Corona-Krise ohne Ende?
Podcast: Politik am Ring #14 vom 21. Februar 2022
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Thema
Nach zwei Jahren Pandemie scheint ein Ende der Krise noch immer nicht in Sicht. Omikron und Long-COVID bringen neue gesundheitspolitische Herausforderungen. COVID-19 hat tiefe Spuren hinterlassen: die Meinungen in der Gesellschaft zum Umgang mit der Krise scheinen unvereinbar zu sein, ein Milliardenloch klafft im Staatshaushalt und die psychische Belastung wird vor allem für die Jugend immer größer.
Das sind nur einige der Probleme, mit denen das Land fertig werden muss. Angesichts der vielfältigen Herausforderungen stellt sich die Frage: Was kann das Parlament dazu beitragen, einen Weg aus der Corona-Dauerkrise zu finden?
Teilnehmer:innen der Diskussion
Abgeordnete:
- Gaby Schwarz (ÖVP)
- Philip Kucher (SPÖ)
- Erwin Angerer (FPÖ)
- Ralph Schallmeiner (Grüne)
Eingeladene Fachleute:
- Nikolas Popper, Technische Universität Wien, Forschungsbereich Information und Software Engineering
- Dorothee von Laer, Medizinische Universität Innsbruck
Diskussion
Auf die Frage, wie oft die Politik in den letzten zwei Jahren der Versuchung des Populismus erlegen sei, führte Simulationsforscher Popper aus, dass man zwischen berechtigtem Diskurs und Falschinformationen unterscheiden müsse. Die Diskussion über die Impfpflicht beispielsweise sei berechtigt, darüber müsse man diskutieren können. Anders hingegen sei es bei der Diskussion über die Impfung, denn es sei evident, dass es sich dabei um die beste Lösung handle. FPÖ-Abgeordneter Erwin Angerer kritisierte, dass die Regierung mit dem Impfen nur eine Strategie ohne Alternative habe, woraufhin Virologin von Laer mit Blick auf die Geschichte der Seuchen erwiderte, dass man diese – auch historisch – nur mithilfe von Impfungen beherrschen konnte und könne. Zu sagen, die Corona-Impfung sei ein "nicht erprobtes experimentelles Irgendwas" sei falsch, denn es gebe kaum eine Impfung, die so gut untersucht sei, so die Virologin weiter. Inzwischen hätten sie mehrere Milliarden Menschen verabreicht bekommen.
Gaby Schwarz, Bereichssprecherin für Gesundheit der ÖVP, warf ein, dass man hinsichtlich der Abwägung, welche Öffnungsschritte möglich seien, eine mögliche Überlastung des Gesundheitssystems in den Mittelpunkt gestellt habe, die es zu vermeiden gelte. Die Lockerungen am 5. März können nur dann umgesetzt werden, wenn die Prognosen der Expertinnen und Experten – die bisher sehr treffsicher waren – auch eintreten, ergänzte Ralph Schallmeiner, Gesundheitssprecher der Grünen. Sei das nicht der Fall, werde man den einen oder anderen Öffnungsschritt überdenken müssen. Philip Kucher, Bereichssprecher für Gesundheit der SPÖ, kritisierte, dass die Regierung in der Bewältigung der Pandemie Parteipolitik über den Schutz von Gesundheit und Menschenleben gestellt habe. Das "ständige Zickzack" habe zur Folge, dass enorm viele Menschen in Österreich nicht nur der Politik nicht mehr vertrauen, sondern auch der Wissenschaft. Es sei fatal, dass man das Vertrauen der Menschen so aufs Spiel gesetzt habe, so Kucher.
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Transkript
Anmoderation: In dieser Folge von Politik am Ring, der Diskussionssendung des Parlaments, diskutiert Moderator Gerald Groß mit den Abgeordneten Gaby Schwarz von der ÖVP, Philip Kucher von der SPÖ, Erwin Angerer von der FPÖ und Ralph Schallmeiner von den GRÜNEN darüber, was das Parlament dazu beitragen kann, einen Weg aus der Corona-Dauerkrise zu finden. Zu Gast sind Nikolas Popper von der Technischen Universität Wien und Dorothee von Laer von der Medizinischen Universität Innsbruck. Das Gespräch haben wir am 21 . Februar 2022 im Dachfoyer der Wiener Hofburg aufgezeichnet.
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Gerald GROẞ (Moderator): Herzlich willkommen, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich begrüße sie bei einer weiteren Ausgabe von „Politik am Ring“, heute wieder zu einem Thema, das uns bisher am öftesten in dieser Sendung beschäftigt hat: Corona. Seit letzter Woche haben wir ja Klarheit darüber, wie die kommenden Öffnungsschritte aussehen werden, und mehr oder weniger Klarheit darüber, wie es mit der Impfpflicht weitergeht, sprich, wie sie umgesetzt wird. Heute wollen wir das aktuelle Krisenmanagement auf den Prüfstand stellen und gleichzeitig über die weitere mögliche Entwicklung diskutieren. Auch Themen wie Long Covid oder die wirtschaftlichen Folgeerscheinungen und Kollateralschäden sollen dabei nicht zu kurz kommen. Folgende Abgeordnete begrüße ich als unsere heutigen Gäste: Philip Kucher von der SPÖ – herzlich willkommen! –, Ralph Schallmeiner von den Grünen – ebenfalls herzlich willkommen! –, von der ÖVP Gabriela Schwarz – herzlich willkommen! – und Erwin Angerer von der FPÖ – ebenfalls herzlich willkommen! Wenn Ihnen jetzt die Vertreterin der NEOS fehlt, dann sind Sie aufmerksam und haben außerdem völlig recht, Fiona Fiedler hätte zugeschaltet sein sollen. Sie wurde vor wenigen Tagen positiv getestet und war zunächst symptomfrei, allerdings ist sie heute doch so weit beeinträchtigt, dass sie kurzfristig absagen musste. Wir wünschen ihr auf diesem Weg baldige und gute Besserung! Außerdem freue ich mich auf diese beiden Experten und darf sie ebenfalls gleich vorstellen und herzlich begrüßen: Nikolas Popper, Modellrechner von der TU in Wien, und die Virologin von der Medizinischen Universität Innsbruck, die Sie auch natürlich schon bestens kennen, Dorothee von Laer – danke, dass Sie beide da sind. Vor ziemlich genau zwei Jahren gab es in Österreich, konkret in einem Hotel in Innsbruck, die ersten Coronafälle, danach kam Ischgl – und der Rest ist eben leider noch nicht Geschichte. Wir alle erinnern uns an den ersten Lockdown. Aber wenn man versucht, diese zwei hinter uns liegenden Coronajahre Revue passieren zu lassen, dann fällt das gar nicht so leicht. Im Folgenden helfen wir Ihnen auf die Sprünge, und auch für uns hier zur Erinnerung und zur Einstimmung die Chronologie der Coronakrise in Österreich, samt Einschätzungen der Politik und der Bevölkerung.
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Es folgt eine Videoeinspielung:
Sprecher: 25. Februar 2020: Erste bestätigte Fälle von Covid-19 tauchen in Österreich auf. Ein Paar in Innsbruck wird positiv getestet. Das Virus breitet sich aus. 13. März 2020: Die Coronapandemie ist in Österreich angekommen.
Sebastian Kurz (Bundeskanzler 2017 - 2019, 2020 - 2021): Unser Ziel ist es, dass wir bis spätestens ab Montag die sozialen Kontakte in Österreich massiv reduzieren.
Sprecher: Drei Tage später, am 16. März, beginnt der erste Coronalockdown in Österreich, und auch knapp zwei Jahre später ist Covid-19 das bestimmende Thema geblieben.
Passant eins: Na ja, verändert hat es sich schon – finanziell. Leider ist alles teurer geworden, und es ist nicht die Freiheit, die es früher gewesen ist.
Passantin zwei: Es hat sich ganz viel getan, es hat natürlich das ganze Leben auf den Kopf gestellt: Feiern, Freunde treffen und so weiter – das findet halt alles nicht mehr statt. Man merkt das natürlich psychisch, dass sich einiges ändert.
Passantin drei: Es macht schon was mit einem, also es verändert, wenn du dir nicht mehr die Hand geben kannst, wenn du dich auch nicht mehr siehst, sondern nur mehr hinter der Maske sozusagen.
Sprecher: Die Pandemie dauert bereits länger als zuerst gehofft. Im August 2020 kündigt der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz gewohnte Normalität für den Sommer des kommenden Jahres an. Er hoffe, dass bald Impfungen zur Verfügung stehen, um die Pandemie in den Griff zu bekommen. Auch der Herbst 2020 bringt erneut steigende Fallzahlen und eine zweite Krankheitswelle, die weit über das Ausmaß der ersten Welle hinausgeht. Expertinnen und Experten warnen: Das Gesundheitssystem sei an seiner Belastungsgrenze angekommen.
Sebastian Kurz: Ab Dienstag, den 3. November, 0 Uhr, bis Ende November wird es zu einem zweiten Lockdown in Österreich kommen.
Sprecher: Am 27. Dezember 2020 treffen endlich die viel erwarteten Impfstoffe ein. Die Pensionistin Theresia Hofer erhält als erste Österreicherin eine Impfung gegen das Coronavirus. In den folgenden Monaten steigt die Impfquote in Österreich an. Mit Anfang Juni 2021 hat mehr als die Hälfte aller über 12-Jährigen zumindest den ersten Stich erhalten. Auch die Situation im Gesundheitssystem entspannt sich. „Für jeden, der geimpft ist, ist die Pandemie vorbei.“ – Diese Aussage des damaligen Bundeskanzlers Sebastian Kurz Journalistinnen und Journalisten gegenüber macht Anfang Juli 2021 die Runde. Doch die Zahl der Infektionen steigt nach den Lockerungen erneut. Die Ampelkommission sowie das Covid-Prognosekonsortium warnen vor einer vierten Welle aufgrund der Deltavariante, die auch eintrifft.
Dr. Wolfgang Mückstein (Gesundheitsminister): Die vierte Welle trifft uns hart. Die Experten sagen uns einhellig: Was wir jetzt brauchen, sind effektive Maßnahmen. Deshalb als Sofortmaßnahme der Lockdown für Ungeimpfte.
Sprecher: Am 19. November 2021 kündigt die Regierung neben einem weiteren Lockdown für alle sowie anderen Maßnahmen eine allgemeine Impfpflicht an.
Alexander Schallenberg (Bundeskanzler Oktober 2021 - Dezember 2021): Wir haben uns heute beziehungsweise gestern zu einem sehr schwierigen Beschluss durchgerungen, zum Beschluss, dass wir sehr rasch jetzt eine bundesweite Impfpflicht in die Wege leiten. Diese soll bereits ab 1. Februar nächsten Jahres, 2022, gelten.
Sprecher: Via Aussendung konstatiert FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl, der zu diesem Zeitpunkt selbst positiv auf Covid-19 getestet worden ist: „Österreich ist mit heutigem Tag eine Diktatur!“ Die Proteste gegen die Coronamaßnahmen sind im Winter an einem Höhepunkt angekommen. Seit dem Frühjahr 2020 finden regelmäßig Demonstrationen statt. Zunehmend scheinen die Meinungen gespalten, angesichts der Frage: Wie umgehen mit dem Virus und der Coronakrise?
Passantin zwei: Ich habe die Maßnahmen immer verstanden und mitgetragen, aber an der Kommunikation ist es ein bissel gescheitert. Nach zwei Jahren kommt natürlich die Frage: Wie verhältnismäßig sind die Maßnahmen teilweise noch?
Passantin drei: Ich würde mir wünschen, dass, wenn ich das so sagen darf – Weihnachten ist schon vorbei, Ostern kommt erst –, wir doch gemeinsam an einem Strang ziehen, gemeinsam das Angebot der Impfung wahrnehmen, weil aufgeklärt wird ja.
Passant vier: Die Impfpflicht, das ist einfach eine Sache für dumme Leute, weil der, der sich impfen lassen will, soll sich impfen lassen, und der, der sich nicht impfen lässt, der lässt sich halt nicht impfen.
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GROẞ: „Gemeinsam an einem Strang ziehen“, hat diese Dame soeben gesagt. Dieser Appell ist in den vergangenen zwei Jahren allzu oft ungehört verhallt. Zu tief sind offensichtlich die Gräben, vor allem zwischen Impfbefürwortern und Gegnern – inzwischen Gräben, die manche Politiker freilich durchaus noch gerne vertieft sehen. Herr Angerer, Ihr Parteiobmann, den wir gerade gesehen haben, hat in diesem Beitrag von einer Diktatur gesprochen, Österreich als Diktatur. Fühlen Sie sich tatsächlich als Abgeordneter in einer Diktatur, und warum können wir dann heute nicht nur öffentlich über all diese Themen diskutieren und Sie im Parlament ja auch abstimmen?
Erwin ANGERER (FPÖ): Herr Groß, ich habe eigentlich mit der Frage gerechnet; und wenn Sie sich heute – und das haben Sie sich sicher auch angeschaut – anschauen, welche Länder auf dieser Welt die Menschen mit einer Impfpflicht zum Impfen zwingen, welche Länder das sind, dann sind das durchwegs Diktaturen. Da reden wir von Turkmenistan, da reden wir von Mikronesien, es gibt in Europa noch den Vatikan und dann Österreich, wo man auf die Idee kommt, dass man Menschen zum Impfen zwingen möchte. Und da fühlt man sich schon in einer Diktatur, wenn die Grund- und Freiheitsrechte jedes Einzelnen so eingeschränkt werden, dass er über seinen eigenen Körper und die Unversehrtheit seines Körpers nicht mehr selbst entscheiden darf, und das mit einem Impfstoff, der einfach in vielerlei Hinsicht zu wenig erforscht ist, vor dem viele Menschen einfach Angst haben, die aber von einer Regierung dazu genötigt und gedrängt werden, sich impfen zu lassen.
GROẞ: Herr Kucher, auch die SPÖ muss sich ja gefallen lassen, in der Pandemie mehr spaltend als einend aufgetreten zu sein, wenn man sich etwa die Alleingänge Wiens vor Augen führt. Aber auch innerparteilich haben Sie selten mit einer Zunge gesprochen – Beispiel Doskozil versus Rendi-Wagner.
