Wie entstehen Reden im Parlament?
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In dieser Folge gehen wir der Frage nach, wie Abgeordnete zu ihren Reden kommen.
Dazu treffen wir einen der wohl legendärsten Redner der letzten Jahre, den Ex-NEOS-Chef Matthias Strolz. Seine Reden haben hunderttausende Aufrufe auf YouTube, Facebook und Co. Er erzählt uns, wie er beim Schreiben von ihnen vorgegangen ist und worauf dabei besonders zu achten ist.
© Parlamentsdirektion/Satzbau/hoerwinkel
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Matthias STROLZ: Ich stehe am Abend gerne am Balkon und schaue in den Himmel. Und denke mir dann oft, wir sind ja wirklich nur ein Tropfen Zeit. Da oben sind Millionen von Galaxien mit jeweils Milliarden von Planeten und wir können diesen unseren nicht verlassen.
Tobias GASSNER-SPECKMOSER: Der Ausschnitt, den Sie gerade gehört haben, stammt nicht von einem Selbstfindungsseminar. Und auch nicht von einer Astronomie-Vorlesung, Nein. Der stammt aus einer Rede im Österreichischen Parlament. Herzlich Willkommen zurück bei einer neuen Folge von Parlament erklärt. Mein Name ist Tobias Gassner-Speckmoser.
Diana KÖHLER: Und ich bin Diana Köhler. Heute geht es um das Redenschreiben im Parlament. Vielleicht haben Sie die Stimme bereits erkannt. Der Ausschnitt von vorhin war von Matthias Strolz, dem ehemaliger Chef der NEOS. Heute hat diese Rede hunderttausende Aufrufe auf YouTube und Facebook. Auf unserer Recherche nach legendären Reden sind wir unter anderem genau auf diese gestoßen.
GASSNER-SPECKMOSER: Da haben wir uns glatt gedacht: Was geht einem Matthias Strolz in so einem Moment eigentlich durch den Kopf? Wie kommen Redner wie er überhaupt auf solche Ideen? Und wie entstehen Reden im Parlament eigentlich generell?
KÖHLER: Wir haben ihn das alles gefragt. Viel Spaß mit dieser etwas längeren Folge von Parlament erklärt.
***** JINGLE *****
STROLZ: Matthias Strolz, Gärtner des Lebens. Flügelheber, Bäumeumarmer, Unternehmer, Familienvater, Ehemann, Start-Up-Unternehmer, Ehrenamtlicher.
KÖHLER: Vielleicht ganz zum Anfang: Wie war eigentlich ihr Weg in die Politik?
STROLZ: Ja, war immer schon ein Politschädel. Das ist wahrscheinlich Muttermilch oder genetische Prägung. Also ich habe durchaus eine auch politische Verwandtschaft. Die Mama war so eine Vereinsmeierin so ein bisserl. Die war dann nicht so in der Politik-Politik, sondern war dreißig Jahre lang Gebietsbäuerin. Sie war sehr engagiert. Papa nicht so, der hat es da nicht so gehabt. Naja, ich habe halt mit 13 Ministrantenlager organisiert im freundlichen Ausland in Liechtenstein. War eine Weltreise entfernt von Vorarlberg. War dann Klassensprecher immer wieder einmal, Schulsprecher, Landesschulsprecher. Auch das war politisch. Und später war ich ÖH-Vorsitzender in Innsbruck, Hochschülerschaft, Hochschülerinnenschaft. Dann wollte ich in die Bundeshauptstadt aus Innsbruck, wobei mich die HochschülerInnenschaft sehr geprägt hat, die ÖH-Zeit. War ich zwei Jahre eigentlich Vollzeitpolitiker, wenn man so will. War eine große Uni damals, Medizin integriert, fast 30.000 Studierende. Es war ein Crashkurs, bist du deppert. Habe mit 17 die erste Trainerausbildung gemacht. Damals bei der Union höherer Schüler, Schülerinnen. Später Schülerunion. Aber so ist die Welt halt immer eine Zwiebelschale größer geworden. So irgendwie, bis sie richtig fett geworden ist, und ich auch gemerkt habe "Ah ich kann auch ganz Österreich." War dann ja auch parlamentarischer Mitarbeiter beim Karlheinz Kopf. Und das war ganz cool. Der Karlheinz Kopf, da bin ich reingekommen, er hat die Füße am Tisch gehabt. So anders, wie man sich einen Abgeordneten halt vorstellt, ich habe den nicht gekannt vorher. Und dann haben wir halt so geredet. Ich habe gesagt "Na, ich bin aber nicht immer ÖVP-Wähler. Schon ab und zu, weil in Vorarlberg gibts ja nichts anderes." Na, alles andere ist ja Untergrundbewegung gewesen damals. Ab und zu grün, ab und zu liberal, ab und zu ÖVP. "Na da is mir egal, ich will dich" oder so irgendwie. Und dann habe ich in der Situation ja gesagt. Das war eine Bauchentscheidung. Weil der Kopf hat gesagt Nein. Und das war großartig.
GASSNER-SPECKMOSER: Wie hat das mit dem Redenschreiben bei Ihnen dann angefangen?
