Wie entwickelten sich die ersten Parlamente in Europa?
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Mit unseren neuen Hosts, Stefanie Schermann und Tobias Leschka, starten wir mit dieser Folge unseres Podcast „Parlament erklärt“ eine neue Serie. Dabei dreht sich alles um die Entstehung des modernen Parlamentarismus und die Entwicklung des Parlamentarismus in Österreich.
Los geht es in England, wo es im Vergleich zu anderen Ländern bereits sehr früh eine Art Parlament gab, wie uns die Politikwissenschaftlerin Melanie Sully im Gespräch verrät.
© Parlamentsdirektion/Satzbau/hoerwinkel
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Melanie SULLY: Und es ist immer darum gegangen: Wie viel Macht hat der König, wie viel das Parlament und die zentrale Rolle hatten oft finanzielle Fragen, Steuerpolitik, aber auch die Rolle der Kirche!
Stefanie SCHERMANN: Hallo und herzlich Willkommen zurück zu einer neuen Folge von "Parlament erklärt"! Wir sind Ihre neuen Hosts Stefanie Schermann
Tobias LESCHKA: Und Tobias Leschka! Wir freuen uns, Sie auch in Zukunft mit spannenden Hintergrund-Informationen zum österreichischen Parlament versorgen zu dürfen!
SCHERMANN: Heute starten wir mit einer neuen Serie: Wir sehen uns an, wie sich der Parlamentarismus in Österreich entwickelt hat!
***** JINGLE *****
SCHERMANN: In unserer ersten Folge soll es aber noch gar nicht um Österreich gehen.
LESCHKA: Genau, das erste Parlament im Sinne eines modernen Parlamentarismus ist nämlich in Großbritannien entstanden! Wir haben die britische Politologin Melanie Sully eingeladen, uns etwas über die Zeit zu erzählen, als in den meisten Ländern in Europa noch Könige und Kaiser herrschten.
SCHERMANN: Und natürlich darüber, wie aus dem Absolutismus des 19. Jahrhunderts der moderne Parlamentarismus entstanden ist. Liebe Frau Dr. Sully – Sie waren zwar schon einmal bei "Parlament erklärt" zu Gast, stellen Sie sich unseren Hörern und Hörerinnen aber bitte vielleicht noch einmal vor!
SULLY: Ja, ich heiße Melanie Sully. Ich komme ursprünglich aus England wo ich studiert und unterrichtet habe an diversen Universitäten. Nach Österreich bin ich dann vor 30 Jahren gekommen, so permanent mit einem Gastvortrag als Gastprofessorin in Innsbruck auf der Universität. Und dann in Wien als Gastprofessorin in Wien auf der Uni. Und schließlich dann an der diplomatischen Akademie in Wien, für Politikwissenschaft und Geschichte. Und dann bin ich Leiterin des in Wien ansässigen Institutes für Go Governance, das sich mit guter Regierungsführung beschäftigt.
LESCHKA: Wir schauen uns heute an, wie die ersten Parlamente entstanden sind. Ihr Heimatland Großbritannien ist ein sehr spannendes Beispiel, weil es dort im Vergleich zu anderen Ländern schon Jahrhunderte früher eine Art Parlament gab. Aber besprechen wir zuerst vielleicht diese Frage: Welche Regierungsform war denn üblich, bevor es Parlamente gab?
SULLY: Vor Parlamenten, vor Parlamenten gab es vor XX Jahrhunderten auch in England, eigentlich im 13. Jahrhundert, quasi die Entstehung des Parlamentarismus, aber natürlich nicht in ausgeprägter Form, und es war der Monarch. Also der König, der sehr stark war. Und der König ist auf die Idee gekommen, ich brauche Geld und ich brauche Geld von den Fürsten, von meinen Untertanen für Kriege. Um damit Krieg zu führen gegen die anderen, damit der Monarch stark sein konnte. Also das heißt, eine wesentliche Rolle in der Entstehung des Parlamentarismus in der vor-parlamentarischen Zeit spielte die Steuerpolitik, die Haushaltspolitik. Und das spielt noch immer eine große Rolle, weil, wenn moderne Parlamente dem Budget oder der Haushaltsfinanzierung der Regierung nicht zustimmen, dann haben wir große Probleme. Aber das war immer so.