Philip KUCHER (SPÖ): Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall. Die Dame hat recht gehabt. Es war gerade in der ersten Phase, glaube ich, parteiübergreifend so, und wir alle, die wir heute hier sitzen, können uns, glaube ich, an diese Phasen noch erinnern, wo wir gesagt haben: Das ist eine riesengroße Bedrohung, die wir alle nicht einschätzen können, und es ist wichtig, dass wir alle miteinander versuchen, das Beste zu geben und diese Krise miteinander zu meistern. Das hat, glaube ich, gerade auch die ersten Wochen und Monate ausgemacht. Wir haben dann leider – und das sind auch diese Abgründe der Politik – eine Phase erlebt, wo es halt eine zunehmende Polarisierung in der Gesellschaft gegeben hat, aber von der Politik betrieben. Auf der einen Seite hat es mit Sebastian Kurz einen Bundeskanzler gegeben, dem es wichtiger war, seine eigene Ego-Show voranzutreiben, dem es oft wichtiger war, PR zu betreiben als gutes Krisenmanagement; und auf der anderen Seite hat man mit Herbert Kickl einen Politiker gehabt – als ob nicht das Krisenmanagement der Regierung schon schlimm genug gewesen wäre und es nicht genug Punkte gegeben hätte, die man zu Recht kritisieren kann –, der dann G’schichtln gedrückt hat, der Märchen erzählt hat und in Wahrheit Dinge behauptet wie: Ein paar Bitterstoffe und Sonnenstrahlen reichen, und dieses Mittel gegen die Krätze würde auch helfen. Das war also schon eine Mischung von zwei Politikern – Kurz und Kickl –, die miteinander ganz, ganz viel an Spaltung betrieben haben. Und wir in der SPÖ haben versucht, immer konstruktiv mitzuarbeiten. Das ist, glaube ich, etwas, was wir sozusagen auch belegen können, dass wir gesagt haben: Wenn es sinnvolle Maßnahmen gibt, die Menschenleben retten, sind wir selbstverständlich mit dabei. Wenn es leider – und das können wir auch ausführlich diskutieren – Regierungsversagen gibt, wenn es einen Zickzackkurs gibt, wenn es Chaos gibt und Streitigkeiten in der Regierung, dann haben wir uns auch zu Wort gemeldet und das thematisiert. Normalerweise aber ist eine Krise keine Situation, in der man gegenseitig diskutieren und streiten sollte. Dieser Kurs ist aber in Österreich leider kaputtgemacht worden, durch die Inszenierung von Sebastian Kurz und einem Kickl, der dann irgendwann gedacht hat, er braucht diese Polarisierung aus Angst vor dieser MFG, die sich jetzt gegründet hat.
GROẞ: Frau Schwarz und Herr Schallmeiner: Wie tief ist denn der pandemiebedingte Riss in der Koalition? Gründe, warum Türkis beziehungsweise Schwarz und Grün sich voneinander entfernt haben, ja vielleicht nie richtig zueinandergefunden haben, gibt es ja viele, aber welchen Anteil hat denn das Pandemiemanagement daran?
Gabriela SCHWARZ (ÖVP): Also ich orte diese Spaltung, wenn Sie so wollen, in der Koalition nicht, denn Kollege Schallmeiner und ich, gemeinsam mit dem Gesundheitsminister und auch mit dem Bundeskanzler, arbeiten durchaus konstruktiv zusammen, die Zusammenarbeit hat auch während dieser gesamten zwei Jahre gerade im Gesundheitsbereich gut funktioniert. Und wenn ich mir jetzt manche Wortmeldungen anhöre - - Bei diesem Bild, das Sie gezeigt haben, wo die Menschen auf der Straße sind, habe ich habe mir gedacht: Zeigen Sie mir eine Diktatur, wo das möglich wäre! – Also das ist ja völlig absurd, die Behauptung, Österreich sei eine Diktatur. Auch die andere Sache: Es ist immer leicht, irgendjemandem die Schuld zu geben, alleine die Schuld zu geben. Das mit der Spaltung sehe ich auch ein bisschen differenzierter, denn wir wissen, dass ein wirklich überwältigender Großteil in Österreich den Kurs mitträgt. Nur: Das sind die leisen, die man nicht hört. Wir hören die Lauten, die auf die Straße gehen und krakeelen, zum Teil. Es gibt die einen, die ihr Grundrecht auf Demonstration wahrnehmen – das weiß ich durchaus zu schätzen, denn das ist in unserer Demokratie so verhaftet –, aber das dann auszunutzen, um eben diese Polarisierung zu betreiben, dafür fehlt mir jedes Verständnis. Um aber zu Ihrer Frage zurückzukehren: Die Zusammenarbeit funktioniert gut, und dabei soll es auch bleiben.
GROẞ: Herr Schallmeiner.
Ralph SCHALLMEINER (Grüne): Da kann ich mich eigentlich sehr gut anschließen. Ich habe das heute auch schon anderen JournalistInnen auf eine ähnliche Frage hin gesagt: Gaby Schwarz und ich, wir beide haben eigentlich von Anfang an immer ein sehr professionelles Verhältnis gehabt, haben uns eigentlich immer sehr offen miteinander ausgetauscht, durchaus auch einmal kontroversiell, aber immer so, dass wir Lösungen gesucht haben. Und Gleiches gilt innerhalb dieser Koalition eigentlich für den gesamten Bereich Gesundheitspolitik und Pandemiemanagement, wo wir einfach auch wissen: Ja, natürlich gibt es vielleicht dort oder da einmal Auffassungsunterschiede – das soll ja auch so sein, deswegen sind wir ja auch in verschiedenen Parteien –, aber das heißt jetzt nicht, dass wir dann derartig auf total unterschiedlichen Fronten oder auf Standpunkten beharren und uns diese vielleicht auch noch gegenseitig ausrichten; von so etwas sind wir sehr, sehr weit entfernt. Ich glaube, das ist auch die Erwartungshaltung, die die Bevölkerung zu Recht an uns, an die Politik hat. Und in einem Punkt möchte ich schon auch bei Philip Kucher anschließen: Ja, es stimmt, ich finde, die SPÖ, aber auch die NEOS haben sich in der Vergangenheit durchaus konstruktiv eingebracht – wir waren halt eben nicht immer einer Meinung. Nur deswegen, weil wir einen Vorschlag der SPÖ oder der NEOS, die jetzt hier nicht anwesend sind, nicht angenommen haben, heißt das noch lange nicht, dass es deswegen ein schlechtes Management oder eine schlechte Umsetzung wäre, und es gibt eben auch andere Bereiche, wo wir durchaus zueinandergefunden haben. Gerade bei der Impfpflicht, finde ich, hat man sehr, sehr gut zusammengearbeitet, haben wir sehr, sehr gut auch Dinge, die insbesondere von der SPÖ, aber auch von den NEOS gekommen sind, aufnehmen können. Da haben wir uns, glaube ich, ganz gut wieder gefunden. Ein ähnliches Beispiel war damals das COVID-19-Maßnahmengesetz, das Epidemiegesetz, das wir ja im September 2020 gemeinsam novelliert haben, wo es auch viele Vorschläge aus der Opposition gegeben hat, die aufgenommen wurden. Aber es ist halt nicht immer so, dass wir überall einer Meinung sind, und das ist ja auch in Ordnung so, deswegen sind wir auch in verschiedenen Parteien. In Summe aber geht es mir und meiner Kollegin, das kann ich, glaube ich, ruhig einmal so sagen, ich glaube aber, auch der SPÖ und den NEOS immer darum, Lösungen zu finden, manchmal aus gänzlich unterschiedlichen Herangehensweisen oder Standpunkten heraus. Das gehört halt zu einer guten Demokratie dazu, dass wir ab und zu einmal irgendwo nicht einer Meinung sind oder dass wir eben einen Kompromiss suchen und finden müssen. Aber das funktioniert gut.
GROẞ: Danke schön. Unsere heutige Expertin, unser heutiger Experte sind ja bestens bekannte Corona- und Pandemieerklärer der ersten Stunde, wenn ich das so sagen darf, und sie zeichnen sich auch dadurch aus, dass Sie nie mit ihrer Ansicht hinter dem Berg gehalten haben, auch wenn sie zum jeweiligen Zeitpunkt vielleicht nicht gerade populär war. Herzlich willkommen noch einmal Dorothee von Laer, Virologin an der Med-Uni Innsbruck, und Niki Popper, Mathematiker und Modellrechner an der Technischen Universität Wien! Wir werden Sie heute von Anfang an bis zum Ende der Sendung dabei haben. Pandemie eignet sich nicht für Populismus – ich glaube, da sind wir uns einig. Wie sehr ist die Politik Ihrer Einschätzung nach, Frau von Laer, im Laufe der letzten zwei Jahre dennoch immer wieder dieser Versuchung des Populismus erlegen? (Von Laer: Pah - -!) Das ist jetzt vielleicht eine überraschende Frage für die Virologin.
Univ.-Prof. Dr. Dorothee VON LAER (Medizinische Universität Innsbruck): Sozusagen. – Also das ist jetzt nicht so richtig meine Expertise, wenn ich das einmal vorsichtig so ausdrücken darf. Wenn man aber zumindest Europa anschaut, so sieht man: Es gibt zumindest Länder wie die skandinavischen Länder, die im Parlament keine rechtspopulistischen Parteien in dem Ausmaß haben, wo sich eigentlich alle Parteien von Opposition und Regierung immer relativ gut darüber geeinigt haben, wie die Linie ist, nämlich so, wie die nationalen Gesundheitsinstitutionen – die Institutionen in Skandinavien entsprechend der Ages, dem RKI oder ähnlich – es empfohlen haben; so wurde dann die Pandemie gemanagt. Und da, habe ich den Eindruck, hat man die Bevölkerung etwas besser mitnehmen können als in Ländern wie Deutschland und Österreich, wo halt doch rechtspopulistische Parteien in der Regierung sind. Aber da spreche natürlich als Bürgerin und nicht als Virologin, wenn ich das sage.
GROẞ: Okay, vielen Dank. – Ich muss trotzdem die gleiche Frage auch dem Mathematiker stellen.
DI Dr. techn. Nikolas POPPER (Technische Universität Wien, Forschungsbereich Information und Software Engineering): Also ich bin ja noch sehr beeindruckt, nämlich überlege ich die ganze Zeit zur Frage, ob der Vatikan eine Diktatur ist – ich finde, da bräuchte es eine eigene Sendung.
GROẞ: Wir werden ihn aufgreifen, diesen Gedanken.
POPPER: Das finde ich ein spannendes Thema; das ist dann wahrscheinlich vom Religionsbekenntnis und nicht von der politischen Partei abhängig. Aber im Ernst: Ich glaube, das, was Sie ja auch angebracht haben, durchaus eben die Kritik, die die Oppositionsparteien bringen - - Und zur Frage des Populismus: Ich glaube, man muss zwei Dinge unterscheiden. Das eine ist berechtigte Kritik oder berechtigter Diskurs. Den kann ich mir zum Beispiel, eben von Ihrer Partei kommend (in Richtung FPÖ), bei der Impfpflicht vorstellen, und darüber muss man diskutieren können. Andererseits gibt es in der Politik Dinge, die einfach nicht stimmen, nämlich zum Beispiel die Diskussion über die Impfungen. Da ist evident klar, dass sie die beste Lösung sind; da können wir dann noch lange im Detail darüber diskutieren, warum man das sehr gut weiß. Das ist jetzt aber nicht nur in einer Partei so, sondern das ist, wenn man ehrlich ist, bei anderen auch so. Wenn du als Wissenschaftler in manchen Beratungssituationen sitzt, da kommen halt auch von anderen Parteien manchmal Dinge, bei denen du sagst: Das hat irgendwie nichts mehr mit Evidenz zu tun, das ist reiner Populismus. Und da gibt es wieder zwei Unterscheidungen. Das eine ist, finde ich: Wir alle leben in einer unsicheren Zeit, da kann man danebenhauen – Punkt eins. Was ein bisschen nervig ist, ist, wenn man bewusst danebenhaut, oder auch, wenn man nicht lernfähig ist, und das ist, glaube ich, die große Herausforderung. Das ist eine irre Herausforderung für uns alle, denn in der Wissenschaft haben wir die Situation, dass wir jetzt mit den Varianten – da kommen wir vielleicht dazu – quasi wöchentlich unsere Meinung ändern müssen, weil wir es ja normalerweise erst Monate oder Jahre später publizieren würden, und dann wären wir uns sicher; jetzt aber müssen wir in drei Wochen etwas sagen. Und für die Politik ist es natürlich auch enorm schwierig, weil sich die Situation und die Rahmenbedingungen auch ändern. Aber ja, ich glaube, da tappen schon wir alle oft in diese Falle, die Politik in jene des Populismus und wir, dass wir uns vielleicht manchmal zu sicher sind, obwohl wir vielleicht vorsichtiger sein sollten.
GROẞ: Dann bleiben wir vielleicht gleich dabei: Wie sehr sind denn die aktuellen Schritte auch populären, um nicht zu sagen, populistischen Überlegungen geschuldet? Stichwort Freedomday – ich weiß schon, das ist eine Erfindung der Medien oder mancher Medien gewesen. Herr Popper, Sie haben gesagt: Was den Zeitpunkt betrifft, ist die Regierung den ExpertInnen gefolgt, beim Ausmaß der Öffnungen hingegen einer internen Logik, wie Sie das einmal ausgedrückt haben. Was konkret meinen Sie damit?
POPPER: Ja also, ich habe auch gesagt: Man verhandelt dann manchmal wie am Bazar. Das ist vielleicht unhöflich, es ist vielmehr Parlamentarismus oder auch gelebte Politik. Ich glaube, man muss trennen: Es gibt Dinge, bei denen man nach Evidenz entscheiden kann. Das, was Sie angesprochen haben, ist also: Wir haben konkret versucht, zu modellieren, wann wir sozusagen den Peak erreichen werden, inkludiert auch schon diese neue Subvariante, dieses BA.2 von Omikron – ohne jetzt ins Detail zu gehen. Das sehen wir relativ stabil, und wir tauschen uns da ja auch immer mit vielen KollegInnen aus, auch aus anderen Forschungsgruppen. Im Prognosekonsortium sitzen ja bewusst auch drei verschiedene Gruppen. Da haben wir gesagt: Ja, wir können davon ausgehen, dass Anfang März dieser Peak, also dieser Maximalwert, erreicht wird, und aus verschiedenen Gründen – das kann man dann noch diskutieren – ist Öffnen sozusagen beim Runtergehen eine sehr stabile Lösung. Da kann man dann sehr viel mehr machen, als wenn man sozusagen im Anstieg herumeiert und beim Raufgehen etwas macht. Das Zweite ist – und deshalb habe ich das despektierlich einmal Bazar genannt –: Man muss halt auch die Realität sehen. Die Menschen wollen ihr normales Leben zurück, das haben wir ja auch in den Einspielern gesehen. Es ist ja nichts anderes als verständlich, dass jetzt von der Wirtschaftskammer, von der Arbeiterkammer, vom Tourismus und von der Kultur jeder sagt: Ich möchte als Erster! – Also da wäre es ja auch von uns aus vermessen, zu sagen: Wir haben jetzt eine Priorisierung ausgerechnet, die Blumenhändler sperren vor den Kosmetikerinnen auf. – Selbst wenn wir es wüssten, was wir nicht tun, wäre das ja absurd. Das heißt also: Ich nehme diese despektierliche Meinung sozusagen zurück, und man muss dann sagen, dass es einen Austausch der Interessen der Menschen und ihrer Vertreter – sei es im Parlament oder in anderen Interessensvertretungen – gibt, und das muss man dann auch akzeptieren. Wir wollen ja auch nicht dahin kommen, dass die Wissenschaft irgendwelche politischen Prozesse ersetzt, das halte ich für ganz, ganz gefährlich. Wir können ausschließlich einschätzen, wie die Situation ist, wie sie wird, wie die Zusammenhänge sind, und die Politik muss dann entscheiden.
GROẞ: Vielen Dank. – Zum Stichwort Vatikan an dieser Stelle noch ein Nachtrag: Von der Regie habe ich gerade gelernt, dass der Vatikan eine absolute Wahlmonarchie ist. Jetzt haben wir das auch geklärt. (ANGERER: Eine Demokratie ist es auch nicht!) Frau von Laer, Sie haben gesagt: 3G statt 2G ist okay, die Sperrstunde nach hinten ist okay, bei allem darüber hinaus ist aus Ihrer Sicht nicht klar, dass das möglich ist. Wo konkret können Sie mit den sozusagen jetzt verabschiedeten Regeln, den zukünftigen Regeln, nicht mit und warum nicht?
