Wie können sich BürgerInnen beteiligen?
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In Folge 3 unseres Podcasts "Parlament erklärt" sehen wir uns alles rund ums Thema Partizipation und Beteiligung der BürgerInnen genau an. Dazu haben wir mit Politikwissenschafter Jeremias Stadlmaier gesprochen. Er erklärt, warum Partizipation – also Beteiligung – für eine Demokratie wichtig ist und stellt sich dabei auf den Standpunkt, dass mehr Beteiligung immer gut sei.
Barbara Blümel von der Parlamentsdirektion unterstützt den Ausschuss für Bürgerinitiativen und Petitionen mit ihrer Arbeit als Ausschussbetreuerin. Sie erklärt, wie diese Beteiligungsinstrumente funktionieren und was dabei zu beachten ist, plaudert aber auch aus dem Nähkästchen und lässt die ZuhörerInnen an ihrer langjährigen Erfahrung teilhaben.
Nicht fehlen darf in dieser Folge natürlich ein kleiner historischer Rückblick auf bedeutende Volksbegehren der Vergangenheit.
© Parlamentsdirektion/Satzbau/hoerwinkel
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Jeremias Stadlmair: Was macht eine gute Demokratie aus? Mehr Beteiligung ist immer gut.
Katharina Brunner: Herzlich willkommen bei “Parlament erklärt“. Schön, dass Sie zuhören. Mein Name ist Katharina Brunner.
David Riegler: Und ich bin David Riegler. Es geht bei uns wie immer um die Vorgänge im Parlament. Heute geht es aber besonders auch um uns alle.
Brunner: Wie können wir Bürgerinnen und Bürger uns im Parlamentarismus Gehör verschaffen?***** Musik *****
Riegler: Zu Beginn haben Sie Jeremias Stadlmair gehört. Er arbeitet als Politologe an der Uni Wien und ist spezialisiert auf das politische System in Österreich. Er forscht und lehrt zu politischer Partizipation, also Beteiligung.
Stadlmair: Wir brauchen Partizipation einmal grundsätzlich, damit verschiedene Einstellungen Gehör finden können, damit wir informierte Entscheidungen treffen können, damit wir wissen was steht überhaupt zur Debatte, braucht‘s Menschen die diese Anliegen etwa auch mittels Volksbegehren oder Petition artikulieren. Letztendlich gibt’s ohne Partizipation kein funktionierendes demokratisches System.
Brunner: Wir können auf verschiedene Weise mitbestimmen. Erstens sind Wahlen ein wesentlicher Teil von Bürgerbeteiligung.
Stadlmaier: Beim Wählen geht‘s sehr konkret um die Repräsentation politischer Präferenzen. Also auch der Versuch, die Richtung, in der sich Politik allgemein bewegt, zu beeinflussen. Allerdings geht es auch stark um den Legitimationseffekt, dass politische EntscheidungsträgerInnen erst dann zu EntscheidungsträgerInnen werden, wenn sie ein entsprechendes Mandat erlangt haben, erhalten haben.
Riegler: Zweitens sind direkte Beteiligungen, wie Volksbegehren, parlamentarische Petitionen und Bürgerinitiativen ein wichtiger Teil. Hier geht es darum, dass Bürger direkt sagen, was sie wollen oder nicht wollen.
Brunner: Und wie wir Bürger das machen können - das schauen wir uns genau an. Dafür sprechen wir mit der Person in der Parlamentsdirektion, die man für alle Fragen zu parlamentarische Bürgerinitiativen oder Petitionen ansprechen kann: Ihr Name ist Barbara Blümel und sie betreut den Ausschuss für Bürgerinitiativen und Petitionen im Parlament.
Barbara Blümel: Dieses Prozedere des Miteinanderredens, des Verhandelns beginnt schon da. Das ist nichts, was dann erst die im Parlament die da oben machen, sondern das ist was, was wir täglich tun und das ist auch etwas, das ganz wichtig für unsere Demokratie und den Parlamentarismus.
Riegler: Man unterscheidet zwischen der parlamentarischen Bürgerinitiative und der parlamentarischen Petition. Schauen wir uns zuerst an, was eine parlamentarische Petition ist.
Brunner: Die Nationalratsabgeordneten oder die Mitglieder des Bundesrates reichen Petitionen im Parlament ein. Dabei stützen sie sich oft auf Themen, mit denen Menschen in Sprechstunden an sie herantreten.
Blümel: Die stehen für Dinge ein, die sie auch wirklich vertreten können. Da muss ich dann schon als Bürger, Bürgerin im Zusammenspiel mit dem Abgeordneten und der Abgeordnete oder die Abgeordnete im Zusammenspiel mit den BürgerInnen eine Art von Kompromiss finden.
Riegler: Bei einer parlamentarischen Bürgerinitiative hingegen brauche ich keinen Abgeordneten, damit es als Thema im Parlament behandelt wird. Mindestens 500 Wahlberechtigte müssen die Initiative unterstützen. Die Hürde ist in Österreich im internationalen Vergleich damit sehr niedrig.
