Wie arbeitet eine Abgeordnete?
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Wie ist es Parlamentarierin zu sein? Wie sieht ein typischer Tag aus? Und worüber sprechen Abgeordnete in der Kantine?
In der aktuellen Folge unseres Podcasts der Reihe „Parlament erklärt“ sprechen wir mit Stephanie Cox über die Arbeit als Parlamentarierin. Cox war bis 2019 Nationalratsabgeordnete für die Liste Jetzt.
© Parlamentsdirektion/Satzbau/hoerwinkel
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Transkription
Stephanie COX: Es war wurscht, ob ich jetzt am Wochenende bei meiner Oma zum Essen eingeladen war am Wochenende, wenn ein Thema aufgepoppt ist und ich eine Presseaussendung schreiben musste oder mich zu einem Thema äußern musste, dann war es egal, ob ich jetzt gerade bei einer Hochzeit sitze oder beim Geburtstag meiner Oma. Das heißt, als Abgeordnete ist man eigentlich rund um die Uhr aktiv.
Tobias GASSNER-SPECKMOSER: Stephanie Cox war für die Liste PILZ bzw. den Parlamentsklub JETZT als Abgeordnete im Nationalrat. Sie sprach dort vor allem zu den Themen Gleichberechtigung, Digitalisierung und Bildung. Wir haben sie gefragt, wie der Arbeitsalltag als Abgeordnete für sie so ausgesehen hat. Mein Name ist Tobias Gassner-Speckmoser.
Diana KÖHLER: Und ich bin Diana Köhler. In der heutigen Folge von "Parlament erklärt" sprechen wir mit Frau Cox darüber, wie es ist, Parlamentarierin zu sein, was sie anders machen würde und worüber Abgeordnete in der Kantine so alles sprechen.
***** JINGLE *****
GASSNER-SPECKMOSER: Frau Cox, stellen Sie sich doch bitte einfach einmal kurz vor!
COX: Hallo, mein Name ist Stephanie Cox. Ich war Abgeordnete im Nationalrat in der letzten Legislaturperiode, das war von 2017 bis Ende 2019 der Fall. Und jetzt befinde ich mich gerade am Ende meines Sabbaticals, also ich habe mir nach meiner Politik-Zeit eine Auszeit genommen. Es hätte eine Weltreise werden sollen, Corona hat mich zurückgepfiffen nach Österreich und es war trotzdem ein sehr spannendes, intensives und verrücktes Jahr. Und jetzt bin ich wieder am Weg zurück ins Unternehmertum und werde voraussichtlich schon sehr bald wieder gründen.
KÖHLER: Und Sie sind für die Liste Pilz bzw. JETZT angetreten, haben sich aber als freie Abgeordnete verstanden?
COX: Ich war für JETZT, also, am Anfang hat sie Liste Pilz geheißen, als wir angetreten sind, das war quasi – wir haben uns als Bürgerbewegung gesehen, also ich war ja vorher nicht in der Politik. Ich wurde dann gefragt, ob ich mit einem freien Mandat antreten möchte, das heißt ich habe zum Beispiel keinen Klubzwang gehabt, wenn ich abgestimmt habe. Und ich bin dann da quasi rein, war aber nie Parteimitglied, war aber im Parlamentsklub von JETZT, weil wir uns ja zwischendurch dann quasi umbenannt haben, Abgeordnete.
GASSNER-SPECKMOSER: Wie war es für Sie dann, plötzlich Parlamentarierin zu sein?
COX: Als wir reingekommen sind ins Parlament – wir haben es ja sehr knapp hineingeschafft, und es war für viele sehr verwunderlich, dass wir es überhaupt reingeschafft haben – das war schon harte Arbeit auch, aber auch eine ziemlich verrückte Reise, dass wir es reingeschafft haben. Wir hatten ja zum Beispiel nur ein Plakat und haben solche Aktionen ja auch gemacht. Und das ging ja sehr schnell – also von dem Zeitpunkt, wo ich gefragt wurde, bis ich im Parlament war, waren das ja nur vier Monate. Das heißt, es war für mich persönlich auch eine unglaublich verrückte Zeit, weil, wenn man nicht aus der Politik kommt, dann befindet man sich auf einmal auf Podiumsdiskussionen, bei denen sich die Leute anschreien, und man sich die Frage stellt, warum schreien sich die Leute an, warum können die Leute nicht miteinander sprechen, normal miteinander sprechen? Und dann ist man auf einmal in einem ZiB-Studio und da macht man sich schon gescheit in die Hose davor, weil das ist einfach nicht einfach am Anfang, und weil man in der Politik andere Fragen stellt: Da wird alles, was man sagt, auf die Waagschale gelegt.
