Ulrike LUNACEK: Wirklich interessiert hat es mich dann, als ich in Peru und in Bolivien diese Riesenunterschiede zwischen Arm und Reich kennenlernte, die es bei uns damals nicht gab und auch heute nicht gibt.
Hans HAFNER: Wenn ihr die Suppe nicht nur auslöffeln wollt, dann müsst ihr auch mitkochen. Und das heißt, ihr müsst euch engagieren.
Hilde HAWLICEK: Mein Mann hat natürlich gleich auf mich gezeigt und ich habe gesagt na selbstverständlich und habe also dort begonnen in meiner Sektion.
Clemens HAIPL: Hallo und Herzlich willkommen im Gedächtnis des österreichischen Parlaments. Mein Name ist Clemens Haipl. Ich freu mich, dass Sie zuhören. In diesem Podcast hören Sie Erinnerungen und Anekdoten von ehemaligen Mitgliedern des hohen Hauses, der Parlamentsdirektion und parlamentarischen Clubs. Die Gespräche stammen aus dem Archiv des Parlaments und wurden in den letzten Jahren aufgezeichnet. Und hier geht es immer um ein bestimmtes Thema. Dieses Mal geht’s um die Frage: Wie steigt man eigentlich ein in die Politik? Einsteigen, es geht los.
Jingle: "Geschichte(n) aus dem Parlament"
HAIPL: Wer Medizin studiert, wird Arzt oder Ärztin. Wer in einer Bank ausgebildet wird, wird in einer Bank arbeiten. Und wer nichts wird, wird Wirt, hat meine Oma immer gesagt. Für Spitzenpositionen in der Politik gibt es aber kein direktes Studium. Womit beginnt also eine politische Karriere? Braucht es ganz bestimmte Schritte, um in die Politik zu gehen? Da gibt es leider kein einfaches Ja oder nein. Es gibt fast so viele Einstiege, wie es Politiker und Politikerinnen gibt. Aber: Wer sich viele unterschiedliche Lebensläufe von Politikerinnen und Politiker anschaut, stellt fest: in den unterschiedlichen Geschichten und Karrieren gibt es Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel: Viele zukünftige Berufspolitiker nehmen entweder ein politisches Amt in ihrem Unternehmen ein, sie sind vielleicht Betriebsrat, oder sie sind während des Studiums an der Universität hochschulpolitisch tätig oder engagieren sich aus zivilgesellschaftlichem Engagement heraus in einer Organisation. Oder so wie ich Klassensprecher und das war’s dann. Dafür braucht es aber eine Begeisterung. Eine Leidenschaft. Eine Motivation. Und die kann sich schon sehr früh zeigen. Die ehemalige Nationalratsabgeordnete der SPÖ Hilde Hawlicek zum Beispiel steigt bereits als Jugendliche mit politischer Arbeit ein. Sie ist unter anderem in der Sozialistischen Jugend und wird von ihr in den österreichischen Bundesjugendring geschickt.
HAWLICEK: "Das war die Dachorganisation aller demokratischen Jugendorganisationen."
HAIPL: Mitte der 1960er Jahre ist Hilde Hawlicek 23 Jahre und - es wird noch nicht gegendert - der Bundessekretär des Bundesjugendrings; ein Amt, das sie auch auf ihre Arbeit im Bundesrat ab 1971 vorbereiten soll. Warum?
HAWLICEK: weil ich dadurch die Toleranz gegenüber politischen Gegnern oder sagen wir eher politischen Mitbewerbern durch diese Funktion gelernt habe und daher alle Fragen, die Sie mir dann stellen werden, sich so gestalten werden, dass ich immer mit also fast allen politischen Mitbewerbern anderer Parteien gut ausgekommen bin.
HAIPL: Ist für Hilde Hawlicek das Engagement in der Jugend schon ausschlaggebend? Sicher kann es niemand sagen oder wissen, ob es wirklich genau das war. Doch es gibt einen Hinweis, dass der Einfluss auf sie und ihre Arbeit dort geholfen haben könnten. Sie wird später mit ihrem Mann zusammenziehen und trifft in Floridsdorf in Wien einen alten Bekannten aus den Jugendorganisationen. Eine Begegnung, die Folgen haben wird. Ihr Bekannter Heinz Nittel hat im Stadtteil Floridsdorf ein politisches Amt inne und hält nicht hinterm Berg mit einer Frage:
HAWLICEK: Und der Nittel Heinz hat gesagt: "Ja, aber einer von euch wird schon in der Partei mitarbeiten." Und mein Mann hat natürlich gleich auf mich zeigt, und ich habe gesagt: "Na selbstverständlich!", und habe also dort begonnen in meiner Sektion, wo ich stellvertretende Frauenreferentin wurde, also ganz eine kleine Funktion.