STROLZ: Also ich habe zuerst ... 98, 99 war ich auch freischaffender Journalist, aber eben auch Trainer im Bereich Kommunikation, Teamentwicklung, sehr viel im Nonprofit-Bereich, Sozialbereich. Ob das Schülervertretungen waren, Studierendenvertretungen, aber auch Nonprofit-Organisationen. Und ich sage immer: Alle meine beruflichen Engagements haben sich eigentlich aus Ehrenämtern heraus entwickelt. Und zwar nicht aus Kalkül. Ich habe das nicht gemacht, weil ich dann später Unternehmer da drin sein wollte. Sondern: ich bin über die Ehrenämter immer in einer Art von Meisterschaft gereift und plötzlich gab es auch eine Marktnachfrage. Plötzlich kamen Leute, die auch in Nonprofit-Organisationen waren und fragen: Kannst du das auch für Firmen? Ja sicher, ja. Und so bin ich hineingekippt. Und kannst du das auch für politische Parteien, für Organisationen ? Und so war ich acht Jahre Konsulent beim Wirtschaftsbund, hab den Karlheinz Kopf hier begleitet. Da habe ich viel erlebt, natürlich. Da habe ich, ich kann mich nicht mehr ganz erinnern, ist 20 Jahre her, Reden geschrieben, genauso wie Politiker gecoacht, aber auch verschiedener Couleurs. Das ist so, dass ich damals auch schon Minister begleitet habe, Ministerinnen. Habe zum Beispiel für die Ferrero Waldner – 2004 glaube ich war das – wurde ich geholt um das Projektmanagement zu machen für die EU-Erweiterungstour von Ferrero Waldner. Da waren irgendwie acht Leute zur Auswahl und ich habe gesagt: "Ich mache das schon, aber nur als Unternehmer." Weil sie hat gemeint, ich soll ins Kabinett kommen. Also es gab immer wieder Angebote, ins Kabinett zu kommen. Vorarlberger Landeshauptmann, Minister hier und so weiter. Ich habe gesagt "Ich bin Unternehmer." Ich habe verstanden: ich will von der Politik nicht abhängig sein, weil ich habe gesehen, was sie mit den Leuten machen, die abhängig sind. Die müssen die Pfote heben, wenn sie streng angeschaut werden. Und das habe ich nicht ausgehalten. Da war der Freigeist in mir zu stark.
KÖHLER: Sie haben ja jetzt auch gesagt, dass Sie Coach waren. Stimmt das eigentlich, dass Sie den heutigen Bundeskanzler Sebastian Kurz gecoacht haben?
STROLZ: Das stimmt, aber das waren Tausende über die Jahre damals, oder Hunderte jedenfalls. Er war aber ein Talent, das habe ich ihm damals auch gesagt. Habe ihm ein Plakat mitgegeben, so ein Flipchart-Plakat mit einem Cowboy drauf und habe gesagt "Du bist ein Talent". Also es war damals, er kommt ja nicht irgendwie aus Hietzing oder Döbling, aber ein bisschen war er mir damals zu ... ich habe immer ein bisschen einen Vorbehalt gehabt gegenüber 15-Jährigen mit Stecktuch und Sakko. Das habe ich nie ganz für nachvollziehbar empfunden. Jetzt weiß ich nicht genau, ob er wirklich so daherkam, aber so ein bisschen mehr raubeinert, ein bisserl mehr breitbeiniger dastehen. Es war dann eh lustig, weil Sebastian Kurz mir dann einmal ... Also das hat ihn auch beschäftigt glaube ich über die Jahre. Er hat einmal ein Interview gegeben, wo er gesagt hat, na, diesen Rat hat er nicht befolgt. Er hat nicht auf Cowboy gemacht.
GASSNER-SPECKMOSER: Was macht einen guten Redner eigentlich aus?
STROLZ: Naja, ich glaube, dass Sebastian Kurz als Redner gar nicht so ein außerordentliches Talent ist. Aber er hat viele andere handwerkliche Talente offensichtlich, die das dann auch irgendwo neutralisieren, dass das jetzt nicht seine Stärke ist. Joa, es gibt... Wenn ich denke, der Cap zum Beispiel war ein guter Redner im Parlament. Ich glaube ein Element ist, dass du in Beziehung treten kannst mit den Zuhörern, Zuhörerinnen. Kommt drauf an, ob das via, ist ein ganz anderes Spiel, ob das via Mikrofon, TV, oder in einem Live-Setting ist, wo die Zuhörerinnen, Zuhörer im Raum sind. Dann bin ich jedenfalls der Überzeugung, im letzteren Fall, dass du eben einen Rapport herstellen musst, eine Beziehung. Dass du auch mit denen arbeiten solltest als Redner. Ich glaube, Reden ist eine Kunst, eine Handwerkskunst. Die kann man lernen und manche haben ein größeres Talent, wie halt beim Malen oder Kochen, oder halt bei allen möglichen Handwerkskünsten, beim Schnitzen. Jeder kanns Lernen, manche haben ein besonderes Talent dafür. Es ist ein kunstvoller Akt glaube ich. Ich denke, dass die großen Redner, wie es die großen Maler beschreiben, oder Autorinnen, diesen Schöpfungsakt ja, beschreiben als einen geführten Akt. Das heißt, die sind verbunden mit der Cloud, mit dem Universum, mit einer göttlichen Quelle, einer Essenz, was auch immer sie glauben. Aber da fließt das durch sie hindurch. Und so habe ich es auch erlebt. Also meine erfolgreichsten Reden waren nicht vorgeschrieben, nicht gescriptet, die waren Downloads. Oft in der Situation entschieden, dass ich es so mache.
KÖHLER: Kommen wir ein wenig mehr in Richtung der Ausgangsfrage dieser Folge: Wie läuft denn dieses Redenschreiben nun eigentlich im Parlament ab? Wer schreibt die Reden?