KÖHLER: Wie kam es denn überhaupt zu Ihrer Kandidatur? Sie waren ja ursprünglich nicht in der Politik.
COX: Ur verrückt: Mich hat ja die René Schröder angerufen. Ich war also gerade dabei, meine Weltreise damals zu planen, da ruft mich die René an und sagt: "He, Stephie, wir machen da grad eine Bottom-Up-Bewegung und ich bin mit dem Peter [Pilz, Anm.] in die Schule gegangen damals, und der ist schwer in Ordnung, und da gibt es andere coole Leute, die da mitmachen, und es braucht Leute wie dich." Und ich war gleich so: "Nein, fix nicht." Also, was mach ich, nein, ich will – ich war an dem Punkt, wo ich sehr unternehmerisch tätig war, davor, und mir eigentlich immer gedacht habe: "Okay, gut, ich versuche, in meinem Bereich das Beste zu tun und viel zu bewegen", aber die Politik war für mich sehr weit weg – also ich war eigentlich auch sehr politikverdrossen zu der Zeit. Und dann ging es aber sehr schnell, weil dann hat sie mich ein paar Tage später kontaktiert, und hat gesagt "He, was ist?" Und ich war so: "Oh Gott!", und dann musste ich es mir halt wirklich überlegen und habe mir halt die Frage gestellt, wenn ich mal Kids hab, in Zukunft – also ich habe jetzt noch keine Kids, aber wenn ich Kids habe, in Zukunft , die sagen "He, du hast gesehen, was passiert, in der Gesellschaft, und was hast du gemacht?" und ich dann sage "He, ich habe einen Anruf bekommen aus der Politik, aber ich bin halt mal auf Weltreise gegangen". Das war dann nicht mehr so einfach. Da musste ich mir echt die Frage stellen: Fühle ich mich vertreten? Und es gab sehr wenig bis gar keine jungen Frauen [im Parlament, Anm.]. Welche Rolle spielt die Digitalisierung? So gut wie keine. Also gerade aus dem Digitalisierungsbereich kommend war das für mich erschreckend. Und dann durch den Rechtsruck war ich auch so: "Okay, ich muss da was machen." Und dann war das eine Entscheidung, die ich dann innerhalb von sechs Tagen treffen musste. Das war keine einfache Entscheidung für mich, und ich durfte und konnte nicht mit wirklich vielen darüber sprechen. Nach sechs Tagen habe ich mich dazu entschieden, es zu tun, und dann bin ich ein paar Tage später bei der ersten Pressekonferenz gesessen und da waren gleich so 30 Kameras vor einem und dann wusste ich: "Okay, mein Leben wird sich auf den Kopf stellen."
GASSNER-SPECKMOSER: Können Sie für uns den typischen Arbeitsalltag einer Abgeordneten im Nationalrat beschreiben?
COX: Das Spannende war: Es gab eigentlich keinen "klassischen" Tag sozusagen, weil jeder Tag einfach verrückt war auf die eigene Art und Weise. Man kann sich das so vorstellen, dass man als Abgeordnete in einem Monat verteilt eine Woche Plenarsitzungen hat. Das heißt, man sitzt da einen bis fünf Tage im Plenum. Dann gibt es circa zwei Wochen im Monat, da hat man ganz viele Ausschüsse. Das heißt, da muss man sich natürlich wieder ganz anders vorbereiten. Und dann gab es quasi eine unter Anführungszeichen "freie" Woche und in dieser Woche ist man viel gereist, war man viel draußen, hat viel mit Leuten gesprochen. Und das heißt, jede Woche war anders, jeder Tag war anders.
Aber um die Frage ansatzweise beantworten zu können: Mein Tag hat schon damit gestartet, dass ich ins Büro gekommen bin und dass man sich 'mal das Morgenjournal angehört hat, also man hat sich einfach über die Themen informiert, beziehungsweise ich wurde auch von meinem Team informiert. Man kann sich das so vorstellen: Man kommt ins Büro und alle laufen schon ziemlich verrückt herum und briefen einen dann, was für Themen heute brandheiß sind. Und man überlegt sich 'mal: Okay, zu welchen Themen will man sich äußern, zu was will man was machen? Man kann ja Aussendungen schreiben, man kann Interviews geben. Es kommen auch Anfragen von Journalisten rein. Das heißt eigentlich, der Tag startet schon ziemlich intensiv, indem man sich mit der Pressearbeit auseinandersetzt.KÖHLER: So in etwa sah also Ihr Vormittag als Abgeordnete aus. Und was passierte am Nachmittag?
