Wer war Emmy Freundlich?
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Emmy Freundlich war als eine der ersten Frauen sozialdemokratische Abgeordnete im österreichischen Parlament. Sie war bekannt für ihren Tatendrang und dafür, dass sie sich kein Blatt vor den Mund nahm.
Nach ihrer Heirat im schottischen Gretna Green mit dem Journalisten Leo Freundlich, einem Sozialisten jüdischer Herkunft, zog das frisch verheiratete Paar nach Mährisch-Schönberg. Dort schreibt Emmy Freundlich für die sozialdemokratische Zeitschrift "Volkswacht" und zieht mit ihrem Engagement die Aufmerksamkeit von Karl Renner auf sich.
Roswitha Strommer, ehemalige Lehrerin und Autorin einer Biografie über Emmy Freundlich, erzählt, wie Freundlich nach der Scheidung im Alter von 33 Jahren mit ihren beiden Töchtern nach Wien zieht und für die Konsumgenossenschaften zu arbeiten beginnt. Im Jahr 1917 wird sie Mitglied des Wiener Gemeinderates und zieht schließlich 1919 in die Konstituierende Nationalversammlung ein.
© Parlamentsdirektion/Satzbau/hoerwinkel
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Katharina BRUNNER: Herzlich Willkommen, liebe Hörerinnen und Hörer. Schön, dass Sie zuhören bei einer neuen Folge von "Parlament erklärt". Mein Name ist Katharina Brunner
David RIEGLER: Und ich bin David Riegler. Willkommen bei einem Podcast, der hinter die Kulissen des österreichischen Parlaments blickt. Heute portraitieren wir wieder eine der politischen Pionierinnen im Parlament
BRUNNER: "Wenn man Arbeit hat, ist es überall schön."
RIEGLER: Das ist wohl eines der bekanntesten Zitate von Emmy Freundlich. Es stammt aus einem Brief aus dem Jahr 1939, den sie an ihre sozialdemokratische Parteigenossin Gabriele Proft geschickt hat. Von 1919 bis 1934 ist Emmy Freundlich als eine der ersten Frauen sozialdemokratische Abgeordnete im österreichischen Parlament gewesen. Außerdem hat sie sich in den Konsumgenossenschaften engagiert und war leidenschaftlich Publizistin.
BRUNNER: Sie war bekannt für ihren Tatendrang und dafür, dass sie sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Für unser Portrait haben wir mit Roswitha Strommer gesprochen. Die ehemalige Lehrerin und Autorin hat eine Biografie über Emmy Freundlich verfasst. Bei einer Melange in einem ihrer Lieblingscafés in Wien hat sie uns von der Politikerin erzählt.
Roswitha STROMMER: Ich habe unterrichtet Deutsch und Englisch an einer HTL und hab daneben so Frauenbiografisches ganz gern gemacht, und der Konsum Österreich hat mich insofern interessiert als, als es ein Beispiel ist für Vertrauen zwischen Kunden und Geschäft. Und der Konsum Österreich ist dann zugrunde gegangen eigentlich, und trotzdem haben immer die alten Leute noch von ihm geschwärmt und haben ihm das Vertrauen gehalten. Das hat mich interessiert.
RIEGLER: Geboren wurde Emmy Freundlich 1878 als Emma Körbler in Aussig an der Elbe, das damals zu Böhmen gehörte. Ihr Vater, Adolf Körbler, ist Bürgermeister der Stadt gewesen. Später schreibt Emmy Freundlich in biografischen Publikationen über ihn, dass er ihr Vorbild war.
BRUNNER: Ihre Mutter hingegen beschreibt sie nüchtern als eine – Zitat – "sehr gute, schwache und selbstlose Frau, die gern half und arbeitete". Und, sie schreibt auch dass sie sich wundert, dass sie – Zitat – "neben dieser Frau ein gerader Mensch werden konnte".
STROMMER: Und sie kam dann aus Protest in das sozialistische Fahrwasser. Sie hat einen Sozialisten jüdischer Prägung, jüdischer Herkunft geheiratet, um die Familie zu schockieren, ist nach Gretna Green mit ihm geflohen, hat dort geheiratet, um es krachen zu lassen sozusagen.
RIEGLER: Gretna Green liegt übrigens in Schottland. Sie heiratet dort den Journalisten Leo Freundlich, und mit dieser Heirat im Ausland wurde Emmy Freundlich zum Skandal in ihrer Heimatstadt Aussig. Genau das, was sie erreichen wollte. Über die schnelle Heirat schreibt sie:
BRUNNER: "Ich heiratete den ersten Mann, der bereit war, mit mir aus dieser kleinbürgerlichen Gesellschaft zu entfliehen, einfach weil ich den Weg ins Freie finden musste."
