Wer waren die ersten Frauen im Parlament?
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Als Frau geboren zu werden hatte lange zur Folge, aus politischen Entscheidungen ausgeschlossen zu sein. Frauen durften offiziell weder wählen, noch selbst politisch aktiv sein. 1918 änderte sich die Gesetzeslage: das Frauenwahlrecht wurde durchgesetzt und 1919 zogen die ersten Politikerinnen als Abgeordnete in die konstituierende Nationalversammlung ein. Mit dieser Zeit des Umschwungs beginnen wir unsere mehrteilige Serie über den Weg der Frauen im Parlament.
Warum kam das Frauenwahlrecht genau zu dieser Zeit? Welche historischen Ereignisse ermöglichten den Schritt in Richtung Geschlechtergerechtigkeit? Darüber haben wir mit Dr. Gabriella Hauch von der Uni Wien gesprochen. Die Historikerin ist in der Frauen- und Geschlechterforschung tätig und gibt einen Einblick in die Zeit, in der sich Frauen ihren Platz in der Politik erkämpften.
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© Parlamentsdirektion/Satzbau/hoerwinkel
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Katharina BRUNNER: Willkommen bei Parlament erklärt. Schön, dass Sie zuhören. Ich heiße Katharina Brunner.
David RIEGLER: Und mein Name ist David Riegler. Heute eröffnen wir mit dieser Folge eine Serie über den Weg der Frauen im Parlament. Zu Beginn mussten sie dafür kämpften, dort überhaupt mitreden zu dürfen.
BRUNNER: Frauen hatten es nämlich lange schwer offiziell politisch engagiert, oder gar Politikerinnen sein zu können. In zukünftigen Folgen wollen wir die Pionierinnen, die ersten Politikerinnen im Parlament, portraitieren.
RIEGLER: Dafür müssen wir aber zuerst einen genaueren Blick auf die Rolle des Geschlechts in der Geschichte und der Politik werfen. An der Uni Wien ist Gabriella Hauch dafür Expertin. Sie ist seit 2011 Professorin für Frauen- und Geschlechterforschung am Geschichte-Institut an der Uni Wien.
Gabriella HAUCH: In der Entwicklung der bürgerlichen Moderne, man könnte das so ansetzen mit der französischen Revolution 1789, wo also eine ganz neue, nämlich nicht mehr eine ständische, Gott gewollte Gesellschaft verwirklicht werden sollte, sondern eine demokratische bzw. darauf fußend, dass der Mensch frei und gleich geboren ist. Also der Gleichheitsgedanke, der Freiheitsgedanke war seit dieser Zeit durchgängig für die österreichische Republik. Jetzt nicht für die Diktaturen beherrschend. Und da muss man sagen, dass bereits ganz am Anfang dieses Feld des Politischen für den männlichen Bürger gedacht war und nicht für die Bürgerin. Das ist zwar nicht festgestanden von Anfang an und wir haben in der französischen Revolution, genauso wie in der Wiener Revolution von 1848 die Forderung, dass eben auch Frauen zu Bürgerinnen werden sollen, dass Frauen das Wahlrecht bekommen sollten, studieren sollten. Aber das war eigentlich eine Zeit eines langen Kampfes, dass das Feld des Politischen nicht auf das männliche Geschlecht reduziert ist.
BRUNNER: Das Geschlecht war im Feld des Politischen also eine Ausschlusskategorie. Es war egal, in welche bürgerliche Schicht man geboren wurde, welcher Religion man angehörte. War man Frau, galt man per se offiziell unpolitisch und konnte politisch nicht mitbestimmen.
HAUCH: die ganzen Institutionen des Politischen: Das Parlament, die Landtage, Gemeinderat, Ausschüsse – wie das alles funktioniert war eigentlich eine Kreation von Männern für Männer. Und das ist also etwas ganz Wichtiges, das also bis jetzt ins 21. Jahrhundert weiterwirkt. Also diese beiden Komponenten sind zu bedenken.
RIEGLER: 1849 wird im Vereinsgesetz festgelegt, dass Frauen nicht Mitglied in politischen Vereinen sein dürfen. Davor durften sie das ebenso nicht, aber es gab keinen expliziten Gesetzesparagrafen dazu.
