Wer war Anna Boschek?
Parlament erklärt - Folge 10
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Anna Boschek zog als eine der ersten acht Frauen im März 1919 als Nationalratsabgeordnete in das Parlament ein. In dieser Folge sprechen wir mit Florian Boschek über seine entfernte Verwandte.
Sie war Pionierin in vielerlei Hinsicht: in ihrer Rolle in der Gewerkschaft, der Sozialdemokratischen Partei und der Arbeiterinnenbewegung.
Schon früh musste sie ihre Familie finanziell unterstützen und erlebte selbst ungerechte Arbeitsverhältnisse, was sie motivierte, politisch aktiv zu werden.
Florian Boschek erzählt, was man von der Pionierin und ihrem Leben lernen kann und zieht mit uns Parallelen zur Gegenwart.
© Parlamentsdirektion/Satzbau/hoerwinkel
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FLORIAN BOSCHEK: Ich glaub sie war der Schrecken eines jeden Arbeitgebers. Weil sie halt als einzige Frau da drin gesessen ist und allen Männern erklären muss, wie die Welt da draußen wirklich funktioniert.
KATHARINA BRUNNER: Die Rede ist hier von Anna Boschek, einer der ersten Politikerinnen in Österreich. Damit herzlich willkommen bei Parlament erklärt! Mein Name ist Katharina Brunner. Schön, dass Sie zuhören.
DAVID RIEGLER: Ich bin David Riegler, ein herzliches Willkommen auch von mir.
BRUNNER: Ende des letzten Jahres haben wir in einer Folge darüber gesprochen, wie es dazu gekommen ist, dass Frauen erstmals ins Parlament einzogen sind.
RIEGLER: Heute portraitieren wir eine dieser Pionierinnen. Anna Boschek wurde am 14. Mai 1874 in Wien geboren. In ihrem Leben war sie vor allem eines: Vorreiterin, Pionierin, die erste in vielem, das sie getan hat.
BRUNNER: Sie war die erste Frau, die in den Parteivorstand der sozialdemokratischen Partei und in den Gewerkschaftsvorstand gewählt wurde. Und sie war eine der ersten Frauen, die Abgeordnete im Nationalrat war.
RIEGLER: Florian Boschek ist entfernt mit ihr verwandt und hat mit uns über die politische Vorreiterin gesprochen. Kennenlernen konnte er sie nicht, sie ist 1957 mit 84 Jahren verstorben. BRUNNER: Durch einen Beitrag des österreichischen Parlaments auf Twitter ist Florian Boschek über den Namen Anna Boschek gestolpert. Sie selbst hatte keine Kinder, aber sieben Geschwister. Florian vermutet, dass er über eine ihre Schwestern oder Brüder mit ihr verwandt ist. Seine Familie weiß wenig über die Politikerin. Er hat selbst nachgeforscht, wer diese Frau mit demselben Nachnamen, eigentlich ist.
BOSCHEK: Ich find‘, sie hat schon ganz früh thematisiert wie man Arbeit definieren sollte. Die Reproduktionsarbeit von Frauen, die Frauen, die sie abseits ihrer Arbeitsstelle zuhause leisten. Das kann man auf heute noch ummünzen. Ich glaube eines der größten Themen heute ist immer noch den Begriff der Arbeit neu zu definieren um die Arbeit, die Frauen leisten, auch anzuerkennen. RIEGLER: Genau, wofür sich Anna Boschek hauptsächlich eingesetzt hat, waren gerechte Arbeitsverhältnisse für alle Menschen und besonders die der Frauen.
BRUNNER: Im vierten Wiener Gemeindebezirk in der Plößlgasse 2 erinnert der Anna Boschek Hof auch heute noch daran. Die Arbeiterkammer hat das Gebäude im Jahr 1959 als Heim für Lehrmädchen gebaut. Später waren dort Einrichtungen der Arbeiterkammer, 2010 wurde es abgerissen und eine Wohnanlage entstand, der Hof trägt immer noch Anna Boscheks Namen.
RIEGLER: Anders als die meisten ihrer männlichen Kollegen in der Politik wusste Anna Boschek über die Lebensrealitäten der Arbeitnehmerinnen und -nehmer in Österreich genau Bescheid. Das hat auch der 19-jährige Publizistik- und Politikwissenschaftsstudent bei seiner Recherche 2018 für die Wiener Zeitung herausgefunden.
