Was ist ein Ordnungsruf?
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In dieser Folge beschäftigen wir uns mit dem Ordnungsruf. Diesen spricht der vorsitzführende Nationalratspräsident/die vorsitzführende Nationalratspräsidentin aus, wenn ein/e RednerIn die Würde des Hohen Hauses beziehungsweise einer oder eines Abgeordneten verletzt. Ordnungsrufe ziehen dennoch wenige Konsequenzen nach sich.
Um tiefer in das Thema einzutauchen haben wir mit zwei Personen gesprochen, die sich mit Ordnungsrufen auskennen: Heinz Fischer, Bundespräsident a. D. sowie früherer Nationalratspräsident, und Johannes Jarolim, ehemaliger Justizsprecher der SPÖ und in der vorigen Gesetzgebungsperiode der Abgeordnete, der die meisten Ordnungsrufe erhalten hatte.
© Parlamentsdirektion/Satzbau/hoerwinkel
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Transkription
Wolfgang KATZIAN: "Sehen Sie, und das ist Ihr Problem: Sie spielen hier den Kasperl und fangen an, wenn jemand einen Vorschlag macht (Abg. Loacker: Herr Präsident! "Kasperl"?! – Präsident Kopf gibt das Glockenzeichen), in einer oberflächlichen Art und Weise zu lachen und den anderen hinzustellen, wie wenn er nicht von dieser Welt wäre. Ganz ehrlich diese Überheblichkeit hat sich niemand hier verdient, die lasse ich mir auch von Ihnen nicht gefallen lieber Herr Loacker, ganz offen gesprochen."
Karlheinz KOPF: "Herr Abgeordneter, den Schlusssatz bitte! Die Redezeit Ihrer Fraktion ist erschöpft."
KATZIAN (fortsetzend): "Ich nehme den Kasperl nicht zurück! (Heiterkeit.)"
KOPF: "Dann bekommen Sie von mir einen Ordnungsruf."
KATZIAN: "Danke."
Diana KÖHLER: So schnell kann es gehen und da hat man schon einen Ordnungsruf in der Tasche… Herzlich willkommen zu einer neuen Folge von Parlament erklärt. Mein Name ist Diana Köhler.
Tobias GASSNER-SPECKMOSER: Und ich bin Tobias Gassner-Speckmoser. Wie Sie vorher hören konnten, geht es auch im "Hohen Haus" nicht immer ganz friedlich zu. Wenn die Diskussionen hitziger und die Uhrzeit später wird, rutscht so manchem Abgeordneten schon mal ein "Kasperl" heraus.
KÖHLER: Und wenn dieser Ausruf die Würde des Hohen Hauses beziehungsweise einer oder eines Abgeordneten verletzt, dann folgt meist das hier:
KOPF: Sehr geehrter Herr Abgeordneter, für diesen Zwischenruf erteile ich einen Ordnungsruf!
KÖHLER: Heute geht es um den Ordnungsruf. Es kommt gar nicht so selten vor, dass der Nationalratspräsident die Abgeordneten "zur Ordnung" rufen muss.
GASSNER-SPECKMOSER: Das seltsame ist aber: Ein Ordnungsruf hat erst einmal gar keine Konsequenzen! Wir haben uns gefragt: Warum gibt es diese dann überhaupt, wenn es keine Strafen gibt? Und wie schaut es generell um die Debattenkultur im Parlament aus?
KÖHLER: Um das herauszufinden, haben wir mit zwei Personen gesprochen, die sich damit auskennen müssen: Einer davon ist Heinz Fischer, früherer Bundespräsident und auch ehemaliger Nationalratspräsident. Und unser zweiter Interviewpartner ist Johannes Jarolim, ehemaliger Justizsprecher der SPÖ. Er hat schon einige Ordnungsrufe in seinem Leben bekommen.
GASSNER-SPECKMOSER: Wir haben ihn in seinem Büro besucht. Zurückblickend auf seine politisch aktive Zeit, sieht er das heute aber natürlich alles differenzierter.
Johannes JAROLIM: Es hat auch jeweils sehr damit zusammengehangen, wer jeweils mein Gegenüber war. Die Ordnungsrufe waren relativ oft Reaktionen auf Zwischenrufe von mir.
Martin GRAF: Für die Behauptung in Richtung des Abgeordneten Strache, durch den Herrn Abgeordneten Jarolim in dem er gesagt hat, "sie sind wohl komplett Verblödet" in seinem Zwischenruf, erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf.
JAROLIM: Und sehr oft auch in Zusammenhang mit der Führung des Präsidiums. Also wie der Präsident agiert. Man kann natürlich auch in der Zwischenrede mit Rednern, wenn man der Meinung ist, das etwas hier wirklich völlig an der Sache vorbeigeht, und man sagt etwas und wird etwas heftiger, kann man natürlich auch einen Ordnungsruf riskieren. Wobei ich oft den Eindruck hatte, wenn ich etwas gesagt habe, das automatisch schon etwas risikoreicher war.