STROLZ: Ja, unterschiedlich würde ich sagen. Weil es gibt Abgeordnete, die sehr sachkompetent sind, sehr sachgetrieben sind. Die sagen "ich muss mir das selbst schreiben, weil ich muss mir das auch selbst erarbeiten." So in der Intensität deiner Auftritte kann es sein, dass sie es irgendwann auch gar nicht mehr schaffen, je nachdem wie viel Sprecherrollen du hast. Grundsätzlich hat ja jede Abgeordnete, jeder Abgeordnete eine sogenannte parlamentarische Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter. Also da gibt es ein Budget für 1 bis 1,5 Kräfte, je nachdem wie du bezahlst. Das gehört dir, das Budget, als Abgeordneter. Gehört nicht der Partei. Die Partei kann informelle Pool-Logiken vorsehen, aber an und für sich gehört es zum freien Mandat. Und deswegen bist du Chefin, Chef dieser Person, die hier auf dieser Payroll sitzt. Das wird auch direkt ausbezahlt von der Parlamentsdirektion und nicht von der Partei, nicht vom Parlamentsklub. Bei manchen Parteien und bei anderen ist es wieder anders, schreiben auch die parlamentarischen Mitarbeiterinnen Reden. Bei anderen nur die sogenannten Referentinnen, das ist sozusagen eine zweite Kaste an Mitarbeitern. Die parlamentarischen Mitarbeiter sind von bis. Also manche sind stärker inhaltlich ausgerichtet in ihrer Arbeit. Der andere stärker Wahlkreisarbeit, je nachdem wie dein Abgeordneter auch unterwegs ist. Wenn du in Wien Abgeordnete bist, dann hast wenig Wahlkreisarbeit. Aber wenn du keine Ahnung, in der Obersteiermark oder in Wahlkreis Südvorarlberg bist, dann erwartet die Partei von dir, dass du diese Region auch beackerst. Und manche Abgeordneten würden dann auch eine Halbtagskraft in der Region haben. So. Jetzt, wenn du zu einem Bandel-Abschneiden gehst oder zum Musikfest "Arlberg Musikfest" in Lech am Arlberg, dann ist es wahrscheinlich, dass die Mitarbeiterin, der Mitarbeiter vor Ort dir ein paar Notizen zusammen schreibt. Ich glaube nicht, dass da eine volle Rede gescriptet wird. Aber die schreiben drauf, keine Ahnung, 50. "Vorarlberg Musikfest", unter welchem Thema, welche Musikgruppen sind alle da, nämlich von St. Jakob in Tirol bis Braz im Klostertal. Sodass du halt informiert bist. Und vielleicht sagt der Abgeordnete ja auch "Du, hilf mir mit einem Zitat, such eines heraus, wie ich gscheit einsteigen kann". Ja. Also das ist völlig unterschiedlich. Wenn der gleiche Abgeordnete einen Tag später im Parlament spricht zum Thema wie er jetzt steht zur nächsten Novelle der Corona-Gesetze, dann ist es unwahrscheinlich, dass die Vorarlberger Mitarbeiterin das schreibt. Sondern je fachspezifischer, umso wahrscheinlicher ist, dass die fachspezifischen Referenten einrücken, im Parlamentsklub. Die sind auf der Payroll. Also die werden bezahlt vom Parlamentsklub, nicht von der Parlamentsdirektion. Parlamentsklub ist eine eigene Rechtsperson, ist wiederum nicht die Partei. Weil es gibt dann auch noch in der Partei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Also, wenn du auch für die Partei auftrittst, also bei einer Parteiveranstaltung kann es sein, dass deine Redeunterlagen auch von einer Parteimitarbeiterin kommen. Wenn du Parteichef bist, in dem Fall von deinem Generalsekretär.
GASSNER-SPECKMOSER: Wie funktioniert das dann mit der Zeit? Wie viel Zeit hat da jeder Abgeordnete, um seine Rede vorzutragen? Wie wird das berechnet?
STROLZ: Da gibt es sogenannte Wiener Stunden. Also in der sogenannten Präsidiale, da sind Klubchefs drin und die drei Parlamentspräsidenten. Und der Parlamentsdirektor als oberster Beamter, Manager, wenn man so will. Wir besprechen... Also die besprechen, ich bin ja nicht mehr drin, also die besprechen jede Parlamentssitzung vor. Es wird ein kurzer Blick auf die Agenda genommen. Was kommen da alles für Gesetzesmaterien rein. Wie lang braucht man da ungefähr? Und da legt man dann die sogenannten Wiener Stunden fest, die nicht genau 60 Minuten sind. Das hat sich über die Jahre, Jahrzehnte immer wieder auch verändert, da ist ein komplizierter Schlüssel hinterlegt, aber sagen wir 60 Minuten. Dann legen wir fest: OK, wir brauchen also acht Wiener Stunden zwei, dreimal. Dann legen wir drei Parlamentstage fest. Man ist in den letzten Jahren oder Jahrzehnten schon übergegangen, nicht mehr bis nachts um Vier zu tagen. Weil das hat es früher auch gegeben. Das gibt es noch in absoluten Ausnahmefällen, dass es über Mitternacht drüber geht. Weil es gibt viele parlamentarische Instrumente, die während der Sitzung gezogen werden können, die man vorher noch nicht kennt, die aber dann Zeit brauchen. Und dann kann es sein, dass eine Sitzung, die eigentlich bis acht Uhr am Abend angesetzt war durch Sonderinstrumente plötzlich bis nach Mitternacht dauert. Und ja. Dann wird wiederum nach einem Schlüssel der Stärke der Parteien nach, sagen wir, diese acht Wiener Stunden, dann aufgeteilt. Und jede Fraktion geht in ihren Parlamentsklub und sagt: Wir haben damit eine Stunde Redezeit. Eine Wiener Stunde, in dem Fall 65 Minuten. Und dann kommen alle Tagesordnungspunkte hinein, man schaut sich die Agenda