Wer war Gabriele Proft?
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Vom 14-jährigen Dienstmädchen mit Migrationshintergrund zu einer Pionierin der Politik in Österreich.
In dieser Folge beleuchten wir die ungewöhnliche wie auch beeindruckende Lebensgeschichte von Gabriele Proft und gehen unter anderem den Fragen auf den Grund, was diese besondere Frau mit Ottakring, dem Thema Gender-Budgeting oder aber der Todesstrafe zu tun hat?Gestellt haben wir die Fragen der Historikerin Gabriella Hauch, der ehemaligen Unterrichtsministerin Hilde Hawlicek, sowie den ehemaligen Finanzminister Rudolf Edlinger.
© Parlamentsdirektion/Satzbau/hoerwinkel
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Gabriele PROFT: Ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll, war noch nie so verlegen wie heute! Weil ich das erleben darf, deswegen liebe Genossinnen und Genossen, lasst mich euch von Herzen danken, für alles Schöne, was ich die Jahrzehnte hindurch in der Partei habe erleben können.
Tobias GASSNER-SPECKMOSER: Die Worte haben dieser Frau tatsächlich selten gefehlt. Sie hat den Mund aufgemacht, wo es nur möglich war. Nur hier, an ihrem 90. Geburtstag, ist sie doch sehr gerührt, wie man hören kann. Die Rede ist von Gabriele Proft. Sie war eine der ersten acht Frauen, die 1919 ins Parlament eingezogen sind.
Diana KÖHLER: Hallo zurück bei "Parlament erklärt", schön, dass sie auch heute wieder mit dabei sind. Ich bin Diana Köhler.
GASSNER-SPECKMOSER: Und ich bin Tobias Gassner-Speckmoser. Gabriele Proft ist unsere Nummer 5 in der Reihe "Die ersten 8". Da stellen wir in jeder Folge je eine der ersten "Frau Abgeordneter" vor, wie sie damals im Nationalrat genannt worden sind. Proft ist die einzige der ersten 8 weiblichen Abgeordneten, die sowohl in der Ersten als auch in der Zweiten Republik aktive Politikerin war. Also vor – aber auch nach 1945.
KÖHLER: Gabriele Proft hat Sozialdemokratinnen und -demokraten über die Generationen hinweg geprägt. Schauen wir zurück auf das Leben einer Frau, die sich hochgearbeitet hat: vom Arbeiterkind zum Hausmädchen bis zur Nationalratsabgeordneten.
***** JINGLE *****
GASSNER-SPECKMOSER: Den Lebensweg von Gabriele Proft zeichnet heute die Historikerin Gabriella Hauch, die die Biografie von Gabriele Proft erforscht hat.
KÖHLER: Sie weiß, dass es vielen jungen Frauen damals ähnlich gegangen ist und dass man über sie nicht nur eine Geschichte erzählen kann.
Gabriella HAUCH: Über Gabriele Proft können wir viele verschiedene Geschichten erzählen. Da gibt’s zum einen einmal die Aufstiegsgeschichte des Proletariermädels via sozialdemokratischer Partei hin ins Parlament.
GASSNER-SPECKMOSER: Proft wird am 20. Februar 1879 in Troppau als Gabriele Jirsa geboren. Troppau ist damals in Mähren gelegen, heute heißt es Opava und liegt in Tschechien.
KÖHLER: Ihr Vater ist Schuster und als die Mutter stirbt, muss Gabriele Jirsa mit 14 Jahren die Schule verlassen. Damals gab es zwar schon eine Vorform der Volksschule, die "Übungsschule" und dann eine zweijährige "Zwei Klassen Bürgerschule". Aber wer nicht von zu Hause genug gefördert worden ist, musste eben arbeiten gehen.
GASSNER-SPECKMOSER: Gabriele Jirsa arbeitet als Dienstmädchen, Wäscherin und Näherin. Aber bald zieht es sie weg aus Troppau.