COX: Also das heißt am Vormittag sehr viel Pressearbeit und man hat auch viele Teambesprechungen, weil man natürlich ein Team hat, das mit einem arbeitet. Wenn man Ausschusswochen hat oder Plenarsitzungen, kommt es darauf an, ob man im Parlament ist oder im Büro. Das heißt, man bereitet sich viel auf Themen vor. Vor allem: Ich war in einer kleinen Fraktion, da gab es so viele verschiedene Themen auf meinem Tableau, da braucht es viel Vorbereitungszeit, oder: viel Content auf kurze Zeit. Das heißt: Eine Stunde zum Thema "Ehe für alle", nächste Stunde war "Künstliche Intelligenz" und dann war das Thema "Gewalt gegen Frauen". Also man kann sich vorstellen, mein Tag war sehr vollgepackt. Das heißt am Vormittag gab es Ausschüsse und Plenarsitzungen, und dann am Nachmittag war es bei mir oft so, dass ich viele Meetings hatte und mich mit vielen Menschen getroffen habe. Weil man kriegt ja viele Anfragen aus der Bevölkerung, dass sie mit einem diskutieren und sprechen wollen, Expertinnen und Experten, Interessensvertretungen – also da ist es schon so, dass man als Abgeordnete schon viel Zeit im Austausch verbringt, was auch wichtig ist. Und am Abend war es dann meistens so, dass es Veranstaltungen gab. Da durfte ich dann Themendiskussionen, Gruppendiskussionen, Bühnen bespielen und das heißt, das hat dann manchmal auch bis spät in die Nacht gedauert.
GASSNER-SPECKMOSER: Wie ging es Ihnen denn in der ersten Zeit als Abgeordnete?
COX: Ich kann mich noch an meine erste Nationalratssitzung erinnern. Die Menschen, die mich gut kennen, wissen: Wenn jemand sagt, das geht nicht, dann geht bei mir irgendwas in mir los und ich sage: "Okay, wie können wir das schaffen?" oder "Wie kann man das machen?", also es muss einen Weg geben. So war ich, glaube ich, schon immer, dass ich da sehr lösungsorientiert denke und auch tue. Und in der ersten Sitzung habe ich meine erste Rede gehalten. Und das war eigentlich ein bisschen verrückt, weil natürlich erwartet wurde, dass man da als neue Abgeordnete reingeht und sich das mal anschaut. Man ist vielleicht zum "Banklwärmen" da, so in etwa. Und ich habe halt eine bewusste Entscheidung getroffen, nein, ich will da auch ein Zeichen zu setzen, gerade wenn man da reinkommt aus der Zivilgesellschaft, nicht als Berufspolitikerin, dass es grad da wichtig ist, ein Zeichen zu setzen. Das heißt, ich habe meine allererste Rede gehalten, und ich habe diese Rede noch – mir haben auch andere Menschen dabei geholfen, weil es dann so eine große Diskussion war: Was spreche ich, wie spreche ich? – bis um drei in der Früh geschrieben. Und dann habe ich noch ein ORF-Interview gegeben, am Abend davor. Also das war wirklich so, der Abend vor meiner ersten Plenarsitzung war so: Irrsinnig lange Klubsitzung, dann noch ein ORF-Interview, und dann habe ich angefangen, die Rede zu schreiben, so gegen Mitternacht, und dann habe ich bis in der Früh die Rede geschrieben. Ich bin im Plenum gesessen, und ich kann mich erinnern, dass der Bruno Rossmann, das war einer meiner Kollegen, neben mir gesessen ist und gesagt hat: "Was ist mit dir los, warum bist du so nervös?" Ich kann mich erinnern, ich habe die ganze Zeit getrunken, ich habe mir so gedacht: "Oh Gott, mein Hals ist so trocken!", habe die Lade aufgemacht, Wasser raus, wieder rein, zu. Ich war ein ziemliches Nervenbündel. Und dann bin ich raus, und es hat Mega-Spaß gemacht. Also meine erste Rede habe ich sehr gut in Erinnerung, aber ich habe mir gescheit in die Hose gemacht, davor.
Man kommt da rein, und man muss sich das so vorstellen: Man steht da vorne, und alle starren einen an. Aber nicht so "Hey, cool, dass du da bist!", sondern das ist eher so mit verschränkten Armen, schauen dich an, mustern dich, und es ist eher so ein "Was willst denn du da?" Und so wird man halt begrüßt.KÖHLER: Rein formal gibt es in Österreich ja keinen Klubzwang, das heißt, alle Abgeordneten können frei abstimmen, wie sie möchten. Jetzt ist es aber kein Geheimnis, dass Fraktionen auch oft geschlossen abstimmen. Wie war das denn bei Ihnen? Haben Sie sozusagen frei entscheiden können, was Sie sagen?
