Wie entwickelte sich das Parlament in der Nachkriegszeit?
Details
Info
Wie entwickelte sich das Parlament in der Nachkriegszeit? Welche Herausforderungen mussten bewältigt werden? Welchen Einfluss hatte die Besatzung auf das parlamentarische Geschehen in Österreich? Und wie sollte das Parlament nach dem Krieg wieder seine Arbeit aufnehmen?
Darüber sprechen unsere Hosts Stefanie Schermann und Tobias Leschka in der aktuellen Folge unseres Podcasts „Parlament erklärt“ mit dem Juristen Werner Zögernitz. Die neue Folge ist Teil unserer Reihe zur Geschichte des Parlamentarismus in Österreich.
© Parlamentsdirektion/Satzbau/hoerwinkel
Links
Folgen Sie unserem Podcast auf:
Transkription
Werner ZÖGERNITZ: Also dieser Wirtschaftsaufschwung basiert auf der Sozialpartnerschaft auf der einen Seite und dem Raab-Kamitz Kurs auf der anderen Seite und ist eigentlich beispielgebend für Europa gewesen.
Stefanie SCHERMANN: Herzlich Willkommen zu einer neuen Folge von "Parlament erklärt". In unserer heutigen Episode zur Geschichte des Parlaments widmen wir uns der Phase der Nachkriegszeit. Mein Name ist Stefanie Schermann ...
Tobias LESCHKA: Und ich bin Tobias Leschka. Auf unserer Reise durch die Geschichte des Parlaments in Österreich sprechen wir heute mit dem langjährigen Parlamentsklubdirektor und Präsidenten des Instituts für Parlamentarismus und Demokratie, Werner Zögernitz.
***** JINGLE *****
SCHERMANN: Lieber Herr Zögernitz, stellen Sie sich unseren Zuhörerinnen und Zuhörern doch bitte einmal kurz vor!
ZÖGERNITZ: Mein Name ist Werner Zögernitz. Ich bin derzeit Präsident des Instituts für Parlamentarismus und Demokratiefragen. Als langjähriger Parlamentsklubdirektor und Beamter der Parlamentsdirektion kenne ich die parlamentarischen Spielregeln zunächst aus der Praxis. Da ich auch die Standardkommentare zu den beiden parlamentarischen Geschäftsordnungen, nämlich National- und Bundesrat verfasst habe, bin ich ferner auch mit dem Parlamentsrecht eng vertraut.
SCHERMANN: Lassen Sie uns über das Parlament nach dem Zweiten Weltkrieg sprechen. Der Krieg ist beendet und Österreich ist besetzt. Doch was bedeutet es überhaupt, wenn ein Land besetzt ist? Wer ist an der Macht und gibt es in dieser Zeit so etwas wie ein Parlament oder eine Regierung?
ZÖGERNITZ: Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es zunächst einmal darum, die Republik Österreich, die nach dem Anschluss an Deutschland etwa sieben Jahre lang nicht existierte, wiederherzustellen und das Parlament, das seit 1933 ausgeschaltet war, wieder funktionsfähig zu machen. Wie schon in der ersten Republik standen am Beginn der zweiten österreichischen Republik im April 1945 die politischen Parteien. Diesmal allerdings im Rahmen eines parlamentarischen Gremiums. Im Gegensatz zur ersten Republik musste das Parlament in der Zweiten Republik sogar um Anerkennung und Behauptung gegenüber der Regierung ringen. Während die erste Republik vom Parlament eingerichtet wurde, initiierten im Jahr 1945 die politischen Parteien nicht den Zusammentritt einer Volksvertretung, sondern einer Staatsregierung. Diese erklärt sich sowohl aus äußeren Umständen also auch aus den politischen Zielsetzungen. Es galt nämlich, eine vorhandene Verfassung wieder in Kraft zu setzen und nicht eine neue zu schaffen. Zur SPÖ und ÖVP, die die Tradition fortführten, war die dritte sogenannte Antifaschistische Partei, die KPÖ getreten. Das deutschnationale Lager war durch die NS-Zeit diskreditiert und konnte erst wieder 1949 in Erscheinung treten. Vertreter der drei erwähnten Parteien verkündeten schon wenige Tage nach der Befreiung Wiens am 27. April 1945 eine Unabhängigkeitserklärung, mit der sie die Wiederherstellung der Demokratischen Republik Österreich proklamierten. Am gleichen Tag wurde eine provisorische Staatsregierung gebildet, an deren Spitze Karl Renner stand. Ihre Anerkennung durch die Bundesländer und sämtliche Besatzungsmächte machte den Weg frei zur Durchführung einer bundesweiten Wahl am 25. November 1945. Mit dem Tag des Zusammentritts des neugewählten Nationalrates am 19. Dezember 1945 trat das Bundesverfassungsgesetz in der Fassung von 1929 weitgehend wieder in Kraft. Das bedeutet, dass das österreichische Parlament mit seinen zwei Kammern, nämlich dem Nationalrat und dem Bundesrat, wieder errichtet werden sollte. Was nun die staatliche Willensbildung anlangt, ist diese zwar eingerichtet aber das Parlament konnte natürlich nicht voll souverän agieren, weil die alliierten Besatzungsmächte eine wesentliche Rolle spielten. So bedurften beispielsweise Gesetzesbeschlüsse vor ihrer Kundmachung der Zustimmung des Alliierten Rates.
