Wer war Hildegard Burjan?
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In dieser Folge steht das erste Mal eine Politikerin aus der christlich-sozialen Partei im Fokus: Hildegard Burjan. Sie wurde auch "Das Gewissen des Parlaments" genannt und vertrat die christlichen Arbeiterinnen.
Ingeborg Schödl, Publizisten und Autorin einer Biografie über Hildegard Burjan, berichtet über das Leben von Hildegard Burjan, ihren familiären Hintergrund und über ihren Weg in die Konstituierende Nationalversammlung.
Karin Weiler ist Teil der katholischen Schwesterngemeinschaft Caritas Socialis, die von Burjan nach ihrer Zeit als Abgeordnete gegründet wurde. Welche Werte wichtig waren für Burjan und was das in der damaligen Gesellschaft bedeutete, erzählt Weiler.
Als Leiterin des Caritas Socialis Tageszentrum Rennweg weiß Marianne Buchegger, welche Auswirkungen die Arbeit und das Bestreben von Hildegard Burjan bis heute hat.© Parlamentsdirektion/Satzbau/hoerwinkel
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Katharina BRUNNER: Willkommen bei "Parlament erklärt". Der Podcast, der im Zweiwochentakt einen Blick hinter die Kulissen des österreichischen Parlaments wirft. Mein Name ist Katharina Brunner.
David RIEGLER: Und ich bin David Riegler. In dieser Folge portraitieren wir wieder eine der ersten Frauen im Parlament. Bisher haben wir schon über die Pionierinnen Anna Boschek und Adelheid Popp gesprochen. Die Portraits der beiden sozialdemokratischen Politikerinnen können Sie in Folge 10 und 14 nachhören.
BRUNNER: Heute steht das erste Mal eine Politikerin aus der christlich-sozialen Partei im Fokus: Hildegard Burjan. Sie wurde auch "Das Gewissen des Parlaments" genannt, war eine gläubige Christin und hat die christlichen Arbeiterinnen vertreten. Nur kurze Zeit war sie im Parlament aktive Politikerin, in erster Linie engagierte sie sich in Vereinen und hat zum Beispiel ein Heim für ledige Mütter geschaffen.
RIEGLER: Burjan wird 1883 in Görlitz als Hildegard Freund geboren, ihre Familie ist jüdisch-liberal. Die Grundschule besucht sie in Görlitz, das hat damals zu Preußisch-Schlesien gehört, also zum Deutschen Reich. Der Vater war Kaufmann, wegen seiner Arbeit zieht die Familie öfters um. Zum Beispiel in die Schweiz oder nach Berlin.
BRUNNER: Hildegard Burjans Eltern unterstützten sie in ihrem Vorhaben, zu studieren. In der damaligen Zeit, am Anfang des 20. Jahrhunderts, war es für eine junge Frau nicht üblich, an die Universität zu gehen. Die Vorreiterrolle übernimmt die Schweiz: Hier durften bereits 1840 die ersten Frauen in Vorlesungen zuhören. Tatsächlich einschreiben konnten sich Frauen dort rund 20 Jahre später. Hildegard Burjan selbst beginnt nach ihrer Matura 1903 in Zürich Literatur und Philosophie zu studieren und schließt mit einem Doktortitel ab.
RIEGLER: Mit 24 Jahren heiratet sie den Ungaren Alexander Burjan. Kurz darauf erkrankt sie an einer schweren Nierenkolik und wird in Berlin im Krankenhaus von gläubigen Schwestern gepflegt. Sie ist beeindruckt von deren Hingabe und Glauben. Monatelang bleibt sie im Krankenhaus, und es geht ihr unverändert schlecht.
BRUNNER: Dann, ganz unerwartet geht es ihr besser, das war zu Ostern 1909. Die gläubigen Schwestern und, dass ihre Heilung zu Ostern passiert, sind für Hildegard Burjan wie ein Zeichen, dass sie zum katholischen Glauben konvertieren soll. Noch im selben Jahr tut sie das … als 26-Jährige. Bald darauf zieht sie mit ihrem Ehemann nach Wien.