BRUNNER: Die erste russische Revolution von 1905 brachte in Russland das allgemeine Männerwahlrecht. Das war damals eine Sensation, denn Russland galt mit seinem Zarentum und den halbfeudalen Strukturen als eher rückschrittlich.
HAUCH: Und diese Nachricht, dass in Russland das allgemeine Männerwahlrecht eingeführt worden ist, hat in Wien spontan 250.000 Menschen auf die Straße gebracht. Also das war so eine große Demonstration wie es seitdem dann nur mehr beim Lichtermeer in den 1990ern gegeben hat.
HAUCH: Und in diesem Augenblick hat sich die Sozialdemokratie, die also die politische Kraft war, diese Menschenmassen auch in Zaum halten zu können, führen zu können, in diesem Augenblick hat die Sozialdemokratische Partei und auch die Frauen, , gesagt: Okay wir treten von unserer Forderung nach dem Frauenwahlrecht zurück. Schauen wir doch, dass zuerst die Männer das Wahlrecht bekommen, die werden dann mit hoffentlich großen Mehrheiten ausgestattet sein und im Reichsrat das Frauenwahlrecht durchsetzen können.
RIEGLER: Das allgemeine und gleiche Männerwahlrecht wurde in Österreich im Jahr 1907 eingeführt, davor konnten manche Frauen, wenn sie der Kurie des Großgrundbesitzes angehörten, wählen. Das heißt, ihr Besitz erlaubte es ihnen, einen männlichen Boten mit ihrer Stimme zu entsenden. Die Kurien aber wurden abgeschafft und so durften alle Männer, egal aus welcher gesellschaftlichen Schicht sie kamen, wählen. Dieser Schritt ermöglichte zwar vielen Gesellschaftsschichten die politische Mitsprache. Der Ausschluss der Frauen aber fand seinen Höhepunkt.
BRUNNER: Die Erwartung, dass nun die Männer mit ihrem neuen stärkeren Mitbestimmungsrecht für das Frauenwahlrecht kämpfen werden, wurde vorerst nicht erfüllt. Erst mehr als zehn Jahre später, ab dem Jahr 1918, durften Frauen wählen. Warum genau zu diesem Zeitpunkt?
RIEGLER: Einerseits war das natürlich, weil Frauen sich dafür engagierten und nicht locker ließen. Andererseits war die gesamte politische Situation eine angespannte. Vor allem die Eliten in den Verlierermächten des ersten Weltkrieges fürchteten sich vor dem Vormarsch des Kommunismus. Zudem gab es Kräfte, die keine Demokratie wollten, sondern eine autoritäre Staatsform. Der starken Forderung dem Frauenwahlrecht nachzugeben war also ein Mittel, um die Situation zu entschärfen. Zudem waren viele Mitglieder der Frauenbewegung Teil der Sozialdemokratie und diese wiederum in einer starken politischen Position.
BRUNNER: Bei der Wahl zur Konstituierenden Nationalversammlung am 16. Februar 1919 konnten acht Frauen ein Mandat erringen – sieben Sozialdemokratinnen und eine Christlich-Soziale. Die allererste Frau am Rednerpult im Parlament war die sozialdemokratische Abgeordnete Adelheid Popp. In der ersten Sitzung des neu gewählten Parlaments am 3. April 1919 sprach sie über die Abschaffung des Adels
HAUCH: Es war ein doppeltes Zeichen. Einerseits die Abschaffung einer Bevölkerungsgruppe, die anscheinend natürlich oder gottgewollt über dem Rest der Bevölkerung positioniert war und auf der anderen Seite spricht das gerade eine Frau. Eine Frau, die quasi per Geschlecht weder sich politisch engagieren hat dürfen, noch wählen hat dürfen. Also ich hab das als ganz besonders schöne Geste empfunden.
HAUCH: Also man kann irgendwie sagen, dass die weiblichen Nationalratsabgeordneten in der ersten Republik wirkliche Frauen Frauen waren. Also sie haben sich gefühlt als Delegierte der weiblichen österreichischen Bevölkerung. Und das ist rundherum gegangen, vor allem die sozialrechtliche Absicherung von den massenhaften Frauenerwerbsbereichen: das waren die Heimarbeiterinnen, die Hausgehilfinnen, und dann auch noch die sozialrechtliche Absicherung von Ammen und Hebammen.