Sie verstanden sich ja als absolut freie Mandatarin, also ohne Klubzwang bei Abstimmungen. Haben Sie in Ihren Reden auch immer frei entschieden, was Sie sagen werden?COX: Man kann sich das auch so vorstellen: Wir haben ja Klubsitzungen gehabt. Das heißt, in diesen Klubsitzungen, das passiert so, dass man sich einmal die Woche halt trifft und 'mal zusammensitzt und diskutiert, welche Themen gerade aktuell sind. Da haben wir uns schon ausgemacht, okay, zu welchem Thema willst du dich äußern, zu welchem Thema soll ich mich äußern? Und das war sehr klar, weil ich war ja Sprecherin für Gleichbehandlung, Digitalisierung und Bildung – das waren so meine Schwerpunkte. Und das war, weil wir eine kleine Fraktion waren, in großen Fraktionen hast du ein Thema. Ich bin halt in den Ausschüssen ja auch dann alleine gesessen und musste und durfte mich zu sehr vielen Themen äußern. Das hat bedeutet, dass ich mich sehr stark zu meinen Themen geäußert habe. Und bei meinen Themen, also Bildung, Digitalisierung, hat mir jetzt keiner gesagt, was ich sagen muss – das war eben auch der Vorteil daran, dass ich ein freies Mandat in der Form hatte. Das heißt: Nein, ich war nicht so "Okay, was darf ich jetzt sagen, was darf ich jetzt sagen?" aber trotzdem musste ich sehr schnell lernen, dass, wenn ich jetzt einfach losplappere, erstmal mich keiner versteht. Weil man hat oft eine Meinung dazu und dann ist man euphorisch. Dass man sich auf das Wesentliche fokussieren muss. Das, was man den Politikerinnen und Politikern oft sagt, dass sie zu viele Stehsätze haben, also immer das Gleiche sagen, das hat auch viel damit zu tun, dass man eine Meinung zu etwas hat, und das dann so transportieren möchte, und klar transportieren möchte. Das heißt, ich hatte dann schon nach und nach eine klarere, wie soll ich sagen: Message? Meinung? Das heißt, ich habe schon sehr aus mir heraus geantwortet, aber habe mich natürlich vorher informiert, habe mir so gut es ging eine Meinung gebildet und gleichzeitig habe ich auch oft spontane Fragen bekommen. Das heißt, ich musste dann schon aus meiner eigenen Erfahrung heraus oder was ich gedacht habe, antworten. Also ich bin da glaube ich schon sehr authentisch in meinem Sein.
GASSNER-SPECKMOSER: Welche Aufgaben hatten Sie denn abseits vom Reden halten als Abgeordnete im Nationalrat?
COX: Als Abgeordnete wird man ja in das Amt gewählt, das heißt, man vertritt die Gesellschaft oder halt Teile der Gesellschaft. Man ist als Vertretung der Bevölkerung im Parlament. Das heißt, als Abgeordnete, was man einerseits macht, und ich war in der Opposition, das ist ja auch der Unterschied, ob man in der Regierungsfraktion sitzt oder in der Opposition, einerseits hat man ja die Ausschüsse, von denen habe ich schon erzählt. In den Ausschüssen bringt man entweder selber Anträge ein, oder man stimmt über Anträge ab, die dann weiter ins Plenum kommen. Das heißt, man hat die Aufgabe, sich mit Themen nicht nur auseinanderzusetzen, sondern selber auch Verbesserungen zu verfassen und Anliegen ins Parlament einzubringen. Diese Anliegen sind Gesetzestexte oder Änderungen von Gesetzestexten und Anträgen. Das heißt, man erarbeitet diese, bringt die dann ins Parlament und muss dann dort auch abstimmen. Das heißt, man bestimmt mit, wohin das Land auch geht oder wie gewisse Bereiche organisiert sind, unter welchem Rahmen wir leben. Als Abgeordnete hat man da in der Legislative, also in der Gesetzgebung, eine wichtige Rolle, da mitzugestalten, würde ich sagen. Aber gleichzeitig, dadurch dass man ja eine repräsentative Rolle hat, das heißt, die Repräsentanz ist auch eine Rolle, ist man bei Veranstaltungen. Man spricht dort über Themen, diskutiert über Themen, man hört sich Themen an. Man ist auch im Austausch mit anderen ParlamentarierInnen aus anderen Ländern. Das ist auch wichtig, dass man die Expertise auch aus anderen Ländern holt und schaut, was wir in Österreich anders machen und integrieren können. Das heißt, man ist da auch auf Reisen.