an, fragt jede Abgeordnete, jeden Abgeordneten, die hier im Lead ist, also die Fachsprecherin: Willst du dazu sprechen? Meistens macht die Klubführung dazu auch einen Vorschlag. Weil du kennst ja deine Pappenheimer. Und du kannst ja auch als Klubchef, deine Parlamentsdirektorin, quasi in meinem Fall, die schaut sich das vorher dann auch an. Weil die spiegeln das auch auf einer Direktorenebene davor. Also die Sitzung der Präsidiale wird vorbereitet davor von den Direktoren. Damit wir schon irgendwie was Vorgekautes wiederkäuen können und die nach offenen Fragen entscheiden können. Das heißt, die hat auch einen Überblick. Und die sagt "Ah das ist ein heißes Thema, da wollen wir etwas dazu sagen." Oder "das Thema ist völlig irrelevant." Völlig irrelevant ist gar kein Thema, aber ... "Das wird Nachts um 22:50 verhandelt werden, es ist kein Fernsehen mehr dabei." Besonders umstritten sind immer die Zeiten, wo das Fernsehen live überträgt, nämlich ORF2. Weil du wesentlich mehr Zuschauer hast als mit dem Stream, der nur noch auf der Website stattfindet. Und ja. Dann heißt es vier Minuten Zeit für diese Materie. Und wenn du überziehst... Meistens baut man einen Puffer von ein, zwei, drei Minuten ein. Und da gibt's dann meistens immer einen sogenannten Ordner. Das ist eine echte Funktion. Ein Abgeordneter ist Ordner, der schaut, dass bei den Klubs auch die Redezeiten eingehalten werden. Weil wenn wir im Verzug sind, kann es ja sein, dass für den letzten gar keine Redezeit mehr bleibt. Sondern dann ist die Redezeit der SPÖ oder ÖVP, FPÖ, Grüne oder NEOS erschöpft und du hast genau noch eine halbe Minute, würde dann der Präsident oben im Vorsitz sagen. Und dann musst halt hudeln, weil du hast halt deine Rede vorbereitet für sechs Minuten. Und so ist das. Also die Whip, im englischen Parlament heißt das die Peitsche, bei uns ist das nicht so martialisch der Ordner. Und das ist in jedem Klub auch ein bisschen anders gelöst.
KÖHLER: Gehen wir das vielleicht kurz noch einmal Schritt für Schritt durch: Eine Rede wird im Parlament gehalten: Was passiert alles davor?
STROLZ: Also. Ein Thema kommt ins Parlament und wird in der Regel einem Ausschuss zugewiesen. Also, wenn es einmal ins Parlament kommt, wird es noch gar nicht groß diskutiert, sondern es geht relativ schnurstracks in einen Ausschuss. Und dort findet eine Fachdebatte dazu statt. Zu dieser Fachdebatte erstellen die Parlamentsklubs, die Mitarbeiter, die Referentinnen in der Regel ein sogenanntes Fachdossier. Die werden da schreiben: was ist die Position der anderen Fraktionen, was ist unsere Position, was sind unsere Argumente, was sind die Gegenargumente, was ist unsere Abstammungslinie. Das kann auch an manchen Punkten sogar noch offen sein, ob wir dafür oder dagegen stimmen. Weil es nicht immer schwarz-weiß ist. Es kommen auch Abänderungsanträge und so weiter. Das ist relativ komplex. Auf Basis dieses Fachdossiers würden dann entweder dieselbe Mitarbeiter, das wird in jedem Parlamentsklub ein bisserl anders sein oder der eigene parlamentarische Mitarbeiter oder du selbst als Abgeordneter dann dir ein Skript machen für deine Rede. Und hier ist es auch wieder völlig unterschiedlich. Es gibt jene, die brauchen ein Volltextskript. Die sagen also "Lieber Mitarbeiter schreib mir die Rede" und ich lese sie dann runter, oder tu so, als wäre es eine Rede und es ist aber eine Leseübung. Dann jammern auch andere Kollegen. Die, die es nicht gut meinen mit dir schreien dann auch hinaus und sagen "Das ist eine Rede, keine Leseübung." Also da kriegst dann natürlich auch gewisse Ehre als Abgeordneter, dass du sagst "Ah, ich muss die freie Rede ein bisschen üben." Dann kommen manche drauf, dass es gar nicht so hilfreich ist, eine Volltextrede am Zettel zu haben, weil ich schaff’s dann nicht, davon wegzukommen. Das bringt mich in einen Lesemodus. Also steigen manche um und sagen: "Ich habe zwar die Volltextrede, aber den Zettel, den ich mitnehme da raus, da sind nur noch Stichworte oben." Manche werden das zuhause üben. Und der Mann oder die Frau werden es nicht mehr hören können. Und werden sagen "jetzt hör auf da mit dem Gesummse." Und die werden sagen "Na, morgen eine wichtige Rede, das muss ich üben," ja. Und da sind sie halt vor dem Spiegel im Badezimmer. Wiederum andere, die viel Erfahrung haben, und ein Selbstbewusstsein, werden sagen: "Ich brauche weder Vorbereitung, kein Script, keine Stichworte" die werden sagen, "ich stelle mich da einfach raus, weil ich bin so im Saft. Das ist mein Fachgebiet seit zehn Jahren, ich habe mir die Unterlagen natürlich angeschaut, ich war im Fachausschuss dazu. Ich kenne alle Argumente, ich weiß, wie die Meinungsstränge verlaufen, ich schaue mir die Debatte im Plenum an. Und antworte dann direkt auch auf die Dynamik der Debatte." Das halte ich auch für sinnvoll. Also ich habe das nicht mögen, wenn Leute kommen mit der Rede, die sie vorgestern geschrieben haben und die mit der Debatte und der Dynamik vor Ort nichts zu tun haben. Das ist natürlich keine Debatte, das ist dann eine Lesestunde, ja.