RIEGLER: Die Forderung „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ist heute wie damals aktuell. Immer wurde an ein bestimmtes Familienkonstrukt gedacht: Ein Vater, der die gesamte Familie ernährt, eine Mutter, die nicht erwerbstätig ist und sich um Haushalt, Kinder und Ehemann kümmert. Nach dieser Logik war klar, dass Männer mehr verdienen müssen. Auch unter den Politikerinnen, gab es Stimmen, die diesem Konstrukt nicht widersprochen haben.
BRUNNER: Zum Beispiel Anna Boschek. Sie war, Gewerkschafterin, die erste Frau, die in den Parteivorstand der Sozialdemokraten gewählt wurde und gehörte zu den ersten Frauen im Parlament. Zuvor arbeitete sie selbst in Fabriken oder als Heimarbeiterin und war maßgeblich an der Einführung des Acht-Stunden-Arbeitstages beteiligt.
HAUCH: Und Anna Boschek hat, es gibt Protokolle davon, nie dagegen gesprochen. Auch sie war Teil dieses Projekts, die traditionelle im ABGB festgeschriebene bürgerliche Familie, nämlich mit erwerbstätigen Vater, der so viel verdient, dass die Frau nicht erwerbstätig sein muss, sondern sich um ihn und die Kinder und die Reproduktion kümmert. Dass das in der Zeit des Chaos nach dem ersten Weltkrieg wieder ermöglicht wird oder wieder hergestellt wird.
RIEGLER: Ein großer Teil der Bevölkerung hat dieses Bild der Familie aber nie gelebt, die Frauenerwerbsquote lag bis zu den 1950ern immer bei über 40 Prozent.
BRUNNER: Was die ersten Frauen und ihre Reden im Parlament ab 1919 auszeichnet, waren ihr Mut, ihre Freude daran, sich mit den anderen Politikern zu messen und ihre starken Forderungen. Ein Beispiel ist die Sozialdemokratin Emmy Freundlich:
HAUCH: Und die hat erzählt aus einem Ausschuss, wo es eigentlich um neue Schulgesetze für Mädels gegangen ist, dass da drinnen im Ausschuss Kollege Jerschabek von der christlich-sozialen Fraktion gemeint hätte, Frauen mit kurzen Kleidern und Bubikopf hätten keine weibliche Eigenart. Und sie hat das dann thematisiert im Plenum im Nationalrat und hat gesagt, dass das so einfach nicht geht. Und da sieht man einfach diese Selbstbewusstheit, die sie gehabt hat. Sie hat sich ihre Definition nicht wegnehmen lassen.
RIEGLER: Selbstbewusstsein und die Bereitschaft, die Gleichberechtigung für Frauen darüber zu stellen, zu welcher Fraktion man gehört zeigte sich 1927:
HAUCH: Und der Tiefpunkt ist 1927, da sind überhaupt nur sechs Sozialdemokratinnen, keine christlich soziale, keine deutsch-nationale und dann kommt es meiner Meinung nach zu zwei ganz zentralen Dingen. Nämlich vor der Nationalratswahl 1930 schreiben die katholischen Frauen ihrem Parteivorstand einen Brief, dass die katholische Frauenorganisation, das waren damals 180.000 organisierte Frauen, keinen Wahlkampf macht, wenn nicht eine Frau an sicherer Stelle in den Nationalrat kommt. Und bei den deutsch-nationalen, die ja viel kleiner waren, da drohen die Frauen ihrem Vorstand, dass sie, wenn nicht eine Frau an sicherer Stelle kandidiert wird, die Kandidatur, die unabhängige Kandidatur der österreichischen Frauenpartei unterstützen würden. Und auch da kommt eine sichere Frau dann in den Nationalrat, obwohl beide Parteien sehr viele Mandate verlieren.
BRUNNER: Mit diesem Solidaritätsakt schließen wir unsere Folge über die Zeit, in der Frauen sich ihren Weg in die Politik und ins österreichische Parlament erkämpften. Das Thema wird in weiteren Folgen wiederkommen – wir portraitieren die ersten Frauen im Parlament. Wir freuen uns, wenn Sie dranbleiben. RIEGLER: Vielen Dank fürs Zuhören! Für Anregungen, Feedback oder Fragen schicken Sie uns ein Mail an podcast@parlament.gv.at.
BRUNNER: Wir hören uns wieder am Montag in zwei Wochen.