Ich würde sagen, eine weitere Beschreibung der Rolle einer Abgeordneten ist, dass man … ich überlege gerade, denn es ist so vielfältig, wie ihr hört! Wenn ich so zurückdenke, ist es teilweise so verrückt, weil es so viel ist, und jeder und jede Abgeordnete das eigentlich auch anders lebt. Man hat halt gewisse – sagen wir "Fixaufgaben", wie man muss in die Ausschüsse, man muss ins Plenum. Aber zum Beispiel die Reden an sich – also, eine Sache, die man als Abgeordnete auch macht, ist Reden halten im Parlament und sich für Themen einsetzen, zu Themen sprechen. Ich war in einer kleinen Fraktion, ich habe teilweise bis zu fünf Reden am Tag gehalten.KÖHLER: Jetzt hört und sieht man ja immer wieder, dass Abgeordnete während Sitzungen auch am Smartphone herumspielen. Ist sowas normal? Wieso machen Abgeordnete das? Und wie läuft so eine Nationalratssitzung eigentlich generell ab?
COX: Ich gebe es gleich zu, ich habe auf jeden Fall auch ab und zu mit meinem Handy herumhantiert. Aber ich glaube, das ist bis zu einem gewissen Grad okay, und warum sage ich das? Weil gerade die Erfahrung, die ich gemacht habe, als kleine Fraktion – die Frage ist immer, warum man Handy spielt: Ob man jetzt "Snake" spielt oder kurz irgendwas recherchiert, weil man gleich eine Rede hat, ist auch ein Unterschied. Weil man kann halt teilweise nicht raus, und warum kann man nicht raus? Wenn man einer kleinen Fraktion zum Beispiel angehört, wir haben halt irrsinnige viele Reden gehabt und mussten immer bei den Abstimmungen da sein, weil bei uns schon eine Stimme einen riesigen Unterschied gemacht hat bzw. es sehr aufgefallen ist, wenn man nicht drinnen war. Aber ja, es haben viele Menschen auch zu mir gesagt "He, warum sind da immer so wenig Leute, und hört da keiner zu, und wo sind die Leute?" Es ist tatsächlich so, man geht da um acht Uhr in der Früh hin und es kann echt passieren, dass man um zwei Uhr in der Früh rausgeht. Das heißt, man hat über 16 Stunden dann einen Plenartag und es gibt aber keine Pausen. Es gibt keine Mittagspause, wo man rausgehen kann und wo alle eine Pause haben. Nein, es ist durchgehend. Das heißt, warum sind da Menschen draußen? Weil sie aufs Klo müssen, weil sie kurz was Essen müssen. Es kommen oft Abgeordnete aus anderen Bundesländern, das heißt, das ist der einzige Zeitraum, wo sie dann auch andere Leute treffen können, Besprechungen haben. Das heißt, gerade die leeren Plätze, die man im Fernsehen sieht, das sind oft die Personen, die zum Beispiel zu diesem Themenschwerpunkt nicht wirklich gearbeitet haben, die nicht in den Ausschüssen waren. Aber wenn man dann genau schaut, bei den Abstimmungen sind dann schon wiederum so gut wie alle drinnen. Natürlich kann man uns, also den Abgeordneten vorwerfen: "Okay, wie kannst du eine Entscheidung treffen, wenn du nicht die Diskussion mitgehört hast?" Einerseits hat man das in den Ausschüssen dann auch schon teilweise gehört oder man hat sich bei dem Thema schon informiert. Und es ist tatsächlich so, dass die Leute eine Pause brauchen und einfach rausmüssen. Weil, die Sitzungen sind echt lang, und die Luft ist nicht so gut da drinnen. Und ja, das ist halt schon – bei so Plenartagen sind alle möglichen Themen am Tisch. Da wird eine Stunde über Borkenkäferplagen diskutiert, und die nächste Stunde über "Um wieviel sollte das Budget beim Thema ‚Gewalt gegen Frauen‘ erhöht werden?". Das heißt, es ist sehr, sehr, sehr divers.
GASSNER-SPECKMOSER: Wie wir mittlerweile wissen, diskutieren die Abgeordneten aber nicht nur alle gemeinsam im Plenum, sondern auch zu einzelnen Themen und in kleineren Gruppen, den sogenannten "Ausschüssen". Was das genau ist, haben wir schon in Folge 15 unseres Podcasts erklärt. Können Sie uns trotzdem noch einmal kurz erklären, wie Sie als ehemalige Abgeordnete so eine Ausschusssitzung erlebt haben?