RIEGLER: Als 27-Jährige bringt Hildegard Burjan eine Tochter zur Welt. Finanziell steht die Familie gut da, ihr Mann ist Industrieller. Anstatt den ärmeren Gesellschaftsgruppen Almosen zu geben, wie das für christlich-bürgerliche Familien üblich war, will Hildegard Burjan die Probleme an der Wurzel packen und politisch aktiv sein. Ihr Leitspruch war: Politisches Engagement gehört zum praktischen Christentum dazu.
BRUNNER: Und so gründet sie den Verein der christlichen Heimarbeiterinnen, der sich für gerechte Entlohnung für Frauen einsetzt. 1919 vertritt sie als erste Frau die christlich soziale Partei im in der Konstituierenden Nationalversammlung.
Ingeborg SCHÖDL: Sie war ja nur sehr kurz im Parlament. Wie ich schon sagte: Sie war rhetorisch brillant, sie hat immer alles mit Zahlen und Fakten belegt und sie hat auch, was in der damals aufgeheizten politischen Situation auch nicht üblich war – sie hat den Kontakt mit den anderen gesucht. Vor allem mit den Frauen. Und das erste Hausgehilfinnengesetz war ja gemeinsam mit einer Sozialdemokratin, und da hat sie dann ja gesagt, das ist das erste Gesetz von Frauen für Frauen. Also das kann man sich ja gar nicht vorstellen heute, wo sie sich eigentlich fast gegenseitig an den Galgen gewünscht hätten, war das ungewöhnlich, dass die Frauen doch zusammengehalten haben, um anderen Frauen zu helfen.
RIEGLER: Ingeborg Schödl ist Publizistin, hat eine Biografie über Hildegard Burjan verfasst und Vorträge über sie gehalten. Mit ihr haben wir über das Leben von Hildegard Burjan gesprochen. Diese hat ihr Leben lang Glaube und politisches Handeln verbunden. Nicht immer hat sie dafür Zustimmung aus der Kirche erfahren. Zum Beispiel hat es Gegenwind vom damaligen Kardinal gegeben, als sie Mutter-Kind-Heime errichten lassen hat, damit ledige Mütter selbstständiger leben können.
SCHÖDL: Die ledigen Mütter, waren ja sehr viele Dienstboten, die da ausgenutzt worden sind. Und wenn sie dann schwanger geworden sind, hat man sie hinausgeschmissen. Es war übrigens auch unter den Dienstbotinnen die höchste Selbstmordrate damals. Und ja wie gesagt: Wenn eine Frau schwanger geworden ist und ledig war, es war nicht der Mann schuld sondern es war die Frau schuld. So war das einfach. Es war die Unmoral "Warum hat sie sich eingelassen?" und so weiter. Und da ist ja die Hildegard Burjan auch wiederum den Weg gegangen, dass man diese Frauen auf eigene Füße stellen musste. Nämlich oft die Familien haben sich ja auch distanziert, weil das alles eine Schande, ein lediges Kind. Die Frauen haben dann dort in dem Mutter-Kind-Heim auch einen Beruf erlernen können, damit sie dann später mit ihrem Kind auch gemeinsam das Leben bewältigen konnten.
BRUNNER: Nach einem Jahr als Nationalratsabgeordnete verlässt sie das Parlament wieder, denn wie will näher an der Gesellschaft sein und eine Gemeinschaft gründen. Und diese Gemeinschaft, die Caritas Socialis, lebt auch heute fast 100 Jahre später noch. Über das, was von Hildegard Burjans Engagement heute noch bleibt, haben wir mit zwei weiteren Frauen gesprochen.
Karin WEILER: Dieses aus dem Glauben geprägte in die Gesellschaft Wirken, das hat mich immer sehr fasziniert. Dass eben Glaube nicht immer bedeutet: „Ich bin in meinem stillen Kämmerlein und bete, sondern, dass das was mit tatkräftigem Wirken in der Gesellschaft zu tun hat.
