Verschwörungstheorien & Co: Was tun gegen Antisemitismus?
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Über die Entwicklung von Antisemitismus in Österreich, welche Rolle Verschwörungstheorien dabei spielen könnten und wie am besten gegen eine Ausbreitung von Antisemitismus in der Gesellschaft vorgegangen werden kann, darüber sprechen wir in dieser Podcastfolge mit Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka.
Im Jahr 2018 gab Sobotka für das Parlament eine Studie zu Antisemitismus in Österreich in Auftrag. Diese wird jetzt wiederholt, um die Ergebnisse vergleichen zu können.
"Jüdisches Leben, jüdische Leistungen müssen wieder sichtbarer gemacht werden", so Sobotka im Gespräch.© Parlamentsdirektion/Satzbau/hoerwinkel
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Wolfgang SOBOTKA: Ich glaube das muss man wieder sehr deutlich ins Blickfeld rücken, denn Antisemitismus zu bekämpfen, muss auch dahingehend intensiviert werden, dass wir jüdisches Leben, jüdische Leistungen sichtbarer machen.
Tobias GASSNER-SPECKMOSER: Seit Jahrhunderten schon werden Juden für Verbrechen, Seuchen und viel Schlechtes verantwortlich gemacht. Diese falschen Zuschreibungen haben zu viel Leid und letztlich zum größten Verbrechen der Menschheit geführt, der Shoah. In dieser haben die Nationalsozialisten in einem beispiellosen Akt der systematischen Vernichtung rund sechs Millionen europäische Jüdinnen und Juden ermordet.
Diana KÖHLER: Seit Jahrzehnten geschieht die Aufarbeitung dieses unglaublichen Verbrechens und – spät aber doch – der Beteiligung vieler Österreicher und Österreicherinnen daran. Und so verwundert es irgendwie, dass es Antisemitismus in unserem Land noch immer gibt. Auch und gerade jetzt in der Corona-Pandemie. Willkommen zu einer speziellen Folge von Parlament erklärt. Ich bin Diana Köhler.
GASSNER-SPECKMOSER: Und ich bin Tobias Gassner-Speckmoser. Heute, der Tag an dem dieser Podcast online geht, ist Jom Kippur, das jüdische Versöhnungsfest, und damit der höchste jüdische Feiertag. Wir wollen uns zu diesem Anlass einem ernsten Thema widmen: Dem zunehmenden Antisemitismus in Österreich.
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KÖHLER: Vor allem im Internet kursieren unglaublich viele Verschwörungstheorien, darunter auch solche mit antisemitischen Inhalt. Juden hätten Corona im Labor entwickelt, um dann mit einer Impfung Geld zu verdienen oder sogar um die Weltbevölkerung zu dezimieren. Das sind in Wirklichkeit alte antisemitische Stereotype im neuen Gewand.
GASSNER-SPECKMOSER: Wir haben für dieser Folge von "Parlament erklärt" mit Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka gesprochen. Er hat schon 2018 für das Parlament eine Studie zu Antisemitismus in Österreich in Auftrag gegeben.
KÖHLER: Die wichtigsten Ergebnisse kurz zusammengefasst – bei rund einem Zehntel der Befragten hat sich manifester Antisemitismus gezeigt. Das äußert sich zum Beispiel so, dass der Aussage zugestimmt wird, "von einem Juden kann man nicht erwarten, dass er anständig ist" oder dass sogar die Shoah geleugnet wird.
GASSNER-SPECKMOSER: Die Studie hat aber auch gezeigt, dass latenter Antisemitismus zumindest bei rund einem Drittel der Befragten vorhanden ist. Diese Form zeigt sich in Stereotypen, wenn zum Beispiel der Aussage zugestimmt wird, "die Juden würden die internationale Geschäftswelt beherrschen".
KÖHLER: Aber auch ein positives Ergebnis hat die Untersuchung gebracht. Im Vergleich mit Antisemitismus-Studien vergangener Jahrzehnte hat sich gezeigt, dass antisemitische Einstellungen rückläufig sind.
GASSNER-SPECKMOSER: Um die Entwicklung weiterzuverfolgen und die Ergebnisse vergleichen zu können, wird die Studie jetzt wiederholt.
KÖHLER: Wir haben nachgefragt, warum das gerade jetzt wichtig ist, und was gegen Antisemitismus, nicht nur im Internet, getan werden muss.
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GASSNER-SPECKMOSER: Warum ist Antisemitismus gerade jetzt wieder ein aktuelles Thema?
SOBOTKA: Weil gerade der Hass im Internet, auch der Judenhass im Internet, wirklich dramatische Werte erreicht. Und es ist, glaube ich, notwendig, dieses Thema immer wieder auf die Agenda zu setzen, damit wir auch eine, nicht nur eine Haltung so quasi unter Beweis stellen, sondern dass wir eine Sensibilisierung bei den weitesten Kreisen der Bevölkerung erreichen, hier nicht mitzumachen, hier nicht den Verschwörungstheorien, die jetzt gerade im Zuge von Corona immer wieder geäußert werden und die eindeutig antisemitischen Inhalts sind, wo man sagt, die Juden haben Corona nur erfunden, damit sie eine Impfung machen können, damit sie Geld verdienen. Also eine krude Verschwörungstheorie, die wir in den Strukturen natürlich schon von früher kennen.