HAUCH: Sie ist aber relativ bald dann nach Wien gegangen und da könnte man die nächste Geschichte über sie erzählen, nämlich die Geschichte einer Migrantin, einer ganz normalen Migrantin Ende des 19. Jahrhunderts innerhalb der Habsburgermonarchie. Also Wien war das Hoffnungsziel von ganz, ganz vielen, vor allem jungen, Mädchen. Sie sind dann meistens, keine Ausbildung, "is eh klar" unter Anführungszeichen, sind im Haushalt gelandet, waren Dienstmädchen, waren Köchinnen, waren also zuständig für die gesamte Reproduktion der bürgerlichen- aber auch kleinbürgerlichen Schichten. Also Hausangestellte zu haben war damals nicht unbedingt ein Kennzeichen von so großem Wohlstand, wie das irgendwie heute oder in den letzten Jahrzehnten geworden ist.
KÖHLER: Gabriele Jirsa wird eine sogenannte "Bettgeherin". Das waren Leute, die es sich nicht leisten konnten, ein ganzes Zimmer zu mieten, und deswegen nur für ein Bett für ein paar Stunden zum Schlafen bezahlt haben.
GASSNER-SPECKMOSER: Keine Privatsphäre, schlechte Hygiene und Konflikte durch die engen Wohnverhältnisse. Das war damals die Lebensrealität von Gabriele Jirsa.
HAUCH: Also sie war entsetzt, das war sie von zu Hause in Mähren nicht gewohnt, dieses Elend. Aber das war eine ganz normale, wenn auch Rebellion und Unmut hervorrufende, Lebenssituation von der großen Masse.
KÖHLER: Von einer Freundin wird Gabriele Jirsa zu einer Veranstaltung der Sozialdemokraten mitgenommen, auf der Franz Schumeier gesprochen hat. Schumeier hat als ganz mitreißender Redner gegolten und auch auf Gabriele Jirsa, macht er großen Eindruck.
HAUCH: Eben dieses "Mädel aus Mähren", war ganz begeistert und ist am selben Abend in einen Arbeiterbildungsverein oder Arbeiterinnenbildungsverein, das war so eine Mischform da in Wien, namens Apollo, eingestiegen. Und das war eigentlich so der Anfang von ihrem politischen Weg kann man sagen.
GASSNER-SPECKMOSER: In diesen Bildungsvereinen wurde nicht nur viel Basis- und Allgemeinwissen an die Menschen vermittelt, die sich eine weitere Schulbildung nicht leisten konnten. Auch Lesen und Schreiben ist dort geübt worden.
KÖHLER: Für Frauen hatten diese Vereine aber auch noch eine ganz andere Funktion.
HAUCH: Aber für die Frauen im Besonderen, waren diese Arbeiterinnenbildungsvereine auch so eine Art Maskierung für ihr politisches Engagement. Weil Frauen war per Geschlecht bis 1918, also bis zur Gründung der Ersten Republik Österreich, explizit politisches Engagement gemeinsam mit Männern oder eben auch alleine, verboten.
GASSNER-SPECKMOSER: Während Gabriele Jirsa beginnt, sich politisch immer mehr zu engagieren, heiratet sie 1899 den Metallarbeiter Karl Proft und bekommt ein Jahr darauf ihre Tochter Minna.
KÖHLER: Schon als Minna zwei Jahre alt ist, wird Gabriele Proft 1902 Kassiererin in der Gewerkschaft der Heimarbeiterinnen in der Sektion Ottakring. Während sie dort arbeitet, wird Gabriele Proft von der Parteispitze als besonderes Talent entdeckt.
GASSNER-SPECKMOSER: Sie kann schon damals besonders gute Reden halten und darf dann in einer Arbeiterschule Kurse besuchen und sich weiterbilden. Das hat dann dazu geführt, dass sie 1908 Angestellte der sozialdemokratischen Frauenorganisation geworden ist, dem Frauenzentralkomitee.
HAUCH: Und damit geht dann ihre Karriere könnte man sagen so steil bergauf, wie auch die sozialdemokratische Frauenbewegung gewachsen ist in dieser Zeit.
