Wer war Therese Schlesinger?
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Heute beschäftigen wir uns mit der Nummer 6 in unserer Reihe über „die ersten 8 Frauen im Nationalrat“.
Als engagierte Feministin beschäftigte sich Therese Schlesinger nicht nur mit dem Zugang zu Bildung und Ausbildung für Mädchen und Frauen, sondern sie war als fortschrittliche Vordenkerin vor allem auch von der Gleichwertigkeit beider Geschlechter überzeugt.
So werfen wir gemeinsam mit der Künstlerin Tini Trampler sowie der Historikerin Gabriella Hauch eine Blick auf die Lebensgeschichte dieser bemerkenswerten Frau, die so viel für das gleichberechtigte Zusammenleben der Menschen in Österreich beigetragen hat.© Parlamentsdirektion/Satzbau/hoerwinkel
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Transkription
Therese SCHLESINGER: Dort wo der Reichtum sich vermehrt, durch unsre Arbeit, unser Sein. Dort sei’s uns länger nicht verwehrt, zu kämpfen gegen Trug und Schein. Die Stimmen sollen nicht mehr sein, die sich von der Arbeit andrer ernähren. An die Kultur des Fortschritts Gaben, wir wollen uns'ren Anteil haben!
Diana KÖHLER: Es ist Dienstag, der 14. März 1911. Auf der Titelseite der Arbeiterinnen-Zeitung steht die Überschrift: "Der Paragraf 30 existiert nicht mehr".
Tobias GASSNER-SPECKMOSER: Nach dem berüchtigten Paragraf 30 war es Frauen verboten sich politisch zu organisieren. Das heißt, in Parteien oder politische Vereine einzutreten und mitzubestimmen. 1911 wurde er endlich abgeschafft und die Frauen sind ihrem Ziel, dem Wahlrecht, wieder einen wichtigen Schritt näher gekommen.
KÖHLER: Herzlich Willkommen zu einer neuen Folge Parlament erklärt. Ich bin Diana Köhler.
GASSNER-SPECKMOSER: Und ich bin Tobias Gassner-Speckmoser. Auf der Titelseite dieser Ausgabe der Arbeiterinnen-Zeitung ist auch noch etwas anderes zu lesen. Nämlich der Text des berühmten Frauenwahlrechtliedes.
KÖHLER: Geschrieben hat dieses Lied Therese Schlesinger, die Nummer 6 unserer Reihe über "die ersten 8 Frauen im Nationalrat". In der heutigen Folge von Parlament erklärt schauen wir auf das Leben einer großartigen Publizistin, Journalistin und Politikerin zurück.
GASSNER-SPECKMOSER: Therese Schlesinger hat sich vor allem für Bildung für Mädchen und Frauen eingesetzt und war zusammen mit ihren Mitkämpferinnen maßgeblich dafür verantwortlich, dass Frauen heute wählen dürfen.
***** JINGLE *****
Tini TRAMPLER: Was mir sehr gefallen hat an ihr ist, dass sie sich wirklich mit dem Geschlecht Mann auseinandergesetzt hat und da schon etwas ganz Wesentliches gesagt hat, dass diese Gleichwertigkeit nur wirklich so erreicht wird, wenn beide Geschlechter miteinander arbeiten. Und das war in dem Text ganz deutlich: Wir können das nur gemeinsam schaffen.KÖHLER: Das ist Tini Trampler. Ihr und Susi Rogenhofer und ihrer Band den Playback Dolls, verdanken wir, dass wir das Frauenwahlrechtslied von Therese Schlesinger heute hören können. 2011 haben sich die beiden im Zuge des Projekts "re:composed" der Stadt Wien, mit dem Text befasst, ihn ein bisschen gestrafft und eine neue, moderne Melodie komponiert.
GASSNER-SPECKMOSER: Ein lustiger Fakt ist übrigens, dass Therese Schlesinger schon damals über ihren eigenen Text gesagt hat, dass sie ihn zu pathetisch findet. Aber ein bisschen Pathos schadet wohl nicht.