RIEGLER: 1900 zieht das frisch verheiratete Paar nach Mährisch-Schönberg. Emmy Freundlichs Eltern sind mittlerweile gestorben, die restliche Familie wendet sich von ihr ab. Mährisch-Schönberg liegt in der Olmützer Region, rund 250 km östlich von Prag. Dort beteiligt sich das Paar auf verschiedene Weise daran, die Sozialdemokratie zu stärken.
BRUNNER: Emmy Freundlich schreibt einerseits für die sozialdemokratische Zeitung "Volkswacht", die ihr Mann herausgibt. Andererseits ist sie besonders aktiv in der Agitationsarbeit, also im Anwerben von neuen Mitgliedern. Sie veranstaltet dafür Sprach-, Koch- und Nähkurse für die Arbeiterinnen Schönbergs. Auch später als Politikerin fordert sie Frauen vehement auf, andere für die Partei anzuwerben.
RIEGLER: Mit seinem Engagement zieht das Paar die Aufmerksamkeit der sozialdemokratischen Szene in Wien auf sich, vor allem die von Karl Renner. Nach elf Jahren Ehe lässt sich das Paar scheiden, es passiert recht heimlich, warum genau, ist nicht ganz klar. Leo Freundlich schlägt jedenfalls einen anderen Weg abseits der Sozialdemokratie ein, nachdem, sein Herzensprojekt, die "Volkswacht", in finanzielle Schwierigkeiten gerät. Er arbeitet in Wien als Pressesprecher des selbsternannten Königs von Albanien und arbeitet als Vermittler zwischen Albanien und anderen Ländern in Europa.
BRUNNER: Emmy Freundlich, nun 33 Jahre alt, zieht mit ihren zwei Töchtern Hertha und Gertrude nach Wien.
STROMMER: Nach Wien ist sie mit ihren Töchtern gekommen, und das muss man sich vorstellen: vor dem ersten Weltkrieg mit einer zehn- und einer elfjährigen Tochter. Sie war zu diesem Zeitpunkt eine durchaus hübsche Frau, und die Herren um sie waren ja meistens eher konservativ eingestellt, das heißt, eine geschiedene Frau war damals doch ein bisschen, naja! Und sie hat sich von vornherein mit ihrer Art etabliert als Fachfrau für Scheidungsfragen.
RIEGLER: Die Töchter sehen den Vater auch nach der Scheidung noch regelmäßig, was für diese Zeit sehr fortschrittlich war. In Wien angekommen ist Emmy Freundlich euphorisch: Endlich in einer großen Stadt, außerhalb der Provinz, entfaltet sich ihr Tatendrang, der von manchen auch als Fanatismus gesehen wird, noch mehr. Eine Szene erzählt sie später genauer:
BRUNNER: "Eines Tages kam ich ins Parteihaus und traf Genossen Adler. Er erkundigte sich nach meinem Tun und Lassen, dann klopfte er mir auf die Schulter und sagte: ‚Alles sehr schön, aber vergessen Sie nicht, in einem Tag müssen Sie den Sozialismus nicht verwirklichen.‘"
RIEGLER: Neben der Expertise für Scheidungsfragen sind ihr größtes Anliegen die Konsumgenossenschaft gewesen.
STROMMER: Der Gedanke geht auf das England der Biedermeierzeit zurück, wo sich vor allem mittellose Arbeiter zusammengeschlossen haben, um durch gemeinschaftlichen Einkauf billigere Preise zu erzielen. Und sie haben dann an ihre Mitglieder diese Preisvorteile weitergegeben und haben dadurch auch ein Vertrauensverhältnis aufgebaut.
BRUNNER: Konsumgenossenschaften sind in ganz Europa Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden. Es sind wie eine Selbsthilfe der Arbeiterschichten gewesen, und für die, die kleinere Gewerbe führten. Lebensmittelhändler haben nämlich Großeinkäufe preislich bevorzugt, also günstiger verkauft. Die Konsumgenossenschaften haben es tatsächlich wesentlich leichter für Arbeiter und Arbeiterinnen gemacht, sich ihr Leben erhalten zu können.
RIEGLER: Die Pioniere dieses Konzepts sind 28 Weber in Rochdale bei Manchester in England gewesen. 1844 schon haben die Weber den Laden der "Rochdale Society of Equitable Pioneers" eröffnet, wo die Mitglieder der Genossenschaft ihre Waren gekauft haben.