KÖHLER: Mit 40 Jahren, im Jahr 1919, wird Gabriele Proft Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung. Leider ist ihre Antrittsrede nicht aufgezeichnet worden. Aber die stenografischen Protokolle gibt es natürlich trotzdem noch.
GASSNER-SPECKMOSER: Sie widmet sich darin dem Thema der Kriegsopferentschädigung. Die haben nämlich die wenigsten Frauen bekommen.
KÖHLER: Und 2019 haben Schauspielerinnen die ersten Reden der ersten Frauen im Parlament noch einmal anlässlich des 100-jährigen Jubiläums vorgetragen. Die Rede von Gabriele Proft hat Petra Morzé gelesen (Sprich: MorZee), hören wir da einmal rein.
Petra MORZÉ: Aber werte Herren und Frauen dieses Hauses, wenn hier über ein Gesetz gesprochen wird, das die Opfer des Krieges behandelt, so muss an dieser Stelle gesagt werden, dass mit den Kräften der Frauen im Krieg ganz genauso Raubbau getrieben worden ist, wie das mit den Kräften der Männer geschehen ist. Daher soll einmal von dieser Stelle aus daran gedacht werden, was den Frauen für das als Entschädigung zuerkannt werden müsste, was sie ihrem Vaterlande zum Opfer gebracht haben!
KÖHLER: Zusammen mit ihrer Genossin Adelheid Popp setzt sie sich außerdem besonders für die Reform des Patriarchalen Familienrechts und einer Ehereform ein. Dieses sieht nämlich den Mann als Oberhaupt der Familie vor, der über viele Lebensbereiche der Frau bestimmen darf.
HAUCH: Gabriele Proft im Parlament, da hat sie anlässlich des 10-Jährigen Jubiläums der Republik Österreich, im Februar 1928 die erste geschlechtsspezifische, frauenspezifische Budgetrede gehalten, wo sie quasi vorgerechnet hat, wie viel zahlen die 52% der weiblichen Bevölkerung Österreichs Steuern, und da geht es vor allem auch um indirekte Steuern, weil das ja oft vergessen wird und wie viel dieser Steuerleistung fließt in das Budget ein und kommt Männern zugute.
GASSNER-SPECKMOSER: Dieses Thema wird auch heute noch viel diskutiert, nur hat es einen anderen Namen: Gender-Budgeting. Also wie viel Geld kommt den verschiedenen Geschlechtern zugute. Spannend, dass das schon damals im Parlament zur Sprache gekommen ist!
KÖHLER: Aber wie erinnert man sich heute an das Erbe von Gabriele Proft? Was ist hängen geblieben bei Menschen, die sie noch gekannt haben?
GASSNER-SPECKMOSER: Hilde Hawlicek ist ehemalige Unterrichtsministerin und 1959 als junge Frau ins Bundesfrauenkomitee der SPÖ gekommen, als Gabriele Proft noch dessen Vorsitzende war. Sie erinnert sich.
Hilde HAWLICEK: Es war ja damals lieb, da haben die Frauen also nicht ausgeschaut wie Revolutionärinnen oder Kämpferinnen. Die Proft war also so eine freundliche, alte Dame mit also so Lockerl. Wie damals eben die Frisuren waren, so Dauerwelle und Lockerl. Aber ihr Lebensweg, ihr Engagement, das ist schon beachtlich.
KÖHLER: Gabriele Proft und ihre Genossinnen haben für viele Reformen, die erst in der Kreisky-Ära durchgesetzt worden sind, den Grundstein gelegt. So wurde die Familienrechtsreform und die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs zwar erst in den 70er Jahren beschlossen. Die Vorarbeit dafür wurde aber schon Anfang des 20. Jahrhunderts geleistet.
GASSNER-SPECKMOSER: Auch ihr Engagement für die Abschaffung der Todesstrafe hat sie bis ins hohe Alter beibehalten. Hilde Hawlicek zitiert aus dem Buch von Erika Weinzierl, die die Geschichte der ersten Sozialdemokratinnen aufgeschrieben hat.