VON LAER: Also bei den Öffnungen ist völlig klar, dass sie im Laufe des März kommen. Ich bin etwas überrascht, dass man schon genau weiß, dass man am 5. März die Inzidenzen hat, die das erlauben – Deutschland, das bei den vulnerablen Gruppen eine ähnlich schlechte Durchimpfungsrate wie Österreich hat, öffnet rund zwei Wochen später –, also das hat mich schon gewundert. Ich denke, es gibt viele Gründe dafür, dass man jetzt lockern kann, aber es gibt natürlich ein paar Bereiche, die schon ein hohes Risiko sind. Die Studien haben eigentlich alle gezeigt, dass es, wenn man Menschenansammlungen ungehindert stattfinden lässt, wenn man Veranstaltungen, Nachtgastronomie ohne Kontrollen stattfinden lässt, dann schon ein Risiko ist. Da kommt es zu diesen Superspreadingevents, und das ist ganz entscheidend für die Ausbreitung. Tatsächlich bringt zum Beispiel der Lockdown, dass man nicht vor die Tür gehen darf, gar nichts, das haben alle Studien auch gezeigt. Das Schließen der Geschäfte bringt ein bisschen etwas, aber das meiste passiert dort, wo Menschen ungeschützt und unkontrolliert in größeren Versammlungen in Innenräumen zusammen sind. Deswegen: Die Nachtgastronomie ist einfach so etwas. Größere Veranstaltungen ohne Kontrollen – 2G, 3G, was auch immer – schon am 5. März finde ich mutig. Ich kann nur hoffen, dass sich das Virus an den Plan der Regierung hält.
POPPER: Wir sind da manchmal vielleicht auch unterschiedlicher Meinung. Ich war zum Beispiel beim Maskenthema – obwohl ich ja kein Mediziner bin, das heißt, ich äußere mich zum Beispiel zum Maskenthema, was die Effektivität betrifft, gar nicht, weil das andere viel besser können – überrascht, dass dieses Thema jetzt sehr schnell aufgegriffen wurde.
GROẞ: Masken in den Schulen?
POPPER: Jetzt einmal Masken in den Schulen, und dann eben auch diese Diskussion der Lockerung. Was ich spannend finde, ist: Egal was wir jetzt sagen, muss man ja an dieser Stelle die Frage stellen – und vielleicht ist das ja hier der richtige Ort, an dem man das auch noch fragen kann –: Was ist sozusagen das Ziel? Das habe ich als Wissenschaftler bisher auch sehr spannend gefunden, weil es ja eben immer das Ziel war, die Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Wenn wir dabei bleiben, dann ist das ein anderes Thema, als wenn man sagt: Wir möchten die Positivzahlen senken oder – und das halte ich für sehr wichtig, jetzt zum Beispiel, wenn diese vielen Öffnungen gemacht werden – die Menschen, die jetzt sozusagen auf der anderen Seite des Spektrums sind, ins Boot holen. – Die einen sagen berechtigt: Was ist mit der Freiheit des Menschen, was ist mit der psychischen Schädigung? – Jetzt sollen aber die ins Boot geholt werden, die sagen: Ja, ich sorge mich vor Long Covid, ja, ich habe Kinder, die unter fünf sind, die sich nicht impfen lassen können. – Da ist eben die Frage: Wo setzt die Demokratie, wo setzt die Gesellschaft sozusagen das Maß an? Denn im Moment sind die Intensivstationen wenig ausgelastet, aber andere Dinge sind vielleicht relevant.
GROẞ: Das wäre sozusagen offensichtlich der Widerspruch. Werfen Sie (in Richtung von Laer) vielleicht den Modellrechnern vor, dass sie immer nur auf die Intensivstationen schauen?
VON LAER: Also erst einmal: Auf den Normalstationen gibt es noch keine klare Stagnation. Wir sind jetzt bei 2 100, und wir waren am Peak dieser wirklich massiven Deltawelle – da waren wir mit dieser Höhe ja Rekordhalter in Europa – bei 2 700 auf Normalstationen. Also wir sind schon in einem Bereich, der für die Leute, die die Arbeit dort machen, belastend ist. Ich meine, auch wenn das ein leichter Verlauf ist, muss man sich jedes Mal umziehen, wenn man in diese Zimmer rein- und rausgeht, das ist nicht einfach so, wie wenn da einer mit einem Schlaganfall liegt, auch wenn es für diesen Menschen vielleicht noch dramatischer ist. Hinzu kommt, dass wir diesen Abfall im Moment klar in den jüngeren Altersgruppen sehen. In den vulnerablen Gruppen steigt die Kurve langsam, aber stetig eher noch an. Man hat das Gefühl, diese Omikronwelle hat bei den Älteren wenig stattgefunden, das ist kaum durchgedrungen. Noch ist es also so, dass ich sagen möchte, dass zwar mit den Intensivstationen nichts droht, aber dass wir, wenn man jetzt – sagen wir einmal – zu sehr hinauszögert, dass die Zahlen sinken, auf den Normalstationen doch noch weiterhin belastende Situationen haben. Ich sage ja nicht, dass man nicht öffnen soll – ich wäre nur etwas vorsichtiger. Ich hätte es an Inzidenzen und nicht an Tagen festgemacht. Ich hätte gesagt, wenn die Inzidenzen bei – Gott weiß was – 800 sind – wir können bei Omikron ja höhere Inzidenzen tolerieren, das ist klar –, dann machen wir das auf. Die Masken, das hätte ich ganz zum Schluss gemacht. Ich hätte nicht alles auf einmal, gleich die Masken mit, sozusagen über Bord geschmissen, weil die Masken zwar irgendwie lästig sind, aber sie bedeuten für die menschliche Freiheit wirklich die geringste Einschränkung. Es schadet also auch nicht groß unserer Wirtschaft, wenn wir in öffentlichen Bereichen eine Maske tragen. Die hätte ich, ehrlich gesagt, dann noch einmal in einem ganz letzten Schritt etwas später fallen lassen.
GROẞ: Nur um es noch einmal festzumachen: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, besteht Ihr Unbehagen auch darin, dass man jetzt, wenn man noch auf dem Peak und nicht sozusagen schon wieder auf dem absteigenden Ast ist, einfach mit diesen Öffnungen beginnt. Gibt es da vergleichbare Länder, auf die man schauen und von denen man auch etwas lernen kann? Wir sehen ja jetzt zum Beispiel in Dänemark, wo man vielleicht ähnlich wie in Österreich agiert hat, dass man dort jetzt mit sehr vielen Todesfällen zu kämpfen hat. Kann uns das auch drohen?
VON LAER: Nein, also ich denke, ein größerer Teil dieser Todesfälle in Dänemark ist mit Covid und nicht an Covid – das haben Unteranalysen jetzt eindeutig gezeigt. Wenn sehr viele Menschen infiziert sind, dann ist zufällig auch einmal jemand, der wegen Schlaganfall in die Klinik kommt, infiziert – die sterben nicht durch Covid. In Dänemark sind weit über 95 Prozent der vulnerablen Gruppen geimpft, davon sind wir weit entfernt. Wir haben 15 Prozent ungeimpfte über 60-Jährige, und da sind wir mit Deutschland leider das Schlusslicht in Westeuropa. Darauf können wir nicht stolz sein, und daran müssen wir dringend etwas machen. Das hätte für mich in all diesen Dingen jetzt die oberste Priorität, denn wir könnten alle diese Wellen ganz entspannt durchlaufen lassen, wenn wir wüssten: Die Menschen, die gefährdet sind, sind fast alle geschützt. Dass man diese Immunitätslücke jetzt durch Omikron schließt, ist ein großer Unsinn, weil die Omikroninfektion ohne Impfung keinen guten Schutz bietet. Die Antikörper nach einer Omikroninfektion sind saumäßig schlecht, sie schützen kaum vor Omikron, geschweige denn gegen irgendeine der vorherigen Varianten.
GROẞ: Das heißt, die könnten auch wieder hochkommen – Delta zum Beispiel?
VON LAER: Absolut, ja. Wenn wir ungeimpft und nur omikroninfiziert sind, sind wir etwas gegen Omikron und gar nicht gegen die anderen Varianten geschützt. Es gibt überhaupt keine neutralisierenden Antikörper – das haben wir gerade in einem Journal in press. Es ist also wirklich eindeutig so, dass das verschiedene Serotypen sind, und unterschiedliche Serotypen machen keine Kreuzimmunität – gegen die bisherigen Viren und Omikron. Deswegen ist es unheimlich wichtig, dass sich die Leute jetzt zusätzlich zur Omikroninfektion impfen lassen, weil sie dann gegen beide Serotypen geschützt sind. Auch die normale Impfung boostert dann die Omikronantwort, und die Omikroninfektion boostert auch die Antwort gegen die anderen, wenn man schon geimpft ist. Also die Impfung plus eine Omikroninfektion – das ist die Antwort, und das können wir nur durchrauschen und so passieren lassen, wenn wir die vulnerablen Gruppen endlich durchimpfen.
GROẞ: Vielen Dank. – Dann gegen wir wieder in die Politik. Ich greife gerne das auf, was wir jetzt gerade gehört haben: auf der einen Seite die kritische Frage von Niki Popper, dass man sich einmal darüber klar sein muss, was überhaupt das Ziel ist. Das heißt, diese Frage würde ich gerne an Sie weitergeben, und gleichzeitig natürlich auch das, was Sie (in Richtung von Laer) jetzt gesagt haben, die Frage der Prioritäten. Um es auf den Punkt zu bringen: Haben wir, hat die Regierung die falschen Prioritäten gesetzt? – Frau Schwarz.
SCHWARZ: Ich kann gern damit anfangen. Herr Popper hat etwas sehr Wahres gesagt, was uns ja seit Beginn der Pandemie begleitet: Wir wurden oft überrascht, und es war nicht immer alles wirklich zu 100 Prozent berechenbar, wenn ich Sie richtig verstanden habe. Das ist auch etwas, mit dem wir natürlich bei allen politischen Entscheidungen zu tun haben. – Das ist die eine Sache. Zu dieser Abwägung, was möglich, was nicht möglich ist: Wir haben schon immer die Überlastung des Gesundheitssystems in den Mittelpunkt des Interesses gestellt. Es war von Anfang an klar, dass wir schauen müssen, dass die Intensivstationen nicht überlastet sind, selbstverständlich auch – da gebe ich Ihnen recht – die Normalstationen, auf denen die Belastung für das Personal auch dementsprechend groß ist. Wir wissen auch, dass zwischendurch immer wieder Stationen geschlossen werden müssen, weil es eben auch unter dem Gesundheitspersonal sehr, sehr viele Positive gibt – das kommt dazu. Was ich in die Abwägung aber schon miteinbeziehen möchte, sind zwei Dinge: auf der einen Seite die Geschichte mit den Masken. Ich bin davon überzeugt, dass Masken wirklich sehr, sehr gut schützen. Ich bin selber Risikopatientin, für mich ist das eine Selbstverständlichkeit. Auch wenn die Maskenpflicht in dieser Form nicht mehr existiert, werde ich die Maske weiter tragen – das ist so –, auch aus meinem Verständnis heraus, mein Vis-à-vis zu schützen, zum Beispiel vulnerable Gruppen, die eben noch nicht genügend geimpft sind. Das ist mein Verständnis davon, wie ich zum System etwas beitragen kann. Auf der anderen Seite haben wir vor allem bei Eltern von schulpflichtigen Kindern sehr wohl bemerkt, dass der Druck immer größer wurde, nämlich der Druck der Eltern, die sagen: Es ist nicht mehr auszuhalten, dass die Kinder permanent mit der Maske in der Klasse sitzen. – Auf der anderen Seite erleben wir jetzt wieder – ein bisschen paradox –, dass Eltern sagen: Warum sind unsere Kinder nicht mehr geschützt, warum müssen sie keine Masken mehr tragen? Das Ganze kulminiert in einem unheimlichen psychischen Druck auch auf Kinder und Jugendliche, auf Familien, und es hat einen Grund, warum wir letzten Freitag ein Paket mit knapp 13 Millionen Euro zur besonderen psychotherapeutischen und psychologischen Behandlung von Kindern und Jugendlichen vorgestellt haben. Das ist ein erster, extrem wichtiger Schritt, und damit möchte ich nur sagen: Diese zweijährige Pandemie ist für uns alle eine Dauerbelastung. Die Schwierigkeit und die Gratwanderung der Politik sind auch immer, abzuschätzen, was noch verhältnismäßig ist, was wir verantworten können, was wir den Menschen, die in Österreich leben, noch zumuten können und was rein rational gesundheitspolitisch wirklich vonnöten ist. Da braucht es eine Zahl – wenn Sie so wollen –, an der man das festmachen kann, oder eine Tatsache, an der man das festmachen kann, und das ist in diesem Sinne die Überlastung oder die eben nicht existierende Überlastung unseres Gesundheitssystems.
GROẞ: Unsere Sendung heißt ja „Politik am Ring“, daher müssen und wollen wir ja auch über Politik reden. – Herr Schallmeiner, reden wir auch über die politischen Hintergründe dieser Entscheidungen! Da gibt es ja die These, dass die ÖVP positive Schlagzeilen gebraucht hat und man sich daher jetzt zu diesem frühen Öffnungsschritt gewissermaßen genötigt gesehen hat und auch den Gesundheitsminister gewissermaßen genötigt hat, der eigentlich anderes wollte.
SCHALLMEINER: Also was in den letzten zwei Jahren immer unser Ansinnen war – und ich glaube, das ist wieder so ein Punkt, an dem wir uns, glaube ich, alle einig sind –, ist eben der Schutz des österreichischen Gesundheitswesens, dieses dringende gesellschaftliche Bedürfnis, wie es ja der Experte von der FPÖ auch so schön im Hearing des Gesundheitsausschusses zur Impfpflicht gesagt hat: Ein funktionierendes Gesundheitswesen ist ein dringendes gesellschaftliches Bedürfnis. – Das war zumindest die Definition, und darum ist es in den letzten zwei Jahren beständig gegangen, nämlich dass wir dieses dringende gesellschaftliche Bedürfnis gemeinsam schützen. Genauso aber war auch immer eine klare Ansage derer, die dafür Verantwortung tragen: immer nur so lange, wie es unbedingt notwendig ist. – Wenn wir aus den Zahlen heraus sehen und aufgrund der Belastung auf den Intensivstationen, aufgrund der Belastung auf den Normalstationen, auch aufgrund der ganzen Reports und Berichte, die wir aus Gecko bekommen, die wir aus der Coronakommission bekommen, die Einschätzung getroffen wurde, dass unser österreichisches Gesundheitswesen eben nicht am Kippen ist, sondern wir sozusagen von diesem Punkt des Kippens entfernt sind, dann ist natürlich klar, dass wir Maßnahmen auch wieder lockern und zurücknehmen, und – das ist ganz, ganz wichtig, das kommt mir nämlich in der ganzen Debatte ein bisschen zu wenig vor – immer mit einer klaren Ansage: dann, wenn all die Prognosen auch so eintreffen, wie sie aufgestellt wurden. Es ist, finde ich, schon auch ganz, ganz wichtig, dass wir diesen 5. März ja nur dann umsetzen können, wenn das, was Wissenschafter, Expertinnen und Experten wie eben beispielsweise Niki Popper für diesen Zeitraum voraussagen. Wenn das nicht eintritt, dann – das muss ich auch sagen – wird sich die Politik davor hüten, da allzu leger zu sein, und wird natürlich dann dementsprechend sagen müssen: Okay, die eine oder andere Maßnahme geht doch noch nicht am 5. März. – Das ist schon auch entscheidend, und das wurde auch, finde ich, schon mehrfach gesagt, aber es findet halt leider Gottes einfach nur einen sehr geringe Widerhall. Was ich noch sagen wollte, weil es mir einfach auch ein persönliches Anliegen ist, weil Sie es eben auch erst gesagt haben: Dieses Narrativ des Freedom Days finde ich wirklich ganz, ganz schlimm und ganz, ganz schlecht, weil es nämlich sozusagen das Narrativ unterstützen würde, das von der FPÖ kommt: dass wir jetzt zwei Jahre lang in einer Diktatur gelebt haben. Ein Freedom Day war beispielsweise, als Nelson Mandela in Südafrika freigekommen ist – das war ein Freedom Day. Mein persönlicher Freedom Day hier in Österreich ist der 8. Mai, das ist die Kapitulation des NS-Regimes – das ist ein Freedom Day, aber das Zurücknehmen von zwingenden Maßnahmen aufgrund einer Pandemie, weil wir eben ein dringendes gesellschaftliches Bedürfnis, nämlich jenes nach einem funktionierenden Gesundheitswesen, schützen wollten, ist kein Freedom Day, sondern das sind Maßnahmen, die wir eben setzen, mit Maß und Ziel und nur dann, wenn die Prognosen, wie ich eben erst angesprochen habe, auch halten.
