Wie funktionieren die EU-Mitwirkungsrechte?
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Österreich ist seit dem 1. Jänner 1995 Teil der Europäischen Union. Bei der Volksabstimmung am 24. Juni 1994 entschieden sich 66 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher für den Beitritt – das war damals unter den anderen Beitrittskandidaten die höchste Zustimmung in der Bevölkerung. Mit dem Beitritt wurden auch gewisse Rechte an die Europäische Union abgetreten.
Christian Buchmann ist Mitglied des Bundesrates, der oft auch als Europakammer bezeichnet wird, und Vorsitzender des Europa-Ausschusses. Er erklärt, welche Möglichkeiten es gibt, um auf europäischer Ebene mitzuwirken. Wichtig ist dabei, die Initiativen der Europäischen Union dahingehend zu überprüfen, inwieweit sie den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit entsprechen.
Reinhold Lopatka ist Bereichssprecher für Europa- und Außenpolitik und seit Oktober 2019 Obmann des Ständigen Unterausschusses des Nationalrats in Angelegenheiten der Europäischen Union. Er berichtet, wie die BundesministerInnen sich am europäischen Gesetzgebungsprozess beteiligen und welche Rolle der Bundeskanzler dabei hat.© Parlamentsdirektion/Satzbau/hoerwinkel
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Katharina BRUNNER: Willkommen liebe Hörerinnen und Hörer bei "Parlament erklärt". Mein Name ist Katharina Brunner. Schön, dass Sie zuhören!
David RIEGLER: Und mein Name ist David Riegler. Herzlich Willkommen auch von meiner Seite! In dieser Folge sprechen wir darüber: Wie funktionieren die EU-Mitwirkungsrechte?
BRUNNER: Das hört sich schon mal komplex an. Warum reden wir genau jetzt darüber, David?
RIEGLER: Dafür gibt’s einen triftigen Grund. Österreich feiert als EU-Mitgliedsland ein Jubiläum. Seit 25 Jahren schon ist Österreich Mitglied bei der Europäischen Union.
BRUNNER: Dann lass uns mal kurz einen Blick in die Vergangenheit werfen, ins Beitrittsjahr 1995 – übrigens auch mein Geburtsjahr.
RIEGLER: Der 1. Jänner 1995 ist der Tag, an dem Österreich Teil der Europäischen Union wird. Zuvor hat im Juni 1994 eine Volksabstimmung stattgefunden. 66 Prozent der österreichischen Bevölkerung haben dafür gestimmt, der EU beizutreten.
BRUNNER: Österreich ist im Rahmen der vierten EU-Erweiterung, auch EFTA-Erweiterung genannt, beigetreten. Die weiteren Kandidaten waren damals Finnland, Schweden und Norwegen. Diese Länder waren alle Mitglieder der EFTA, der European Free Trade Association, daher der Name. In Norwegen hat die Bevölkerung gegen einen Beitritt gestimmt. Darum ist Norwegen auch bis heute nicht Mitglied der EU.
RIEGLER: 66 Prozent für einen EU-Beitritt – das war damals unter den anderen Beitrittskandidaten die höchste Zustimmung in der Bevölkerung. Die Wahlbeteiligung lag bei 82,3 Prozent.
BRUNNER: Schon zwölf Tage nach der Volksabstimmung, am 24. Juni 1994, unterzeichnete der damalige Bundeskanzler Franz Vranitzky den Beitrittsvertrag bei einem EU-Gipfel in Korfu in Griechenland.
RIEGLER: Am 1.1.1995 war die EU also von 12 Mitgliedsstaaten auf 15 gewachsen. Heute sind es – nach dem Austritt Großbritanniens – 27 Länder.
Christian BUCHMANN: Aber wenn man in ein größeres Ganzes eintritt, dann gibt man auch gewisse Rechte an dieses größere Ganze ab.
BRUNNER: Bundesrat Christian Buchmann ist Vorsitzender des Europa-Ausschusses des Bundesrats. Dieser wird oft auch als Europakammer bezeichnet. Genaueres zur Rolle des Bundesrats im Parlament können Sie übrigens in Folge 5 dieses Podcasts nachhören.
