Was ist die parlamentarische Immunität?
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Zwischen unnötigem Schutz für Politiker "die sich´s richten können" und unabdingbarer Notwendigkeit für eine gesunde Demokratie, handelt es sich bei der parlamentarischen Immunität um ein immer wieder heiß diskutiertes Thema.
Was jedoch wirklich die Idee hinter dieser Regelung ist und warum sie bis heute keineswegs an Bedeutung verloren hat, erklären uns die Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle sowie der NEOS-Nationalratsabgeordnete und Obmannstellvertreter im Immunitätsausschuss, Nikolaus Scherak, im Gespräch.© Parlamentsdirektion/Satzbau/hoerwinkel
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Nikolaus SCHERAK: Also man stelle sich vor, ist auch kein Zustand der in Österreich jetzt irgendwie passieren könnte momentan, aber man stelle sich vor eine Bundesregierung versucht mittels der Polizei von den 183 Abgeordneten, 182 einzusperren. Dann ist das Parlament an sich ja nicht mehr handlungsfähig und dann hätte wir ein grundlegendes Problem und in Wirklichkeit einen Staatsstreich.
Tobias GASSNER-SPECKMOSER: Liebe Hörerinnen, Liebe Hörer, Herzlich Willkommen zu einer neuen Folge von Parlament Erklärt, mein Name ist Tobias Gassner-Speckmoser.
Diana KÖHLER: Und ich bin Diana Köhler. Heute geht es um ein heißes Eisen. Oder zumindest um ein Thema, über das medial viel diskutiert wird und das an Dorfstammtischen immer wieder zu Unverständnis führt.
GASSNER-SPECKMOSER: "Die da oben können ja sowieso machen was sie wollen" oder "die kann man ja nicht einmal dafür belangen" sind so typische Ausrufe, die die Wogen immer wieder hochgehen lassen. Doch, dass das Thema um das es heute geht, eigentlich keineswegs unnötig ist, sondern durchaus seine Berechtigung hat, und im Kern sogar einer der wichtigsten Bestandteile der Demokratie ist, darüber wird nur selten geredet.
KÖHLER: Heute geht es um die parlamentarische Immunität.
***** JINGLE *****
GASSNER-SPECKMOSER: Ganz kurz gesagt versteht man unter der parlamentarischen Immunität die Tatsache, dass Abgeordnete des Parlaments nicht einfach so angeklagt oder verurteilt werden können. Sie sind nämlich grundsätzlich immun vor dem Recht.
KÖHLER: Das heißt, dass ein Strafverfahren gegen einen Abgeordneten erst eingeleitet werden kann, wenn der Abgeordnete ausgeliefert wird. So nennt man das. Wie das genau funktioniert, dazu gleich mehr.
GASSNER-SPECKMOSER: Schauen wir uns zunächst einmal an, wer denn nun überhaupt entscheidet, ob ein Nationalratsabgeordneter ausgeliefert wird oder nicht. Und dafür haben wir uns Verstärkung geholt. Nikolaus Scherak ist NEOS-Nationalratsabgeordneter und sitzt im sogenannten Immnutitätsausschuss.
KÖHLER: Sie ahnen es vermutlich schon, das ist der Ausschuss, der genau über diese Frage entscheidet. Wir haben mit Nikolaus Scherak geredet.
SCHERAK: Der Immunitätsausschuss entscheidet in Wirklichkeit darüber, ob eine behördliche Verfolgung von Nationalratsabgeordneten überhaupt zulässig ist. Und die wesentliche Frage, die er zu entscheiden hat, ist, ob die vermeintliche Tat oder die Tat, die jemand begangen hat, ob die in einem inhaltlichen Zusammenhang zur politischen Tätigkeit als Abgeordneter steht oder nicht.
GASSNER-SPECKMOSER: Über Ausschüsse haben wir bereits in Folge 14 des Podcasts gesprochen. Nur kurz zur Erinnerung, das ist nichts anderes als eine kleine Runde von Abgeordneten, die sich einem bestimmten Thema widmen. In diesem Fall diskutieren 13 Nationalratsabgeordnete im Immunitätsausschuss über die Immunität der Abgeordneten. Also darüber, ob ein bestimmter Abgeordneter ausgeliefert werden soll, oder nicht ausgeliefert werden soll.