HAIPL: Kein Fingerzeig Gottes hat ihr also den Weg zur Frauenreferentin geebnet, sondern einer ihres Mannes. Im neuen Stadtviertel, in Floridsdorf, gibt’s dann auch eine Bewährungsprobe.
HAWLICEK: Und in Floridsdorf, wenn man auf der einen Seite "Zuagraster" ist und noch dazu Akademiker, sind das also gleich zwei riesige Nachteile. Und nachdem ich aber brav mitgearbeitet hab, zu allen freundlich war, wurde ich dann nach einigen Jahren auf die Liste gesetzt, und dann haben eigentlich alle nur mehr zu mir "Hilde" gesagt und weder Frau Bundesrat, oder Frau Doktor schon gar nicht.
HAIPL: 1970 tritt sie dem Bundes-Frauenkomitee der SPÖ bei. Die SPÖ schickt sie in den Bundesrat. Von dort wechselt sie später in den Nationalrat.
Als Jugendliche schon engagiert? "Respekt", denken Sie. Ja, aber das können auch andere. Zum Beispiel der frühere Nationalratsabgeordnete Hermann Krist.
Hermann KRIST: Ja, also ich bin ein typisches Kind einer Arbeiterfamilie, Vater und Mutter waren beide Hilfsarbeiter. Die Mutter in einer der größten Brillenfabriken, die es in Österreich je gegeben hat, in der Firma Anger. Und der Vater war als gelernter Spengler dann in der Nettingsdorfer Papierfabrik. Bin dann dort in die Jugendgruppe der Gewerkschaftsjugend der Chemiearbeiter mit 15 aufgenommen worden. Habe dann in der Folge die Führung dieser Gruppe übernommen und das war so der Einstieg in die Kommunalpolitik.
HAIPL: Er beginnt bei einem Brillen-Hersteller zu arbeiten, und tritt Ende der 1980er Jahre dort dem Betriebsrat bei. Den Fußball gibt es damals auch noch für ihn neben der Kommunalpolitik … und natürlich seine Familie. Die Kickerei jedenfalls hat er dann bleiben lassen:
KRIST: wie sagt man in Oberösterreich - mit einem Hintern kann man nicht auf sieben Hochzeiten tanzen, und es war auch familiär, ich hatte zwei Kinder, meine Töchter, meine Frau, die dann natürlich auch gesagt hat, jetzt muss ich schon langsam entscheiden.
HAIPL: Er wird Vorsitzender des Betriebsrats. Mittlerweile wohnt die Familie in Pucking und dort wird auch erwartet in der Politik mitzumachen. Mitgehangen mitgefangen könnte man sagen.
KRIST: Ja, ich bin dann in meiner Heimatgemeinde quasi als Vizebürgermeister dann auch in den Bezirksgremien natürlich vertreten gewesen. Und 2001 ist mein Vorgänger in die Pension gegangen, Kollege Dietachmayr war hier im Nationalrat für Linz-Land. Und 22 Gemeinden haben dann entschieden, dass ich der Nachfolger sein soll. Und das ist dann auch so passiert und Dezember 2002 war die Angelobung im Hohen Haus.
HAIPL: Knapp 17 Jahre soll Hermann Krist dort Abgeordneter bleiben. Doch es gibt noch andere Wege in die Politik. Ulrike Lunacek verfolgt nicht die klassische Laufbahn über ein politisches Amt in der Studienzeit oder durch Engagement in einer Partei oder einer Jugendorganisation. Sie macht vor allem Erfahrungen "on the road" und durch zivilgesellschaftliches Engagement, ehe sie Politikerin wird. Sie geht als Studentin auf Reisen durch andere Kontinente und kommt politisiert zurück nach Österreich. Denn weit weg von zu Hause in Südamerika gab’s sowas wie einen Kulturschock. Über Politik wurde zwar zu Hause schon diskutiert, aber:
LUNACEK: aber wirklich interessiert hat es mich dann, als ich in Peru und in Bolivien diese Riesenunterschiede zwischen Arm und Reich kennenlernte, die es bei uns damals nicht gab und auch heute nicht gibt. Und bin zurückgekommen dem Motto ich muss was tun, damit die Welt besser wird. Also so im Jugendlichen oder schon Erwachsenenalter, aber dennoch ich will was ändern.
HAIPL: Es war ein Erweckungsmoment. Sie engagiert sich später als offen lebende lesbische Frau und Feministin in Projekten zum Schutz von Frauen. In Innsbruck sichert sie mit einer Frauengruppe die Finanzierung eines Frauenhauses.
LUNACEK: Habe dann auch ein Jahr drinnen als Sozialhelferin gearbeitet, weil ich wollte wissen, wie das ist, und habe dann aber festgestellt, ich will dann die Dinge grundsätzlicher verändern.