GASSNER-SPECKMOSER: Und wie war das dann bei Ihnen? Haben Sie Ihre Reden immer selbst geschrieben?
STROLZ: Naja meine Mitarbeiter haben sich schon immer beschwert ... Also sie waren es dann gewohnt, dass es sinnlos ist, mir Reden zu schreiben, weil ich mich eh nicht dran halte. Das stimmt schon. Und irgendwann läuft sich das dann relativ schnell tot. Weil, wenn du zehn Mal das Skript nicht verwendest, dann haben sie auch keinen Bock mehr, dir etwas zu schreiben. Ich habe immer gesagt: Mir ist es trotzdem hilfreich, wenn ihr etwas schreibt, weil das ein wichtiger Zubringer ist. Das vergrößert den Pool an Rohmaterial, aus dem ich dann schöpfen kann in der Situation. Und insofern wurden mir halt dann nicht Reden geschrieben, sondern die Dossiers aufbereitet. Reden zu schreiben, das haben sie dann irgendwann aufgehört, und das verstehe ich auch. Aber es war mir schon wichtig, dass ... Also ich habe dann schon ab und zu gesagt: Schreib einmal, wie du auch vortragen würdest, also mit welchem Aufbau und so weiter. Ich habe die meisten Reden nicht geskriptet gehabt. Es gab vielleicht einige wenige, die im Volltext vorbereitet waren.
KÖHLER: Bei unserer Recherche sind wir auf ein paar Reden gestoßen, die uns zum Schmunzeln gebracht haben. Und teilweise auch viral gegangen sind. Zum Beispiel die Lost-in-Time-Lost-in-Space Rede. Was ging ihnen da durch den Kopf? Wie sind sie auf solche Reden gekommen? Haben die überhaupt Sie selbst geschrieben?
STROLZ: Es gibt ein paar Reden, die sind auch ikonisch. Ban Ki-Moon zum Beispiel als er da war. Dieses "Lost in Time Lost in Space". Da habe ich mir in der Straßenbahn noch etwas zusammengeschrieben, auf dem Hinweg. War dann aber eigentlich gar nicht so happy mit dem, was ich da vorbereitet hatte. Und irgendwie habe ich da keinem Mitarbeiter den Einsatz gegeben, dass sie mir etwas vorbereiten sollen. Und habe das dann in meiner Schublade gehabt und habe den anderen Parteichefs zugehört und da habe ich dann fünf Minuten vor der Rede beschlossen, dass ich ganz was anderes erzähle. Da habe ich einfach hingespürt. Und hab ihn dann eben begrüßt, also er ist unser Weltenbürgermeister. Und dann halt habe ich die Rocky Horror Picture Show zitiert. Keine Ahnung. Die ist mir eingeschossen. Ja. Die ist ziemlich viral gegangen, aber hat eben sehr polarisiert. Also an dem Tag habe ich Zuschriften gekriegt "Ich habe mich noch nie so geschämt für einen österreichischen Parlamentarier wie heute." Aber auch Zuschriften, genauso viele "Ich hab heute geweint vor dem Fernseher" und "ich war noch nie so berührt von einer Rede im österreichischen Parlament." Also von bis. Und das war tatsächlich ein Download. Ich wollte einfach den Fokus weiter aufmachen als nur ... Wenn hier tatsächlich der UN-Generalsekretär sitzt. United Nations Organisation. Die Organisation, wo wir uns weltweit als Menschen organisieren. Auch als Staaten. 195 oder wie viele es gerade sind. Da erschien es mir als banal diese abgedroschenen berechenbaren Plattitüden vorzutragen. Sondern da hat bei mir total diese spirituelle integrale Seite auch gekoppelt. Und ich finde, wir sind alle verbunden, wir Menschen, ja. Das wollte ich zum Ausdruck bringen. Und das gelingt dir am besten, wenn du von oben auf den Planeten schaust. Das berichten ja auch alle Astronauten, nicht? Dass sie eigentlich mit einem größeren Gefühl der Verbundenheit zurückkommen, wenn sie einmal von oben draufgeschaut haben. Und, wenn man so will, ist es mir schon möglich aufzusteigen aus meinem Körper und herunterzuschauen. Brauche kein Spaceship dafür. Das wollte ich zum Ausdruck bringen. Und da ist mir die Rocky Horror Picture Show eingefallen. I’m crawling on a Planet's Face. Insects called a human race. Lost in Time and lost in Space. And in Meaning.
GASSNER-SPECKMOSER: Hören wir da vielleicht einmal kurz hinein:
STROLZ: Und ich denke, wenn ich mich dann hochbeame auf einen dieser Planeten und auf die Erde herunterschaue, dann ist das tatsächlich so, dass diese Analyse wahrscheinlich stimmt von außen betrachtet. Wir bewegen uns hier als menschliche Rasse auf dem Planeten lost in time, lost in space, lost in meaning. Wir hauen uns, wir schlagen uns, wir ermorden uns gegenseitig.
