Warum ist Stenografie im Parlament auch heute noch wichtig?
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Sie können schneller schreiben, als die meisten Menschen sprechen und doch arbeiten sie eher im Hintergrund: Die StenografInnen im Parlament. Ihr Beruf hat sich in den letzten Jahren zwar geändert, aber es braucht sie heute vor allem für eine sehr essentielle Sache... Warum ist Stenografie im Parlament auch heute noch wichtig? Dieser Frage sind wir mit Bettina Brixa, der Leiterin der Abteilung Stenographische Protokolle im Parlament, und Martin Springinklee, Initiator der privaten Initiative OSTV, auf den Grund gegangen.
© Parlamentsdirektion/Satzbau/hoerwinkel
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Transkription
Bettina BRIXA: Also das Prinzip ist so, dass schon die Grundbuchstaben sehr sehr schnell zu schreiben sind und man übt natürlich auch Geschwindigkeit und dass es dann viele viele in unserem Fall auch, individuelle Kürzungen gibt, von Begriffen die häufig vorkommen. Die man dann wirklich nur mit ganz ganz kurzen Strichen oder Punkten widergeben können.
***** JINGLE *****
Diana KÖHLER: Auf den ersten Blick ist die stenografische Schrift als Laie ja sehr verwirrend. Das fanden zumindest wir. Eigentlich ist die Stenografie wie eine eigene, geheime Sprache. Willkommen zu einer neuen Folge von Parlament erklärt. Mein Name ist Diana Köhler.
Tobias GASSNER-SPECKMOSER: Und ich bin Tobias Gassner-Speckmoser. In der heutigen Folge geht es um Menschen, die eher im Hintergrund arbeiten, die aber sehr wichtig dafür sind, dass wir erfahren, was im Parlament überhaupt gesprochen wird.
KÖHLER: Die Rede ist von den Stenografinnen und Stenografen im Parlament. Sie waren schon immer wichtig, um Sitzungen festzuhalten. Denn sie können sogar schneller schreiben, als die meisten Menschen sprechen.
GASSNER-SPECKMOSER: Doch Live-Streams und Videoaufnahmen haben das Berufsfeld der Stenografie in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Trotz der technischen Fortschritte gibt es sie aber noch, die Parlamentsstenografinnen und -stenografen.
KÖHLER: Wir sehen uns heute an, wie ein Stenographisches Protokoll eigentlich heutzutage zustande kommt. Was die sogenannte "Kurzschrift" überhaupt ist und was Parlamentsstenografinnen und Stenografen eigentlich mit Ameisenbären zu tun haben.
BRIXA: Zum Beispiel das Wort Parlament wird in der Verkehrsschrift so geschrieben, das beginnt mit einem bisschen gebogenen Strich, dazwischen einem kleinen Strich in die andere Richtung, einen kleinen Strich in die nächste Richtung und der kleine Strich wird nicht leicht, sondern stark geschrieben um das "a" widerzugeben. Und das "l" ist ein kleines Kugerl und ungefähr so geht das dann weiter, bis man beim "t" anlangt und man ist trotzdem viel schneller, weil jeder Buchstabe nicht aus mehreren Strichen bestehendes Gebilde ist, sondern einfach nur ein Strich. Und die Eilschrift kürzt das noch weiter ab, indem gewisse Silben zum Beispiel "-ment" nur mehr durch ein bestimmtes Zeichen dargestellt werden. Und "Parlament" in der Redeschrift ist einfach nur mehr ein gebogener verstärkter Strich.
GASSNER-SPECKMOSER: Wie? Verkehrsschrift, Eilschrift, Redeschrift? Das deutsche Stenografie-System ist ganz schön komplex. Auch für Bettina Brixa hat es anfangs gedauert, bis sie die deutsche Kurzschrift wirklich beherrscht hat. Jetzt aber ist sie schon ein Profi und Leiterin der Abteilung Stenographische Protokolle im Parlament.
KÖHLER: Früher wurde das Stenografieren noch in der Schule gelehrt. Heute muss man es sich, wenn man sich dafür interessiert, meistens selbst beibringen oder privat eine Lehrherrin oder einen Lehrer finden. So kommen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen für die Abteilung heute aus mehreren möglichen Berufssparten, sagt Bettina Brixa.
GASSNER-SPECKMOSER: Eines ist aber auf jeden Fall wichtig: Stressresistenz.
BRIXA: Wenn wir neue Leute rekrutieren, müssen wir in verwandten Berufen suchen. Also wenn jemand im Medienbereich gearbeitet hat, im Verlag als Lektorin, als Lektor. Das ist das, was dem am nächsten kommt. Der Beruf ist ähnlich dem eines Lektors. Aber unter Produktionsbedingungen einer Tageszeitung. Also mit dem Stress und dem Zeitdruck einer Tageszeitung. So kann man es vielleicht vergleichen.
KÖHLER: Natürlich hat sich auch der Beruf des Parlamentsstenografen verändert. Musste früher noch wirklich alles mitgeschrieben werden, braucht es die Stenografinnen und Stenografen heute vor allem für eine sehr essentielle Sache.