HAIPL: Das geht eben über die Politik immer noch am besten. Über eine Arbeit als Journalistin kommt Ulrike Lunacek um 1986 in Kontakt mit den Grünen. Später lernt sie Politikerinnen wie Heide Schmidt und Terezija Stoisits über die Arbeit kennen. Ihr Interesse an einem Amt mit mehr Gestaltungsmöglichkeiten in der Politik wächst. Sie stellt sich zwar 1995 zur Wahl für die Grünen, wird aber nicht gewählt. Dafür wird sie Bundesgeschäftsführerin der Partei und wird 1999 in den Nationalrat gewählt. In weiterer Folge wechselt sie ins Europäische Parlament, wo sie schließlich sogar Vizepräsidentin wird. Etwas verändern zu wollen, wurde auch dem späteren ÖVP-Abgeordneten und Familienpolitiker Hans Hafner aus Graz früh klar. Er hat ein Schlüsselerlebnis in jungen Jahren:
HAFNER: Ich war also Student. Mein Vater war in einer Landwirtschaftlichen Fachschule Lehrer, und in diesen Landwirtschaftlichen Fachschulen, konkret in Silberberg bei Leibnitz, haben natürlich viele Familien auch dort gelebt, wo gearbeitet wurde, weil die Dienstwohnungen da waren für die Lehrer. Und da habe ich erfahren, dass ein Beamter dieser Schule, der kinderlos war, verheiratet war mit einer Beamtin in der Bezirkshauptmannschaft – ich mache das ganz konkret –: die waren kinderlos und haben damals in den frühen 60er Jahren eine Weltreise gemacht. Und ich komme nach Hause und sehe meine Mutter in der Waschküche bei der Waschrumpel stehen, weil wir vier Kinder waren, die Mutter war zu Hause, der Vater Alleinverdiener … (seufzt) von einer Weltreise weit und breit keine Spur! Aber es hat sich bei mir eingeprägt, und ich habe mir gedacht: was ist das für eine Welt? – da stimmt irgendetwas nicht.
HAIPL: Man nehme also ein Gerechtigkeitsempfinden, gebe noch etwas Anpacker-Mentalität hinzu und füge den ein oder anderen politischen Leitspruch hinzu und fertig ist ein Spitzenpolitiker. Naja, nicht ganz. Aber Hans Hafner wird einen Leitspruch hören, der ihm als solcher in Erinnerung bleibt.
HAFNER: Also, wir hatten einen bundesstaatlichen Volksbildungsreferenten namens Kapfhammer, der sehr viele Veranstaltungen für Politische Bildung gemacht hat, im Schloss St. Martin bei Graz, in Graz noch gelegen. Dort habe ich sehr viel mitbekommen, und ich habe diesen einen Satz, den er einmal bei irgendeiner Gelegenheit gesagt hat, nie vergessen – er hat gesagt: "Wenn ihr die Suppe mitkochen wollt’s …", also, "wenn ihr die Suppe nicht nur auslöffeln wollt’s, dann müsst ihr auch mitkochen!" Und das heißt: Ihr müsst euch engagieren!
HAIPL: Ja, und das ist ihm hängen geblieben. Es ist ein Mysterium, manche Sachen gehen uns in den Kopf und bleiben dort jahrelang in Erinnerung, werden Motor für uns und wir können gar nicht so genau sagen warum. Andere vergessen wir sofort. Sicher aber ist: Es sind nicht nur Sätze, oder Momente, die aus Personen Politiker machen, oder den Wunsch in Ihnen wecken einer zu werden, sondern viele Erlebnisse und Erfahrungen. Wo ma wieder am Anfang sind: Es gibt sicherlich so viele Wege in die Politik wie es Politikerinnen und Politiker gibt.
Also: Wie gelingt der Einstieg in die Politik? Über Ämter in der Hochschule, kommunalpolitisches oder zivilgesellschaftliches Engagement, oder eine Gewerkschaft. Man kann aber auch ganz ohne große politische Vorerfahrung in hohe Ämter einsteigen, sogar in den Nationalrat! Und sozusagen anders als von kleinen zu immer größer werdenden Ämtern die "Karriereleiter" hochklettern. Wie das geht, darum soll es in der nächsten Folge gehen. Da widmen wir uns noch einmal der Frage: Wie steigt man in die Politik ein? Dann hören wir Erfahrungen von Abgeordneten, die als Quereinsteiger aus einem Beruf in die Politik gewechselt sind. Wie das wohl immer zugeht…? Am besten hören Sie einfach nächstes Mal wieder rein.
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Ich bin nach wie vor Clemens Haipl, ich bedanke mich fürs Zuhören, alles Liebe, ciao.
Jingle: "Geschichte(n) aus dem Parlament"