GASSNER-SPECKMOSER: Johannes Jarolim war insgesamt ganze 24 Jahre für die SPÖ im Nationalrat tätig, die längste Zeit davon war er Justizsprecher seiner Partei. Er hat also so richtig lange im Nationalrat gesessen. Wir haben recherchiert, und herausgefunden, dass er in der letzten Gesetzgebungsperiode sogar die meisten Ordnungsrufe bekommen hat. Also zwischen 2017 und 2019 ganze 8 Stück! Wir haben ihn gefragt: Wie fühlt sich das eigentlich an?
JAROLIM: Völlig unspektakulär. Das ist halt manchmal, hat man gehofft, dass dadurch die empfundene Ungerechtigkeit oder Unzumutbarkeit besser gesagt, dass die damit mehr oder weniger wieder etwas abgestellt ist und das war auch der Fall. Ich mein wir sind alle Menschen und jeder hat seine Emotionalität in besonderen Situationen. Und auch schützt das eine oder andere inhaltliche Argument oder die eine oder andere Person.
KÖHLER: Und emotional kann es bei so manch einer Debatte schon einmal hergehen. Hier zum Beispiel haben wir einen berühmten Sager der Nationalratsabgeordneten Sigrid Maurer aus dem Jahr 2015 aus dem Archiv ausgegraben.
Sigrid MAURER: "Herr Mitterlehner, ich muss Ihnen ehrlich sagen: Als Abgeordnete kommt man sich da ein bisschen verarscht vor. Sie hätten genügend Zeit gehabt, das in den letzten Jahren auszubessern und tatsächlich daran zu arbeiten. Man sieht an diesen Zielen, dass Ihnen die Wissenschaft wirklich scheißegal ist. (He-Rufe bei Abgeordneten von SPÖ, ÖVP und NEOS.) Sie kümmern sich überhaupt nicht darum …"
Doris BURES: "Frau Abgeordnete Maurer, ich erteile Ihnen dafür einen Ordnungsruf. (Beifall bei Abgeordneten der ÖVP.)"
MAURER (fortsetzend): "Ich nehme ihn entgegen."
GASSNER-SPECKMOSER: Was nun so einen Ordnungsruf nach sich ziehen kann, ist im Geschäftsordnungsgesetz des Nationalrats von 1975 geregelt. Ganz allgemein sind das drei Dinge: Wenn Aussagen getätigt werden, die beleidigend sind, wenn eine Abgeordnete den Anordnungen des Nationalratspräsidenten nicht Folge leistet. Oder wenn jemand gegen die Geheimhaltungspflicht verstößt, also zum Beispiel geheime Details aus einem Untersuchungsausschuss in einer Rede ausplaudert.
KÖHLER: Letzteres ist aber noch nicht vorgekommen. In der Praxis ist das dann aber gar nicht so einfach, sagt auch Heinz Fischer. Er war von 1990 bis 2002 Nationalratspräsident und von 2002 bis 2004 zweiter Nationalratspräsident. Wir haben bei Heinz Fischer angerufen. Oft liege es im Ermessen des Präsidenten selbst, was ein Ordnungsruf zur Folge hat und was nicht.
Heinz FISCHER: Was die Anwendung des Ordnungsrufes betrifft, ist es natürlich so, dass jeder Präsident oder jeder der im Plenum des Nationalrats Vorsitz führt so irgendwie seine eigene Auffassungen hat und seine eigenen persönlichen Maßstäbe hat. Man muss sorgen, dass die Würde des Nationalrats gewahrt bleibt, man muss aber auch sorgen, dass die Redefreiheit, das Rederecht nicht ungebührlich eingeschränkt wird. In diesem Spannungsfeld bewegt sich die Handhabung der Institution des Ordnungsruf im Plenum des Nationalrats.
GASSNER-SPECKMOSER: Was kann also im schlimmsten Fall nach einem Ordnungsruf passieren? Schon oft wurde darüber diskutiert, ein sogenanntes "Ordnungsgeld" einzuführen. Also bei besonders schlimmen verbalen Entgleisungen müsste die Person dann zum Beispiel an eine gemeinnützige Organisation spenden.
KÖHLER: Bis heute, konnte man sich aber nicht auf eine Maßnahme einigen. Johannes Jarolim zum Beispiel, fände ein Ordnungsgeld sogar komplett daneben.
JAROLIM: Ich halte das für absolut unwürdig und ich erwarte mir von jedem Mitglied des Parlaments, dass es auch in Abstimmung mit seiner Klubführung und auch mit dem Präsidium sich einfach so verhält, dass das nach außen hin in der Öffentlichkeit nachvollziehbar ist, das dies der Würde des Parlaments und auch der Rolle der Gesetzgebung einfach entspricht.
KÖHLER: Im schlimmsten Fall, kann der Nationalratspräsident auch jetzt schon dem Redner das Wort entziehen, also quasi das Mikrofon abschalten. Hört er oder sie dann trotzdem nicht auf den Präsidenten, kann er sogar das Rederecht für die ganze Sitzung verlieren. Ist die Diskussion schon wirklich sehr hitzig, kann auch eine sogenannte "Steh-Präsidiale" einberufen werden.