POPPER: Also da bin sehr dankbar, dass Sie das auch sagen. Das war nämlich genau das, was wir auch gesagt haben. Wir haben gesagt: Ja, wir versuchen, das nach bestem Wissen und Gewissen zu machen, aber aufgesperrt soll werden, wenn wir eben den Peak haben. Da versuchen wir, uns möglichst sicher zu sein, das stimmen wir auch mit Kollegen ab. Wir glauben, dass wir da eben so weit sind. Der Grund, warum wir dann relativ knapp gesagt haben, dass man das machen kann, hat mit unseren Modellen zu tun, weil wir, wenn die Positivtestungen runtergehen, dann in speziellen Modellen sehen, dass die Dynamik schon runtergeht. Da muss man dann auch noch einmal auf die Altersstruktur schauen, wie die Frau Professor das eben auch gesagt hat, und dann ist das eine gute Sache. Der zweite Punkt ist: Ja, ich halte das Wort Freedom Day auch für sehr problematisch, nicht nur aus den von Ihnen genannten Gründen, sondern auch weil wir – und da sind wir uns auch einig – ja für das Öffnen sind. Es soll ja auch aus den vielen, vielen anderen Gründen – wenn andere Therapien nicht gemacht werden, aus psychischen Gründen – aufgesperrt werden, so viel irgendwie geht, aber wir müssen, damit wir nicht das gleiche Problem wie letztes Jahr haben, auf den Herbst vorbereitet sein. Das heißt, von der Politik erwarten wir uns jetzt - - Das ist auch die Aussage in Gecko, da gibt es ja auch immer wieder, wie man auf Wienerisch sagt, Brösel: ob das, was in Gecko gesagt wird, die Politik sagt, und ob wir das gesagt haben, und so weiter. Ich glaube, ganz klar ist von allen – ich traue mich sonst wenig, das so sagen –, von allen Kolleginnen und Kollegen aus der Wissenschaft, egal ob in Gecko oder außerhalb: Wir müssen vorbereitet sein, besser als beim letzten Mal, und im Idealfall brauchen wir es nicht. – Das ist das, was wir anstreben wollen. Ich muss noch einmal zum Punkt zurückkommen, was die Politik will. Ich könnte jetzt ein bisschen ketzerisch fragen: Warum haben wir, wenn es um die Überlastung der Intensivstationen geht, nicht schon vor vier Wochen aufgesperrt, denn da war die Situation auf den Intensivstationen genauso?
SCHALLMEINER: Weil damals die Prognosen noch nicht eindeutig waren, oder noch nicht so - -
POPPER: Na, sie waren schon eindeutig.
SCHALLMEINER: Aber sie waren noch nicht ganz so optimistisch.
POPPER: Na ja, ich will ja ein bisschen provokant sein. Damals, zu diesem Zeitpunkt, war die Überlastung des Gesundheitssystems nicht gegeben.
ANGERER: Das ist jetzt aber ein Musterbeispiel, ein schönes Beispiel dafür, wie gut die Zusammenarbeit zwischen den beiden Koalitionspartnern und den Experten funktioniert.
POPPER: Na ja, wenn Sie - - Da muss ich jetzt ein bisschen sagen, das ist eher ein Beispiel dafür, wie spaßbefreit die FPÖ ist. Ich wollte ein bisschen sozusagen auf das Thema eingehen, ich will nämlich auf ein konkretes ernsthaftes Thema kommen. Ich will darauf hinaus, welche Daten wir haben, und das ist das große Problem. Das heißt, warum wäre das eben nicht sinnvoll gewesen? – Weil wir die Daten dafür nicht haben. Das heißt, wir brauchen - - Ich habe einmal im Spaß gesagt: Das war das einzige Mal in meinem bisherigen Leben, dass ich mit Herrn Kickl einer Meinung war, als er gesagt hat, dass wir die Daten der Hospitalisierungen nicht haben. Wir wissen nicht genau, wie viele Intensivbetten wir haben, und das ist für uns in den Prognosen das große Problem, und da können wir besser werden.Das heißt, wir brauchen zum Beispiel die Relation Hospitalisierung zum Immunstatus, und das ist etwas, was wir zum Beispiel - - Das ist jetzt in Arbeit, wir haben es zum Beispiel Gott sei Dank geschafft, die Impfung mit den EMS-Daten zu verknüpfen, damit wir wissen, welche Menschen krank werden, und hier müssen wir noch mehr machen. Das heißt – noch einmal, um das klarzustellen –: Ich wollte jetzt nur provokativ sagen, wir brauchen mehr Daten, dann können wir für die Politik, mit der Politik besser ...
GROẞ: Aber jetzt möchte ich auch noch einmal provokant sein. Diese Forderung nach mehr Daten, besseren Daten klingt wie ein eingefrorener Posthornton – das kenne ich eigentlich auch seit Beginn der Pandemie, seit Frühjahr 2020. Heißt das, da hat sich nichts geändert, da hat sich nichts verbessert?
POPPER: Doch, es haben sich gewisse Teile verbessert. Es war zum Beispiel so, dass die EMS-Daten sehr schnell zur Verfügung gestanden sind, und grundsätzlich ist das EMS-System sehr viel besser angelegt wie in anderen Ländern. Zum Beispiel gibt es in Deutschland, einem größeren Land – Sie werden es besser wissen –, keine bundesweiten Daten. Es hat sich verbessert, dass eben diese Verlinkung - ‑ Das klingt jetzt wahrscheinlich irgendwie beängstigend für die Menschen, aber da geht es nicht um Einzelpersonenverlinkung, sondern es geht darum, dass wir aggregiert, also das heißt, zusammengefasst, wissen, wie die Krankheit im Zusammenhang mit dem Impfen ist, und jetzt bräuchten wir als Beispiel nur eben diese Verknüpfung mit den Hospitalisierungen, damit wir die Politik auch transparent und offen informieren können. Dann gibt es nächste Schritte, da müssen wir dann zum Beispiel dort hinkommen – das ist für die langfristige Analyse sehr wichtig –: Welche Menschen werden krank? Welche Menschen haben schwere Verläufe, mit welchen Vorerkrankungen?, also ich will Sie da jetzt nicht langweilen, es ist einiges passiert, aber es ist in Österreich im Vergleich zu anderen Ländern wie speziell UK, also Großbritannien, wie Benelux und Skandinavien noch sehr viel Luft nach oben.
GROẞ: Herr Angerer.
ANGERER: Ich glaube, als Politiker – und das tun wir jetzt leider wieder hier in der Runde – sollten wir ja keine Vergangenheitsbewältiger sein, die sich mit der Geschichte beschäftigen, sondern wir bräuchten Zukunftsperspektiven. Die Menschen draußen brauchen wieder Hoffnung, brauchen wieder Licht am Ende des Tunnels, wie es schon genannt wurde, die müssen endlich aus dieser Bunkerstimmung rausgeholt werden, in der sie sich seit zwei Jahren befinden und in die diese Koalition die Menschen hineingebracht hat, durch völlig unklare Regeln, Vorgaben, Voraussagen, Maßnahmen, die niemand mehr versteht. Es versteht ja kein Mensch mehr da draußen, warum zu welchem Zeitpunkt welche Maßnahme wie gesetzt wird, und das ist das Problem. Man hat es ja jetzt gerade wieder gesehen, der Bundeskanzler – mittlerweile der dritte innerhalb von zwei Jahren, so gut funktioniert die Koalition – hat einen Freedomday ausgerufen und der Gesundheitssprecher der Grünen sagt ihn gerade wieder ab (SCHWARZ: Das hat er nicht gesagt!), also wie soll sich da draußen ein Bürger noch auskennen? Also ich sage, es braucht endlich Politik, auf die sich die Menschen draußen wieder verlassen können. Ich kann ja nicht nur auf Expertenbasis entscheiden, wo jeder Experte – ich schätze Experten sehr – sicher recht hat. Wenn Frau von Laer heute sagt, wir sperren uns alle ein, wir isolieren uns alle, dann wird sich keiner mehr anstecken, dann wird sie zu 100 Prozent recht haben, und Herr Popper kann dann ausrechnen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass wir innerhalb von ein paar Monaten pleite sind – die Wahrscheinlichkeit wird auch 100 Prozent sein. So kann ich ja nicht Politik machen. Ich kann mir natürlich Experten anhören, aber dann hat die Politik nach der Verhältnismäßigkeit, die heute schon genannt wurde, zu entscheiden. Ich muss ja das Gesamte sehen, die Kollateralschäden, die bei unserer Jugend angerichtet worden sind, was mit unseren Kindern passiert ist. Jetzt müssen wir darüber nachdenken, dass wir sie psychisch betreuen und Programme machen – wir behandeln Symptome. Wie holen wir denn das auf? Wie holen wir denn die zwei verlorenen Bildungsjahre auf? – Das sind die Fragen, die die Politik zu lösen hat, und nicht, dass ich meine Kinder psychologisch betreue, also das ist rückwärtsgewandte Politik. Da muss man einfach sagen, das wird mit euch auch nicht mehr funktionieren, dass man aus dieser Sackgasse herauskommt. Da muss man sagen, es kann nur mehr Neuwahlen geben, das ist das Einzige, das ...
GROẞ: Auf das Stichwort kommen wir dann noch zurück, das ist mir zu diesem Zeitpunkt noch zu früh. Frau von Laer, Sie haben sich gemeldet. Frau Schwarz hat sich gemeldet, ich glaube, alle haben sich jetzt gemeldet. – Bitte, Sie waren die Erste.
VON LAER: Unsere Kinder hätten wir schon vor einem Jahr aus der ganzen Sache entlassen können, wenn nicht 15 Prozent der vulnerablen Gruppen nicht geimpft wären, und der Grund, warum sie nicht geimpft sind, ist Ihre Partei, sie ist mit dran beteiligt. Entschuldigung, jetzt werde ich als Virologin mal politisch – so.
GROẞ: Danke schön.
KUCHER: Kollege Popper hat nämlich eingangs gesagt – er hat völlig recht –, das eine sind Fehler, die aufgrund von einer diffusen Lage passieren können, dass die Erkenntnisse noch nicht vorhanden sind, aber das Ärgerliche sind – wenn ich das richtig wiedergebe – Fehler, die sich wiederholen und die nicht notwendig gewesen wären. Ich möchte es jetzt ganz konkret machen – weil Kollegin Schwarz ja auch gesagt hat, man ist oft überrascht worden –, was im letzten Herbst in Österreich passiert ist: Das ist keine Überraschung gewesen, sondern es hat die Warnungen und die Prognosen bereits im Sommer gegeben. Jetzt kann man sich die Frage stellen, warum die Warnungen auch der Wissenschaft nicht gehört worden sind, und die Antwort war leider, dass Parteipolitik in dem Fall wichtiger war als die Gesundheit und der Schutz von Menschenleben. Um es konkret zu machen, Sebastian Kurz hat mit der ÖVP plakatiert: Es wartet ein cooler Sommer auf uns!, Wir haben die Pandemie gemeistert!, und dann hat es die Landtagswahl in Oberösterreich gegeben, und man hat gesagt, man darf nicht für die ÖVP die Landtagswahl gefährden, deswegen gibt es kein Risiko. Dann waren wir plötzlich bei einer explodierenden Zahl an Neuinfektionen, die „Kronen Zeitung“ hat getitelt: „Dieser Politstreit kostet Menschenleben“. – Das ist nicht passiert, weil die Wissenschaft nicht beraten hat, sondern es ist deswegen passiert, weil Parteipolitik wichtiger war als der Schutz von Menschenleben. Ich erinnere nur zurück, Landeshauptmann Haslauer hat dann gegenüber den Medien gesagt – hat in Wahrheit Ärztinnen und Ärzte verspottet –, die Virologen sind so Menschen, die tun halt gern andere Menschen einsperren. Während Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus gemeinsam mit den Pflegern um Menschenleben gerungen haben, hat man dann gesagt, die tun einfach nur gern einsperren. Da könnte man zig Beispiele bringen, wo es die Warnungen gegeben hat und wo man einfach nicht hingehört hat, weil man einfach groß plakatiert hat: Pandemie gemeistert! Ich sage nur abschließend, es ist kein Naturgesetz, dass Österreich so viel schlechter durch die Krise kommt als andere Staaten. Ich habe immer gesagt, Fehler können passieren. Wenn sich alle anstrengen, dann kann man auch zusammenhalten und versuchen, die Krise zu meistern. Wenn aber Fehler passieren, wenn man sich über Ärztinnen und Ärzte lustig macht, weil Parteipolitik wichtiger ist, muss man sagen, das ist alles kein Spiel, sondern da geht es um Menschenleben. Deswegen ist es mir jetzt so wichtig, dass wir uns heute vorbereiten, dass wir nicht wieder den dritten Sommer in Folge verschlafen und planlos in den Herbst gehen.
GROẞ: Das heißt, wir sollten auch über die gegenwärtigen Maßnahmen und die auf dem Tisch liegenden Pläne reden. Herr Kucher, weil Sie gerade am Wort sind, möchte ich Sie auch noch mit diesem Zitat des Stadtrates Peter Hacker konfrontieren, der ja zu den jetzt angekündigten Maßnahmen gesagt hat, man steigt nicht aus einem Auto aus, wenn es in voller Fahrt ist, sondern man wartet, bis das Auto steht. – Warum gehen in Wien die Uhren anders?