Blümel: Die Direktion überprüft dann in dem Fall, ob diese Petition, diese Bürgerinitiative erstens Bundesangelegenheiten betrifft und zweitens bei der Bürgerinitiative ganz speziell ob die formalen Kriterien erfüllt sind. Weil die Unterschriftenlisten laut gesetzlicher Grundlage relativ viele Daten enthalten müssen: nämlich Name, Vorname, Wohnadresse, Geburtsdatum, Datum der Unterschrift und Unterschrift und all dies eigenhändig. Und wenn bei Einträgen das fehlt, dann gilt diese Unterschrift nicht.
Brunner: Nachdem ich als Bürger etwas eingebracht habe und die Parlamentsdirektion geprüft hat, ob es formal korrekt ist – wie geht es dann weiter? Was passiert mit meinem Anliegen?
Riegler: Es gibt dafür einen eigenen Ausschuss – den Ausschuss für Petitionen und Bürgerinitiativen. Er tagt vier bis sechs Mal im Jahr. Der Präsident des Nationalrats weist Bürgerinitiativen und Petitionen dem entsprechenden Ausschuss zu, damit sind sie dann sicher auf der nächsten Tagesordnung.
Blümel: Und die Mitglieder des Petitionsausschusses entscheiden dann, was mit dieser Petition gemacht werden soll. Zumeist ist es so, dass sie Stellungnahmen einholen. Und zwar von öffentlichen Institutionen wie Ministerien aber auch von Kammern wie Wirtschaftskammer, Arbeiterkammer oder anderen Sozialpartnern, Gewerkschaftsbund, Industriellenvereinigung, Landwirtschaftskammer wenn sie betroffen sind. Auch von Institutionen, die so im halbstaatlichen Bereich arbeiten, wie man landläufig sagt, wie Asfinag, ÖBB. Und in der letzten Gesetzgebungsperiode auch zunehmend von NGOs – Nichtregierungsorganisationen heißt das auf Deutsch – wie Vier Pfoten, Bizeps, Amnesty International. Zur Stellungnahme verpflichtet sind die Ministerien.
Brunner: Dieser Vorgang beruht auf einem sehr alten Recht aus dem Jahr 1867: Dem Petitionsrecht. Das spricht uns Bürgern zu, dass wir uns mit jedem Thema an die öffentliche Verwaltung richten dürfen und, dass es nicht ignoriert werden darf.
Riegler: Aber auch schon vor den Prozessen im Parlament kann man seine Meinung einbringen. Seit Herbst 2017 im erweiterten Begutachtungsverfahren. Hier kann man auch als Einzelperson selbst Stellungnahmen zu Gesetzesentwürfen der Ministerien verfassen oder welchen zustimmen. Das geht online auf der Website des Parlaments oder per Mail.
Brunner: Auch bei den klassischen Optionen für Mitbestimmung hilft das Internet: Bürgerinitiativen und Petitionen kann man nämlich leicht über die Website des Parlaments unterstützen, solange sie der Ausschuss für Petitionen und Bürgerinitiativen behandelt. Das dient aber rein zur Information für Abgeordnete – so wissen sie, wie groß der Zuspruch ist.
Riegler: Das kann man ja beim Volksbegehren auch, oder? Brunner: Genau, das haben wir uns aufgehoben. Im Gegensatz zu den anderen Formen muss es nämlich ab einer gewissen Anzahl an Unterstützern im Parlament vorrangig diskutiert werden.
Riegler: Vor dem wirklichen Start des Volksbegehrens muss mindestens ein Tausendstel der österreichischen Einwohner Unterstützungserklärungen abgeben. Das sind derzeit 8.401 Unterstützungen.
Brunner: Mit Handy-Signatur oder Bürgerkarte geht das natürlich viel schneller als wenn jeder zum Gemeindeamt unterschreiben gehen muss – wie es früher war, vor 2018.
Riegler: Beim Volksbegehren „Don’t Smoke“ und beim Frauenvolksbegehren aus dem Jahr 2018, hat man gemerkt, wie viel schneller die ersten 8 401 Unterstützer mit Hilfe der Online-Unterstützungsmöglichkeit erreicht waren. Beim aktuellen Klimavolksbegehren wurden die 8.401 sogar innerhalb von 24 Stunden erreicht. Ist diese Hürde überwunden, wird das Volksbegehren eingeleitet.
Brunner: Das Innenministerium gibt dann eine Eintragungswoche für das Volksbegehren bekannt. Mindestens acht Wochen müssen nach Bekanntgabe vergehen, bis diese beginnt: Sie dauert acht Tage und in dieser Zeit müssen mindestens 100.000 Unterschriften gesammelt werden, damit das Volksbegehren schlussendlich im Parlament diskutiert wird. Die 8.401 Unterschriften aus der Unterstützungsphase zählen dabei mit.