BUCHMANN: Wir behandeln Initiativen der Europäischen Union, insbesondere der Europäischen Kommission, diskutieren diese Vorlagen, machen einen Check, inwieweit diese Vorlagen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit entsprechen.
RIEGLER: Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit sind die zwei zentralen Begriffe im Zusammenhang mit der Frage, wie einzelne Nationen in der EU mitwirken. Es sind zwei Prinzipien, anhand derer nationale Parlamente zum Beispiel Gesetzesentwürfe von der EU kommentieren, bewerten oder überprüfen können.
BUCHMANN: Subsidiarität ist einfach eine Handlungsanleitung, eine Handlungsmaxime, die sagt, dass die kleinste Einheit, wenn wir es auf den Menschen herunterbrechen: Was die Familie lösen kann, muss nicht in einer Gemeinde, im Gemeinderat entschieden werden beispielsweise. Oder was eine Gemeinde für sich lösen kann, muss nicht auf Landesebene gelöst werden, und was eine Nation lösen kann durch ihre Maßnahmen, muss nicht gesamteuropäisch gelöst werden.
BRUNNER: Sie ist zusammen mit der Verhältnismäßigkeit in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union als Grundsatz festgehalten. Verhältnismäßigkeit bedeutet, dass die Maßnahmen der EU nicht über die Erreichung der Ziele hinausgehen dürfen. Die Inhalte und die Form der Maßnahmen müssen also im Verhältnis zum verfolgten Ziel stehen.
BUCHMANN: Verhältnismäßigkeit, wie es der Name sagt – ist das angemessen, was in diesem Gesetzesentwurf beispielsweise drinnen steht –, und wir geben dann Stellungnahmen und Mitteilungen ab und haben die Möglichkeit, so in den Gesetzgebungsprozess auf europäischer Ebene die Haltung der österreichischen Bundesländer und damit der Regionen mit einzubringen.
RIEGLER: Wie die entsandten Politikerinnen und Politiker dann auf Europa-Ebene mit den Stellungnahmen umgehen, bestimmt schließlich auch, wie sehr sich nationale Parlamente in der Europapolitik einbringen. Nicht alle EU-Mitgliedsstaaten regeln das gleich. In Deutschland, Frankreich und Großbritannien herrscht zum Beispiel das Recht auf rechtlich unverbindliche Stellungnahmen. In Finnland, Dänemark und Österreich gibt es hingegen das unverbindliche und verbindliche Verhandlungsmandat.
BUCHMANN: Wir haben mehrere Instrumente, die wir einsetzen können. Es gibt die Möglichkeit einer so genannten verbindlichen Stellungnahme, es gibt die Möglichkeit einer Mitteilung. Die Frage ist: Wer ist der Adressat? Ist es die österreichische Bundesregierung? Das können wir tun. Damit, beispielsweise bei verbindlichen Stellungnahmen werden die Regierungsmitglieder dann für ihr Stimmverhalten im europäischen Rat entsprechend motiviert, diese Position einzuhalten. Es können aber durchaus auch direkt Mitteilungen an die Europäische Kommission gehen oder an das Europäische Parlament, wo wir der Meinung sind, dass Fragen der Verhältnismäßigkeit nicht eingehalten werden. Und es gibt ein ganz scharfes Instrument, das der österreichische Bundesrat wiederholt auch eingesetzt hat: so genannte Subsidiaritätsklagen, wo wir der Meinung sind, dass die Subsidiarität nicht geachtet worden ist, und wo dann die Europäische Kommission, wenn es genug nationale Parlamente tun – das kann nicht ein nationales Parlament allein tun – sich damit auch beschäftigen muss, auf diese Fragen eingehen muss und sie erwidern muss.
BRUNNER: Auch der Nationalrat befasst sich mit EU-relevanten Themen. Dafür gibt es einerseits den Hauptausschuss der im Rahmen der Mitwirkungsrechte agiert. Das Recht, Stellungnahmen zu EU-Vorhaben zu geben, überträgt er in vielen Fällen dem ständigen Unterausschuss für Angelegenheiten der EU.