KÖHLER: Bei der Arbeit mit dem Text waren die beiden von Therese Schlesinger aber tief beeindruckt.
TRAMPLER: Sie hat sich ja auch sehr dafür eingesetzt, dass Frauen die gleiche Bildung bekommen, etwas das damals gar nicht selbstverständlich war. Das waren alles Kämpfe, die letztendlich solche Frauen wie sie initiiert haben und denen wir wirklich sehr viel zu verdanken haben!
SCHLESINGER: Die Gerechtigkeit sagt an! Gebt frei die Bahn! Kind, Frau und Mann! Die Gerechtigkeit sagt an! Gebt frei die Bahn! Es geht uns alle an!
GASSNER-SPECKMOSER: Das Wahlrecht für Frauen wurde in Österreich 1918 eingeführt. Therese Schlesinger und ihre Mitstreiterinnen haben die Jahre davor wichtige Vorarbeit geleistet, um das zu ermöglichen. Wie aber ist Therese Schlesinger zu so einer kämpferischen Frau geworden?
KÖHLER: Da müssen wir einen Blick auf ihre Lebensgeschichte werfen. Das tun wir heute wieder zusammen mit Gabriella Hauch. Sie ist Historikerin an der Uni Wien und hat sich intensiv mit Theresa Schlesinger auseinandergesetzt. Aber fangen wir beim Anfang an.
GASSNER-SPECKMOSER: Therese Schlesinger wird als Therese Eckstein am 6. Juni 1863 in eine liberale, jüdische Familie geboren. Schon ihre Eltern waren für die damalige Zeit sehr fortschrittlich.
Gabriella HAUCH: Die Mutter von Therese Schlesinger war ja eine alte 48-erin, also sie ist in dieser demokratischen Tradition gestanden, die eben auch versucht hat, in diesem Revolutionsjahr 1848 Staatsbürgerrechte für Frauen, oder die Gleichberechtigung der Frauen, auf das politische Tableau zu setzen. Und man merkt das auch, als der Vater Eckstein stirbt, die Ecksteins hatten eine Pergamentpapierfabrik in der Nähe von Wien, hat sie ganz selbstverständlich die Leitung dieser Fabrik übernommen.
KÖHLER: Therese hatte aber auch schon von klein auf Einblick in das Leben der Arbeiterinnen und Arbeiter in der Fabrik. Dort wurde auch eine der ersten Schulküchen Wiens eröffnet, in der Therese und ihre Schwestern immer wieder aushelfen mussten.
GASSNER-SPECKMOSER: Den Eckstein-Eltern war es also ein Anliegen, dass ihre Töchter Einblicke in andere Lebensrealitäten bekommen.
HAUCH: Und da war eines ganz, ganz wichtig, nämlich die gesetzliche Benachteiligung der Töchter durch Eigeninitiative zu kompensieren. Und das war quasi der autodidaktische Grundstock für Therese Schlesinger, dass sie sich zu einer Intellektuellen, zu einer sehr hochgradigen, scharf differenziert und auch sehr kreativ denkenden, Intellektuellen entwickelt hat.
KÖHLER: 1888 heiratet Therese Eckstein den Bankangestellten Victor Schlesinger und wird zu Therese Schlesinger. Ein Jahr darauf bringt sie ihre Tochter Anna zur Welt, infiziert sich aber mit Kindbettfieber und ist von da an gehbehindert. Bereits 1891 stirbt ihr Mann an Tuberkulose.
GASSNER-SPECKMOSER: Der Tod ihres Mannes ist der Zeitpunkt, an dem sich Therese Schlesinger der feministischen Szene Wiens zuwendet. Sie tritt dem Allgemeinen Österreichischen Frauenverein bei und ist ein engagiertes Mitglied und wird dessen Vorstand.
KÖHLER: Wir haben ja schon am Anfang gehört, dass Frauen sich bis 1911 ja eigentlich nicht politisch engagieren durften. Aber diesen berüchtigten Paragraf 30 sind die Frauen ganz geschickt umgangen.