BOSCHEK: Anna Boschek hat ganz früh anfangen müssen zu arbeiten. Ihr Vater ist gestorben, wie sie neun Jahre alt war und sie hat dann halt direkt zu arbeiten anfangen müssen, weil die Familie sonst nicht genug Einkommen gehabt hätte damals. Und 1890 wars ja noch so, dass Kinder und Frauen bei Fabriken mitgearbeitet haben – also zugearbeitet haben – anerkannt war es ja noch nicht als wirkliche Arbeit, sondern als Zuarbeit. Es war sehr schlecht bezahlt und es waren sehr grauenhafte Bedingungen für die Leute damals. Und sie hat schon ganz früh Erfahrungen gemacht. Wie das dort abläuft, wie man mit Arbeiterinnen, jungen Frauen und Kindern und Jugendlichen umgeht. Und dadurch ist sie dann auch auf die Politik aufmerksam geworden. Indem sie in Arbeitnehmerinnen-Vereinen aktiv war, die sich für bessere Bedingungen eingesetzt haben. Hat dann auch in ihrer Fabrik eine Demonstration oder einen Streik initiiert, der dann auch Früchte getragen hat.
BRUNNER: Diese Arbeitsverhältnisse zu verbessern war das Wichtigste für die Arbeiterinnenbewegung. Bevor sie in die Politik ging hat Anna Boschek etwa in einer Mundharmonikafabrik, der Ottakringer Trikotfabrik und als Heimarbeiterin gearbeitet. RIEGLER: In den 50er-Jahren des 19. Jahrhunderts hat sich die Bekleidungsindustrie mehr und mehr durch Heimarbeit dezentralisiert. Wien wurde zur Hochburg der Branche. Durch Heimarbeit hat sich ein verzweigtes System von Subunternehmen mit sogenannten Zwischenmeisterinnen gebildet. Die haben vor allem Mädchen und Frauen als Näherinnen angestellt. Das System hat zu geringen Löhnen und starker Belastung der Arbeiterinnen geführt.
BRUNNER: Später als Politikerin ist Anna Boschek besonders für die Gründung der Arbeiterkammer eingetreten. Im Parlament engagierte sie sich für gesetzlichen Arbeitnehmerschutz.
BOSCHEK: Und das fand ich schon beeindruckend, so jung so einen Radau zu machen, sich aufzulehnen gegen das, was da ist und bessere Bedingungen einzufordern. Und dann auch noch später ganz oft die erste zu sein in ihrem Feld.
RIEGLER: Ab der ersten Sitzung der Konstituierenden Nationalversammlung am vierten März 1919 war sie 15 Jahre lang Nationalratsabgeordnete. Ihre politische Karriere hat mit ihrer Verhaftung 1934 geendet, als die damalige Dollfuß-Regierung den Nationalrat gewaltsam aufgelöst hat. Für sieben Wochen wurde sie im Polizeigefangenenhaus an der Elisabethpromenade festgehalten. Das war zwischen 1934 und 1945 die erste Station nach ihrer Verhaftung für tausende Regimegegner. Nach ihrer Freilassung wurde Anna Boschek polizeilich weiterhin überwacht. Als der Zweite Weltkrieg endete, war sie als Parteimitglied weiterhin aktiv, als Politikerin aber nicht mehr.
BRUNNER: Konkret hat sie in ihrer Zeit als Politikerin an mehreren Arbeiterinnen-Gesetzen maßgeblich mitgewirkt: Etwa am Hausgehilfinnengesetz aus dem Jahr 1920. Dafür hat sie sich gemeinsam mit den Politikerinnen Johanna Weiß und Hildegard Burjan eingesetzt. Es hat ein- bis dreiwöchigen Urlaub, eine Nachtruhe von neun Stunden, eine tägliche Pause von zwei Stunden und wöchentlichen Ausgang gesichert. Ebenso war sie am Nachtarbeiterinnengesetz beteiligt.
BOSCHEK: Ich hab‘ mir die stenografischen Protokolle zum Nachtarbeiterinnengesetz angeschaut und da fand ich ganz spannend in ihrer Rede: Sie hat halt eben nicht juristisch sondern auf Lebenssituationen hinaus argumentiert und hat gemeint, dass es eine bestimmte Schicht an Frauen am Anfang schlechter treffen wird mit dem Gesetz, aber es wird langfristig den Frauen helfen. Und das fand ich einen total coolen Zugang zur Politik – Dass man damals schon gesagt hat, ja es wird sein, dass man Frauen auch irgendwie in die Schranken weist aber auf langfristige Sicht wird es den Frauen helfen. Und das fand ich eine total starke Rede.