GASSNER-SPECKMOSER: Nämlich all das mitzuschreiben, was nicht so genau aufgenommen werden kann. Also Zwischenrufe, manche Gesten, Applaus und Aktionen der Abgeordneten. Also alles was sich im Saal so tut und auf keiner Aufnahme zu finden ist.
BRIXA: Der Beruf hat sich insofern verändert, dass jetzt durch Neuen Medien, die Sozialen Medien, so Aussagen viel schneller viel prominenter werden können. Also es ist ein bisschen heikler geworden. Wenn früher ein Zwischenruf oder eine Aussage protokolliert wurden, ist das dann irgendwann in einem gedruckten Werk veröffentlicht und dann irgendwo in der Parlamentsbibliothek verschwunden. Und vielleicht hat es später einmal ein Historiker gefunden – ganz sicher sogar! Aber jetzt, dadurch, dass das Protokoll noch am Sitzungstag gleich danach auch noch in der Nacht und am Tag danach sofort veröffentlicht wird, hat die interessierte Öffentlichkeit sofort Zugriff auf die Protokolle. Das heißt die Fehlertoleranz ist gesunken und man hat viel kürzer Zeit, eine veröffentlichbare Version zu erstellen. Das heißt es muss noch am selben Abend, in derselben Nacht passen. Da darf kein grober Fehler mehr drinnen sein.
KÖHLER: Die Stenografinnen und Stenografen im Parlament sind also dafür verantwortlich, dass das Protokoll am Ende herzeigbar ist und alle Details aus den Sitzungen möglichst exakt wiedergegeben werden.
GASSNER-SPECKMOSER: Da die Zeit im Saal aber sehr anstrengend und fordernd ist, sind die Stenografinnen und Stenografen jeweils 10 oder maximal 20 Minuten im Saal. Aber wenn sie nicht alles mitschreiben, so wie früher, wie entsteht dann so ein Transkript genau?
BRIXA: Während die Stenografin der Stenograf im Saal ist, sitzen Eingabekräfte im Büro und hören sich die Rede des Redners, der Rednerin an. Die tippen das einmal und machen ein Rohtranskript sozusagen. Und wenn die Stenografin, der Stenograf aus dem Saal zurück kommt, findet er das Transkript vor, das sind für zehn Minuten meist so vier Wordseiten. Und dann beginnt die Arbeit an diesem Rohtranskript. Dann werden Begriffe recherchiert, Zwischenrufe eingefügt, Beifall wird eingefügt, Sätze werden geringfügig und mit viel Fingerspitzengefühl geradegestellt. Manche Begriffe werden vielleicht ein bißchen adaptiert, wenn sie semantisch, grammatikalisch vielleicht nicht zusammenpassen.
KÖHLER: Bevor das Protokoll aber veröffentlicht wird und auf der Website des Parlaments von allen angeschaut werden kann, dürfen es die Abgeordneten noch prüfen und autorisieren. Zwar gehen die Stenografinnen und Stenografen mit viel Vorsicht an die Protokolle heran, aber manchmal wollen auch die Rednerinnen und Redner eine holprige Ausdrucksweise noch korrigieren. Das passiert aber nur in den seltensten Fällen.
GASSNER-SPECKMOSER: Inhaltlich darf an der Rede aber natürlich nichts geändert werden. Ist eine Änderung sehr umstritten, entscheidet am Ende der Nationalratspräsident.
KÖHLER: Um aber auch wirklich alle Reden der Abgeordneten gut wiedergeben zu können, müssen die Stenografinnen und Stenografen nicht nur eine besonders gute politische Bildung haben. Sie müssen auch die Abgeordneten besonders gut kennen.
BRIXA: Abgeordnete, die zum Beispiel besonders oft das Wort "sozusagen" verwenden, das weiß man dann schon und das dünnt man aus. Also wenn ein Abgeordneter das nie verwendet und dann sagte er es einmal, dann lässt man das stehen, weil das da sicher einen Sinn hat. Aber so gewisse sprachliche Besonderheiten, die einfach in der Rede jemandem passieren, oder die auch in der gesprochenen Rede, die da ganz gut klingen, Füllwörter, die kann man weglassen. Und je besser man die Abgeordneten kennt, desto mehr weiß man das schon am Anfang und nicht erst am Schluss.
GASSNER-SPECKMOSER: Sehr geübte Stenografinnen und Stenografen im Parlament können die Abgeordneten irgendwann sogar blind erkennen!
BRIXA: Und was sich auch dann einstellt, das braucht man gar nicht zu üben, das passiert automatisch, dass man sie zum Teil an der Stimme erkennt. Das ist etwas, das in der neuen Gesetzgebungsperiode immer eine neue Umstellung ist. Oder auch am Dialekt ein bisschen. Also wenn man irgendwo hinschaut und man hat sich umdrehen müssen, um zu schauen, wo der Zwischenruf herkam, das war halt tirolerisch, dann ist der Kreis der Verdächtigen gleich kleiner.
