Wer war Adelheid Popp?
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Adelheid Popp wurde 1869 in Inzersdorf bei Wien geboren und stammte aus einer Arbeiterfamilie. Nach dem frühen Tod ihres Vaters zieht sie mit ihrer Mutter nach Wien und arbeitet mit bereits zehn Jahren in einer Bronzewarenfabrik. Durch einen Freund ihres Bruders kommt sie zu sozialdemokratischen Versammlungen, liest Parteizeitungen und beginnt sich für die sozialdemokratische Ideologie zu interessieren.
In der Politik setzt sie sich für die Gleichberechtigung der Frauen ein. Sie verkörpert die kämpfende Frau und Arbeiterin, die durch die Sozialdemokratie in der Gesellschaft aufsteigen kann. Schon mit 17 Jahren hält Popp ihre erste Rede vor einer Parteiversammlung.
Katharina Prager hat an der Autobiografie "Jugend einer Arbeiterin" mitgearbeitet und gibt detaillierte Einblicke in das Leben von Adelheid Popp.
© Parlamentsdirektion/Satzbau/hoerwinkel
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Transkription
Originalton Nationalratssitzung: Achtung, Achtung! Es spricht Frau Nationalrat Adelheid Popp.
Adelheid POPP: Am neunten November haben die Frauen eine große Aufgabe zu erfüllen. Ein neuer Nationalrat wird gewählt.
Katharina BRUNNER: Willkommen bei "Parlament erklärt", dem Podcast des Österreichischen Parlaments. Ich bin Katharina Brunner.
David RIEGLER: Und mein Name ist David Riegler. Hier sprechen wir über Themen, die mit dem Zentrum unserer Demokratie, dem Parlament, zusammenhängen. Heute fragen wir: Wer war Adelheid Popp? Sie ist die Frau, die Sie zu Beginn sprechen gehört haben.
Katharina PRAGER: Adelheid Popp ist bekannt als die Frau, die als erste im österreichischen Nationalrat gesprochen hat.
BRUNNER: Für unser Portrait von einer der ersten Politikerinnen des Landes überhaupt, haben wir mit Katharina Prager vom Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte und Theorie der Biographie gesprochen. Adelheid Popp wurde 1869 in Inzersdorf bei Wien geboren, war Arbeiterkind, dann Heim- und Fabriksarbeiterin, später Autorin und Politikerin. Aufgewachsen ist sie in der Familie Dworak, wo sie schon als Siebenjährige mitarbeiten musste – für eine Arbeiterfamilie war das damals üblich.
RIEGLER: Ihr persönlicher Nachlass wurde vernichtet, doch ein autobiografisches Dokument aus dem Jahr 1909 gibt uns Einblick in ihr Leben. "Jugend einer Arbeiterin" ist eine Neuauflage dieses Werkes und setzt den Text in aktuelle Kontexte. Es ist 2019 erschienen und Katharina Prager hat daran mitgewirkt.
PRAGER: Diese "Jugend einer Arbeiterin" sind ein spannendes Dokument. Und zwar hat das damit zu tun: Adelheid Popp hat sie zuerst anonym herausgegeben. Also es ist sehr stark auch eine Propagandaschrift gewesen. Also es ging darum: Schaut mal, junge Frauen, vor allem Fabriksarbeiterinnen, was man aus sich machen kann oder wohin euch dieses Bildungsideal bringt, wie unterdrückt ich war und wie sehr der Zusammenschluss, die Sozialdemokratie hilft, da wieder rauszukommen. Es ist aber zugleich ihre Lebensgeschichte und das hat sie dann kurz darauf auch zugegeben.
BRUNNER: Katharina Prager hat zusammen mit Sybille Hamann eine Neuauflage des Buches verfasst. Aus aktuellem Anlass: 2019 wäre Adelheid Popp nämlich 150 Jahre alt geworden. Ursprünglich hat das Dokument anders geheißen, nämlich "Die Jugendgeschichte einer Arbeiterin: Von ihr selbst erzählt".
RIEGLER: Wie ist nun aus dem Arbeiterkind aus ärmsten Verhältnissen, das nur drei Jahre die Volksschule besucht hat, die Politikerin geworden, die als erste Frau am 4. März 1919 eine Rede im Nationalrat gehalten hat? Begonnen hat es mit ihrer Liebe zum Lesen.