Reinhold LOPATKA: Der Ständige Unterausschuss ist das Gremium, wo die Minister, die ja an der europäischen Gesetzgebung mitwirken, uns berichten über den Verfahrensstand in der europäischen Gesetzgebung, aber nicht nur in der europäischen Gesetzgebung, sondern uns auch davon in Kenntnis setzen, wie gerade im internationalen Bereich die Europäische Union auch Entwicklungen reagiert.
RIEGLER: Reinhold Lopatka ist Bereichssprecher für Europa- und Außenpolitik und seit Oktober 2019 Obmann des Ständigen Unterausschusses des Nationalrats in Angelegenheiten der Europäischen Union. Der Ausschuss des Bundesrats und der des Nationalrats arbeiten sehr ähnlich. Ein Unterschied ist, dass sich die Mitglieder des Nationalratsunterausschusses vor jedem Europäischen Rat mit dem Bundeskanzler absprechen. Das macht der des Bundesrates nicht. Die Mitwirkungsrechte beider Kammern sind aber die gleichen. Auch hier wirken die verbindlichen Stellungnahmen.
LOPATKA: Das Recht bei diesen verbindlichen Stellungnahmen geht tatsächlich soweit, dass der zuständige Bundesminister/die zuständige Bundesministerin hier von dieser Stellungnahme nicht abweichen kann. Will er trotzdem abweichen, muss er neuerlich damit wieder den österreichischen Nationalrat befassen. Sonst darf die Ministerin/der Minister nicht abweichen, von dieser im Ausschuss festgelegten Richtung.
BRUNNER: Zum Beispiel als es darum ging, europaweit eine Staatsanwaltschaft zu errichten oder um die Datenschutzgrundverordnung umzusetzen. Da hat man verbindliche Stellungnahmen eingesetzt.
RIEGLER: Wie in den meisten politischen Prozessen ist auch hier entscheidend, wie einzelne Politikerinnen und Politiker arbeiten und sich informieren.
BUCHMANN: Wir haben ja mit dem Vertrag von Lissabon das Recht, alle Dokumente der Europäischen Union – vertrauliche und weniger vertrauliche – unmittelbar übermittelt zu bekommen. Das geschieht auch. Da liegt es an jedem Mandatar, sich dann auch mit diesen Dokumenten zu befassen. Das ist viel Arbeit, weil das ist manchmal auch viel inhaltliches Papier, mit dem man sich auseinandersetzt. Aber nur wenn man das ernsthaft tut, kann man dann auch sich eine Meinung bilden.
BRUNNER: Christian Buchmann und Reinhold Lopatka kommen beide aus der Steiermark, sind beide schon mehrere Jahre in der Europapolitik tätig. Was bedeuten 25 Jahre EU-Mitgliedschaft für Österreich?
BUCHMANN: Meine Heimatregion ist beispielsweise mittlerweile europäische Unternehmensregion, weil wir zu den innovativsten Regionen in Europa gehören. Und das hat ja alles auch damit zu tun, dass es den Menschen besser geht. Besser geht heißt, wirtschaftlich besser geht, dass sie sich aber auch sicher fühlen, dass sie sich gut aufgehoben fühlen in einem großen Ganzen. Bei aller Kritik, die man immer äußern kann.
LOPATKA: Wichtig ist, dass diese Europäische Union – das ist ja ein ganz junges Gebilde. Ich bin Steirer. Die Steiermark ist 1186 aufgrund eines Vertrages ein Teil von Österreich geworden. Über Jahrhunderte hat sich das entwickelt – das Zusammenspiel. Und trotzdem gib es noch so etwas wie ein Landesbewusstsein, ein steirisches, und auch in den anderen Bundesländern. Die Europäische Union als politische Union gibt es erst seit 1992, also ganz ein junges Gebilde. Wir sind erst am Beginn.
RIEGLER: Damit schließen wir diese Episode von Parlament erklärt. Vielen Dank fürs Zuhören. Bei Fragen, Feedback oder anderen Anliegen, können Sie uns gerne auf podcast@parlament.gv.at erreichen!
BRUNNER: Unsere nächste Folge erscheint in zwei Wochen! Wir hoffen, Sie sind auch da wieder als Zuhörerinnen und Zuhörer dabei. Bis dahin, alles Gute.