KÖHLER: Jetzt haben wir Sie, liebe Hörerinnen und Hörer ja schon sehr lange hingehalten, mit der Auflösung des Rätsels um den Ameisenbären.
GASSNER-SPECKMOSER: Ja, was hat denn ein Parlamentsstenograf damit zu tun? Bettina Brixa weiß es.
BRIXA: Es gibt den Spruch, ein Ameisenbär ist eine Kreuzung aus einer Ameise und einem Bären, und genauso könnte man sagen, ein Parlamentsstenograf ist ein Hochleistungsstenograf, der im Parlament arbeitet, und beides stimmt nicht. Bei beidem sind die Wörter, die drinnen vorkommen, Ameise und Bär natürlich schon wichtig für das Leben. Bei uns ist auch Parlament und Stenografie, das sind Bestandteile, aber sie sind anders zusammengewürfelt.
KÖHLER: Früher hat man die Stenografie also gebraucht, um überhaupt Protokolle von wichtigen Sitzungen zu haben. Heute ist sie ein wichtiges zusätzliches Instrument für die Dokumentation von Sitzungen.
GASSNER-SPECKMOSER: Stenografie selbst gibt es in verschiedenen Formen schon ziemlich lange. Das erste bekannte Stenografie-System stammt schon aus dem 4. Jahrhundert vor Christus! Werfen wir also einen kurzen Blick auf die Geschichte der Stenografie. Dafür haben wir mit Martin Springinklee gesprochen.
KÖHLER: Martin Springinklee hat Stenografieren in der Schule gelernt und ist seitdem davon begeistert. Er hat sich zwar nie für eine berufliche Karriere in dem Bereich entschieden, aber ist schon lange als Hobby-Stenograf erfolgreich. Martin Springinklee nimmt an nationalen und internationalen Wettbewerben teil und gehört zu den schnellsten Stenografen Österreichs.
SPRINGINKLEE: Der erste ganz berühmte Stenograf war der Sklave Tiro. Das war der Sklave von Cicero. Der hat geheime Sitzungsprotokolle von politischen Gegnern von Cicero angefertigt und dadurch sogar einen Machtwechsel in Rom ermöglicht. Also die Stenografen haben auch geschichtlich eine sehr hohe Bedeutung genossen.
GASSNER-SPECKMOSER: In Europa sind später viele verschiedene Stenografie-Systeme entstanden. Die Erfinder waren sich aber nicht immer so einig über die richtige Schreibweise, und haben sich teilweise heftig bekriegt und das sogar auf körperlicher Ebene, sagt Martin Springinklee.
KÖHLER: Franz Xaver Gabelsberger hat den Diskussionen dann erstmal ein Ende gesetzt, indem er das Standardwerk zur Deutschen Kurzschrift verfasst hat. Man könnte ihn also auch als den Vater der deutschen Kurzschrift bezeichnen.
SPRINGINKLEE: Er hat "Die hohe Kunst der deutschen Redezeichenkunst" geschrieben, das erste Stenografielehrbuch. Und auch das längste Stenografielehrbuch, klingt lustig, 660 Seiten für Stenografie! Er hat da also unglaublich viel Arbeit hineingesteckt. Und sein System wurde dann auch in die deutsche Einheitskurzschrift teilweise übernommen, die wir heute verwenden. Und auch in anderen Ländern, in anderen Sprachen, in Nordeuropa gibt es Anpassungen vom System Gabelsberger an die dortige Sprache.
GASSNER-SPECKMOSER: Zwischen dem Parlamentsgebäude und dem Palais Epstein, im Grete-Rehor-Park, steht übrigens auch ein Denkmal von Franz Xaver Gabelsberger.
KÖHLER: Martin Springinklee ist auch der Initiator der privaten Initiative OSTV. Offenes Stenotraining für Vergnügte. Dieser ist quasi der Nachfolger des Verbands für Stenografie und Textverarbeitung. Dieser musste nämlich leider im Jahr 2018 seine Tätigkeit beenden. Martin Springinklee überlegt sich immer wieder neue Kürzungen und stellt auch Lehrbücher und Übungsdiktate zu Verfügung.
GASSNER-SPECKMOSER: Wir sind jetzt schon am Ende unserer Folge angelangt. Aber bevor wir uns verabschieden, hier noch ein Aufruf von Martin Springinklee.
SPRINGINKLEE: Jeder der sich gerne der Herausforderung, etwas völlig Neues zu machen stellen möchte, etwas analoges muss man auch dazu sagen und einfach sich mit dem Thema Sprache von der Struktur her auch gerne beschäftigen möchte und da mal hineinschnuppern möchte, ist herzlich eingeladen.
KÖHLER: Sie haben es gehört! Auf der Website von Martin Springinklee "www.ostv.at" gibt es mehr Infos.
GASSNER-SPECKMOSER: Vielleicht gibt es nach dieser Folge von Parlament Erklärt ja wirklich ein paar neue Steno-Fans da draußen. Falls Sie Fragen an uns haben, schreiben Sie uns wie immer unter podcast@parlament.gv.at. Wir hören uns in zwei Wochen wieder, bis bald.
KÖHLER: Auf Wiederhören!