. Somit sehen die Ausgangsbedingungen fürs Palais Epstein natürlich ganz anders aus. Sigurd Bauer wagt – wie er in der Rückschau 2015 erzählt – also einen zweiten Versuch:
BAUER: Ich starte zu Heinz Fischer: "Herr Präsident, das kann man doch nicht machen. Ein so historisch belastetes Gebäude wie das Epstein einer Bank geben." "Na, Herr Kollege, nicht schon wieder, nicht schon wieder! Ich hab‘ genug von den Sachen." Ich habe es ja irgendwo auch verstanden: Meine Position ist eine andere als seine, denn er muss das Geld auftreiben, nicht ich.
HAIPL: Was macht aber Sigurd Bauer, anstatt seine Idee geschätzte fünfhundert Meter unter der Erde zu begraben, wo niemand sie je mehr findet und ewiges Vergessen wartet…?
BAUER: "Na, ich habe nichts Schnelleres zu tun gewusst, ich bin hinuntergestartet zu meinem lieben Freund Andreas Khol und habe gesagt: "Du, das ist ein Wahnsinn, das ist historisch ein Wahnsinn." Khol greift zum Telefon und sagt: "Du, Heinz, das kommt überhaupt nicht in Frage, dass das Epstein verkauft wird." Der Heinz hat ihm begeistert zugestimmt und hat gesagt: "Nein, nein, das verkaufen wir nicht!" Ein Anruf im Kanzleramt: "Von der Tagesordnung des Ministerrats nehmen! Epstein: Parlament hat Eigenbedarf angemeldet! Und so sind wir zu dem Epstein gekommen.""
HAIPL: Andreas Khol, damals ÖVP-Klubobmann, sprach mit SPÖ-Klubobmann Peter Kostelka darüber:
KHOL: Es hat einen Konsens gegeben, das Palais Epstein wird für 120 Millionen Schilling verkauft, und eine japanische Bank kommt dort hinein. Und der Kostelka und ich haben gesagt: "Das geht nicht!" Das [Palais Epstein] ist von Theophil Hansen, der hat auch das Parlament gebaut. Es hat eine Tradition"
HAIPL: Sigurd Bauer hat also sein Interesse von jemandem mit mehr Einfluss vortragen lassen, und das ist wohl der Grund dafür, dass das Palais Epstein heute im Dienst des Österreichischen Parlamentarismus steht und kein Bankgebäude ist. Obwohl einen Bankomaten gibt‘s ums Eck. Im Rückblick betrachtet auch für Sigurd Bauer ein Meilenstein in seiner Laufbahn im Parlamentsdienst.
BAUER: Und ich muss sagen, darauf bin ich heute noch stolz. Wäre ich ein träumerischer Beamter gewesen, hätte ich gesagt: "Na, der Herr Präsident ... aufmerksam hab‘ ich ihn eh darauf gemacht." Ich hätte einen Aktenvermerk geschrieben, den hätte ich nach einem Monat wieder zurückgekriegt mit einer Paraphe, und damit wäre die Geschichte erledigt gewesen.
HAIPL: Ja klar, kann man jetzt sagen: Okay auf die Idee wäre ich vielleicht auch noch gekommen. Aber wirklich? Doch! Ma weiß es nicht. Bestimmte Ideen sind für den Lauf der Dinge eben doch ganz entscheidend, hin und wieder… Im November 1998 wurde in der Präsidialsitzung des Nationalrats jedenfalls beschlossen, das Palais für Parlamentszwecke zu nutzen. Heinz Fischer sieht die Bedeutung der Entscheidung zum Palais Epstein hier in diesem Interviewausschnitt aus dem Jahr 2017 mit zeitlichem Abstand dann auch in einem ganz anderen, viel positiverem Licht:
Heinz FISCHER: Naja, das Palais Epstein war von besonderer Relevanz, weil eben bis dahin die Anmietung von Büroräumlichkeiten sehr zersplittert erfolgt ist. Und ich habe Ihnen schon drei oder vier Lokalitäten genannt, die einen sind da gewesen, die anderen sind dort gewesen, und jetzt ist ein wirklich schönes, repräsentatives Gebäude in unmittelbarer Nachbarschaft zum Parlament, das bis dahin, glaube ich, dem Wiener Stadtschulrat gedient hat, freigeworden.] Und die Anmietung des Palais Epstein war eine wunderbare Ergänzung in Bezug auf Büroräumlichkeiten für Parlamentarier in großer räumlicher Nähe zum Parlament.
HAIPL: Ende gut, alles gut. Ein Happy End! Oder? Noch nicht ganz. Dass das Palais Epstein auch wirklich fürs Parlament genutzt wird, war - selbst wenn der Ankauf durch eine japanische Bank verhindert wurde -, noch gar nicht so sicher. Ein geschichtsträchtiges Gebäude wie dieses inspirierte nämlich viele Akteure, so Heinz Fischer:
FISCHER: Und das Schwierige war, dass auch verschiedene andere Zielsetzungen in Bezug auf das Palais Epstein entwickelt wurden, aus dem Palais Epstein ein Museum zu machen oder es in Erinnerung an die schreckliche Zeit des Nationalsozialismus zu verwenden. Der Wiener Bürgermeister hat damals auch andere Vorstellungen gehabt, und es war eine Zeitlang sehr, sehr mühsam und sehr schwierig. Auch die Medien haben hier mitgespielt und haben die verschiedensten Ideen entwickelt und so nach der Devise, wozu brauchen die Parlamentarier so viel Raum, wozu brauchen die dieses wunderschöne Palais? Und da ist es dann doch auch mit Hilfe von Parlamentariern aus anderen Fraktionen gelungen, diese Idee durchzusetzen und das Parlament zu erweitern gewissermaßen, indem das Palais Epstein für Parlamentszwecke zur Verfügung gestellt wurde, und zwar für Büros für Abgeordnete, aber auch für sonstige parlamentarische Institutionen, für Konferenzen, für Vorträge, für kulturelle Veranstaltungen, für die sogenannte "Demokratiewerkstatt", die dann die Frau Präsidentin Prammer entwickelt hat. Also, die Entscheidung für das Palais Epstein war wichtig, sie ist heute unbestritten, aber sie war nicht leicht durchzusetzen.
HAIPL: Andreas Khol ergänzt.
KHOL: Aber es war einfach wichtig, das für die Republik zu erhalten. Da hat Heinz Fischer eine große Rolle gespielt, als Parlamentspräsident, der hat da mitgemacht. Und zum Schluss war ein Fünfparteien-Konsens, dass wir das Haus für das Parlament holen und dass wir die BIG beauftragen, und die hat ein phänomenales epochemachendes Restaurationsprojekt auf den Weg gebracht.
HAIPL: Das Palais Epstein zu retten fand im Parlament, wie Heinz Fischer sagt, Unterstützung. Es war also ein gemeinsames Projekt. Heute zählt es wie selbstverständlich zu den parlamentarischen Gebäuden. Es hat der Raumnot Linderung verschafft und Platz geschaffen, um spannende Bildungsformate wie zum Beispiel die "Demokratiewerkstatt" umzusetzen. Es wurde außerdem auch eine Dauerausstellung über die ursprünglichen Anwohner, die Familie Epstein, und die Geschichte des Hauses konzipiert. Denn es ist und bleibt ein Haus mit Geschichte. Mithilfe aufwendiger Restaurierungen bis 2005 ließ sich das Gebäude vor dem Verfall bewahren und umwidmen. Aber das ist eine andere Geschichte… aus dem Parlament….
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Jingle: "Geschichte(n) aus dem Parlament"