HAUCH: Das haben natürlich Frauen wie eben Therese Schlesinger oder diese Feministinnen des Allgemeinen Österreichischen Frauenvereins versucht zu umgehen, indem sie sich in Vereinen organisiert haben, die sie ganz deklariert als unpolitische benannt haben. Aber trotzdem zum Beispiel dieser Allgemeine Österreichische Frauenverein hat einige Jahre warten müssen, bis er die Genehmigung zur Gründung von der Seiten der Polizei bekommen hat.
GASSNER-SPECKMOSER: Zu dieser Zeit beginnt Therese Schlesinger auch publizistisch zu arbeiten. Sie veröffentlicht Texte zur Lage der Wiener Arbeiterinnen und Arbeiter, setzt sich für den Zugang von Frauen zum Hochschulstudium ein und natürlich für das Frauenwahlrecht.
KÖHLER: Schon in der Kindheit von Therese Schlesinger ging eine Reihe von sozialdemokratischen Intellektuellen im Haus Eckstein ein und aus. 1898 tritt sie selbst in die sozialdemokratische Partei ein.
GASSNER-SPECKMOSER: Therese Schlesinger wird auch Mitglied des sogenannten "Frauenreichskomitees". Dort gerät sie immer wieder mit den Gewerkschafterinnen aneinander, die aus einem wirklich ganz anderen sozialen Hintergrund stammen.
HAUCH: Also da gibt es Protokolle über Sitzungen des "Frauenreichskomitees", hat es damals geheißen. Das war so quasi die Leitungsorganisation. Also da wird Therese Schlesinger wirklich angepflaumt vonseiten der Gewerkschafterinnen wie zum Beispiel Lotte Pohl-Glas. Wo dann Adelheid Popp als die große Ausgleicherin dazwischenfährt und sagt "nana so darf man nicht sein". Bei diesen Sitzungen waren teilweise führende Gewerkschafter oder führende aus der politischen Partei dabei. Also da hat sich Therese Schlesinger einiges anhören müssen. Also sie als bürgerliche Intellektuelle hat keine Ahnung wie’s der armen Arbeiterin, heute würde man sagen der Billa-Verkäuferin, wirklich geht.
KÖHLER: Da muss es ganz schön heftig hin und her gegangen sein. Die Gewerkschafterinnen waren sicher hart im Diskutieren, ihre Position aber war klar.
HAUCH: Was nutzt uns das Frauenwahlrecht, wir brauchen bessere Arbeitsbedingungen, wir brauchen mehr Lohn. Und Therese Schlesinger hat die Position vertreten, man kann das eine nicht gegen das andere ausspielen. Und das Frauenwahlrecht ist eminent wichtig für die Aufwertung des gesamten Geschlechts. Weil mit dem Frauenwahlrecht bekommt man eine Position als Staatsbürgerin. Bekommt die Anerkennung und auch die Möglichkeit mitzubestimmen, in welche politische Richtung und in welche gesellschaftspolitische Richtung der Staat und seine Institutionen gehen.
GASSNER-SPECKMOSER: Therese Schlesinger war in den nächsten Jahren an der Gründung des "Vereines sozialdemokratischer Frauen und Mädchen" beteiligt, und war im ersten Weltkrieg in der pazifistischen Linksopposition um Friedrich Adler engagiert.
KÖHLER: Und dann, endlich, am 4. März 1919 wurde Therese Schlesinger im österreichischen Parlament in der Konstituierenden Nationalversammlung angelobt. In ihrer ersten Rede beschäftigt sie sich mit ihrem Hauptthema, der Bildung von Mädchen.
GASSNER-SPECKMOSER: Hören wir da einmal rein, vorgetragen hat die Rede die Schauspielerin Petra Morzé.