GASSNER-SPECKMOSER: Genau. Bei einer Steh Präsidiale ruft der Nationalratspräsident die Klubobleute aller Parteien zu sich ans Präsidium. Das ist der hohe Tisch, an dem er sitzt. Dort spricht er dann mit ihnen und fordert sie auf, ihre Fraktionsmitglieder "etwas zu mäßigen".
KÖHLER: Oft reicht aber auch schon die bloße Androhung eines Ordnungsrufs durch den Präsidenten, wie etwa hier bei einem recht bekannten Beinahe-Ordnungsruf: FPÖ-Abgeordneter Wolfgang Zanger hatte für Betriebsräte und Gewerkschafter einen äußerst abfälligen Ausdruck verwendet.
Wolfgang SOBOTKA: Herr Abgeordneter Zanger, ich bitte Sie den Ausdruck, den vergleichenden zu Betriebsräten und Gewerkschaftern, zurückzunehmen, den Sie gewählt haben. Sind Sie bereit, den Ausdruck, den sie vergleichend zu Gewerkschaftern und Betriebsräten gewählt haben laut Protokoll, zurückzunehmen? "Was das für Beidl sind" Bitte?
Wolfgang ZANGER: Ich wollte sagen "trink ma lieber a Seidl".
SOBOTKA: Nehmen Sie ihn zurück? Danke.
GASSNER-SPECKMOSER: Wenn man es genau betrachtet, ist der Ordnungsruf eigentlich noch ein Überbleibsel aus der Kaiserzeit! In der Monarchie gab es bereits eine Vorform des heutigen Parlaments, den Reichsrat. Auch in dieser konstitutionellen Monarchie Auch für dieses Parlament gab es schon so etwas, wie eine Geschäftsordnung, in der drinnen stand, wie sich die Parlamentarier zu verhalten haben.
KÖHLER: Und das war zu dieser Zeit auch dringend notwendig, wie Heinz Fischer am Telefon erzählt:
FISCHER: Es gibt eine Beschreibung von Parlamentssitzungen aus dem 19. Jahrhundert, die erstaunlich sind, wie rüde manchmal der Ton war oder Abgeordnete werfen ein Tintenfass auf die Regierungsbank oder man hat mit Ratschen und Klappern manche Reden unhörbar gemacht.
GASSNER-SPECKMOSER: Heute schmeißt niemand mehr mit Tintenfässern herum und auch Ratschen werden eher selten ins Parlament geschmuggelt. Viel mehr steht ein gemeinsames Austauschen und Debattieren im Fokus. Viele einzelne Meinungen sollen, so Fischer, zu einer großen Vielfalt führen, einer Pluralität. Einen Wunsch hat er aber doch:
FISCHER: Ich würde mir wünschen, dass mir jemand beweist, dass der Eindruck falsch ist, den ich jetzt habe, nämlich, dass die Fronten deutlicher werden und die Bereitschaft zu einer Zusammenarbeit zwischen Regierung und Opposition, auch sehr vorsichtig ausgedrückt, nicht gerade im Steigen begriffen ist.
KÖHLER: Das Geheimnis für ein gesundes politisches Klima ist also: Gepflegt streiten, aber sich trotzdem danach noch in die Augen schauen können.
FISCHER: Nach dem schönen Zitat von Karl Popper: Du kannst irren und ich kann Recht haben, ich kann irren und du kannst recht haben, aber gemeinsam werden wir uns der Wahrheit annähern.
KÖHLER: Was für ein schönes Zitat für ein Ende.
GASSNER-SPECKMOSER: Aber bevor wir Sie mit so einem doch eher ernsten Schlusssatz entlassen, wollen wir Ihnen nicht vorenthalten, was Johannes Jarolim noch zum Schluss zu uns gesagt hat. Wir haben den Abgeordneten mit den meisten Ordnungsrufen nämlich abschließend noch folgendes gefragt:
GASSNER-SPECKMOSER: Und haben Sie das auch für sie persönlich etwas mit Humor genommen?
JAROLIM: Ja schon. Manchmal war es wirklich ohne Humor, da war die Empörung im Vordergrund, aber meistens ist es eher schon, … es hat natürlich auch immer eine spielerische Note dabei, nicht?
GASSNER-SPECKMOSER: Und damit, liebe Hörerinnen und Hörer wollen wir es für heute belassen. Ordnungsrufe sind also ein Instrument, das gebraucht wird um ein gutes Diskussionsklima sicherzustellen und gleichzeitig aber auch etwas, das Abgeordnete nicht immer ganz ohne Humor nehmen.
KÖHLER: Wir verabschieden uns für heute und freuen uns, Sie in zwei Wochen wiederzuhören. Dann wollen wir klären, was da eigentlich los war, als vor einem Monat das Budget beschlossen wurde und wie so ein Budgetbeschluss normalerweise ablaufen sollte. Bis dahin schreiben Sie uns unter podcast@parlament.gv.at und wenn er Ihnen gefallen hat, teilen Sie den Podcast mit Freunden. Bis bald.