KÖHLER: Schauen wir uns ein Beispiel an: Ein Abgeordneter hat falsch geparkt. Das an sich, reicht ja noch nicht für ein Strafverfahren. Erst, wenn er die Strafe für das Falschparken nicht zahlt, gibt es eine Anzeige.
GASSNER-SPECKMOSER: Da der Abgeordnete jetzt aber immun ist, kann die Behörde ihn nicht einfach anzeigen und ein Strafverfahren einleiten. Sie muss zuerst ein Ansuchen zur Auslieferung an den Immunitätsausschuss stellen. Dieser trifft sich dann, berät und teilt seine Entscheidung dem Nationalratsplenum mit, also allen 183 Abgeordneten. Und das Plenum entscheidet dann über die Auslieferung.
SCHERAK: Die grundsätzliche Frage wäre auch in dem Fall, ob das Falschparken etwas mit seiner politischen Tätigkeit als Abgeordneter zu tun hat. Und ich würde jetzt einmal davon ausgehen, also nach meiner juristischen Sicht hat das natürlich nichts damit zu tun, weil es ja keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen der politischen Tätigkeit als Abgeordneter gibt und Autofahren bzw. Parken oder Falschparken.
KÖHLER: Zugegeben: Bei Falschparken wird eher in seltenen Fällen der Immunitätsauschuss eingeschalten, aber man erkennt daran gut, wie das Prinzip funktioniert.
GASSNER-SPECKMOSER: Geregelt ist die Immunität übrigens in der Bundesverfassung, ein paar weitere Bestimmungen finden sich in der Geschäftsordnung des Nationalrates. Mit den Details verschonen wir Sie jetzt einmal, spannend ist aber folgendes:
SCHERAK: Das große Problem im Zusammenhang mit der Immunität ist, dass die gesetzlichen Grundlagen nicht sehr aussagekräftig sind. Ein Problem, das uns seit Jahren beschäftigt. Es gibt einfach zu wenige und unklare gesetzliche Grundlagen. Und dementsprechend ist gerade auch die Spruchpraxis des Immunitätsauschusses so relevant.
KÖHLER: Ein Streitpunkt ist etwa, ob die Immunität auch schon im Wahlkampf, also vor dem Dasein als Abgeordneter gilt, da ja die Tätigkeit in gewisser Weise im Zusammenhang mit dem politischen Mandat liegt.
GASSNER-SPECKMOSER: Im Gesetz ist das nicht genau geregelt. Wie uns aber Herr Schreck erzählt hat, wird es im Ausschuss in der Regel tatsächlich so gehandhabt, dass man auch schon vor dem Abgeordnetendasein immun ist.
KÖHLER: Ein weiterer Streitpunkt ist, wie man es denn nun auslegt, ob etwas im Zusammenhang mit der politischen Funktion als Abgeordneter ist oder nicht. Es gab etwa einmal den Vorfall, dass bei einer FPÖ-Wahlveranstaltung ein Song gespielt wurde, für den die Partei aber nicht die Rechte eingeholt hatte.
GASSNER-SPECKMOSER: Der Copyright-Inhaber klagte die FPÖ daraufhin und Heinz-Christian Strache, als damaliger Parteichef musste dafür gerade stehen. Seine Immunität stand auf dem Spiel.
SCHERAK: Der wurde dann ausgeliefert, wobei die Argumentation der FPÖ damals eher irritierend war, weil die waren gegen die Auslieferung, weil sie gesagt haben, "naja, der Auftritt von HC Strache bei einer Wahlkampfveranstaltung ist ja im ursächlichen Zusammenhang mit seiner politischen Tätigkeit als Abgeordneter", was eh stimmt. Der Auftritt schon, und was er da gesagt hätte sicher auch, aber halt nicht etwaige Urheberrechtsverletzungen, weil mit dem Argument könnte ich ja alles was ich im Zusammenhang mit einer politischen Wahlkampfveranstaltung mache, ja argumentieren, dass das ja irgendwie im Zusammenhang mit der politischen Tätigkeit ist. Und dann könnte ich auch, um auf das Beispiel, das Sie ursprünglich genannt haben, zurückzukommen, auch sagen "na gut, ich parke jetzt falsch während ich zur Nationalratssitzung fahre, oder wenn ich zu einer Wahlkampfveranstaltung fahr, und sage, naja das ist ja im Zusammenhang mit meiner Tätigkeit als Abgeordneter. Aber das ist eben nicht die Idee dahinter.