PRAGER: Und hat eigentlich zuerst das ausgeborgt, was jetzt gar nicht so die Literatur ist, die die Sozialdemokratie als bildend oder als für den neuen Menschen als wichtig empfindet. Sie hat Schundromane gelesen, also sie hat Abenteuergeschichten geliebt. Und Heldinnen und Königinnen in Not und diese ganzen Sachen. Davon dürft sie sich ziemlich viel ausgeliehen und wirklich so der Reihe nach, so wie man heute halt Serien binge watched, gelesen haben. Und das war ihr großes Vergnügen in den wenigen freien Stunden, die sie da hatte, denn auch das beschreibt sie in "Die Jugend einer Arbeiterin" sehr klar – dass da einfach ganz wenig Zeit ist, um was anderes zu machen als zu arbeiten.
BRUNNER: In ihrer Familie wird wenig gesprochen, der Vater ist Alkoholiker und gewalttätig. Die Eltern sind beide aus Böhmen und reden meist auf Tschechisch miteinander – eine Sprache, die Adelheid Popp nicht beherrscht.
RIEGLER: Nachdem der Vater stirbt, zieht die jüngste unter den wahrscheinlich fünf Geschwistern zusammen mit der Mutter von Inzersdorf – damals ein Industrie-Ort mit Massenquartieren – nach Wien.
PRAGER: Und die beiden gehen nach Wien auch dort passiert etwas Interessantes und zwar ist das nicht rekonstruierbar, wo die beiden gelebt haben und zwar deshalb: sie wohnen wohl irgendwo zur Untermiete in einem kleinen Zimmerchen und Anna Dorak muss sich zwar melden und kann aber wie gesagt nicht schreiben. Und das heißt ihre Tochter füllt den Meldezettel aus und auf dem Meldezettel ist die Frage nach Kind und die Adelheid Popp, sie ist da gerade so zehn, denkt sich: Naja, eigentlich bin ich kein Kind mehr. Und trägt sich selber nicht ein. Das heißt sie ist in Wien eigentlich nicht vorhanden zu dieser Zeit.
BRUNNER: In der Hauptstadt erschöpfen sie ihre Arbeiten körperlich. Popp arbeitet in einer Bronzewarenfabrik, in Webereien, als Heimarbeiterin oder in einer Korkstoppelfabrik. Sie wird Opfer sexueller Übergriffe und muss immer wieder auf der Straße nach neuer Arbeit suchen. Mit circa 12 Jahren kommt sie ins Krankenhaus, weil ihr die Arbeit in der Bronzefabrik zusetzt. Das Geld reicht nicht und die Jugendliche kommt ins Armenhaus. Von dort schiebt man sie beinahe ab ins Herkunftskronland der Eltern, nach Böhmen.
RIEGLER: Zum Glück wird sie aber wieder gesund. Während ihrer Zeit in der Korkstoppelfabrik liest sie in der Zeitung über Anarchisten-Prozesse. Die dort angeklagten Sozialdemokraten werden für Popp zu Helden. Über einen Freund ihres Bruders kommt sie zu sozialdemokratischen Versammlungen, ist dort oft die einzige Frau. Sie liest sozialdemokratische Parteizeitungen und beginnt, an die Ideologie zu glauben.
PRAGER: Es hat wirklich etwas Religiöses. Sie kommt aus einer sehr katholischen Familie. Sie sagt auch wie sie sich die Arbeiterzeitung jede Woche holt, um die dann zu verbreiten. Da zieht sie sich ihr schönstes Kleid an und das hat irgendwie auch was von Kirchgang.
BRUNNER: Später, im Jahr 1892 wird die spätere Abgeordnete Schriftführerin der "Arbeiterinnen-Zeitung", die sie und andere Frauen als Gegenstück zur männlich dominierten "Arbeiterzeitung" gegründet haben. In der Politik setzt sie sich für die Gleichberechtigung der Frauen ein. Sie verkörpert die kämpfende Frau und Arbeiterin, die durch die Sozialdemokratie in der Gesellschaft aufsteigen kann. Schon mit 17 Jahren hält Popp ihre erste Rede vor einer Parteiversammlung.