KUCHER: Ich glaube, dass Wien da die letzten zwei Jahre einen sehr stringenten Kurs gefahren ist, dass man versucht hat, die Krise immer wieder auch vorsichtig zu meistern. Wovon wir alle miteinander gar nichts haben, ist Aufsperren, Zusperren, Aufsperren, Zusperren, Zickzack, Zickzack, Zickzack, Hickhack, Hickhack, Hickhack, wie wir es auch in der Bundesregierung erlebt haben. Das kostet ja Vertrauen. Ich sage es ehrlich, Pamela Rendi-Wagner hat am Beginn der Krise immer wieder gesagt – damals habe ich sozusagen eigentlich noch gar nicht die Tragweite begreifen können – und gewarnt, in einer Gesundheitskrise ist die wichtigste Währung der Politik Vertrauen. Wenn man Vertrauen einfach durch Märchenstunden, durch Lügengeschichten, durch Populismus zerstört, dann stehen wir irgendwann einmal da, wo wir heute in Österreich stehen, nämlich dass es leider ganz, ganz viele Menschen gibt, die nicht nur der Politik nicht mehr vertrauen, sondern in Wahrheit auch zunehmend der Wissenschaft, und das ist ja eigentlich das Fatale, das passiert ist, dass man dieses Vertrauen über Märchen, über Politikmarketing, über Geschichten, die in Wahrheit die ÖVP-Spindoktoren erfunden haben, monatelang vernichtethat. Jetzt stehen wir auf einmal da, dass zusätzlich die FPÖ Öl ins Feuer gießt und wir alle miteinander vor einem Trümmerhaufen auch leider des ...
GROẞ: Vielleicht können wir es jetzt trotzdem ein für alle Mal mit dem Thema Vergangenheitsbewältigung belassen und wirklich das ernst nehmen, was wir uns vorgenommen haben.
KUCHER: Es ist nur ganz wichtig. Wenn wir es abhaken können, herzlich gerne, nur wir haben zwei Sommer hintereinander verschlafen (Groß: Okay, das ist jetzt besprochen!), und ich hoffe, dass wir den dritten Sommer nicht auch noch verschlafen, weil es dann wirklich dramatisch wird.
GROẞ: Wir wollen nach vorne schauen. Frau Schwarz hat sich gemeldet und Herr Schallmeiner. – Bitte.
SCHWARZ: Ja, ich wollte jetzt auch noch kurz - -
SCHALLMEINER: Ich wollte nur ganz kurz bei zwei, drei Punkten einhaken, auch wenn es mir wirklich fern liegt, dass wir da jetzt eben in dieses Wadelbeißen kommen. Ich glaube aber, zwei, drei Dinge müssen wir hier schon noch einmal auch für die Zuseherinnen und Zuseher zu Hause einfach geraderücken. Das eine ist zu diesem zwei Jahre stringent: Ja, also wenn die zwei Jahre zu Ostern letzten Jahres begonnen haben, dann sind es zwei Jahre. In Wirklichkeit war nämlich auch der Kurs von Wien nicht ganz so eindeutig. Wie wir uns vielleicht alle noch erinnern können, hat sich zu Ostern letzten Jahres dann ein gewisser Rudi Anschober eine Nacht lang auf drei Landeshauptleute regelrecht draufknien müssen, damit es ein Einlenken bei der Politik gibt. Seither – da bin ich 100 Prozent dabei – fährt auch Wien einen durchaus sehr stringenten Kurs, mit dem man durchaus gut kann und der aber wohl auch dem Umstand geschuldet ist, dass Wien die einzige Millionenstadt in diesem Land ist, die eine ganz andere Herausforderung hat, in der Menschen eng an eng leben. Wenn wir nach Hongkong schauen, können wir gerade ja auch sehen, was passiert, wenn in einer Millionenstadt Cluster überhandnehmen, also Wien hat da schon ein bissel eine andere Situation. Ich finde dieses momentane Zurücklehnen von Ludwig und Hacker gegenüber dem Rest Österreichs auch nicht ganz passend, also ich glaube, das könnten wir uns alle miteinander ersparen, das könnte man, glaube ich, ganz anders regeln. Diese Strategie, dass der Bund die Unterkante vorgibt und die Länder darüber hinaus aufdoppeln können, ist ja auch dieser Situation zu Ostern letzten Jahres geschuldet (KUCHER : Dem Regierungskampf!), wo ja Doskozil anno dazumal gemeint hat: Na, eigentlich brauche ich ja viel weniger!, und deswegen hat man halt dann gesagt: Na Moment, stopp, der Bund setzt die Unterkante und die Bundesländer dürfen diese Unterkante nicht unterschreiten! (KUCHER : Aber das stimmt doch bitte nicht! Das ist doch nicht die Wahrheit!) – Aber das ist nur zur Vergangenheitsbewältigung. (KUCHER : Okay!) Wo ich 100 Prozent – vielleicht nehme ich das, damit wir auch den Ausblick in die Zukunft bekommen – dabei bin, ist, dass wir uns das eben nicht mehr leisten können, zu sagen, die Pandemie ist vorbei. Da stimme ich 100 Prozent mit Philip Kucher überein, und ich glaube, da stimmen auch zumindest die konstruktiven Kräfte hier im Haus 100-prozentig überein. Deshalb wird es auch heuer im Frühjahr und im Sommer das brauchen, dass wir die Menschen davon überzeugen, impfen zu gehen, dass sie sich die Boosterimpfung dort, wo sie noch nicht abgeholt wurde, abholen, dass diese 15 Prozent der Ungeimpften aus der Risikogruppe dementsprechend auch geimpft werden sollen. Da braucht es aber nicht nur uns hier im Parlament, sondern – Philip, du weißt es selber am besten – es sind natürlich die Bundesländer mit an Bord zu bringen – das ist halt eine dementsprechende Herausforderung –, es sind die großen Kommunen mit an Bord zu bringen. Übermorgen werden wir ja hoffentlich ein dementsprechendes Gesetz verabschieden, mit dem wir auch die Kommunen für die Zukunft unterstützen, damit wir eben nicht wieder den Sommer verpennen, wenn ich sozusagen deine Worte einmal hernehmen darf.
GROẞ: Okay, vielen Dank. Gabi Schwarz und dann Niki Popper.
SCHWARZ: Ich mache es mit der Vergangenheitsbewältigung ganz kurz. Es hätte uns echt geholfen, lieber Philip, wenn es vor zwei Jahren im Gesundheitsministerium eine Lade gegeben hätte, die man aufgemacht hätte und auf der draufsteht: Pandemieplan, das sind taugliche Verordnungen, diesen Weg habe ich zu gehen, das sind die Stellen, die ich zu informieren habe! – Gab es nicht. Ich lasse das jetzt weg, wer dafür verantwortlich war, das macht keinen Sinn, auch nicht parteipolitisches Kleingeld, also das sollte - -
KUCHER: Aber was war in Oberösterreich? Machen wir es konkret im Herbst: Habt ihr es wissen können? War das eine Überraschung?
SCHWARZ: Nein, Philip, lassen wir das!
GROẞ: Okay, also ich muss es jetzt abwürgen, diese Diskussion ist wirklich abgeschlossen.
SCHWARZ: Das ist müßig. Für mich geht es jetzt darum: Wie schaffen wir es, die Menschen, die sich nicht wirklich ausschließlich auf Telegram-Gruppen konzentrieren und dort verhaftet sind, die Übrigen, die noch unentschlossen sind, die sich aus unterschiedlichen Gründen – Herr Groß, Sie haben es vorhin genannt –, ob aus Angst oder was auch immer, nicht impfen lassen, wie schaffen wir es alle gemeinsam – die Kommunen, die Politik, die Ärzteschaft, wer auch immer damit zu tun hat –, die Menschen davon zu überzeugen, dass nämlich das, was Sie gesagt haben, das einzig Wichtige ist, nämlich dass die Impfung der Weg ist, der uns weiterhilft? Da rede ich nicht vom Ende der Pandemie, sondern vom Weg durch die Pandemie, der Überzeugungsarbeit, die zu leisten ist. Wo kommen wir am besten an die Menschen heran, wo können wir Ängste nehmen und wo können wir sie davon überzeugen, dass es gescheit ist, was für die Gemeinschaft zu tun, nämlich sich impfen zu lassen? Alles andere ist kontraproduktiv, und davon müssen wir einfach wegkommen, dass wir die Impfung mit einem Gammelfleisch vergleichen oder Ähnlichem – das ist es nicht. Es ist eine zugelassene überprüfte Impfung, die hilft, nicht mit schweren Verläufen zu erkranken oder zu versterben.
GROẞ: Gut. Niki Popper, bitte.
POPPER: Ich möchte keine Vergangenheitsbewältigung machen – das muss ich Gott sei Dank nicht, darf ich nicht, will ich auch nicht –, aber ich möchte quasi ausgehend von den vergangenen Dingen den Übergang machen. Ich entschuldige mich, wenn ich ab und zu ein bissel flapsig bin, aber Armin Assinger hat Peter Klimek die Woche im Fernsehen gesagt, er soll ein bissel einfacher reden, also ich bemühe mich auch wieder, weil die Situation zugegebenermaßen wissenschaftlich ernsthaft formuliert sehr kompliziert ist. Zu den Aussagen aber: Wenn Sie (in Richtung Kucher) gesagt haben, wir kommen viel schlechter durch die Pandemie als alle anderen Länder, dann müsste ich jetzt die Frage stellen: Woher wissen Sie das? – Also nicht, dass ich sage, wir sind besser – um Gottes willen –, sondern ich sage, da müssen wir uns zusammensetzen und sagen: Sind wir das? Wo kommen wir besser durch? – Das wäre zum Beispiel etwas, was auch für die Menschen wichtig ist, dass man sagt: Okay, da muss man Evidenz schaffen. – Das ist irrsinnig schwierig. Ich lerne das jetzt als völliger Laie in solchen Dingen wie bei Gecko, dass da sehr viele Prozesse sind, wo vier Profis sitzen. Das, glaube ich, verunsichert zum Beispiel Menschen. Das Zweite ist – Sie (in Richtung Angerer) haben es berechtigterweise gesagt –: Es kennt sich niemand mehr aus. Wenn mich jemand anruft, und ich werde natürlich von Freunden angerufen, die sagen: Was gilt denn jetzt?, sage ich: Keine Ahnung! – Ich weiß es oft nicht. Da muss ich auch sagen, wenn wir jetzt zum Beispiel irgendwo sitzen und versuchen, gute Sachen zu sagen, einzuordnen – und das ist wirklich schwierig genug, wie wir wissen –, dann kriegen wir auf Zuruf von irgendwelchen Wirtschaftskammerobmännern, ja, aus irgendwelchen Bundesländern Interviews, in denen uns erklärt wird, welche Maßnahme besser ist und welche nicht. Ich finde es okay, wenn die sagen: Wir halten es nicht mehr aus, weil die Leute pleitegehen, ihr müsst was machen!, das ist für mich legitim. Der Zuruf zum Beispiel, glaube ich, verunsichert die Menschen auch. Das heißt, auch ich versuche mich – und das ist in der Sendung sehr schwierig, weil es eine politische Sendung ist, deshalb sind wir da auf dünnem Eis – aus der Politik, so es irgendwie geht, rauszuhalten. Ich habe zum Beispiel gesagt, die Priorisierung von Maßnahmen könnten wir machen, das ist aber völlig realitätsfern, weil das eben Politiker, Interessenvertreter machen müssen. Es ist sehr oft so, dass man zum Beispiel zu spät oder zu langsam reagiert. Das ist etwas, auch neben der Klarheit, wo jetzt zum Beispiel - ‑ Natürlich wünscht sich die Politik – ich meine, da braucht man nicht herumzudiskutieren – von uns, dass wir möglichst früh aufsperren, das wird die Frau Professor wahrscheinlich auch bestätigen können. Das heißt, wenn wir jetzt als Prognostiker sagen: Ja, also es geht eh Anfang März!, dann freuen sie sich, aber wenn das halt gerade nicht ins Konzept passt, dann habe ich sehr oft erlebt: Na ja, muss man dann?, nämlich in beide Richtungen, sowohl, wenn es strenger wird, als auch, wenn es lockerer wird. Also da muss man auch Prozesse schaffen, wie Wissenschaft in die Politik kommt und wie man das dann wirklich transparent machen kann. Letzter Punkt, was Sie gesagt haben: Sie haben gesagt, na ja, es ist unklar, und wir haben sozusagen jetzt die zwei Jahre so viel Schaden angerichtet. Da muss ich als Wissenschaftler sagen: Ja, was wäre Ihre Alternative gewesen? Also durchrauschen lassen kann es, vor allem in den letzten zwei Jahren, nicht sein. Das ist auch leicht, als Oppositionspolitiker zu sagen, das ist alles ein Blödsinn. Bei vielen Dingen, das habe ich jetzt auch versucht, zu sagen, sehe ich eben durchaus auch, um es höflich zu sagen, Optimierungspotenzial, aber die Alternative wäre in meiner Welt nicht denkbar gewesen.
GROẞ: Ganz kurze Erwiderung, und dann machen wir einen Unterbruch.
ANGERER: Herr Popper, Sie haben schon recht, und das war auch nicht unser Zugang. Ich glaube, alle Oppositionsparteien – die SPÖ, die NEOS und auch wir – haben sehr viele Vorschläge im Parlament eingebracht. Was mich erschreckt, und wir hören es ja heute auch wieder, ist, dass die Regierung nur eine Strategie hat, und die heißt Impfen. Es gibt keine zweite Strategie, es gibt keine Alternative, es gibt nur diese eine Strategie. Jetzt greife ich etwas auf, was Frau von Laer gefordert hat, soweit ich es weiß, und auch wir im Parlament, dass man zum Beispiel den Antikörperstatus in der Bevölkerung feststellt; soweit ich weiß, hat sie es gemacht. In Tirol sind 35 000 Blutproben untersucht worden, da waren Antikörper bei 83 Prozent der untersuchten Personen; so habe es ich gelesen. Ich stelle mir die Frage, warum man jetzt das Testen abschaffen will. Will man Menschen schützen oder will man Menschen bestrafen? Wir sagen immer: die vulnerablen Gruppen, sprich die Gefährdeten, unbedingt schützen, auf jeden Fall dort massiv testen, dort schauen, dass man keinen Virus reinbringt, dort den Schwerpunkt hinlegen, aber dafür die Gruppen, die wenig gefährdet sind, zum Beispiel Kinder, nicht mit Masken in die Schule setzen, Maskenzwang vorgeben oder überhaupt nicht in die Schule gehen lassen. Das sind alles Möglichkeiten - -
POPPER: Aber das funktioniert ja nicht.
ANGERER: Vielleicht liegt es auch an der Strategie. Es gibt hier nur eine Strategie, die heißt Impfen, und wenn ich mir anschaue - -
POPPER: Die ist aber auch die beste.
GROẞ: Ganz kurz jetzt, weil Sie, glaube ich, zur tatsächlichen Berichtigung beziehungsweise zum Realitycheck auch gefragt ist, Frau Prof. von Laer bitte.
ANGERER: Wenn ich mir anschaue, wer aktuell gerade infiziert ist, die sind wahrscheinlich alle drei Mal geimpft, oder? Von der Frau Edtstadler über die Frau Mikl-Leitner über den Herrn Gesundheitsminister: Ich gehe davon aus, dass die alle Maßnahmen einhalten, mindestens dreimal geimpft sind – die sind alle infiziert.
GROẞ: Lassen wir Frau Prof. von Laer kurz erwidern.