STROLZ: Ja. Das spannende war dann, als ich da begonnen habe, habe ich gemerkt, dass die Regierung hinter mir nervös wird. Die waren am Anfang total aufmerksam bis ein bisschen erschrocken. Macht der jetzt da einen Scheiß? Müssen wir uns jetzt schämen? Dann waren sie kurz amüsiert. Oder peinlich berührt, sie haben es selbst nicht gewusst. Sebastian Kurz ist mit Pokerface dagesessen. Und ich habe natürlich versucht, eine Beziehung mit dem Ban Ki-Moon herzustellen. Was nicht gelang. Weil das ist halt was Asiatisches. Ich bin ja ab und zu auf anderen Kontinenten unterwegs. Ich tu mir sehr schwer, Asiaten zu lesen. Weil die sind a bisserl Pokerface für mich. Jetzt habe ich da ab und zu hinaufgeschaut und mir war nicht klar, versteht mich der überhaupt? Hält der das jetzt für völlig abgefahren oder völlig daneben? Und die Regierung hinter mir ... Irgendwann sind sie dann auch gewechselt ins Lager von Respekt. Also da war alles. Von Fremdschämen, Respekt, Verwunderung, geschockt bis Verwirrung. Ja. Und so ist es auch der Bevölkerung gegangen glaube ich. Und du gehst dann auf deinen Platz zurück und hast diesen ... Vulnerability Hangover, nicht. Du bist so selbstbeschämt, weil du merkst. Uh. Ähm. Da hast du jetzt eine Grenze verletzt. Und es wird erst die Zukunft zeigen, ob das gut war oder nicht.
GASSNER-SPECKMOSER: Wir sind in den Recherchen auch über Ausschnitte gestoßen, wo sie die Regierung als "Bondageklub" bezeichnen, oder, wo sie sagen, dass nur verzweifelte Indianer tote Pferde reiten. Braucht es auch ein gewisses Maß an Humor beim Redenschreiben?
STROLZ: Naja, ja. Humor ist eines der kraftvollsten, effektivsten, und effizientesten Stilmittel, das wir haben als Redner. Nicht das Allseligmachende. Aber Humor ist super. Weil Humor natürlich einen Sachverhalt auf den Punkt bringt, aber auch gleichzeitig auf der emotionalen Ebene erreicht und damit Beziehung aufbaut und so weiter. Also ich bin schon einer, der ein extremer Schwamm ist auch. Das heißt, ich höre da genau hin, die Tage davor. Also ich kann mit einer Rede schon auch schwanger gehen über mehrere Tage. Also meine Vorbereitung ist eher quasi eine informelle Schwangerschaft. Nicht, dass ich sie schreib. Sondern ich habe da einfach die Antennen draußen und ich sammle da, sammle da, sammle da. In der Zuversicht, dass es da eine sinnvolle Entladung geben wird. Und meine Abschlusspressekonferenz "Pilot des Lebens", da gibt es ja auch eine Razelli-Vertonung dazu auf YouTube, die habe ich durchgeskriptet. Weil ich gewusst habe, das wird mich so... Das war so ein schwieriger Moment für mich. Und ich habe auch gewusst: Ich weiß nicht, ob ich das ohne Tränen überstehe. Und ich werde so viele Momente haben, die mich potentiell in die Blockade bringen, dass ich zumindest den Text durchgetaktet haben will. Und ich war die Tage davor in Amsterdam in einem Workshop. Und habe da wirklich einen Vormittag mir frei genommen. Weil ich habe so einen Druck gespürt. Ich habe gemerkt, ich kann da jetzt nicht blank hineingehen. Es ist so wichtig, dass die Partei von dieser Übergabe Schwung mitnimmt und nicht implodiert. Und ich war, da bin ich systemischer Organisationsentwickler, ich war mir sicher, das ist der richtige Zeitpunkt und die Partei ist auch reif und ich bin zum ersten Mal gut ersetzbar. Aber ich habe auch gewusst, dass das auch ganz viele anders sehen werden. Sowohl intern als auch extern. Und deshalb bin ich dann auch... Ich bin dann auch relativ lange in Ausführungen gegangen. Das war ja eine 30-minütige Pressekonferenz. Könnte man auch sagen naja bist zu viel in die Rechtfertigung gegangen oder in die Erklärung. Aber es war irgendwie auch ein Resümee über diese fast sieben Jahre Aufbauarbeit. Und das war jetzt von der Rede her auch keine große Darbringung. Aber in diesem Moment ist es ja um etwas anderes gegangen. Da ging es mir schon um große Präzision im Inhalt und um Verlässlichkeit in der Darbringung. Weil ich gewusst habe, das wird schwierig für mich. Und irgendwann habe ich auch einen Klotz im Hals gehabt, wo ich aussetzen musste. Und das ist dann beklemmend, wenn du weißt: Boah, bist du narrisch, jetzt hast du die Kameras auf dir und du bringst kein Wort mehr heraus, oder wirst gleich in Tränen ausbrechen. Puh. War heavy.
KÖHLER: Wenn sie heute nicht als ehemaliger NEOS-Abgeordneter, sondern als Redenschreiber und Coach zurückblicken: Wer waren Ihrer Ansicht nach gute Redner im Parlament? Und was macht sie aus?