HAWLICEK: Die Dojen des Nationalrats jener Jahre Gabriele Proft ergriff nur noch selten das Wort irgendwann später nach 45. Doch 1950 begründete sie in einer großen Rede die Notwendigkeit der Abschaffung der Todesstrafe um, Zitat, den Menschenrechten wieder zu Ehren und zur Geltung zu verhelfen.
KÖHLER: Auch Rudolf Edlinger, ehemaliger SPÖ-Finanzminister erinnert sich an Gabriele Proft aus seiner Zeit als Jungfunktionär.
Rudolf EDLINGER: Im 9. Bezirk ist sie immer wieder aufgetaucht, und als ich sie kennengelernt habe, habe ich mir zunächst einmal gedacht, wenn man die Geschichte dieser Frau Revue passieren lässt, dann hat sie nicht nur unglaublichen Mut besessen, sie hatte Grundsätze, die mir als Jungfunktionär unglaublich gefallen haben: Friedenspolitik, Emanzipation, ein Thema, das damals noch überhaupt nicht aktuell war. Und sie hat das immer mit einer sympathischen Vehemenz vertreten und unglaublich gerne mit jungen Menschen gesprochen und diskutiert.
GASSNER-SPECKMOSER: Gerade der Umgang mit den jungen Leuten in der Partei hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
EDLINGER: Gelebt hat sie erst in dem Augenblick, wo sie gesprochen hat. Da ist sie aus sich herausgegangen, dann hat man ihr zugehört. Es ist ja gar nicht so einfach, dass 20-Jährige einer 80-Jährigen zuhören. Ich meine, ich bin heute 80, aber ich weiß nicht, ob mir oft sehr viele 20-Jährige zuhören. Aber das ist anders natürlich auch geworden. Aber wenn dann so eine großartige Frau wie die Frau Proft mit 19-, 20-Jährigen redet und einem das Gefühl gibt, sie akzeptiert einen als voll erwachsenen Menschen, dann tut das einem Jugendlichen ja auch gut, das muss man ja dazusagen. Das hat sie meisterhaft beherrscht. Ich glaube gar nicht, dass das eingelernt war, das war sie ganz einfach. Und das hat sehr viele Junge von ihr eingenommen, das muss man schon sagen.
KÖHLER: Gabriele Proft hatte ein bewegtes Leben hinter sich. Sie war geschieden, hat in einer unverheirateten Partnerschaft gelebt, sich schon früh für die Rechte von Frauen eingesetzt, war in politischer Gefangenschaft und sogar im Konzentrationslager. Sie hat ihr Wissen auch an die folgenden Generationen weitergegeben und ist bis ins hohe Alter politisch aktiv geblieben.
GASSNER-SPECKMOSER: Was aber, kann man heute noch von Gabriele Proft lernen?
EDLINGER: Dass manche Entwicklungen unglaublich lange dauern. Bleiben wir doch bei dem Thema des Schwangerschaftsabbruchs. Jeder hat zwar gewusst, dass eigentlich nur arme Frauen vor dem Richter gestanden sind, weil die Reichen konnten sich das leider Gottes ja richten. Trotzdem hat die Gabriele Proft das wahrscheinlich ewig gesagt, schon in den ersten Jahren des vergangenen Jahrhunderts und trotzdem hat das bis 1973 gedauert, bis das real geworden ist.
KÖHLER: Und damit hat Rudi Edlinger das Schlusswort für die heutige Sendung gegeben.
GASSNER-SPECKMOSER: Wir hoffen, dass wir Ihnen einen guten Einblick geben konnten. Sowohl in das Leben einer jungen Frau aus der Arbeiterklasse des 19. und 20. Jahrhunderts, als auch in das Leben dieser ganz besondere Frau, Gabriele Proft.
KÖHLER: Haben Sie Anregungen oder Feedback für uns? Dann schreiben Sie uns doch unter podcast@parlament.gv.at. Bis in zwei Wochen!
GASSNER-SPECKMOSER: Tschüss!