VON LAER: Gut, also wenn man die Geschichte der Seuchen ankuckt: Es gibt natürlich Seuchen, die man durch Trennung von Trink- und Abwasser beherrschen kann, es gibt Seuchen wie die Syphilis, die sich durch eine Verhaltensänderung der Menschen damals erübrigt hat, da wurde die Kirche plötzlich prüde, aber die großen Virusseuchen lassen sich nun einmal wirklich nur durch Impfung beherrschen, das ist nun einmal so. Sicherlich wird uns die Therapie ein bisschen helfen, vor allen Dingen die vulnerablen Gruppen, die nicht gut auf die Impfung ansprechen, in einem gewissen Ausmaß zu schützen, aber die beste, historisch immer wieder erwiesene Methode, um Viruspandemien und überhaupt Virusinfektionen zu kontrollieren, ist die Impfung. Bei Bakterien funktioniert das nicht so, da haben wir die Antibiotika. Zweitens: Diese Impfung ist kein nicht erprobtes experimentelles Irgendwas, die haben mehrere Milliarden Menschen bekommen. Es gibt kaum eine Impfung, die so gut untersucht ist. Und wenn Sie immer von Langzeitfolgen reden – jeder sagt, es gibt da keine Langzeituntersuchungen –: Wenn man ein Medikament absetzt und dann noch zwei Jahre einen Menschen weiter untersucht, nachdem das Medikament schon weg ist, dann ist das ein völlig überbeforschtes Medikament, das gibt es für kein zugelassenes Medikament. Wenn das Medikament abgesetzt ist, dann ist die Studie vier Wochen später vorbei. Da wird nicht nach zwei Jahren noch gekuckt. Wir haben fast zwei Jahre Nachbeobachtung von den Ersten, und es ist einfach, wie gesagt, diese schiere Menge der verabreichten Impfdosen. Wir wissen sehr, sehr genau, was die sehr seltenen Nebenwirkungen sind. Ich kann nur sagen: Jeder von uns wird Kontakt mit dem Virus haben, mehr oder minder, tatsächlich auch als Geimpfter, irgendwann in Zukunft dann eben als leichte Infektion, und es ist einfach so, dass dann das Risiko einer ungeschützten Infektion deutlich höher ist als das Risiko einer Impfung – und das ist durch Studien weltweit so was von hieb- und stichfest. – Tut mir leid, ich mische mich auch nicht in Ihre Alltagspolitik und Parteistrategie ein, aber das sind einfach Sachen - - Ich mache seit 35 Jahren nichts anderes als Virologie, und ich kann Ihnen sagen: Diese Impfung ist eine gute Sache, sicher und absolut zu empfehlen.
ANGERER: Nur einen Satz! Wir sagen das auch nicht. Wir haben uns nie, ich habe mich nie gegen die Impfung ausgesprochen. Ich bin selbst einmal geimpft. Ich habe das Virus gehabt, ich bin genesen und bin einmal geimpft. Und viele in unserem Klub - -
GROẞ: Wir haben noch einen Film vorbereitet, den wir jetzt gerne zeigen würden, weil wir auch noch zu einem anderen Aspekt dieses Themas kommen möchten. Es ist ja so, dass vom symptomfreien Verlauf über milde bis mittelschwere Verläufe bis zur Intensivstation und in manchen Fällen auch bis zum Tod die Bandbreite der Intensität einer Covid-19-Infektion sehr, sehr groß ist. Hinzu kommen die Spät- oder Langzeitfolgen, inzwischen unter dem Begriff Long Covid zusammengefasst, die natürlich noch lange nicht ausreichend erforscht sind. Fakt ist, dass auch da noch etwas auf uns zukommt, was in seiner endgültigen Dimension vielleicht noch schwer einzuschätzen ist. Im folgenden Film zeigen wir das Porträt einer jungen Frau, nach deren Covid-Erkrankung nichts mehr so ist, wie es vorher war.
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Es folgt eine Videoeinspielung:
Sprecher: Sarah Kanawin ist wegen Long Covid seit mehr als einem Jahr auf die Pflege und Unterstützung ihres Partners angewiesen. Pflegegeld bekommt sie nicht. Im Juni 2020, also bevor es einen Impfstoff gab, war die 37-Jährige an Corona erkrankt, ins Spital musste sie nicht. Sechs Monate später kam dann der sogenannte Crash, der bis heute nachwirkt.
Sarah Kanawin (Long-Covid-Betroffene): Mein Leben hat sich vollkommen verändert. Ich war aktiv, ich habe viel gearbeitet, gern gearbeitet. Ich war wandern, ich war tanzen, ich war sportlich, ich bin Fahrrad gefahren, alles Mögliche, und jetzt kann ich nichts mehr. Ich brauche einen Rollstuhl, ich liege die meiste Zeit des Tages, ich brauche Hilfe bei quasi allem – also ich kann mich nicht selbst versorgen.
Sprecher: Ihre Arbeit in der Erwachsenenbildung und im IT-Projektmanagement musste die Wahlwienerin aufgeben.
Sarah Kanawin: Mir ist schwindlig, ich habe ständig Halsweh, meine Nase läuft ständig, ich habe ständig Gliederschmerzen, also meine Muskeln tun ständig weh. Ich sehe unscharf, ich kann Licht, laute Geräusche, all diese Sachen schwer aushalten. Ich habe Konzentrationsprobleme, manchmal auch Wortfindungsstörungen. Es ist ein riesiges Spektrum.
Sprecher: Die Diagnose: ME/CFS – das Chronisches Fatigue-Syndrom oder auch Myalgische Enzephalomyelitis, eine unheilbare nicht psychische Multisystemerkrankung, die sich häufig hinter Long Covid verbirgt. Seit 1969 ist sie von der WHO anerkannt.
Sarah Kanawin: Das fühlt sich an, als wäre der Körper total verrückt geworden.
Sprecher: Laut Österreichischer Gesundheitskasse waren in den vergangenen Monaten rund 15 000 Menschen mit der Diagnose Long Covid im Krankenstand. Das dürfte aber nur die Spitze des Eisbergs sein.
Dr. Michael Stingl (Neurologe und Long-Covid-Experte): Long Covid ist in dem Sinn nichts ganz Neues. Es gibt bei vielen Viruserkrankungen einfach Leute, die sich nicht adäquat davon erholen, zumindest nicht sofort, sondern bei denen es durchaus Monate bis ein, zwei Jahre dauern kann. Und es gibt eben Leute, bei denen nach einer Virusinfektion anhaltende Probleme da sind – ME/CFS, das Chronic Fatigue Syndrome, was auch sehr häufig nach viralen Infekten auftritt.
Sprecher: Insgesamt, schätzen Ärzte und Ärztinnen, komme Long Covid über vier Wochen nach einer Coronaerkrankung bei rund 10 Prozent aller Genesenen vor.
Dr. Michael Stingl: Man muss da sicher verschiedene Untergruppen trennen: Leute, die einen schweren Verlauf hatten und einfach erwartungsgemäß länger brauchen, bis sie sich davon erholen. Was halt für viele Kolleginnen und Kollegen im System neu war, ist die Tatsache, dass es da sehr viele junge Leute gibt, die prinzipiell einen milden Verlauf haben und die dann nicht erwartungsgemäß relativ schnell wieder belastbar sind, sondern bei teilweise sehr banalen Aktivitäten schon eine massive Verschlechterung des Zustandes erleben.
Sprecher: Selbst Fälle von Long Covid bei leichten Verläufen, Durchbruchsinfektionen oder asymptomatischen Fällen seien bekannt. Experten und Expertinnen warnen auch vor gesundheitlichen Kollateralschäden durch die Coronakrise in anderen Bereichen. Etliche Krebspatienten und -patientinnen würden etwa nicht gut auf die Impfung ansprechen und dadurch weiter gefährdet sein, auch abgesagte Krebsvorsorgeuntersuchungen könnten zum Problem werden.
Univ.-Prof. Dr. Matthias Preusser (Leiter Abteilung für Onkologie, MedUni Wien): Aus Sicht der Onkologie ist die Situation durchaus besorgniserregend, da ja Krebsvorsorgeuntersuchungen und auch Krebsoperationen über einen gewissen Zeitraum, auch wenn nur über wenige Monate, nicht stattgefunden haben oder in geringerem Ausmaß stattgefunden haben. Daraus können sich natürlich Probleme in dem Sinne ergeben, dass zu einem späteren Zeitpunkt vermehrt fortgeschrittene Krebserkrankungen auftreten werden.
Sprecher: Auch nach einem möglichen Ende der Pandemie sei es wichtig, dass die Politik Ärztinnen und Ärzte einbeziehe.
Dr. Michael Stingl: Der Wunsch an die Politik wäre ja, dass man schon vor 20 Jahren begonnen hätte, ME/CFS-Ambulanzen aufzubauen und sich um das Thema zu kümmern, denn dann wären wir jetzt nicht so überrascht von Long Covid. Das ist natürlich nicht die Schuld der österreichischen Politik alleine, aber Tatsache ist, es gibt für ME/CFS keine Anlaufstellen. Wir müssen jetzt reagieren. Wir sollten nicht mehr zu viel Zeit verlieren, denn die Leute sind jetzt schon da, die sind schon beeinträchtigt, und die sind jetzt schon krank.
Sprecher: Sarah Kanawin ist selbst aktiv geworden. Die Österreichische Gesellschaft für ME/CFS, bei der sie Mitglied ist, hat im Nationalrat eine Petition eingebracht. Das Ziel: Bessere Anerkennung, Behandlung sowie Beforschung der Krankheit.
Sarah Kanawin: Darüber gibt es oft auch sehr, sehr wenig Wissen und keine Hilfe. Für ME/CFS gibt es keine einzige Ambulanz in ganz Österreich, keine öffentliche Anlaufstelle, keinen Kassenarzt. Das ist natürlich ein riesiges Problem, das sehr schnell geändert werden muss, denn das ist eine Erkrankung, die, wenn sie nicht schnell behandelt wird, schlimmer wird. Es gibt kein Medikament dagegen, also kann es uns nicht wieder besser gehen, sondern es wird immer schlimmer.
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GROẞ: Frau Professor, wenn wir über medizinische Kollateralschäden reden, was gehört denn dann aus Ihrer Sicht noch dazu? Was ist da tatsächlich zu erwarten, was kommt auf uns zu? Und was erwarten Sie in diesem Zusammenhang von der Politik ganz konkret?
VON LAER: Ja, die Zahlen zu Long Covid schwanken da etwas, aber so zwischen 10 bis 30 Prozent haben zumindest längere Zeit noch Symptome. Das sind einerseits die Lungenprobleme, die Herz-Kreislauf-Probleme, die durch Training und Rehamaßnahmen ganz gut zu beeinflussen sind, aber leider auch die neurologischen Probleme, wie Konzentrationsschwäche, Brainfog und Schlimmeres, die nicht so gut therapeutisch durch Rehamaßnahmen beeinflussbar sind, bei denen man einfach ein bisschen die Zeit verstreichen lassen muss, manchmal viele, viele Monate. Und dafür müssen wir natürlich in Österreich, aber eigentlich in ganz Europa, spezielle Ambulanzen, Rehamaßnahmen und so weiter schaffen, um diese Patienten aufzufangen. Allerdings muss ich auch da leider wieder das Thema Impfen anbringen. Wir wissen, dass die Impfung auch gegen Long Covid schützt. Also diejenigen, die sich trotz Impfung infizieren, haben ein deutlich geringeres Risiko, nach der Infektion an Long Covid zu erkranken. Und weil Omikron nun leichter verläuft, heißt das nicht, dass es kein Long Covid geben wird. Wir wissen das noch nicht genau, die Studienlage ist noch nicht klar, aber aufgrund der früheren Varianten weiß man, dass gerade oft mildere Verläufe mit Long Covid einhergehen. Es sind nicht immer jene, die im Krankenhaus landen, sondern auch die, die ganz normal daheim ihren grippalen, infektartigen Covid-19 durchmachen, die dann unter Long Covid leiden können.
GROẞ: Weil Sie immer wieder auf das Thema Impfen zurückkommen, möchte ich Sie hinsichtlich der Maßnahmen, über die wir vorher so lange und ausführlich debattiert und gestritten haben, ganz konkret fragen: Erweist man damit nicht eigentlich der Impfbereitschaft einen Bärendienst, denn warum sollte man sich jetzt noch impfen lassen, wenn man weiß, es geht im März ohnedies alles auf?
VON LAER: Weil die, die noch nicht geimpft sind, auf jeden Fall vor dem Herbst geimpft sein sollten. Wir wissen, dass drei Impfungen notwendig sind, und wir wissen auch, dass der Abstand zwischen den Impfungen sehr wichtig ist. Wenn der zu kurz ist, ist die Impfung deutlich schlechter.
GROẞ: Zu kurz heißt was? Drei Monate wäre zu kurz?
VON LAER: Na ja, also je länger, je besser. Zwischen der ersten und der zweiten Impfung sollte man eher das ausreizen, was von den Firmen vorgesehen ist, also sieben Wochen bei Biontech/Pfizer zum Beispiel, und bei der dritten Impfung dann gerne auch auf die sechs Monate gehen. Das heißt, für die, die jetzt anfangen und sich dann direkt vor der zu erwartenden Herbstwelle ihre dritte Impfung holen, ist zu erwarten, dass es der beste Schutz ist. Nach einer Stimulierung müssen die Immunzellen zur Ruhe kommen. Wenn man die Immunzellen zu schnell wieder stimuliert – und da haben tatsächlich diejenigen, die immer meinen, man soll nicht ständig nacheinander impfen, völlig recht –, wenn man sie früher stimuliert, dann gehen sie in so eine Art Streik, wenn ich das einmal so sagen darf. Also die müssen zur Ruhe kommen, denn wenn sie dann ganz zur Ruhe gekommen und gereift sind, dann kann man sie wieder stimulieren, und dann machen sie die besten Immunantworten. Das heißt, wenn wir jetzt diese sechs Monate bis zum Herbst einhalten können - - Also ich bin jetzt dreimal geimpft, ich werde mir keinen vierten Booster holen, obwohl ich schon über 60 bin. Ich werde also zusehen, dass ich diese Omikronwelle noch heil überstehe – ich bin nämlich noch immer negativ getestet – und mich dann im Herbst, also noch vor dem Winter, mit dem entsprechend angepassten Impfstoff, den es bis dahin dann gibt, impfen lassen.
GROẞ: Da sind wir jetzt bei den unterschiedlichen Varianten. Im Moment haben wir es mit Omikron zu tun, mit dem Typ BA.1, wenn ich das richtig verstanden habe. Dann gibt es BA.2, das sich jetzt zunehmend Bahn bricht, BA.3 gibt es auch noch, das aber offensichtlich virologisch gesehen keine Rolle spielt, habe ich mir angelesen. Reden wir aber über dieses BA.2. Heute habe ich gelesen, da gibt es schon wieder einen ganz neuen Subtyp, der, glaube ich, H78Y heißt. Und all diesen Typen, Subtypen sagt man nach, dass sie noch aggressiver sind, das heißt, dass sie noch ansteckender sind. Was kommt denn da auf uns zu, und was bedeutet das für das Impfen?