RIEGLER: Auch das Gesetz für den Acht-Stunden-Arbeitstag und den freien Samstagnachmittag für Frauen hat der Nationalrat im Jahr 1920 beschlossen. Damals war das eine riesige Errungenschaft die tägliche Arbeitszeit von 16, dann auf 12 und schließlich auf 8 zu reduzieren.
BRUNNER: Die Themen, die für Anna Boschek wichtig waren, sind auch heute aktuell. Frauen arbeiten immer noch oft für weniger Geld als Männer, sind in weniger Führungspositionen vertreten. Und neben ihrem Job erwartet die Gesellschaft von ihnen auch noch oft andere Aufgaben. Wie sich um den Haushalt und die Kinder zu kümmern. Das wirkt sich natürlich darauf aus, wie viel Zeit Frauen für ihren Job und ihre Karriere haben.
RIEGLER: Und so sieht man in Statistiken aus 2018, dass Jobs auf geringfügiger Basis und Teilzeitjobs eine Frauendomäne sind. Im Gegensatz sind rund zwei Drittel der Selbstständigen in Österreich Männer und auch unter den Beamten finden sich zum Beispiel mehr Männer.
BRUNNER: Anna Boschek ist für viele Dinge eingestanden, weil sie sie selbst erlebt hat: prekäre Arbeitsumstände, Benachteiligung aufgrund ihres Geschlechts, den Kampf um politisches Mitspracherecht und sie hat erlebt, dass Frauen in der Politik in der Unterzahl sind.
BOSCHEK: Wir sehen es ja auch jetzt mit der ersten Bundeskanzlerin, dass es was ganz Einzigartiges ist, wenn eine Frau eine solche Position besetzt. Und man würde meinen, das sollte heute eigentlich nicht mehr sein müssen, aber es ist ja immer noch so.
RIEGLER: Mit der Frauenbewegung haben mehrheitlich Frauen dafür gekämpft, dass unsere Gesellschaft gerecht für alle Geschlechter wird. Auch Florian Boschek ist dieser Kampf wichtig und so war er beim nicht gänzlich unumstrittenen Frauenvolksbegehren aus dem Jahr 2018 aktiv.
BRUNNER: Aber wie steht man für Frauen ein, wenn man selbst keine ist?
BOSCHEK: Ich glaube ein ganz wichtiges Mittel um solche Situationen nachvollziehen zu können, ist einfach zuzuhören. Das machen ganz wenig Leute. Aber sich einfach hinzusetzen und zuzuhören, sich die Situationen und Lebensrealitäten schildern zu lassen, sie zu verstehen und nicht zu verneinen und zu sagen „ja du bist aber nur eine von ganz vielen“.
RIEGLER: In der Geschichte sehen wir, dass es oft Frauen sind, die große gesellschaftliche Veränderungen vorantreiben. Gleichberechtigung betrifft uns aber alle. Und jede und jeder kann in einer Demokratie etwas bewirken.
BOSCHEK: Ich glaub, was man von ihr lernen kann ist, dass man sich nicht unterkriegen lassen soll. Egal wie alt man ist. Weil sie hat auch mit Anfang 20 die Gewerkschaftskommission umgekrempelt und ich glaub jede und jeder kann einen Unterschied machen. Jede und jeder hat eine Stimme. Niemand ist zu jung oder zu alt um seine Stimme zu erheben und etwas zu verändern.
BRUNNER: Schöne bekräftigende Schlussworte von unserem Gesprächspartner Florian Boschek. Damit sind wir am Ende unseres ersten Portraits von starken und besonderen Frauen im Parlament angelangt.
RIEGLER: Bleiben sie dran, es war nicht das letzte. Wir hören uns hoffentlich in zwei Wochen wieder.
BRUNNER: In der Zwischenzeit können Sie uns gerne Feedback oder auch Fragen schicken, die sie gerne beantwortet haben wollen. Und zwar an: podcast@parlament.gv.at.
RIEGLER: Wir freuen uns über Post. Bis zum nächsten Mal!.