COX: Ausschusssitzungen kann man sich so vorstellen: Man kommt in einen Raum hinein, und es sind die Tische so aufgestellt wie ein "U". Vorne sitzt der Minister mit seinen Mitarbeitern daneben, die ihm quasi Sachen zuflüstern, geben, sagen, wenn er Informationen braucht. Und dann sitzen da Leute aus der Parlamentsdirektion und der Ausschutzvorsitzende oder die –sitzende. Und da gibt es einen sehr klaren Ablauf, also es ist sehr, sehr klar, wann wer spricht. Und du musst deine Redezeit quasi – du musst dich anmelden. Wenn du sprechen willst, musst du deine Hand heben, und dann wirst du quasi aufgeschrieben von der Parlamentsdirektion und dann wird nach Fraktionen gesprochen. Man kann sich das dann so vorstellen: Ich bin mit meinem Mitarbeiter, meiner Mitarbeiterin dagesessen, und wir wussten, welche Themen nacheinander kommen und da waren Anträge drinnen von einem selber oder Anträge von anderen Fraktionen. Und wenn dein Antrag drankommt, dann musst du den mal vortragen und sagen, warum alle dem zustimmen sollen. Das heißt, du bist dann eigentlich ziemlich am Werben für deinen Antrag und dann dürfen alle dazu etwas sagen. Und dann wird halt auch gesagt, deswegen stimmen wir zu, deswegen stimmen wir nicht zu. Oder vor allem kann so ein Antrag auch vertagt werden. "Vertagt werden" heißt einfach, dass er einfach irgendwann 'mal wieder behandelt wird, idealerweise im nächsten Ausschuss. Und da ging es halt schon heiß her, weil gerade dieses Vertagen wird oft den Regierungsparteien als Methode vorgeworfen, dass sie halt Dinge auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben. Und da kam es im Ausschuss schon zu Diskussionen, warum jetzt dieser Antrag wieder vertagt wird, abgelehnt wird. Und dann gab es ganz hektisches Hin und Her, weil auf einmal doch die anderen dagegen oder dafür gestimmt haben. Also man kann sich das zwischendurch sehr hektisch vorstellen, aber auch eine Mischung aus sehr frustrierend, weil in den Oppositionsfraktionen – also, so gut wie alle meine Anträge wurden abgelehnt. Und du butterst ganz viel Zeit in so einen Antrag rein und gibst den zum Besten und denkst dir so "He, der ist so gut, der muss angenommen werden!". Aber das ist dann sehr oft nicht so. Das heißt, das ist ein bisschen so ein Verhandlungsraum und der Minister oder die Ministerin sind aber natürlich schon auch da, um zu berichten. Die diskutieren da mit und man kann auch Fragen stellen. Ja, da wurde auch diskutiert, und das war auch eine Möglichkeit, mal dem Minister, der Ministerin auch einfach Fragen stellen zu können. Weil wir waren von der Anzahl her halt nur – wie viele waren wir denn, das ist eine spannende Frage – von unserer Fraktion waren ich und meine Mitarbeiterin, das kann man sich so aufsteigend vorstellen. Also von der ÖVP, von der größten Fraktion, waren so circa sechs bis acht Leute da. Kann so circa sein, da müsste ich nachschauen. Also das waren so eine Hand voll Leute, und die Räume waren sehr voll.
KÖHLER: Wie Sie schon öfters erwähnt haben, haben Sie als Abgeordnete nicht allein, sondern im Team gearbeitet, oder?
COX: Ich hatte zweieinhalb MitarbeiterInnen, so circa, einer war ein parlamentarischer Mitarbeiter, den habe ich quasi zur Verfügung gestellt bekommen vom Parlament selber. Und dann hatten wir natürlich ein Budget im Klub selber, und da hatten wir quasi Referenten. Ich habe es mir so aufgeteilt, dass ich es auf Themen aufgeteilt habe. Ich habe halt geschaut, wer kann mich wo supporten. Du kriegst so viele E-Mails am Tag, das heißt, ich habe da eine Person gehabt, die mir da einfach auch ein bisschen organisatorisch geholfen hat. Da kommt viel, viel rein.
GASSNER-SPECKMOSER: Die Abgeordneten im Nationalrat verdienen monatlich etwa 9000 Euro brutto. Die Höhe des Gehalts findet auch öfter Kritik in der Öffentlichkeit. Die Frage ist aber eher: Entspricht die Bezahlung auch der Last der Aufgaben? Wie viele Stunden haben Sie denn tatsächlich als Abgeordnete gearbeitet?
COX: Ich hatte sehr viele Tage, wo ich um eins erst aus dem Büro gekommen bin, aber ich spreche jetzt nicht von ein Uhr am Nachmittag, sondern ein Uhr in der Nacht. Es war wurscht, ob ich jetzt am Wochenende bei meiner Oma zum Essen eingeladen war, wenn ein Thema aufgepoppt ist und ich eine Presseaussendung schreiben musste oder mich zu einem Thema äußern musste, dann war es egal, ob ich jetzt gerade bei einer Hochzeit sitze oder beim Geburtstag meiner Oma. Das heißt, als Abgeordnete ist man eigentlich rund um die Uhr aktiv. Und gleichzeitig bin ich auch auf Geburtstagsfeiern gegangen und das erste Thema, das alle Leute mit mir besprechen wollten war – Überraschung! – Politik. Das heißt, man ist eigentlich ständig in dieser Rolle. Und das ist ja auch schön und gut, weil das bewegt Menschen ja und Politik geht ja jeden etwas an und berührt dein bzw. unser Leben, den Alltag und wie wir leben. Das heißt, ich war eigentlich immer in dieser Rolle und man kann gar nicht sagen, wie viele Stunden habe ich jetzt gearbeitet. Aktiv auf Stunden im Büro heruntergebrochen: Ich bin manchmal um sechs, manchmal um sieben, manchmal um acht außer Haus gegangen, und ich bin viele Stunden später zurückgekommen.