VON LAER: Also aggressiver im Sinne von krankmachender, das ist eher unklar. Neuere Studien aus Südafrika zeigen eigentlich, dass sie nicht pathogener, nicht krankmachender sind, das BA.2 im Gegensatz zu BA.1. Es ist aber wohl ansteckender und die Inkubationszeit scheint auch etwas kürzer zu sein, was die Ausbreitung natürlich begünstigt, das ist klar. Diese höhere Pathogenität kommt aus Tierversuchen, da ist das BA.2 wohl aggressiver, was die krankmachende Wirkung betrifft, aber das ist beim Menschen bisher nicht bestätigt worden. Insofern, glaube ich, kann man da erst einmal ein bisschen Entwarnung geben. Das BA.2 könnte aber, das wird immer so propagiert – aber das weiß der Kollege viel besser –, vielleicht so ein bisschen das Abfallen der Welle verlangsamen, wenn das BA.2 noch einmal so ein bisschen nachschießt, wenn ich das einmal so sagen darf. Das wissen wir, dass das eben das Risikomoment ist, das vielleicht die Berechnung auch ein bisschen unsicher macht – aber Entschuldigung, ich will da nicht in die Expertise des Kollegen reingehen.
GROẞ: Dann fragen wir ihn gleich.
POPPER: Nein, also wie Sie - -
GROẞ: Aber eben hinsichtlich der Schwierigkeit, mit diesen vielen Unbekannten zu rechnen – ich weiß schon, dass Sie es gewohnt sind, mit Unbekannten zu rechnen, es ist ja Ihr Job und Sie machen das hervorragend –: Wie weit kann Modellrechnung eigentlich gehen und was kann sie im Hinblick auf die Zukunft leisten?
POPPER: Das ist eine gute Frage. Interessanterweise ist das sehr unterschiedlich. Zum Beispiel bei den Maßnahmensetzungen: Da ist es irrsinnig schwierig, das herauszurechnen, wie: Geschäfte zu. Dort sind wir relativ gut. Ich möchte da aber vielleicht zwei Sachen vorausschicken. Das eine ist genau das, was die Frau Professor angesprochen hat. Das schauen wir uns jetzt an. Das heißt, wie funktioniert in Relation mit den aktuellen Varianten die Impfstrategie. – Das ist das eine. Und das Zweite ist, und das ist mir ganz wichtig, das auch einmal an dieser Stelle zu sagen: Wir rechnen immer für die Bevölkerung. Das heißt – das ist das Tragische für die Menschen –: Wir machen nie Aussagen für einzelne Individuen. Es kann dich erwischen, auch wenn du dreimal geimpft bist. Das muss man ehrlicherweise einfach auch einmal sagen. Ich kann mich erinnern, bei unserem allerersten Impfprojekt vor mittlerweile 15 Jahren – es geht darum, dass man Einzelschicksale hat –, da ging es um eine Kinderkrankheit. Und dann hörst du, davon sind im Jahr acht betroffen. Trotzdem musst du davon unabhängig entscheiden, denn da ist die Frage: Wie ist es für die gesamte Bevölkerung? Für die gesamte Bevölkerung – vielleicht um das ganz kurz zu erklären: Also wir haben ein virtuelles Bevölkerungsmodell, das wir seit über zehn Jahren haben, und in das stecken wir sozusagen die bisherige Entwicklung hinein. Wir veröffentlichen jeden Monat sozusagen den Immunitätsstatus. Die Politik war ja sehr überschwänglich und hat gesagt, die Pandemie ist für die Geimpften vorbei, und da waren wir natürlich schon skeptisch, denn das hat die Wissenschaft so nie formuliert. Und wir haben uns das aber mit diesem Immunitätsstatus – inklusive der Deltawelle – angeschaut: Also bis im Sommer waren wir noch sehr schlecht immunisiert, da waren so 50 Prozent der Bevölkerung wirklich effektiv gegen eine Infektion geschützt, und mit der Deltawelle und mit den Boosterungen im Herbst sind wir dann auf 85 Prozent hochgegangen, und da war im Grunde sozusagen schon einmal der Treibstoff für den Virus aus. Und dann haben sich alle schon gefreut und haben gesagt: Jetzt geht es runter und dann ist alles gut! Und genau dann, und das ist sozusagen das Blöde gewesen, kam sozusagen Omikron. Und Omikron hat uns von diesen 85 Prozent – ich rede immer von Schutz gegen Infektion – wieder auf 45 Prozent zurückgeworfen – wir reden da immer von einem aktuellen Schutz, denn der geht eben leider über die Zeit verloren, das muss man auch fairerweise sagen, aber er hat uns sozusagen auf 45 Prozent zurückgeworfen –, und dann hat sozusagen der Virus wieder genug Menschen gehabt, wo er hin kann, und das war diese Omikronwelle, und das, was die Frau Professor gesagt hat. Dann haben wir in der ersten Prognose – und da ändern sich Prognosen nicht, weil wir zu blöd zum Rechnen sind, sondern weil sich eben etwas ändert – gesagt: BA.1 würde Ende Jänner, Anfang Februar runtergehen, und dann kam – das sieht man jetzt nur nicht – sozusagen eine zweite Welle, das ist diese BA.2-Welle, diese zweite Subvariante, und die schiebt uns jetzt da raus, und deshalb schiebt sie es uns bis in den März. Was man aber sagen muss, ist: Wir haben sozusagen beim Schutz gegen Infektion leider Gottes so ein Gummiband. Das heißt, da fallen wir immer zurück – und das ist dann wieder Ihre Expertise –, davon ist auch auszugehen und das stimmt auch, da fallen wir immer wieder zurück, aber, und das ist das Wichtige, der Schutz gegen schwere Erkrankung ist im Grunde – ich komme jetzt auf die Mathematik – eine streng monotone Funktion nach oben. Je öfter man Kontakt mit der Impfung, mit irgendeiner Virusvariante hat, umso besser wird es. Und da sehen wir im Moment in den Auswertungen – ich bin gleich fertig mit den vielen Zahlen –, dass wir da schon bei einem Wert sind, wo aktuell 70 Prozent der Menschen nach ihrem Immunitätsstatus sehr gut gegen Hospitalisierung geschützt sind, und 15 bis 20 Prozent, je nachdem, wie man die Dunkelziffer ansetzt, zumindest teilweise; wie viel kann man nicht genau sagen. Aber, und das ist der Punkt, so 10, 15 Prozent fehlen uns noch. Und das ist sozusagen die Herausforderung, die die Frau Professor angesprochen hat.
GROẞ: Sehr spannend, aber ich sehe schon, das ist wieder heute ein Abend oder eine Nacht, in der ich wahrscheinlich von meiner Mathematikmatura träumen werde. (POPPER: Ich komme dann bei Ihnen vorbei und wir können ...!) – Wir können (erheitert) dann in der Früh telefonieren. Frau Professor, die Frage, die sich jetzt natürlich alle stellen, und die mag naiv oder vielleicht ungerechtfertigt sein, aber trotzdem ist es die Frage, die sich halt alle im Moment stellen: Können wir oder müssen wir auch heuer im Herbst mit einem ähnlichen Szenario wie im Vorjahr rechnen, dass wir trotz vielleicht jetzt besserer Vorbereitung, trotz dieses Learnings, das wir aus dem Vorjahr schon hatten, wieder sozusagen in die gleiche Situation hineinschlittern, nämlich dass wir im Sommer eine gute Situation haben und dann im Herbst einfach eine Variante zum Beispiel daherkommt, mit der wir nicht gerechnet haben, und wir dann sozusagen wieder hilflos sind?
VON LAER: Die Herbstwelle wird kommen. Da ist nur die Frage, wie hoch sie ist, wie viel Patienten schwer erkranken werden.
GROẞ: Die wird kommen, weil das saisonal bedingt ist?
VON LAER: Weil das Virus saisonal ist – genauso sicher, wie die Grippe im Januar/Februar im nächsten Jahr kommt, so kommt offensichtlich Omikron etwas früher, hat dann im November sein Hauptgeschehen. Das wird wieder kommen. Wie hoch die Welle ist, welche Variante das ist und wie viele Menschen erkranken werden, kann momentan keiner sagen, aber was man sagen kann, ist, wenn wir die Immunitätslücke in den vulnerablen Gruppen jetzt über den Sommer schließen, dann werden wir viel besser durch diese Welle kommen. Das können wir sagen.
GROẞ: Ich möchte wieder zur Politik kommen und möchte beim Thema Impfpflicht anknüpfen: Wir haben heute viel über das Impfen geredet, aber noch wenig über die Impfpflicht. Ich weiß, wenn man diese Büchse der Pandora jetzt aufmacht, dann werden wir wahrscheinlich mit der noch verbleibenden Sendezeit nicht auskommen, aber es ist ja trotzdem ein sehr wichtiges Thema. Wer von Ihnen geht denn eigentlich davon aus, dass die Impfpflicht überhaupt so, wie sie geplant war, umgesetzt wird? Ganz konkret: Wie ist die Einschätzung, dass ab Mitte März tatsächlich gestraft wird? Entscheiden letztlich die vier Mitglieder dieser Evaluierungskommission, die ja jetzt auch bekannt sind, ob diese dann ausgesetzt wird oder nicht ausgesetzt wird zum Beispiel? Dazu würde ich jetzt gerne Ihre Meinungen beziehungsweise auch Ihre Ideen hören.
SCHWARZ: Ich kann gern anfangen.
GROẞ: Bitte, ja.
SCHWARZ: Ich mache es kurz, damit wir alle noch drankommen. Das Gesetz, so wie es uns vorliegt, ist, ich möchte diesen Vergleich auch strapazieren, ein Werkzeugkoffer. Das heißt, es gibt unterschiedliche Module und es geht selbstverständlich darum: Wann ist was verhältnismäßig, verfassungsrechtlich noch in Ordnung? Welche neuen Entwicklungen gibt es? Gibt es neue Impfstoffe? Gibt es neue Mutationen? Das alles muss einbezogen werden. Die Kommission gibt es genau aus diesem Grund, und daran wird sich die Politik natürlich orientieren, um genau diese Fakten zu beurteilen. Und das ist das Gesetz, das als eines der modernsten gilt, Verfassungsministerin Karoline Edtstadler hat das so gesagt, weil es eben ein größtmögliches Maß an Flexibilität ermöglicht. Ausschlaggebend ist selbstverständlich das, was zum jeweiligen Zeitpunkt die Expertinnen und Experten beurteilen. Deshalb auch die Aufteilung JuristInnen und ÄrztInnen, und eine klare Entscheidung, was ist wann verhältnismäßig und verfassungsrechtlich möglich und was führt zu dem Ziel, das die Frau Professor angesprochen hat, nämlich eine möglichst hohe Durchimpfungsrate für den Herbst zu erzielen.
GROẞ: Und die Politik wird sich dann an die Vorgaben dieser Kommission halten, oder wird sie nach einer – wie wir das heute schon einmal gehört haben oder wie es von Popper formuliert worden ist – internen Logik irgendwie handeln?
SCHWARZ: So habe ich den Bundeskanzler verstanden und auch den Gesundheitsminister.
GROẞ: Aber ist es nicht letztlich auch eine Überforderung dieser zwei – auch wenn sie sehr hochkarätig sind – MedizinerInnen und Juristinnen und Juristen, dass man ihnen das sozusagen eigentlich aufbürdet?
SCHALLMEINER: Na ja, wir sprechen jetzt seit gut 24 Monaten, seitdem diese Pandemie hier in Österreich greifbar ist, auch immer davon, dass wir eben viel mehr auf die Wissenschaft, auf die Expertinnen und Experten hören sollen, dass wir uns diese Expertise zu eigen machen sollen, dass unsere Entscheidungen evidenzbasiert sein sollen. Da bin ja ich auch einer, der dafür immer sozusagen ein bisschen die Fahne eben nach vorne hält und sagt: Hey, das ist die Grundlage unserer Entscheidungen, insbesondere dann, wenn es eben so derartig umstrittene Entscheidungen sind! Dass das natürlich kein einfacher Job ist – keine Frage, ja. Auf der anderen Seite haben wir uns aber in der Verhandlung zwischen den Parteien mit den Sozialpartnern, mit den ganzen Stakeholdern, wie das so schön auf Neudeutsch heißt, also mit allen, die ja da an dieser Phase des Aushandelns, des Verhandelns, des Entstehens dieses Gesetzes beteiligt waren, auch darauf verständigt, dass wir uns genau diese Expertise, wenn es um die Frage der Verhältnismäßigkeit geht, wenn es eben um diese umstrittene Frage der Impfpflicht geht, ja sehr bewusst abholen. Ich glaube, die vier Personen sind alle miteinander Hochkaräter und Hochkaräterinnen – wenn es dieses Wort so gibt –, und die können das und die sind sich ihrer Verantwortung sehr wohl bewusst. Die machen das meines Wissens auch sehr gerne. Die machen das sicherlich gut und die werden uns hoffentlich auch eine dementsprechende Anleitung geben, wie wir mit dem Werkzeugkoffer – um dieses Bild noch einmal zu verwenden – eben dann auch umgehen werden. Wichtig ist mir bei der ganzen Sache aber auch, dass wir ja genau auf diese Expertise immer hingearbeitet haben. Also wir haben ja dieses Gesetz irrsinnig flexibel gestaltet – Gabi Schwarz hat es eh schon erläutert – und diese Flexibilität einfach auch dafür in dieses Gesetz hineingegossen, um optimal für den Herbst, für den Winter vorbereitet zu sein, um wirklich auch neueste Entwicklungen, neueste wissenschaftliche Erkenntnisse, alles das, was eben vielleicht auch die Unwägbarkeit ist, die sich in den nächsten Wochen und Monaten auch immer wieder ergibt, dass wir die eben dann dementsprechend bei der Umsetzung der Impfpflicht auch abbilden können.
GROẞ: Womit rechnet denn die Opposition, Herr Kucher und Herr Angerer? Wird ab Mitte März gestraft oder nicht, Ihrer Einschätzung nach?
KUCHER: Ich kann es kurz machen. Das muss eine Entscheidung sein, die verfassungsrechtlich, medizinisch durch diese Monitoringkommission bestimmt wird, wo es diese Vorgaben gibt. Das war eine Grundbedingung für uns, weil wir gesagt haben: keinen Tag länger als unbedingt notwendig. Ich möchte vielleicht nur - - Herr Groß, erlauben Sie mir, weil mir das wirklich auch nahegegangen ist, und das sollte vielleicht auch eine Botschaft an uns alle sein, die junge Dame hier im Beitrag - -: Ich finde das ganz, ganz, ganz schlimm, dass sie in Wahrheit betteln muss, dass die Politik sie unterstützt und sich ihres Schicksals auch annimmt. Ich glaube, da müssen wir alle miteinander wirklich Lösungen finden, dass wir im Bereich Long Covid zumindest die finanzielle Situation schaffen, dass man so schnell wie möglich helfen kann – Forschungsaufträge gehören dazu, aber vor allem ausreichende Therapieangebote. Das Schlimme ist – was da vielleicht nicht vorgekommen ist –: Es geht ja auch um die Absicherung von Existenzen. Da gibt es Menschen, die inzwischen finanziell vor dem Nichts stehen, die den Job verlieren. Da müssen wir wirklich so schnell wie möglich helfen, miteinander, auch parteiübergreifend.
GROẞ: Vielleicht könnte man ja das Geld aus der Impflotterie zum Beispiel auch dafür verwenden.