KÖHLER: Aber was ist denn nun die eigentliche Idee dahinter? Warum sind Parlamentarier immun vor dem Recht? Warum dürften Parlamentarier in gewissen Umständen vielleicht sogar falsch parken, wo es normale Bürger ganz sicher nicht dürfen? Das haben wir die Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle gefragt. Die Immunität, sagt sie, sei etwas ureigenes der Demokratie.
Kathrin STAINER-HÄMMERLE: Aus historischen Gründen war die Immunität vor allem ein Schutz vor der monarchischen Exekutive. Also man muss sich vorstellen vor 150 Jahren zirka, als Parlamente entstanden sind, da war doch die Versuchung sehr groß vom bisher absolutistisch regierenden Monarchen einige Abgeordnete kurzfristig festzuhalten, aus verschiedenen Gründen, sie zu bezichtigen eines Vergehens, um sie von Abstimmungen z. B. fernzuhalten.
GASSNER-SPECKMOSER: Wenn einem früher ein Abgeordneter also nicht gepasst hat, dann konnte es schon einmal vorkommen, dass man den loswerden wollte. Die Immunität war genau dafür da, das zu verhindern. Sie soll die Abgeordneten schützen und damit letztendlich auch das Funktionieren einer Demokratie zu sichern.
STAINER-HÄMMERLE: Und wenn wir auch heute noch Nachdenken, gibt es natürlich einen Grund, der vielleicht etwas moderner ist, nämlich, dass Politikerinnen und Politiker nicht eingedeckt werden mit Klagen, um sie damit zu beschäftigen oder auch, um sie einzuschüchtern.
SCHERAK: Jedenfalls noch zeitgemäß. Weil es ein Grundpfeiler der parlamentarischen Demokratie ist, dass die Abgeordneten in ihrer Tätigkeit als Abgeordneter jedenfalls immun sein müssen. Und wie gesagt, jetzt ist es natürlich so, dass der Zustand in Österreich keiner ist, der Gefahr läuft, dass es hier zu Versuchen kommt, Abgeordnete einzusperren oder keine Ahnung was, aber es ist ein Grundpfeiler der parlamentarischen Demokratie und an dem darf man nicht rütteln, weil sonst die freie Tätigkeit als Abgeordneter in dem Ausmaß nicht möglich wäre.
KÖHLER: Liebe Hörerinnen, liebe Hörer, die Folge neigt sich langsam dem Ende zu. Wir hoffen, wir konnten Ihnen die politische Immunität etwas näher bringen. Es ist, wie wir herausfinden konnten, nicht nur ein unnötiger Schutz mächtiger Politiker, sondern viel mehr eine Notwendigkeit für eine gesunde Demokratie. Selbst in heutigen Zeiten.
GASSNER-SPECKMOSER: Ein wichtiges Detail haben wir Ihnen übrigens noch vorenthalten, denn so schön sich die Immunität auch anhören mag, sie hat auch einen Haken: Sobald ein Abgeordneter nicht mehr im Parlament sitzt, holen ihn die Strafen nämlich wieder ein. Sprich: Die Strafe für das nicht bezahlte Parkzetterl, muss selbst nach 20 Jahren noch verbüßt werden.
KÖHLER: Verjährung denken Sie jetzt? Nein, Nein, so leicht kommen die Abgeordneten auch wieder nicht davon. Die ist in diesem ganz speziellen Fall nämlich aufgehoben.
GASSNER-SPECKMOSER: Wie immer können Sie uns Anmerkungen, Fragen und Ideen an podcast@parlament.gv.at schicken. Bis zum nächsten Mal bei "Parlament Erklärt".
GASSNER-SPECKMOSER: Tschau!
KÖHLER: Tschüss!