Das war gerade im ersten Jahr hart, weil einfach alles so neu für mich war – das war sieben Tage die Woche! Und ich kann mich erinnern, das zweite Jahr, da war ich so "He, ich muss ein bisschen weniger arbeiten, wie schaffe ich das?" Da habe ich versucht, am Wochenende wirklich bewusst mein Handy für ein paar Stunden abzudrehen. Aber ich würde echt sagen, man ist eigentlich die ganze Zeit Abgeordnete. Da kann man eigentlich schwer sagen "von-bis". Um es jetzt in Stunden runterzubrechen: Es sind auf jeden Fall mehr als vierzig Stunden. Und ich glaube, es kommt auf die Abgeordnete, den Abgeordneten an, wie viel man reinbuttern möchte, wie viele Themen man hat, ob es eine Ausschusswoche ist, ob es Budgetwochen sind, wo man sich reintigern muss in das geplante Budget, und dann noch mehr Arbeit am Tisch liegt. Also es kommt voll darauf an.KÖHLER: Kommt dabei der Austausch mit Wählerinnen und Wählern nicht zu kurz?
COX: Das Schöne ist: Man ist als Abgeordnete ja nicht unter einer Glaskugel. Ich fahre genauso mit der U-Bahn, ich gehe durch die Straßen, ich bin ins Kino gegangen – damals noch. Da sprechen einen auch Menschen an. Das heißt, man ist ja ständig greifbar in der Form, da kommt es zu Diskussionen, auch bei Geburtstagsfeiern oder anderen Sachen. Das passiert halt auf natürlichem Wege. Gleichzeitig war es bei mir schon so, dass ich den Kontakt auch stark gesucht habe. Wir haben bei verschiedensten Themen auch BürgerInnen eingeladen – das heißt, ich habe als Experten zum Beispiel einen Schüler in den Ausschuss geholt, weil ich gesagt habe "He, es geht um Schüler. Warum haben wir keinen Schüler im Ausschuss drinnen, der auch Rede und Antwort stehen kann?" Das war mir wichtig, da BürgerInnen reinzuholen und gleichzeitig habe ich beispielsweise so Sprechstunden gemacht und bei Podiumsdiskussionen und verschiedensten Veranstaltungen kommt man ganz stark in Kontakt mit Bürgerinnen und Bürgern. Und das ist halt immens wichtig, weil man ist schon ein bisschen in einer Bubble. Man ist dann ständig irgendwie beschäftigt in Ausschüssen, im Plenum, auf irgendwelchen Reisen. Es ist voll wichtig, rauszugehen, weil: Man vertritt ja ihre Anliegen.
GASSNER-SPECKMOSER: Haben Wählerinnen und Wähler auch bewusst Kontakt zu Ihnen gesucht?
COX: Man kriegt diverseste Mails, Briefe und andere Nachrichten – gerade auf Social Media. Das passiert sehr, sehr viel. Aber das ist auch voll cool, solange sie nicht Hass-Nachrichten sind, also sowas kriegt man auch, das ist dann nicht so leiwand, das muss man lernen, auszublenden. Aber gleichzeitig bekommt man auch viel Feedback! Also es ist schon so, dass man gerade bei Reden schon viel Feedback bekommt. Man kann damit rechnen, wenn man eine Rede hält, die live übertragen wird – fünf Minuten später: Geht schon! Da kommen schon Nachrichten rein. Also es ist schon spannend, dann auch Feedback zu bekommen. Und gleichzeitig: Die Themen, die gerade in den Medien präsent sind, da machen sich viele Menschen Gedanken und die verfassen sehr lange Nachrichten, zum Teil auch mit sehr gutem Feedback und teilweise ist es schwieriger, darunter was zu verstehen, aber es ist auch Teil deines Jobs, dich auch damit auseinanderzusetzen.
KÖHLER: Wie in jedem anderen Job haben Sie vermutlich nicht nur sachlichen Kontakt zu den Mitgliedern anderer Parteien gehabt – kann man als Abgeordnete berufsbedingte Meinungsverschiedenheiten und Privates trennen?