PRAGER: Sie ist ja dann auch ganz rasch in ihrer Partei als eine Rednerin, als eine begehrte, aufgestiegen. Und auch wie sie dieses erste Mal vor Menschen zu sprechen erzählt, ist ganz spannend weil sie sagt sie steht da auf so einer Arbeiterversammlung und sie hört zu, wie über Frauen gesprochen wird und sie hört lauter Männer reden und es drängt sie total, da rauf zu gehen und zu sagen, nein ich kann euch sagen wie das ist. Und sie überwindet sich und sie tut das.
RIEGLER: Aus der ersten Republik gibt es nur zwei Audio-Aufnahmen von Politikerinnen-Reden. Die eine ist die einer Rede der christlich-sozialen Politikerin Alma Motzkos. Ausschnitte aus der zweiten Aufnahme hören Sie in dieser Folge: die Nationalratswahlkampfrede aus 1930 von Adelheid Popp.
Adelheid POPP: Die Sozialdemokratie ist die einzige Partei, die für die höhere Einschätzung der Frau als Mutter eintritt. Die Sozialdemokratie kämpft gegen die schrankenlose Ausbeutung der Frauen als Arbeiterinnen und Angestellte aller Berufe. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist ihre Parole.
PRAGER: Sie ist jemand, der definitiv aus der radikalen Sozialdemokratie, die aus der Opposition kommt. Sie lässt sich dann aber von Viktor Adler überzeugen und ist dann eigentlich ganz stark eine Mittlerin zwischen den Fronten. Und das ist vielleicht auch am Frauenwahlrecht, das schon ein ganz starkes Thema von ihr ist, gut nachzuweisen. Weil sie ist eine der ersten, die das aufbringt, die dafür agitiert, die das als ganz selbstverständlich sieht, dass das im sozialdemokratischen Parteiprogramm steht, dass Frauen auch wählen sollen. Und sie ist aber dann auch eine, die dafür eintritt, das zurückzustellen, als der Zeitpunkt da ist, um für das Männerwahlrecht zu kämpfen.
BRUNNER: Als junge Frau, die gute Reden hält, erregt Popp in der damaligen Gesellschaft und der Politik Aufsehen. Ihr politisches Engagement belastet die Beziehung zur Mutter. Die ist christlich-sozial orientiert und versteht die Anliegen ihrer Tochter nicht. Dass die Tochter den viel älteren niederösterreichischen Parteiführer Julius Popp heiratet, passt nicht in das Bild der Mutter von einer anständigen Ehe. 1895 muss sich Adelheid Popp vor einem Schwurgericht für die Arbeiterinnen-Zeitung wegen "Herabwürdigung der Ehe und Familie" verteidigen. Adelheid Popp wird zu einer Gefängnisstrafe von zwei Wochen verurteilt. Auch in ihren Reden wird ihre Einstellung sichtbar:
Adelheid POPP: Euch Frauen wollten sie immer besonders demütig und genügsam haben, um euch für ihre Zwecke auszunutzen. In den Beichtstühlen haben sie euch gestützt, auf politische Unwissenheit gegen eure Männer gehetzt.
PRAGER: Bei solchen Reisen durch die Provinz, wenn man da agitiert für die Sozialdemokratie, unterwegs ist in Wirtshäusern. Für eine junge Frau damals – das ist nicht ganz leicht. Und man kriegt da sozusagen verschiedene Zuschreibungen, dass man sich da nicht an Moral- und Sittlichkeitsvorstellungen dieser Zeit hält, wo ein junges Mädchen halt am Abend zu Hause zu sein hat. Und die Mutter wirft ihr das auch vor. Das sind Konflikte, die es gibt. Und zugleich muss man schon auch sagen, sie übersetzt diese Religiosität der Kindheit, auch diese Heldenverehrung für die Monarchie, die sie da mal hatte, das wird sozusagen in die Sozialdemokratie gelegt. Die ist quasi die neue Religion. Also das findet statt und zum anderen macht sie sich zu einer extrem tugendhaften Arbeiterin. Also quasi vielleicht um diese Vorwürfe der Mutter irgendwie auszugleichen: Sie ist die sittsame, junge Sozialdemokratin, sie erfüllt alles: sie arbeitet hart, sie knüpft Netzwerke, sie schließt zusammen, sie setzt sich ein für die Bewegung. Also man kann ihr nichts vorwerfen. Und ihre Mutter kann es trotzdem.
RIEGLER: Die ersten Frauen waren eine neue Erscheinung in der politischen Arena und haben Fragen aufgeworfen: Wie sollen und wollen Frauen als Politikerin aussehen? Was vermitteln sie mit ihrem Aussehen? Wie wirkt sich ihr Aussehen auf die politischen Ziele aus?