BRUNNER: Die Gegenspieler der Genossenschaften, oder auch Konsumvereine genannt, sind die Greißler gewesen. Dort gab es auch Lebensmittel zu kaufen. Die Konsumvereine haben Propagandafilme produziert, die gegen die Greißler gehetzt haben und sie als Feinde der Arbeiter darstellt haben.
STROMMER: Die gehen zum Greißler, lassen dort ihre Groschen, und der hortet das und kauft sich damit Gewehre und schießt auf die Arbeiter.
RIEGLER: Für Emmy Freundlich ist klar: Die Idee der Konsumgenossenschaften, der Zusammenhalt, muss schon in Kinderjahren vermittelt werden. Ab 1915 arbeitet sie bei dem Arbeiterverein "Kinderfreunde von Niederösterreich" und in der Redaktion der Zeitschrift "Kinderland" mit. 1917 bis 1923 wird sie Sekretärin des Reichsvereines der Kinderfreunde. In ihren Methoden wie in ihrer Rhetorik ist Emmy Freundlich oftmals radikal. Ein Beispiel dafür ist der Konsumkasperl:
STROMMER: Die Kinder wurden aufgebaut, sie wurden eingeladen mit den Müttern zu Kaffeejause, das ist das englische Vorbild gewesen, das Ganze. Und der Kasperl kam und wollte in den Konsum einkaufen gehen, und der Teufel ist gekommen und wollte ihn davon abhalten, und die Kinder sind so mitgegangen, dass sie geschrien haben: "Nein, nein folg ihm nicht! Geh in den Konsum!" Und sie war besonders stolz darauf, das schreibt sie, dass die einander am nächsten Tag am Schulweg noch gemobbt haben: "Was, ihr geht nicht in den Konsum einkaufen? Ja, was tut ihr denn!" Das heißt, Kinder als Konsumenten – das hat sie bereits früh erkannt.
BRUNNER: Gut zu wissen ist, dass Konsumgenossenschaften nicht immer schon ein Instrument der Sozialdemokratie gewesen sind. 1888 gab es in Wien rund 236 Konsumgenossenschaften mit rund 53.000 Mitgliedern. Die meisten davon waren deutsch-national ausgerichtet. Erst als die Arbeitervereine begonnen haben, die Konsumvereine bei ihrer Organisation zu unterstützen, sind die Genossenschaften nach und nach zu einer Säule der sozialdemokratischen Partei geworden. Victor Adler hat sie besonders befürwortet.
RIEGLER: Emmy Freundlich war politisch also vor allem in den Konsumgenossenschaften tätig, ab 1917 war sie Mitglied des Wiener Gemeinderates.
STROMMER: Sie ist Gemeinderätin gewesen und sie wurde dann auch im Krieg Direktorin, zusammen mit Renner, Direktorin des Ernährungsamtes. Nun war die Ernährungslage, wenn man es genauer liest, es gab ja auch viele Ausstellungen zum Ersten Weltkrieg, so furchtbar – noch viel furchtbarer als im Zweiten –, dass man sich fragt, wie man dann, wenn man dort Direktorin war, eigentlich so viel Achtung hatte. Aber es war der höchste für eine Frau mögliche Posten innerhalb der Monarchie, das muss man sich vorstellen.
BRUNNER: 1919 bis 1920 ist sie als eine der ersten weiblichen Abgeordneten Mitglied der Konstituierenden Nationalratsversammlung. Danach ist sie bis 1934 Abgeordnete im Parlament. In dieser Zeit bleibt sie Direktorin des Ministeriums für Approvisionierung, das man später Ernährungsamt nennt.
STROMMER: Ein schreckliches Mundwerk hat sie gehabt, was auch schwierig war, und hat damit sozusagen das Damenhafte und auch das vielleicht damals Populär-Weibliche weggenommen, und wenn sie im Parlament etwa angestänkert wurde von den Herren, die haben extreme Zwischenbemerkungen gemacht: „Jaja reden’s nur, reden’s nur, es wird Ihnen nichts nützen!“ Also die ist sie voll angegangen!
RIEGLER: 1921 wird Emmy Freundlich Präsidentin der Internationalen genossenschaftlichen Frauengilde, auf Englisch: International Cooperative Women’s Guild“. Außerdem ist sie als österreichische Delegierte auf der Weltwirtschaftskonferenz von 1928 und einziges weibliches Mitglied der Wirtschaftssektion des Völkerbundes. Ihr gutes Englisch hat sie sich Großteils selbst beigebracht. Auf nationaler Ebene bleibt sie aktiv als Abgeordnete zum Nationalrat.