Petra MORZE: Nun hängt das ja gewiss mit der ganzen Stellung zusammen, die der Staat bisher zu dem Mädchenunterricht eingenommen hat. Er hat die Aufgabe, die Mädchen an Mittelschulen auszubilden nicht nur vernachlässigt, sondern ganz außer Acht gelassen. Es gibt, wie ich schon hervorgehoben habe, nur private Mittelschulen für Mädchen. Bisher hat der Staat nur einige wenige Mädchenmittelschulen subventioniert. Aber auch diese Subventionen waren unbedeutend.
KÖHLER: Neben dem Thema Bildung und Ausbildung für Mädchen ist eines von Therese Schlesingers Hauptthemen das "Gute Leben für alle". Aber eben nicht nur für Frauen, sondern eben für beide Geschlechter. Darum ging es in vielen ihrer Publikationen.
GASSNER-SPECKMOSER: Schon früh hat sie deswegen Psychoanalyse auf Krankenschein gefordert, oder, dass Väter bei der Kindererziehung miteinbezogen werden sollen. Schlesinger will auch einen Elternurlaub für beide Geschlechter einführen und auch eine Reduktion der Arbeitszeit.
KÖHLER: Besonders auch das Thema Wohnen war ihr ein Anliegen.
HAUCH: Das heißt, sie hat das vertreten, offene Wohnungen, die groß genug sind. Dass Kinder ihr eigenes Zimmer haben, dass Frauen, Männer, Großmütter, Großväter und Kinder nicht in einem Raum mit Klo am Gang leben. Dass viel Grün wichtig ist. Dass das alles wichtig ist für die Menschen, damit sie nicht nur gesund sind, also sie hat nicht nur einen ökonomistischen, rationalen Blick gehabt, sondern auch, dass sie glücklich sind, dass es ihnen gut geht.
GASSNER-SPECKMOSER: Und auch beim Thema Straffälligkeit hatte Therese Schlesinger eine für die damalige Zeit sehr moderne Ansicht.
HAUCH: Sie war zum Beispiel eine, die psychoanalytische Ausbildung für alle Richter und alle Geschworenen gefordert hat, dass das absolut notwendig ist um die Verwahrlosung von Jugend, wie ein Schlagwort der damaligen Zeit geheißen hat, auch verstehen zu können und nicht mit autoritären Mitteln wie Strafen da hinein zu fahren ist. Also wie geht man mit diesen scheinbar oder wirklich auf Abwegen gekommenen Jugendlichen um.
KÖHLER: Im Jahr 1933 ist Therese Schlesinger 70 Jahre alt und wird von der Partei in Pension geschickt.
GASSNER-SPECKMOSER: Es folgt auch die Zeit des autoritären Ständestaat-Regimes. Therese Schlesinger wird zwar nicht inhaftiert oder verfolgt, aber die Ausreise wird ihr verweigert.
HAUCH: Und das war zwar etwas, was sie sehr bedrückt hat, dass sie an ihrem Lebensabend sehenden Auges eigentlich den Untergang von dem sieht, wofür sie ihr Leben lang eigentlich gekämpft hat.
KÖHLER: Noch mit 76 Jahren und ihren gesundheitlichen Problemen gelingt Therese Schlesinger die Flucht nach Frankreich. Dort stirbt sie in einem Sanatorium in Blois am 5. Juni 1940.
GASSNER-SPECKMOSER: Heute noch erinnert der Therese-Schlesinger-Hof im 8. Wiener Gemeindebezirk an eine der ersten acht Frauen im Nationalrat. Und auch der Schlesingerplatz in der Josefstadt wurde 1901 nach dem christlich-sozialen (und antisemitischen) Reichsratsabgeordneten Josef Schlesinger benannt. Die Neubenennung nach Therese Schlesinger erfolgte 2006.
KÖHLER: Danke, dass Sie auch heute wieder zugehört haben. Wir freuen uns, wenn Sie auch nächstes Mal wieder mit dabei sind.
GASSNER-SPECKMOSER: Wenn Sie Fragen oder Anmerkungen haben, schreiben Sie uns doch unter podcast@parlament.gv.at. Auf Wiederhören!
KÖHLER: Bis bald!