PRAGER: Bei Männern gibt’s diese recht eindeutigen Codes, scheinbar immer, wie sie sich in einer Szene zu präsentieren haben. Und bei Frauen ist es immer schwieriger, weil es ist ein Novum, dass sie auftauchen und wie sollen sie dann ausschauen? Zum einen nicht wie die Männer. Diese Weiblichkeit darzustellen und zugleich zu verheimlichen, das ist glaube ich immer eine ganz schwierige Sache, die Politikerinnen bis heute begleitet.
BRUNNER: Über Adelheid Popps Erscheinung hat man viel geredet. Sie hat schon als Teenager eine altmodische Hochsteckfrisur getragen um älter zu wirken.
PRAGER: Und hat auch einen wahnsinnigen Sinn für Garderobe. Also das ist etwas, worüber sie nachdenkt, wie sie wo auftritt. Und zum einen ist das interessant, weil nämlich in dieser Zeit die Sozialdemokratinnen sich generell bemühen, gut angezogen zu sein, um ernst genommen zu werden. Und sie haben ihre Themen, aber sie denken, sie müssen sich halt auf die Spielregeln einlassen insofern, dass sie da als Politikerinnen quasi "g'scheit" angezogen auftreten müssen. Und das wird ihnen vorgeworfen. Das wird ihnen von den christlich-sozialen, teilweise vielleicht auch von den eigenen. In den Zeitungen kann man das nachlesen, in Berichten über diese Versammlungen, wird ihnen vorgeworfen, wie schön sie angezogen sind. Also A, dass sie sich das leisten können und B, irgendwie schaut das nicht so aus, als wären ihre Themen ernst, wenn die so gekleidet sind.
RIEGLER: Schlussendlich lässt sich Adelheid Popp aber dadurch nicht einschüchtern, öffentlich aufzutreten. Besonders aktiv ist sie auch in Bildungsvereinen, gründet einen Lese- und Diskutierklub. Vielleicht gerade deshalb, weil sie selbst erfahren hat, wie es ist, keinen Zugang zu Bildung zu haben.
BRUNNER: Zu Beginn ihrer Karriere wird sie als "Wiener Fabriksmädel" bezeichnet, später aber wird sie als einzige Frau in der österreichischen Delegation zur zweiten Internationalen nach Zürich geschickt. Die Internationale ist ein weltweiter Zusammenschluss sozialistischer und sozialdemokratischer Parteien und Organisationen.
RIEGLER: Die Februarkämpfe 1934, das folgende Verbot der Sozialdemokratischen Arbeiter Partei und der „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich 1938 erlebt sie noch mit. Politisch aktiv kann sie wegen ihrer Krankheit aber nicht mehr sein. Am 7. März 1939 verstirbt sie in Wien.
BRUNNER: Heute erinnern in Wien noch der Adelheid-Popp-Hof in Ottakring, die Adelheid-Popp-Gasse in Donaustadt und der Adelheid-Popp-Park in Hernals an die Politikerin. Außerdem bleiben ihre politischen Errungenschaften: sie hat sich für ein moderneres Eherecht, insbesondere die Zivilehe oder auch für die strikte Trennung von Kirche und Staat eingesetzt.
RIEGLER: Schon in ihrer ersten Gesetzgebungsperiode beantragte sie die Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs im Nationalrat. Mehrere Anträge dazu wurden aber abgewiesen. Ihrer Zeit voraus, hat sie Vorarbeit für die Fristenlösung, die schließlich erst in der zweiten Republik 1975 in Kraft getreten ist, geleistet.
BRUNNER: Ihre damaligen Themen bekräftigte sie mit vielen persönlichen Lebensgeschichten und brachte somit viel Aufruhr und Emotion ins Parlament. Viele ihrer Themen sorgen auch heute noch in abgewandelter Form für hitzige Debatten.
RIEGLER: Wir sind nun am Ende dieser Folge angekommen. Vielen Dank fürs Zuhören! Die nächste Folge erscheint in zwei Wochen.
BRUNNER: Wir hoffen, Sie hören auch da wieder zu. Für Feedback, Anregungen oder Vorschläge für Fragen erreichen Sie uns unter podcast@parlament.gv.at. Bis bald!