STOLZ: Naja Cap war immer gut. Kickl ist ein guter Redner, das ist ja völlig außer Streit. Ein sehr Scharfzüngiger. Bist du narrisch. Die Beate Meinl Reisinger ist eine großartige Rednerin, die ist eine Wucht. Wie hat er geheißen von der SPÖ der Ältere? Der war immer legendär, der hat so einen eigenen Jargon gehabt ... Ah Brings jetzt nicht zusammen. Aber es gab so ein paar Typen, wo du dir nicht sicher bist: Ist das jetzt gut oder schlecht, aber es ist unverkennbar. Der Werner Kogler war ein guter parlamentarischer Redner. Weil er so eine ganz eine eigene Form von Darbringung hatte. Van der Bellen war ein großartiger parlamentarischer Redner. Da gibt es ein YouTube-Video, wo er dem Haider etwas ausrichtete in Sachen Wirtschaftspolitik. Die ging ja eh über Jahre, mittlerweile zwei Jahrzehnte viral. Also es gibt etliche. Und jeder hat so seine eigene Note. Also ich glaub, dass es keine absoluten Merkmale gibt, wo es gilt, wenn du die nicht hast, dann geht es sich nicht aus oder so. Sondern effektvolle Rede ist immer ein Resultat von mehreren Zubringern. Ich glaube, dass Authentizität sehr hilfreich ist. Aber ich habe auch schon große Redner gesehen, die nicht authentisch waren. Ein Grenzgänger ist ja immer Trump zum Beispiel. Der ja in seiner Lüge wiederum authentisch ist. Aber natürlich ist da extrem viel inszeniert. Und das ist auch in der analytischen Vermessung ein ganz schwieriger Fall. Großartiger Redner, keine Frage. Auch jetzt, wo er sich wieder hinstellt, erstmals seit seiner Abwahl, wo du merkst, er ist echt angepisst, und er ist irgendwie gekränkt. Und da steht er da und sagt: "Do you miss me? DO YOU MISS ME??" Und du denkst dir: Alter Schwede. Natürlich hat der eine Teilbegabung sage ich jetzt einmal. Partialgenie, nicht? Dass es woanders fehlt ist auch offensichtlich, nicht? Und dass er halt ein pathologischer Narzisst ist. Aber dieses Lustvolle. Das hat ja auch immer der Haider gehabt, dieses Lustvolle. Also wenn sich jemand da draußen quält, dann geht es halt nicht. In der Sache sattelfest. Man muss schon auch ein politischer Kopf sein. Es gibt auch viele Abgeordnete, die sind keine politischen Köpfe. Die lernen Politik, aber du merkst sofort, wenn du selbst im G’schäft warst, merk ich nach zehn Minuten einer Rede: ist dieser Mensch ein politischer Kopf? Ist das ein "political Animal"? Ist das ein Triebtäter im besten Sinne des Wortes? Kommt es aus einem inneren Ort? Gibt es eine innere Notwendigkeit? Und das alleine ist aber auch nicht seligmachend. Natürlich kann das auch kippen in die Obsession, ins Zwängliche, in die Selbstgefälligkeit, in die Arroganz. Also ich kann gar nicht sagen, diese drei Dinge... Strukturiere in einem Fünf-Satz deine Rede und dann wird alles gut. Und mach dazwischen Pausen und lächle auch mal. Weil es 100 Reden gibt unter den größten Reden der Welt, wo das alles wahrscheinlich nicht eingehalten wurde. Also, es ist ein Gesamtkunstwerk, eine Rede. Und es hat etwas zu tun mit Kompetenz und mit Charisma. Aber Charisma ist wiederum eine Funktion der Macht. Also je nachdem, wer du bist. Für manche reichts halt, wenn du schon groß bist. Für manche reicht es ja schon, wenn du groß bist, wennst dich hinstellst und Bap machst. Und dann kreischen 60.000 Leute bei Lady Gaga, ja. War das jetzt eine große Rede, nicht? Wenn wir uns hinstellen und sagen Bap. Wir können da eine große Rede halten und die Leute pfeifen uns hinaus. Also, es ist sehr kontextabhängig, extrem rollenabhängig, wie du eingeführt bist in diese qualifizierte Öffentlichkeit. Ja. Ich kanns nicht sagen, das ist die Zusammenfassung.
GASSNER-SPECKMOSER: Wenn Sie jetzt trotzdem jemand nach Ihren drei ultimativen Tipps für Reden fragen würde: Welche wären das?
STROLZ: Gute Vorbreitung. Anfang, Ende dabei auswendig lernen. Und den Mittelteil strukturiert haben. In der Sache sattelfest sein. Das heißt: Do your Homework. Die Zahlen müssen bereit sein und die Argumente müssen sitzen. Gute Struktur. Und dann tatsächlich üben. Sprich’s zuhause und dein Mann soll dich mitfilmen, oder deine Freundin, I don’t know. Und schau es dir einmal an. Das habe ich dann irgendwann nicht mehr gebraucht, aber ich war ja auch Kommunikationstrainer 15 Jahre davor und habe viele Tage und Wochen in Redeanalysen verbracht, ja. Und das verinnerlichst du und trotzdem mache ich Fehler, die abstrus sind. Wo ich sage: Das kannst du doch nicht... Du willst Experte sein? Aber ab und zu hat mir das regelrecht Freude gemacht, Fehler zu machen, weil ich dachte: Scheiß drauf. Ich bin ja kein Androide, ja. Also ich habe dann auch Freude daran, Regeln zu brechen. Aber es ist völlig klar, es kommen ja auch jetzt noch Leute zu mir... Das ist jetzt nichts, was ich offensiv anbiete, aber es kann sein, dass ich mal einen CEO oder auch eine Figur des öffentlichen Lebens kurz coache für einen Auftritt. Und sich einmal selbst gesehen zu haben hilft immens, weil das von den Leuten extrem viel Druck nimmt. Erstens, meistens erkennen sie: ich kann's. Und sie erkennen aber auch, was sie dann nicht machen wollen. Also ich will da nicht zu schnell sein in einer Rede, ja. Wichtig ist, dass du ihnen dann aber auch wieder den Druck nimmst, dass das unbedingt so sein muss. Also sei gut vorbereitet, und gebe dich dann, das ist der letzte Tipp, dem Hier und Jetzt hin. Verbinde dich mit allem, was im Raum ist. Verbinde dich gut mit deinem "inneren Ort". Sperr dich davor im Häusl ein, falls alle auf dich einquatschen, weil dann bist du nicht bei dir. Aber das Häusl ist ein Ort, wo wir bei uns sein dürfen, das ist sozial anerkannt. Und das ist ein Tipp, den gebe ich vielen Spitzenpolitikern, CEOs. Wenn du Zuflucht suchen kannst bei dir selbst, dann mach das. Und es gibt jedenfalls einen Ort, der sozial akzeptiert ist und wo du das vollziehen kannst. Und versuch dich dort zu zentrieren, in deine Mitte zu kommen.