Blümel: Da brauch ich aber 100.000 Unterschriften, dass es ins Parlament kommt – hat natürlich dann auch eine andere Gewichtung im Parlament – wird dort im Verfassungsausschuss immer besprochen und hat auch andere Fristenläufe. Die Volksbegehren müssen schneller behandelt werden als parlamentarische Bürgerinitiativen.
Riegler: Sie werden also ähnlich wie Gesetzesentwürfe behandelt. In den Fachausschüssen können die Initiatoren dabei sein und meistens werden auch Experten hinzugezogen.
Brunner: Dass ein Volksbegehren 100.000 Unterstützer haben muss, steht übrigens in der Bundesverfassung festgeschrieben. Um das zu ändern bräuchte man also eine Zweidrittel-Mehrheit im Nationalrat. Riegler: Auch Volksabstimmungen sind wie ein Volksbegehren Mittel der direkten Demokratie. Allerdings gehen sie von der Regierung bzw. dem National- oder Bundesrat aus, indem sie das Volk zu Gesetzesänderungen abstimmen lassen. Ein Volksbegehren hingegen wird von den Bürgerinnen und Bürgern an das Parlament herangetragen.
Brunner: Ein kurzer Rückblick: Das erste Volksbegehren überhaupt war das Rundfunkvolksbegehren aus dem Jahr 1964. Damals forderte die österreichische Presse ein Gesetz, das die Politik aus dem Rundfunk heraushält.
Riegler: Die meisten Unterschriften – nämlich 1,3 Millionen – erreichte bisher das Volksbegehren für ein Konferenzzentrum-Einsparungsgesetz aus dem Jahr 1982. Es richtete sich gegen den Großbau, der heute als „Austria Center Vienna“ bekannt ist.
Brunner: Mit 1,2 Millionen Unterschriften ist das Gentechnik-Volksbegehren aus dem Jahr 1997 das zweitstärkste. Es forderte zum Beispiel, dass keine gentechnisch veränderten Lebensmittel in Österreich verkauft werden dürfen.
Riegler: Was alle Möglichkeiten der Beteiligung gemeinsam haben: man braucht Verbündete, viele Menschen, die hinter einer Sache stehen – wenn auch nicht zu 100 Prozent.
Blümel: Weil, selbst wenn wir politisch der gleichen Meinung sind, oder inhaltlich der gleichen Meinung sind, werden wir in einem speziellen Thema immer in Nuancen ein bisserl eine andere Meinung haben. Trotzdem können wir uns dann miteinander hinstellen und sagen, „wir wären aber dafür, dass …“. Da haben wir ja schon eine Art gemeinsamen Nenner gefunden im ersten Moment.
Brunner: Frau Barbara Blümel arbeitet schon seit rund 15 Jahren für den Ausschuss für Petitionen und Bürgerinitiativen. Wo man von vielen Seiten von Politikverdrossenheit und Desinteresse unter den Bürgern hört, sieht sie in ihrem Job bei vielen Themen etwas anderes.
Blümel: Dann waren auf einmal alle Argumente am Tisch. Und das ist ja das, wie Bürgerbeteiligung im Idealfall funktionieren soll. Ob unsere politischen Vertreter dann daraus etwas machen und wie dann gegebenenfalls eine gesetzliche Regelung oder Änderung ausschauen kann ist dann wieder ein neuer Prozess.
Riegler: Trotzdem hört Sie, wenn sie mit Bürgern spricht, oft Ernüchterung, ja sogar Frust heraus aber,
Blümel: Vielleicht findet sich dann ein Aspekt dieses Anliegens in irgendeinem anderen Antrag. Das macht es natürlich schwierig zu sagen: Ich hab‘ hier die Aktion und da die Reaktion, ich hab‘ hier die Bürgerinitiative und da den Gesetzesentwurf. Das funktioniert nicht so direkt. das funktioniert alles auf Umwegen. Und das den Leuten zu vermitteln, seh‘ ich auch als meine Aufgabe, weil Demokratie und Parlamentarismus eben so nicht funktionieren, dass es da einen geraden Weg gibt. Es gibt immer nur die Feldwege.
Brunner: Tja, also ich geh‘ auch lieber auf kurvigen Feldwegen durchs Leben, als auf gerader Linie.
Riegler: Uns hat der Weg jedenfalls ans Ende dieser Folge geführt. Brunner: Und wir sind auch eindeutig für etwas: nämlich für Ihre Beteiligung, liebe Hörerinnen und Hörer.
Riegler: Wenn Sie also selbst Fragen für unsere nächste Folge haben oder uns mitteilen wollen, was sie von diesem Podcast halten, dann schreiben uns an podcast@parlament.gv.at.
Brunner: Wir hören uns wieder in zwei Wochen! Da stellen wir uns der großen Frage: Welche Rolle spielt das Parlament im politischen System?
Riegler: Danke fürs Zuhören und bis bald. Liebe Grüße dahin, wo auch immer Sie gerade sind.***** Musik *****