Und diese Fürsten sind zusammengekommen und im Laufe der Zeit haben sie sich angeschlossen und zusammengeschlossen. Und immer getrennt vom Monarchen, von der Aristokratie und von Kirchenvertretern, die damals auch eine große Rolle gespielt haben, sind sie zusammengekommen. Und das heißt, das war irgendwie die Entstehung eines Zwei-Kammern-Systems. Wo irgendwie das House of Commons, das heißt, die einfachen Menschen, die eine kleine Gruppe waren damals, und die Aristokratie, was wir jetzt House of Lords nennen, gegen den Monarchen. Und die haben dann im Laufe der Zeit Spielregeln geschrieben für das Parlament, um stärker gegen den Monarch aufzutreten. Und es ist immer darum gegangen: Wie viel Macht hat der König, wie viel das Parlament und die zentrale Rolle hatten oft finanzielle Fragen, Steuerpolitik, aber auch in England die Rolle der Kirche, also katholische Kirche, Protestantismus hat auch wirklich an Bedeutung gewonnen.SCHERMANN: In England gab es also schon vor über 800 Jahren erste Versuche, nicht mehr völlig abhängig von einem absolutistischen Monarchen zu sein. Hat der damalige König von England denn für Steuergeld wirklich freiwillig einen Teil seiner Macht abgegeben?
SULLY: Ja, das war nicht immer so freiwillig. Es war immer ein Kampf und im Laufe der Zeit haben die Fürsten mehr Solidarität untereinander entwickelt und waren sozusagen nicht immer bereit. Und wie gesagt im Laufe der Zeit, um diese heikle Frage zu entscheiden, war ein Bürgerkrieg. Also das war schon ein heftiger Konflikt, wo der Monarch komplett alles verloren hat und es war eine Republik für eine kurze Zeit, nach dem Bürgerkrieg. Und als der Monarch dann zurückgekommen ist, war er relativ stark im Vergleich zu heute, aber er war nicht mehr so stark. Er hat dann immer Kompromisse ausverhandeln müssen und wegen diesem Sprachproblem, wo die Könige aus Deutschland gekommen sind – oder Hannover – gab es ein Sprachproblem und daher ist die Macht dann Stück für Stück hinübergegangen. Aber England war keine parlamentarische Demokratie, wie wir das jetzt verstehen, ja? Das ist erst viel später gekommen, im 19. Jahrhundert.
LESCHKA: Im 18. und 19. Jahrhundert gab es auch schon die ersten Vorstöße von parlamentarischen Demokratien in einigen anderen Ländern Europas, oder?
SULLY: Ja, das gab's schon in Belgien und in den Niederlanden. Wie gesagt, das war in Folge einer großen Industrialisierungswelle, die, je mehr man nach Osten gegangen ist, nicht so stark war, vereinfacht gesagt. Und diese Industrialisierung, wo Leute dann in die Städte, in Großstädte gegangen sind, haben dann mehr Möglichkeit gehabt, sich als Gruppen zu bilden oder zum Austausch von Informationen. Mit der Industrialisierung hat man auch die moderne Eisenbahn, hat man Fotografie, mehr Kommunikationsmittel, ja? Vergleichbar mit Social Media von heute, ja, das war eigentlich nicht selbstverständlich. Und das hat den Informationsaustausch irgendwie beschleunigt. Das war dann in diesen Ländern auch möglich. Frankreich ist natürlich einen anderen Weg gegangen, wo die Monarchie viel früher abgeschafft wurde und hatte mehr Agrar-Anteil in der Bevölkerung. Und Österreich war ein sehr multinationales Reich, Habsburger, etc. Das war ein sehr großes Territorium, da Macht irgendwie zusammenzuhalten war auch nicht so einfach, mit den Nationalitäten. Also da war irgendwie eine komplett andere Entwicklung und Philosophie hinter dem Parlamentarismus und der Philosophie des Parlamentarismus, wie er entstanden ist – ja, das war ein Punkt.
SCHERMANN: England, die Niederlande und Belgien liegen geografisch gar nicht so weit auseinander. Wie kommt es, dass es gerade in diesen Ländern, verglichen mit anderen europäischen Territorien, schon relativ früh Parlamente gegeben hat?