RIEGLER: Karin Weiler ist Teil der katholischen Schwesterngemeinschaft Caritas Socialis. Die Gemeinschaft ist überschaubar groß: Rund 50 Schwestern gehören ihr an, die meisten leben in Österreich, einige in Deutschland. In Brasilien leben drei, die vor allem junge Mütter und ihre Kinder in Armenvierteln unterstützen.
WEILER: Ich war noch sehr jung, wie ich die Hildegard Burjan kennengelernt habe. Mit 19 hab ich dieses Buch gelesen und ich kann mich noch erinnern, ich hab mir in mein Tagebuch damals geschrieben: "Ja, ja, ja! Das ist es. Und bin dann zwei Jahre später eigetreten. Das ist jetzt dreißig Jahre her.“
BRUNNER: Das Leben der Schwestern gestaltet sich unterschiedlich. Manche wohnen in Gemeinschaften zusammen, andere nicht.
WEILER: Die Hildegard Burjan hat immer gesagt, nicht das viele Zusammensein bestimmt das Gemeinschaftsleben, sondern dass man sich als Gemeinschaft versteht. Also die gemeinsame Haltung und, dass wir gemeinsam etwas in der Gesellschaft bewirken wollen. Und da steht natürlich jede Schwester an einem anderen Platz, stellt sich in die Gesellschaft, und wir versuchen eben dann miteinander zu diskutieren, wie wir, an welchem Ort wir unsere Kräfte einsetzen können. Das Thema Sterben zum Beispiel in den Fokus zu nehmen, das war vor einigen Jahren noch etwas ganz Ungewöhnliches, wie diese ersten Hospizeinrichtungen sich entwickelt haben. Und ja, jetzt ist uns eben das Thema Demenz auch zugewachsen. Dass man sagt: Eigentlich erfahren diese Menschen auch eine Ausgrenzung in unserer Gesellschaft, weil Menschen sich nicht trauen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen oder sich fürchten vor diesem Krankheitsbild.
RIEGLER: Neben der Schwesterngemeinschaft besteht die Caritas Socialis heute auch aus Pflegeeinrichtungen. Was Hildegard Burjan damals mit der Caritas Socialis – kurz gesagt CS – erreichen wollte, wird dort sichtbar: Die Caritas Socialis will dort Menschen, die im Alter durch Krankheit an den Rand der Gesellschaft rücken, eine Gemeinschaft bieten und an ihr teilhaben lassen
Marianne BUCHEGGER: Ganz intensiv braucht es Tageszentren zur Entlastung von pflegenden Angehörigen. Also wenn wir uns dann dem ganzen Thema, Menschen mit Demenz, Menschen mit kognitiven Erkrankungen nähern. Wenn wir uns das anschauen – wo die Zielgruppe durchaus schon ab 60 sein kann, wir haben Tagesgäste, die gerade mal 60 Jahre alt sind und an einer Demenz erkrankt sind. Da braucht's einfach noch viel viel viel mehr Möglichkeiten der Entlastung. Sprich: viel mehr Angebot an Tageszentrumsplätzen für Menschen mit einer Demenz.
BRUNNER: Marianne Buchegger ist die Leiterin des CS Tageszentrum Rennweg im dritten Wiener Gemeindebezirk. Es ist einer von den insgesamt vier Standorten der CS. Alle befinden sich in Wien. Am Rennweg gibt es im Hospiz auch eine Palliativstation.
RIEGLER: 900 Personen arbeiten in den vier Einrichtungen und den mobilen Pflegediensten zusammen. Weitere 300 tun es ehrenamtlich. Darunter finden sich Menschen aus verschiedensten Bereichen: vom Mathematiklehrer bis zum Künstler. Die meisten Tagesgäste kommen zwei bis drei Mal in der Woche ins Tageszentrum. Jeden Tag gibt es andere Aktivitäten.