KÖHLER: Was macht ein Matthias Strolz eigentlich nach seiner politischen Karriere? Haben Sie noch immer etwas mit Reden oder Redenschreiben zu tun?
STROLZ: Ja schon. Ich habe fast so viel gesprochen vor Corona wie zu politischen Zeiten. Also ich war ja mit meinem Buch unterwegs "Sei Pilot deines Lebens". Das war gewissermaßen skurril. Weil, wenn ich als NEOS-Chef nach Graz gekommen bin, haben wir uns einen Haxen ausgefreut, wenn da irgendwie 30, 40 Menschen erschienen sind. Komme ich mit meinem Buch, dann irgendwie war da plötzlich die Hütte voll mit 400 Leuten und wir mussten schon zehn Minuten vor Beginn der Veranstaltung abriegeln. Hier in Österreich war das dann sechs Monate ein Bestseller und bin dann wirklich durch das Land getourt, weil mir das auch taugt. Ich bin ein Impact-Unternehmer. Wenn ich merke, ich kann hier Gutes stiften und ich kriege auch jeden Tag Zuschriften, auch heute noch: Das hat mir geholfen, oder das hat was bewirkt in mir. Dann sage ich: Wunderbar. Ich bin noch immer Politiker, aber ohne politische Funktion. Aber das, was ich bewirken wollte, meine Leidenschaft für Entfaltung, Potentialentfaltung betreibe ich jetzt als Autor, als Unternehmer, begleite auch punktuell politische Parteien in Afrika, war mal in Johannesburg für den Kick-Off eines Politikaccelaterators mit dem Institut für Innovation in Politik und Liberal International. Leider ein bisschen zum Erliegen gekommen, jetzt wahrscheinlich durch Corona. Und auch am Balkan begleite ich Parteien. Das heißt, da habe ich dann auf der anderen Seite wieder zu tun mit Reden oder so. Aber das sind ja alles sehr schlecht bezahlte Dinge, die ich auch mache, weil ich es für richtig und wichtig halte, mir Spaß macht. Und dann muss ich halt auch ... Bin ein bisschen Robin-Hood-Prinzip ... Dafür muss ein CEO, der herkommt, der legt ordentlich ab, weil ich weiß, die haben’s. Also ich bin von allen Seiten mit Reden konfrontiert. Hab dann auch meine Buchtour in Deutschland gestartet. Auch Berlin war gut mit 300 Leuten, und Köln und dann München ist schon ausgefallen und der Rest ist dann quasi von Corona hinweggefegt worden. Und jetzt mache ich auch online... Also heute zum Beispiel noch mit dem Bildungswerk der katholischen Kirche in Kärnten zum Beispiel einen Online-Abend einen öffentlichen. Also es kommt wieder. Die Rede. Solange ich atme, wird die Rede wahrscheinlich eine meiner Leidenschaften bleiben. Natürlich rede ich immer zu viel, heute auch schon wieder. Das ist dann eine Downside. Aber ihr könnt‘s ja "aussischneiden".
GASSNER-SPECKMOSER: Rausgeschnitten haben wir bei dieser Folge tatsächlich recht viel. Nicht, weil Herr Strolz sich versprochen hätte. Und auch nicht, weil er etwas Geheimes gesagt hätte, keine Sorge. Sondern, weil das Gespräch dann doch noch um einiges länger ging.
KÖHLER: Aber für diese Folge reicht es erst einmal. Wie Reden im Parlament genau entstehen, das dürfte hiernach wohl klar sein. Nämlich manchmal durch einen etwas längeren Prozess, bei dem Mitarbeiter und Kollegen helfen. Und manchmal wohl auch einfach nur durch eine spontane Eingebung.
GASSNER-SPECKMOSER: Wir, liebe Hörerinnen und liebe Hörer, hören uns hoffentlich in zwei Wochen wieder. Bis dahin können Sie uns wie immer unter podcast@parlament.gv.at Anregungen, Fragen oder Wünsche schicken.
KÖHLER: Das letzte Wort übergeben wir aber nochmal noch einmal Herrn Strolz. Bis zum nächsten Mal. Ciao!
GASSNER-SPECKMOSER: Tschüss!
KÖHLER: Können Sie sich noch an ihre allererste Rede erinnern?
STROLZ: Naja. Ich habe an einem Tag der offenen Tür freiwillig in der Schule ein Referat gehalten über die Hexenverfolgung in Vorarlberg. Und für meine Mitschüler war das abstrus, warum ich mich da freiwillig melde und sowas mach. Und mir hat das immer schon getaugt, Themen selbst auszuarbeiten. Deshalb auch Fachbereichsarbeit später und so weiter. Weil das hat mir am meisten gegeben. Ein Thema zu durchdringen und selbst dazu Stellung zu beziehen. Und das war damals auch erfolgreich irgendwie ja. Hexenverfolgung in Vorarlberg ... Ja so hat es damals angefangen. Mit dem Scheiterhaufen!