BRUNNER: Bis sie 1934 als führende Funktionärin der Sozialdemokratie vom Dollfuß-Schuschnigg Regime verhaftet wird. Denn das Regime verbietet die Sozialdemokratie. Anders als viele ihrer Parteigenossinnen und -genossen bleibt sie aber nicht lange in Haft.
STROMMER: Es heißt, es sei die Internationale Gilde gewesen, die sie frei bekommen hat. Weil die anderen haben alle länger sitzen müssen, und sie war nach ca. sieben Tagen frei – verhältnismäßig kurz.
RIEGLER: 1938 wollen die Nationalsozialisten den Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich demokratisch legitimieren und setzen eine Volksabstimmung darüber an. Emmy Freundlich stimmt bei dieser gegen den Anschluss. 1939 spitzt sich die Lage zu. Für sie selbst und vor allem für die beiden erwachsenen Töchter, die Halbjüdinnen sind – die drei Frauen flüchten nach London.
STROMMER: Und das muss man sich schon sehr arg vorstellen: Sie hat solche Angst gehabt. Sie hat aus Protest geheiratet und hat ihnen damit einen Vater sozusagen geschenkt oder beschert, der sie jetzt irgendwie, so hat sie das Gefühl gehabt, in Schwierigkeiten bringt.
BRUNNER: Die Frauengilde nimmt ihre Präsidentin in London mit einem Arbeitsplatz auf, und dort bleibt Emmy Freundlich auch erstmal mit ihren zwei Töchtern. Zu ihnen hat sie eine sehr enge Beziehung, auch als Hertha und Gertrude Freundlich schon längst erwachsen sind. Ihr ist es wichtig, den Töchtern gute Bildung zu ermöglichen – für eine alleinerziehende Mutter damals eine besondere Herausforderung.
STROMMER: Die jüngere hat Biochemie studiert. Die ältere wurde dann Sekretärin vom Renner und hat, als die Mutter gestorben war, in Amerika eigentlich Karriere gemacht im Botschaftsdienst. Sie soll so hervorragend tüchtig gewesen sein – ich hab noch mit einer Dame gesprochen, die sie gekannt hat. Also sobald die Mutter nicht mehr da war, sind die Mädchen ein bisschen aus dem Schatten getreten.
RIEGLER: In London gründet Emmy Freundlich 1943 das "Austrian Committee for Relief and Reconstruction” mit und ist dort Vorsitzende. Schließlich zieht sie 1947 nach New York in den USA und wird Beobachterin der International Cooperative Women's Guild beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen.
BRUNNER: Ein Jahr später stirbt sie dann mit 69 Jahren in New York City. In Wien bleibt ihr Name sichtbar. Und zwar in Floridsdorf, wo sie ganz zu Beginn, als sie nach Wien gekommen ist, gelebt hat. Dort wurde 2004 eine Straße nach ihr benannt: die Emmi-Freundlich-Gasse.
RIEGLER: Damit sind wir am Ende unseres Portraits angekommen. Schön, dass sie zugehört haben. In eigener Sache haben wir an dieser Stelle noch etwas zu verkünden.
BRUNNER: Und zwar lösen uns zwei wunderbare Kollegen aus dem Journalismus als Moderationsteam ab. Die nächste Folge von "Parlament erklärt" erscheint wie gewohnt in zwei Wochen. Aber moderieren werden ab dann Diana Köhler und Tobias Gassner-Speckmoser.
RIEGLER: Und sie haben uns eine kurze Sprachnachricht über Whats App geschickt, um Hallo zu sagen. Wir spielen sie hier jetzt ein:
Diana KÖHLER: Hallo David! Hallo Kathi! Also, ich freu mich schon sehr auf die nächste Zeit. Der Tobias und ich arbeiten ja schon an unseren ersten Folgen, und ich kann verraten: Es wird spannend! In der ersten Folge geht es nämlich um die berühmt-berüchtigten Ordnungsrufe im Parlament.
Tobias GASSNER-SPECKMOSER: Genau! Kurz gesagt ist das nichts anderes als eine Rüge vom Nationalratspräsidenten an einen Abgeordneten, und was es da schon für skurrile Momente im Parlament gegeben hat, das mag man anfangs gar nicht glauben.
BRUNNER: Klingt super! Wir uns schon, euch bald zu hören. Das heißt, wir verabschieden uns hiermit und übergeben den Podcast, der das Parlament als Zentrum der Demokratie erkundet und erklärt. Danke, dass Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, mit uns bis hierhin dabei waren.
RIEGLER: Fragen, Feedback sowie Wünsche können Sie weiterhin an podcast@parlament.gv.at senden. Machen Sie’s gut, auf Wiedersehen!