SCHERMANN: Was sind denn die grundlegenden Probleme zu dieser Zeit?
ZÖGERNITZ: Probleme dieser Zeit sind erstens einmal die politische Situation. Man musste zuerst schauen, welche Bedeutung das Parlament wieder bekommen kann, denn es ist so gewesen, dass der Alliierte Rat eine große Rolle im parlamentarischen Geschehen spielte und dass er immer wieder befragt werden musste. Das zweite Thema ist ein sehr wichtiges Thema gewesen, und zwar ging es hierbei um die Wiederaussöhnung der zerstrittenen Parteien in der Ersten Republik. Das dritte Thema war dann die Errichtung eines Staatsvertrages, was ja ebenfalls ganz wichtig war um die Besatzungsmächte loszubekommen. Und ein weiteres zentrales Thema der 50er, 60er Jahre war der Wirtschaftsaufschwung, beziehungsweise die Entwicklung der wirtschaftlichen Situation.
SCHERMANN: Nun gab es also die Parteien SPÖ, ÖVP und KPÖ. Wie aber stand es um die Deutschnationalen?
ZÖGERNITZ: Also im Jahr 1945 durften die Deutschnationalen, also die ehemaligen Nationalsozialisten, nicht bei der Wahl antreten. Sie hatten weder aktives noch passives Wahlrecht. Erstmals sind die Nachfolger als WDU, als Wahlpartei der Unabhängigen bei den Nationalratswahlen 1949 angetreten und hatten dort ganz schöne Erfolge. Immerhin hatten sie 16 Mandate – das ist in etwa 10 %. Also man sieht, dass das Lager noch immer gefestigt war und, dass im Großen und Ganzen das dritte Lager ein bisschen zurückgekommen ist.
LESCHKA: Die Deutschnationalen waren zwar also eine Zeitlang nicht wählbar, die nationalsozialistische Gesinnung war aber bei manchen noch vorhanden. Um dem entgegenzuwirken, widmet man sich in Österreich fortan der sogenannten Entnazifizierung. Diese bezeichnet die gesetzliche Grundlegung von Maßnahmen um gegen nationalsozialistisches Gedankengut und Anhängern der NSDAP, beziehungsweise deren Mitgliedern, vorzugehen. Doch wie wurde hier auf Seiten des österreichischen Parlaments gesetzlich vorgegangen?
ZÖGERNITZ: Es gab mehrere Gesetze. Es gab zum Beispiel das Kriegsverbrechergesetz, es gab das Verbotsgesetz, es gab das Wirtschaftssäuberungsgesetz und so weiter. Das Problem ist nur gewesen, dass es zum Beispiel im Jahr 1942 540.000 NSDAP-Mitglieder gab. Das heißt, dadurch würde man aus den Wahlen, aus dem aus dem politischen Geschehen, etwa 7,5% ausschließen und das war eine große Schwierigkeit, um das zu ermöglichen. Außerdem mussten die Behörden Registrierungen durchführen und diese waren diesbezüglich eigentlich überfordert. Also im Großen und Ganzen hat man sich schon bemüht, nur ein Ausschluss einer so großen Gruppe von Menschen aus den (?) Rechten, beziehungsweise haben die Parteien wieder Interesse gehabt an Wählern. Im Großen und Ganzen hat man die Entnazifizierung schon durchgeführt, aber es gab dann im Laufe der Zeit Amnestien, sodass bei der Wahl 1949 wieder über 430.000 ehemalige Menschen, die mit der NSDAP Kontakt hatten, wieder wählen durften.
LESCHKA: Über die damalige politische Situation haben wir nun bereits einiges erfahren. Wie aber steht es um die wirtschaftliche Lage Österreichs in der Nachkriegszeit?