KÖHLER: Welche Schlüsse hat man aus der Studie von 2018 gezogen, wie kann Antisemitismus bekämpft werden?
SOBOTKA: Das Parlament hat mit seiner Untersuchung 2018 gezeigt, dass wir in Österreich einen manifesten Antisemitismus in der Höhe von 10% und einen latenten von 30% haben. Wir werden im heurigen Jahr das wieder machen, um zu sehen, was hat sich verändert und was hat sich verbessert. Aber was sich damals schon gezeigt hat gegenüber früheren Untersuchungen, dass gebildete Leute, junge Leute, weniger antisemitisch sind wie eben nicht-gebildete und ältere Personen. Das ist eine Facette: Bildung. Das Zweite ist, wir brauchen, wenn die Zeitzeugen jetzt nicht mehr für uns verfügbar sind, aufgrund des Alters, braucht es eine neue Erinnerungskultur. Das gehört zu unserer historischen Aufgabe dazu, das auch dementsprechend zu unterstützen. Es muss jüdisches Leben wieder sichtbarer werden. Für uns geht es auch darum, solche Dinge sichtbar zu machen, aber genauso, und darum unterstützen wir das auch. Likrat hat hier, die jüdische Jugend eigentlich, ein Projekt ins Leben gerufen, wo sie in Schulen gehen und über ihre Religion, über ihre Gebräuche, über ihre Sitten reden. All das dient dazu eigentlich, jüdisches Leben, jüdischen Glauben zu entmystifizieren, dass da irgendwas an Verschwörungstheorien dahinter stecken würde. Ich glaube, das ist notwendig, das auch allen zu vermitteln.
GASSNER-SPECKMOSER: Ganz grob gesprochen: Wie antisemitisch ist Österreich?
SOBOTKA: Na ja, es ist an sich, verglichen zu Europa, kein Ausreißer, eher sogar etwas ruhiger wie in anderen Ländern. Aber wir brauchen nicht immer im Vergleich zu anderen Ländern uns zu sonnen und zu sagen: Alles kein Problem. Oh ja! Die jüngsten Fälle in Graz, die Schmierereien, Hass im Internet zeigen das immer wieder, und es ist einfach zu spät, wenn wir dann erst reagieren, wenn es schon zu Ausschreitungen oder zu Gewaltakten kommt. Wir müssen natürlich auch danach trachten, dass wir aus der Erkenntnis heraus natürlich wissen, dass Antisemitismus nie ausrottbar ist. Das ist offenbar ein Faktum seit Tausenden von Jahren. Dieser Antisemitismus, der also über Jahre und Jahrzehnte mittransportiert wird, sollte sich aber nur so zeigen, dass er wirklich wie ein Bodensatz sich bewegt, und dass er nicht animiert wird, sich wieder auszubreiten.
KÖHLER: Liebe Hörerinnen und Hörer, das war unsere Folge zum leider aktuellen Thema Antisemitismus. Zusammengefasst gibt es also noch viel zu tun. Der Antisemitismus in Österreich nimmt zu. Durch die Krise entstandene Verschwörungstheorien aus dem Internet kippen noch zusätzlich Öl ins Feuer.
GASSNER-SPECKMOSER: Einen Lichtblick scheint es allerdings zu geben: Bildung! Diejenigen, die bei der Antisemitismus-Studie des Parlaments nämlich höher gebildet waren, waren auch weniger antisemitisch.
KÖHLER: Das hat das Parlament dazu bewogen, im vergangenen Jahr eine Workshopreihe für Jugendliche ins Leben zu rufen. Unter dem Titel "Bildung gegen Vorurteile" sollen Schüler und Lehrlinge lernen, ihre eigenen Einstellungen zu hinterfragen.
GASSNER-SPECKMOSER: Anhand konkreter Beispiele aus der Zeit des Nationalsozialismus erfahren sie dabei, wie gewöhnliche Menschen zu Tätern, Mitläufern oder Rettern geworden sind. Weiterbildung ist aber nicht nur für Jugendliche sinnvoll. Das, was jeder und jede Einzelne von uns tun kann, ist, sich selbst in diesem Bereich zu informieren, seine Einstellung zu hinterfragen, und wenn es darauf ankommt, auch anderen davon zu erzählen.
KÖHLER: Die vollständige Studie finden Sie unter antisemitismus2018.at, Informationen zu den Workshops für Jugendliche unter demokratie-in-bewegung.at.
GASSNER-SPECKMOSER: Und wie immer: Falls sie Fragen, Anmerkungen oder Ideen haben, schicken Sie uns ihr Feedback an podcast@parlament.gv.at. Wir hören uns jedenfalls in zwei Wochen wieder. Bis dahin, alles Gute!
KÖHLER: Tschüss!GASSNER-SPECKMOSER: Ciao!