SULLY: Man ist einfach keinen revolutionären Weg gegangen. Man hat profitiert vom Anfang der Industrialisierung natürlich auch und das hat eigentlich die Wurzeln des modernen Parlamentarismus geprägt und natürlich dieses Weltreich, das britische Weltreich, war auch ausschlaggebend für die Macht des Mittelstands, damals ein kleiner Kreis von Leuten, die Anfang des 19. Jahrhunderts wählen konnten. So, das heißt, die waren Volksvertreter. Aber nicht viele Leute waren wahlberechtigt, aber im Laufe des 19. Jahrhunderts waren immer mehr Leute wahlberechtigt, zumindest Männer und dann ist ein modernes Parteiensystem gekommen. Mit auch bei Wahlen Bewerbung zwischen den Parteien, Persönlichkeiten waren wichtig. Zum Beispiel Disraeli war bekannt vielleicht, oder Gladstone. Und man hatte auch moderne Kommunikation, die in Folge der Industrialisierung möglich war. Dass man mit der Bahn Teile von England erreichen konnte, im Wahlkampf. Und, dass die Fotografie sich entwickelt hat. Das heißt also, Gladstone und Disraeli hatten Fotos von sich, die sie verteilen konnten, ja? Das, was wir vielleicht als Anfang von einem modernen Wahlkampf verstehen können. Also, das war dann irgendwie eine Evolution, der geholfen wurde vom Industrialisierungsprozess.
LESCHKA: Diese Frage scheint relativ simpel, aber: Gab es auch parlamentarische Entwicklungen, die man wieder revidieren musste? Also Dinge, von denen man erst im Laufe der Zeit herausfand, dass sie in der Praxis Probleme mit sich bringen?
SULLY: Also das war auch gekoppelt mit verschiedenen Begriffen, zum Beispiel dieses sehr abstruse Konzept von “Sovereignty”, also von der Souveränität des Parlaments. Dass das Parlament eigentlich Gesetze beschließen kann, die man nicht im Nachhinein revidieren kann. Das Parlament hat das Recht irgendwie diese Gesetze zu beschließen und die Gerichte, also die haben nicht das Recht gehabt, das zu ändern. Das hat sich geändert. Und das hat man im Laufe des 20. Jahrhunderts auch geändert, wo man gesehen hat, dass ein künftiger Legislator sehr wohl irgendwas ändern konnte. Dieser Begriff der Souveränität hat sich geändert.
SCHERMANN: Ab wann waren Ihrer Einschätzung nach denn die meisten der Probleme ausgeräumt? Ab welchem Zeitraum hatten wir in Europa das Grundgerüst für modernen Parlamentarismus heraußen?
SULLY: Aber Moderner Parlamentarismus war eher im 18. Jahrhundert, wo man Premierminister hat, der in der “Number 10 Downing Street” residiert und im Parlament, nicht weit weg, eine Regierung und eine Opposition und auch die Macht hat, irgendwie, einem Premierminister einen Misstrauensantrag auszusprechen. Also das war mehr auch in einer kleinen Form der Anfang des modernen Parlamentarismus. Aber damals war quasi niemand wahlberechtigt. Das heißt dann, das ist erst Anfang des 19. Jahrhunderts gekommen. Um irgendwie über ein modernes Parlament zu sprechen, braucht man politische Parteien, die eine Rolle spielen. Man braucht regelmäßig Wahlkämpfe. Das war Ende des 19. Jahrhunderts. Und Frauen waren erst nach dem 1. Weltkrieg wahlberechtigt, und das war der nächste Schritt. Aber bis dahin war es irgendwie eine Form vom Parlamentarismus, aber sehr eingeschränkt.
LESCHKA: Damit sind wir auch schon wieder am Ende unserer heutigen Folge angelangt! Vielen Dank, Frau Dr. Sully, dass sie sich Zeit für unseren Podcast genommen haben. Und auch an Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, herzlichen Dank fürs Zuhören!
SCHERMANN: Wenn Sie Fragen, Anregungen oder Vorschläge für neue Folgen haben, schreiben Sie uns wie immer unter podcast@parlament.gv.at. Ansonsten hören wir uns hoffentlich in zwei Wochen wieder, wenn die neue Folge von "Parlament erklärt" erscheint! In Teil zwei unserer Serie zur Geschichte des Parlamentarismus geht es darum, wie Österreich von der Monarchie zur Republik wurde! Bis dahin: Ciao!
LESCHKA: Tschüss!