ZÖGERNITZ: Mir scheint die wirtschaftliche Situation in der Zeit besonders wichtig. Und zwar erstens einmal ist es 1947 die Geburt der Sozialpartnerschaft von Julius Raab, dem Kammerpräsidenten und von Johann Böhm, dem Gewerkschaftspräsidenten. Und diese Sozialpartnerschaft war sozusagen eine Basis für das sogenannte Wirtschaftswunder, das dann später eingetreten ist und dieses sogenannte Wirtschaftswunder hat eine zweite Quelle. Und zwar den Raab-Kamitz Kurs. Und hier musste man zuerst die Inflation senken von 28% auf 5%, die Staatsverschuldung wurde durch eine restriktive Budgetpolitik verringert und auch die Außenwirtschaft wurde liberalisiert. Gleichzeitig wurden Steuersenkungen durchgeführt und all das hat zu einem gewaltigen Wirtschaftsaufschwung geführt. Dazugekommen ist natürlich der Staatsvertrag im Jahr 1955, wodurch eine Freiheit wieder eingetreten ist, wodurch die Unternehmen wieder bereit waren, mehr zu investieren und so weiter. Also dieser Wirtschaftsaufschwung basiert auf der Sozialpartnerschaft auf der einen Seite und dem Raab-Kamitz Kurs auf der anderen Seite und ist eigentlich beispielgebend für Europa gewesen.
LESCHKA: Sie haben den Staatsvertrag bereits kurz angesprochen. Können Sie unseren Zuhörerinnen und Zuhörern vielleicht kurz erklären, warum dieser für Österreich von so großer Bedeutung war?
ZÖGERNITZ: Am 15. Mai 1955 ist der Staatsvertrag verkündet worden. Außenminister Fiegl hat damals im Belvedere verkündet: "Österreich ist frei!", also sozusagen den Staatsvertrag vorgestellt. Dieser Staatsvertrag beruht auf langwierigen Verhandlungen mit den Besatzungsmächten, wobei ein Element interessant war. Und zwar, die Russen oder die Sowjetunion waren besser zu bewegen, weil der Westen Österreichs ein Überfluggebiet für Nato-Nord und Nato- Süd war, beispielsweise. Das ist nicht der einzige Grund natürlich, aber ist auch ein Grund wieso die Sowjetunion eher dafür war und der Westen ein wenig gebremst hat. Auf der anderen Seite wurden aber auch Reparationen an Russland geleistet oder gewisse Entschädigungen wurden gewährt. Und im Großen und Ganzen hat Österreich wirklich sehr gut verhandelt auf allen Ebenen. Das war wirklich ein Erfolg der damaligen Regierung Raab-Schärf und des Außenministers Figl, der da erzielt wurde. Uns ist dadurch natürlich das Schicksal Deutschlands erspart worden, nämlich die Zweiteilung des Landes und auch das Schicksal unserer Nachbarstaaten nämlich Tschechien, Slowakei und so weiter, die ja kommunistisch besetzt wurden. Wir blieben frei, ohne geteilt zu sein. Das ist der ganz große Erfolg des Staatsvertrages aus meiner Sicht.
SCHERMANN: Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Österreich durch den Staatsvertrag schlichtweg freier und selbständiger wurde. Um nun noch einen geeigneten Übergang zu unserer nächsten Episode, in der wir uns mit der Ära Kreisky befassen werden zu bilden, springen wir abschließend ein wenig in der Zeit. Können Sie uns dazu noch kurz einen Überblick über die politische Situation in den 60er-Jahren geben?
ZÖGERNITZ: 1961 gab es eine Geschäftsordnungsreform, weil die große Koalition ein wenig zu bröckeln begonnen hat und man hat Freiheiten gesucht. Man hat dann gewisse Erleichterungen in der Geschäftsordnung eingeführt, wie zum Beispiel die Fragestunde usw. Allerdings dann 1966, kam es dann zu einer Alleinregierung der ÖVP, die damals 85 Mandate erhielt. Die Oppositionsparteien, Sozialdemokraten und Freiheitlichen hatten nur 80 Mandate und zu diesem Zeitpunkt war das erste Mal das freie Kräftespiel im Parlament gegeben zwischen einer starken Oppositionspartei und einer Regierungspartei.
LESCHKA: Liebe Hörerinnen und Hörer, damit sind wir schon wieder fast am Ende unserer Folge angelangt! Sollten Sie Fragen, Anregungen oder Vorschläge für neue Folgen haben, schreiben Sie uns bitte wie immer unter podcast@parlament.gv.at.
SCHERMANN: Ansonsten hören wir uns in zwei Wochen wieder, wenn wir über das goldene Zeitalter der Sozialdemokratie sprechen! Wir bedanken uns herzlich für‘s Zuhören. Ciao und bis bald!
LESCHKA: Tschüss!