DANIEL: Der schönste Tag ist für mich der Mittwoch, weil da haben wir zuerst in der Früh Morgengymnastik, dann haben wir Gedächtnistraining. Das ist sehr interessant, also verschiedenen Sachen, die man sich merken muss. Was ich besonders gern hab, ist ein Anagramm, da bekommt man so ein langes Wort und aus den Buchstaben, die drinnen sind, soll man neue Wörter bilden.
BRUNNER: Erzählt Dr. Daniel. Sie hat Psychologie studiert und weiß, wie wichtig es ist, das Gedächtnis zu trainieren. Eine Weile nachdem ihr Mann gestorben ist, hat ihre Tochter sie ermuntert, ins Tageszentrum zu kommen, einfach um wieder mehr unter Menschen zu sein.
DANIEL: Zuerst wollt ich nicht, weil wie gesagt, ich war in tiefster Trauer. Aber dann hat es mir gefallen, weil da sind da ein paar Leute, mit denen man kommunizieren kann, nicht mit allen natürlich. Das ist ein Geriatriezentrum, da gibt’s Leute mit sehr vielen Defiziten, muss ich sagen. Ich auch, ich gehe schlecht, weil ich hab eine verpfuschte Fußoperation.
RIEGLER: Ganz nach Hildegard Burjan, von der in Frau Bucheggers Büro übrigens ein Portrait im Andy Warhol Stil hängt, will das Tageszentrum ein Problem in der Gesellschaft anpacken. Unserer älter werdende Gesellschaft bringt Herausforderungen mit sich: Das Tageszentrum ist ausgelastet, die Nachfrage aber groß.
BRUNNER: Wichtig zu wissen, ist, dass jede Bewohnerin und jeder Bewohner Wiens, die oder der zumindest seit sechs Monaten hier hauptgemeldet ist, im Tageszentrum grundsätzlich gefördert wird. Die jeweilige Pflegestufe ist nicht ausschlaggebend dafür – alle Pflegestufen werden gefördert. Die Stadt Wien unterstützt hier besonders engagiert, sodass ein Tag im Zentrum statt 110 bis 130 Euro, je nach Fahrtkosten, mit Förderung nur 30 bis 50 Euro kostet.
RIEGLER: Was Caritas Socialis aber auch für wichtig ansieht, ist, dass man Gemeinschaft für demente Personen im öffentlichen Raum möglich machen soll. Karin Weiler dazu:
WEILER: Menschen mit Demenz, die wir nicht nur einfach nach der Krankheit beurteilen, sondern wo es uns darum geht, Menschen mit Demenz in unsere Gesellschaft hereinzuholen. Dass wir sie befähigen, teilzunehmen, teilzuhaben an gesellschaftlichen Vorgängen. Zum Beispiel: Wir haben jetzt die demenzfreundlichen Gottesdienste entwickelt, wo wir Pfarrgemeinden aufrufen, Menschen mit Demenz einfach besser zu integrieren. Die fallen oft aus der Pfarrgemeinde auch heraus, weil sie sich nicht mehr kommen trauen oder auch nicht mehr kommen können.
BRUNNER: Und genau für die Gruppen in der Gesellschaft, die in Notlagen sind, hat sich auch Hildegard Burjan eingesetzt. Für ihr Lebenswerk ist sie als einziges Mitglied des österreichischen Parlaments 2011 selig gesprochen worden. Wir schließen diese Folge damit, wie Marianne Buchegger vom CS Rennweg Hildegard Burjan beschreibt:
BUCHEGGER: Sie war eine starke selbstbewusste Frau, die viel angesprochen hat, was nicht im Guten war, die einfach die Not der Zeit erkannt hat gesagt hat: Okay, und da möchte ich was tun.
RIEGLER: Danke fürs Zuhören, und wir hoffen, Sie sind auch bei der nächsten Folge von Parlament erklärt in zwei Wochen wieder mit dabei!
BRUNNER: Falls Sie uns Feedback oder Fragen zukommen lassen wollen, erreichen Sie uns per Mail: podcast@parlament.gv.at. Bis zum nächsten Mal!