COX: Es kam ja vorher die Frage auch , was passiert, wenn – warum sind die Leute nicht im Plenum? Es gibt eine Kantine im Parlament und was dort zum Beispiel passiert ist, also wenn man sich zum Beispiel, wenn man was essen muss, darf, soll – nach hitzigen Debatten im Plenum war das schon manchmal spannend da noch mal rauszugehen, weil teilweise kommt es zu Schreiduellen, die sind teilweise echt ungut auch. Als ich über die Klitoris zum Beispiel eine Rede gehalten habe, da ging es um die progressive Sexualpädagogik, da habe ich etliche Menschen glaube ich vor den Kopf gestoßen, beziehungsweise es war eine sehr provokative Rede. Und da haben Leute schon Sachen reingeschrien, die ich mir persönlich nehmen könnte. Das muss man halt dann für sich selbst entscheiden, auch, was man damit macht. Und was dann aber passiert, in der angesprochenen Kantine: man geht raus und manchmal diskutiert man weiter und manchmal scherzt man dann und manchmal spricht man dann darüber, wie es der Tochter geht, wie es dem gesundheitlichen Wohlbefinden geht. Also das ist schon so. Im Endeffekt sind wir Menschen. Mit manchen versteht man sich besser und geht dann auch einen Spritzer trinken oder ein Glas Wasser, was auch immer man präferiert, und ein sehr persönliches Gespräch führen. Also zum Beispiel Sonja Hammerschmid: Mit der habe ich mich dann auch im Laufe der Zeit eigentlich angefreundet und wir sind noch immer in engem Kontakt, weil wir zuerst thementechnisch sehr viel gearbeitet haben, und dann irgendwie gemerkt haben, hey, wir verstehen uns recht gut. Ja, das heißt fraktionsübergreifend kann es auch zu Freundschaften kommen. Aber gerade in den großen Fraktionen sind sie viel untereinander auch, muss man schon sagen. Das Spannende ist ja auch, als Abgeordnete, man hat ja auch so Delegationsreisen zum Beispiel. Oder man ist in so, man nennt das "parlamentarische Freundschaftsgruppen", das heißt man ist im Austausch mit – also ich war zum Beispiel Vorsitzende der "Indischen-Österreichischen". Das heißt, man hat aus jeder Fraktion Abgeordnete und trifft sich da mit dem Botschafter, der Botschafterin. Teilweise verreist man auch in das Land und schaut sich das Parlament vor Ort an und ist dann im Austausch mit ParlamentarierInnen dort. Und natürlich – das ist wie auf einer Klassenfahrt: Da muss man halt nebeneinander sitzen. Oder darf nebeneinander sitzen und da fängt man halt zum Ratschen an und dann redet man halt dann nicht nur über Gesetzestexte, sondern darüber, wie es jetzt der kleinen Tochter geht oder wie es einem wirklich geht. Zum Beispiel, weil die Frage kam zu konträren Fraktionen: Wir waren eine Handvoll Unter-Dreißigjährige im Parlament und da gab es eine Reise für Unter-Dreißigjährige und da war zum Beispiel der Philipp Schrangl [Abgeordneter der FPÖ, Anm.] dabei, mit dem habe ich gern auch diskutiert und auch wenn wir anderer Meinung waren, war es trotzdem auch spannend, mit ihm in Diskussion zu treten.
GASSNER-SPECKMOSER: Das war es schon wieder mit unserer Folge "Parlament erklärt". Diesmal hatten wir die ehemalige Abgeordnete Stephanie Cox zu Gast, die uns von ihrer Arbeit als Parlamentarierin erzählt hat. Vielen Dank!
KÖHLER: Und vielen Dank auch Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer, dass Sie uns Ihre Aufmerksamkeit geschenkt haben. Falls Sie Fragen, Anregungen oder Ideen zum Podcast haben, schicken Sie uns diese gern wie immer unter podcast@parlament.gv.at. Ansonsten hören wir uns in zwei Wochen wieder zu einer neuen Folge "Parlament Erklärt". Bis dahin: Ciao!
GASSNER-SPECKMOSER: Tschüss!
COX: Dass es mehr Raum dafür gibt, sich eingestehen zu können, und dann auch, dass es akzeptiert wird, dass man einfach mal etwas nicht weiß. Weil man immer das Gefühl hat, oder das auch an Einen herangetragen wird: "Hauptsache du sagst irgendwas. Stay on the message!" So quasi: "Im Notfall, sag deinen Stehsatz nochmal." Da habe ich ja selber gemerkt, dass man da auch irgendwie reinrutscht, dann irgendwann, aber so den Mut zu haben, zu sagen "Ich weiß es nicht!" Weil wir sind Menschen und manchmal ist das halt so.