SCHALLMEINER: Vielleicht auch dazu noch ein kurzes Wort, denn da hat Philip Kucher natürlich zu 100 Prozent recht. Wir haben da eine Problematik, die uns die nächsten Jahre dementsprechend beschäftigen wird. Nicht umsonst hat sich auch der Oberste Sanitätsrat mit einer eigenen Arbeitsgruppe mit diesem Thema beschäftigt. Was da vielleicht wichtig ist: Wir haben auch endlich die selbst betroffenen Personen miteingebunden. Also es sind eben auch Vertreterinnen und Vertreter, die selbst entweder an ME/CFS oder eben an Long Covid erkrankt sind, miteingebunden, es ist der Hauptverband miteingebunden. Wir müssen da aber schauen, und da bin ich wiederum - - Ich glaube, das eint uns wiederum, dass wir dann auch sagen müssen, wir müssen als Politik darauf achten, dass die uns schnell etwas liefern und dass wir eben auch schnell ins Doing kommen, sowohl was die Reha oder die Rehaangebote anbelangt als auch darüber hinaus in der Prävention. Und da sind wir dann eh sofort wieder beim Impfen.
GROẞ: Also da gibt es einen Common Sense sozusagen, quer über die Parteien hinweg, nehme ich an – Herr Angerer auch. Aber wieder zurück zur Impfpflicht!
ANGERER: Also unabhängig davon, dass wir ganz klar gegen dieses Gesetz sind und natürlich auch dieses Gesetz, soweit es geht, bekämpfen werden, ist es für mich ein Beispiel einer politischen Selbstaufgabe. Das ist ein Musterbeispiel für politische Selbstaufgabe, denn wenn ich etwas beschließe – ich bin jetzt seit 19 Jahren Bürgermeister –, wenn ich jetzt in meinem Gemeinderat etwas beschließe und die Woche darauf frage ich die vier Dorfweisen, ob das jetzt gescheit war, was ich beschlossen habe, dann bin ich nicht 19 Jahre lang Bürgermeister. Also jetzt beschließt man ein Gesetz, von dem man offensichtlich nicht überzeugt ist – dass es sinnvoll ist zu dem Zeitpunkt und überhaupt gescheit ist und ob es verfassungsrechtlich überhaupt hält –, und setzt dann gleich noch vier Experten als Feigenblatt hin, die dann entscheiden müssen, was sich eine Regierung nicht zu entscheiden traut. Also da sollten die Regierungsmitglieder ihre Schreibtische räumen, wir setzen gleich eine Expertenregierung ein, und die Experten sollen auch gleich die Politik machen. Also so kann man ja nicht Gesetze machen und Gesetze umsetzen. Wie soll denn das funktionieren? Wenn ich jetzt nur Frau von Laer zugehört habe: Ich bin kein Virologe und will mich da überhaupt nicht einmischen, aber jetzt ist März, sagen wir Ende Februar, Anfang März, und die nächste Welle wird im Herbst kommen. Jetzt zwingen wir per Gesetz Menschen, sich impfen zu lassen, wo Herr Popper, wo Frau von Laer auch gesagt haben, dass wir wissen: dieser Impfstoff verliert nach einer gewissen Zeit die Wirkung. Es werden einfach, ich sage einmal, nicht nachvollziehbar Fristen festgesetzt, wann dieser Impfstatus für Personen abläuft, und dann müssen die sich wieder impfen lassen. Und deshalb wird dieses Impfgesetz auch in der Bevölkerung nicht ankommen. Die Leute werden sich nicht impfen lassen. Man wird damit das nicht erreichen, was man erreichen will. Viel gescheiter wäre es, die Leute vernünftig zu informieren, aufzuklären und zu sagen: Dann, zu dem Zeitpunkt wäre es sinnvoll, wenn du dich impfen lassen würdest, du würdest dich selbst schützen! Und der, der sich impfen lassen will, würde sich dann auch impfen.
GROẞ: Vielleicht ganz kurz, weil Sie beide jetzt etwas skeptisch dreingeschaut haben und Ihren Kopf geschüttelt haben – Frau Professor.
VON LAER: Also ich gebe zu, dass der 15. März vielleicht früh gerechnet ist, aber wenn wir rechnen: zwei Impfungen hintereinander sind knapp zwei Monate plus die sechs Monate für die dritte Impfung, dann sind wir im November. Das heißt, wir müssen jetzt - - in den nächsten Wochen müssen die Leute anfangen, die noch nicht geimpft sind, sich ihre ersten beiden Impfungen im Abstand von sieben Wochen abzuholen, damit sie vor dem Herbst die dritte Impfung kriegen, und dann erst haben sie den kompletten Schutz. Diese Impfung braucht drei Impfungen, um eine Basisimmunisierung abzuschließen, und die muss man jetzt beginnen.
GROẞ: Herr Popper.
POPPER: Also ganz kurz noch dazu: Ja, genau das berechnen wir auch gerade, auch gemeinsam im Forschungsprojekt mit dem Gesundheitsministerium. Das war die Zusammenfassung. Wir werden das auch publizieren. Also deshalb verstehe ich sozusagen den Aspekt nicht ganz. Was mir noch wichtig ist, zu sagen: Ich bin völlig bei Ihnen. Also ich - - Nein, ich bin nicht bei Ihnen, denn es kann eben nicht sein, dass die vier Dorfweisen entscheiden, und das ist auch nicht das Ziel. Ich finde das ziemlich cool und ich werde gefragt, warum wir uns das denn antun, ja. Ich meine, ich mache das gerne, ich leide auch nicht darunter, aber warum begibt man sich in die Öffentlichkeit – so wie hierher –, warum versucht man, zu beraten? – Weil wir neue Prozesse schaffen wollen, dass wir Evidenz liefern, aber die Politik muss entscheiden. Wir fordern von der Politik zum Beispiel, dass wir klarere Regeln haben, dass diese Regeln, wenn sie einmal beschlossen werden, auch gemacht werden – also Thema Testen in manchen Bundesländern, oder, also ich will jetzt gar nicht - - Also das heißt Klarheit und Konsequenz dieser Dinge, dass man Ziele definiert: Wo wollen wir hin im Herbst?, und dass wir dann gemeinsam auch sagen, wir sind vorbereitet, machen das auch und sind dann nicht überrascht und sagen, das haben wir so nicht gewusst. Aber es darf nicht sein, dass die Wissenschaft irgendwelche Entscheidungen trifft, sondern wir liefern die Grundlagen und die Politik muss dann entscheiden. Wir brauchen da bessere Daten und wir brauchen noch bessere Prozesse.
SCHALLMEINER: Vielleicht noch einen Satz, weil ja Kollege Angerer diesen Vergleich mit seinem Gemeinderat getroffen hat. Also ich bin selber Vizebürgermeister einer kleinen Gemeinde und möchte dann schon auch noch anführen: Ein Flächenwidmungsplan in meiner Gemeinde, dafür brauche ich keine vier Weisen, aber vielleicht ist es ab und zu auch nicht schlecht, wenn man sich für ein Gesetz, wo es wirklich um die Grundrechte von uns allen miteinander geht, dass man sich da Expertise holt. Ich glaube, da bricht niemandem von uns der Zacken aus der Krone, dass immer irgendjemand - - (ANGERER: Das sollte ich aber vorher tun, bevor ich es beschließe! – POPPER: ...plan wären RaumplanerInnen auch ganz praktisch!) – Eh, eh, aber auf die hören ja die Bürgermeister oftmals dann nicht.
GROẞ: Jetzt driften wir ab. Ich möchte noch einmal zu unserem ureigensten Thema zurückkommen und Sie, Frau Professor, noch etwas fragen, was wir heute gar nicht angesprochen haben, nämlich das Thema Testen. Wie soll es denn da weitergehen? Österreich ist ja stolz darauf – oder die Österreicherinnen und Österreicher –, dass wir Testweltmeister oder zumindest Europameister sind, da ganz weit vorne liegen. Auch da gibt es unterschiedliche Einschätzungen, wie sinnvoll das überhaupt ist beziehungsweise wie es mit dem Testen weitergehen soll. Tests werden nicht auf Dauer gratis sein, das ist schon klar, sollen dann aber alle dafür zahlen, sollen alle gleich viel dafür zahlen? Was ist denn da Ihr Zugang?
VON LAER: Ich denke, das ist am Ende eine politische Entscheidung. Ich persönlich finde, wenn man zahlen muss für den Test, wird es natürlich eine soziale Schieflage geben. Dann können sich die Mindestsicherungsempfängerfamilien nicht leisten, sich zu testen, bevor sie zur Oma fahren, während sich die wohlhabende Familie das leisten kann, sich zu testen, bevor sie zur Oma fahren. Also das fände ich - - Eine gewisse Zahl von Testungen pro Person im Monat umsonst, um sich für solche Anlässe zu testen, fände ich gerecht.
GROẞ: Aber diese permanente Testerei, sage ich jetzt einmal ganz salopp - -
VON LAER: Aber die Zahl der Testungen wird sicherlich automatisch sinken, wenn die Inzidenzen sinken. Da braucht man gar nicht groß, glaube ich, daran rumzuschrauben. Und wenn man sich überlegt, wie viele umsonst sind, dann sollte man das einfach an einer Anzahl pro Monat, die Sinn macht, um die Oma zu besuchen oder was auch immer oder jemanden im Krankenhaus zu besuchen, festmachen, dass die umsonst sind.
GROẞ: Und dass Ungeimpfte mehr bezahlen sollen für die Tests?
VON LAER: Also ich habe gehört, der logistische Aufwand, das durchzusetzen, ist teurer als die Einnahmen. Das würde schon mal dagegen sprechen. Aber auch das ist wieder eine politische Entscheidung.
GROẞ: Dann sind wir fast am Ende unserer Sendung. Eine Schlussrunde möchte ich noch gerne mit den politischen Vertretern hier auf dem Podium machen. Ich bedanke mich an dieser Stelle einmal bei unseren beiden Experten, Frau Prof. van Laer, von Laer - - Ich sage immer van Laer, aus welchem Grund auch immer, von Laer ist aber korrekt.
VON LAER: Ich höre auf alles.
GROẞ: Sie sind Kummer gewöhnt diesbezüglich, höre ich heraus. Und bei Niki Popper: Vielen herzlichen Dank für Ihre Expertise und für diese lebendige Diskussion auch Ihrerseits. Ich möchte zum Schluss – wir sind eine politische Sendung – auf ein ganz anderes Thema zurückkommen, das aber natürlich in einem ursächlichen Zusammenhang auch mit der Pandemie und dem Pandemiemanagement steht, Stichwort Neuwahlen, weil es heute auch schon einmal gefallen ist, das geistert in den Medien herum. Natürlich ist das ein spannendes Thema, die Spekulation darüber, ob es Neuwahlen geben wird oder kann. Ich habe bei Ihnen herausgehört, Herr Angerer, Sie wollen unbedingt Neuwahlen – warum?
ANGERER: Weil diese Regierung aus ihrer Sackgasse nicht herauskommt. Sie haben sich in eine Sackgasse manövriert, aus der sie einfach nicht mehr herauskommen. Es geht in dieser Regierung auch nichts mehr weiter. Das Pandemiemanagement der letzten zwei Jahre war eine Katastrophe: von einem Chaos zum nächsten, wenn ich mir jetzt die Impflotterie oder eben das Gesetz für die Impfpflicht anschaue. Also man sollte sich vielleicht vorher überlegen, bevor man was macht. Weil Sie vorher den Bürgermeister in der Gemeinde, der etwas widmet, angesprochen haben: Also wir überlegen uns vorher, ob wir etwas widmen, und dann fassen wir den Beschluss. Ich würde mir wünschen, die Regierung würde auch so handeln, aber sie können es nicht, und das haben sie bewiesen, haben sie unter Beweis gestellt. Und dass auch die Bevölkerung hier wieder rauskommt und dass wir aus dieser Sackgasse rauskommen, wird kein Weg an Neuwahlen vorbeiführen.
GROẞ: Herr Kucher, wie schaut es denn da bei Ihnen aus? Man hat den Eindruck, Ihre Vorsitzende, macht sich auch schon schlau, wie man einen erfolgreichen Wahlkampf führt, wenn man sich ihre Reisetätigkeit in Richtung Berlin zum Beispiel vor Augen führt.
KUCHER: Sie tauscht sich zuallererst einmal mit deutschen Gesundheitsexperten und dem deutschen Gesundheitsminister aus und diskutiert auch über erfolgreiches Krisenmanagement, was ja, glaube ich, auch kein Nachteil ist in der aktuellen Situation. Ich muss sagen, es ist leider der Zustand, vor dem wir stehen - - Ich habe heute auch lange mit Menschen geredet, die in der Pflege zum Beispiel arbeiten, da hat sich die letzten zwei Jahre nichts getan. Wir haben heute über die Fehler im Krisenmanagement rund um Corona gesprochen. Wir reden gar nicht über die Teuerungswelle, wo die Regierung leider auch nichts auf die Reihe bringt. Ich kann mich persönlich nicht erinnern, dass jemals eine Bundesregierung in einer Krisensituation so schwach unterwegs war, und deswegen ist hier wahrscheinlich wirklich der einzige Ausweg, dass die Bevölkerung wieder das Recht bekommt, ganz offen zu sagen, wie das Krisenmanagement beurteilt wird, und deswegen ist wahrscheinlich die Neuwahl der beste Weg für Österreich. Die Regierung beweist leider jeden Tag, dass sie selbst einfachste Gesetze nicht auf die Reihe bringt, dass sie wirklich überfordert ist, wenn wir uns jetzt an diese Energiekostensenkung und die Prämie erinnern. Wenn es nicht so tragisch wäre, könnte man über gewisse Entwicklungen nur noch lachen, und deswegen ist es, glaube ich, notwendig, hier einen klaren Schnitt zu machen.
GROẞ: Herr Schallmeiner.
SCHALLMEINER: Ja, ein bisschen kommt mir das immer so - - Dieses Credo gehört einfach zum Handwerk der Opposition eben dazu, dass man halt beständig Neuwahlen oder eine Neuaufstellung oder was auch immer einfordert. Und ich finde es auch immer recht spannend, wenn ich insbesondere vom Kollegen Angerer höre, dass wir ja sowieso nichts weiterbringen, und auf der anderen Seite wird dann Gift und Galle in den Plenarsitzungen über die ganzen erfolgreich eingebrachten Gesetzesinitiativen und Gesetzesänderungen, angefangen von der ökosozialen Steuerreform bis hin zu einem Umdenken generell in der Klimapolitik, gespuckt, insbesondere von der FPÖ. Also das kommt mir ein bisschen so vor wie Schrödingers Politik: Es gibt sie und es gibt sie nicht. Also von daher - - Ich glaube, wir haben jetzt nicht nur die Pandemie zu managen, sondern wir haben ja immer noch eine zweite und aus meiner Sicht fast größere Herausforderung zu managen, und das ist die Klimakrise. Da haben wir erste, wie ich finde, gute Projekte auf den Weg gebracht: Klimaticket, Bahnausbau, aber natürlich eben auch eine ökosoziale Steuerreform. Da gibt es aber noch das eine oder andere. Und wenn man sich halt überlegt - - Angeblich funktioniert ja die Koalition überhaupt nicht, zumindest wenn ich den beiden KollegInnen – also den beiden Kollegen, es sind ja keine Kolleginnen dabei –, wenn ich den beiden Kollegen der Opposition so zuhöre. Na ja, komischerweise haben wir heute ein höchst oder durchaus komplexes neues Parteienfinanzierungsgesetz auf den Weg gebracht, eben indem wir auf die Opposition zugegangen sind und unsere Vorschläge gebracht haben, die übrigens sehr wohlwollend von eigentlich allen Oppositionsparteien angenommen wurden, und da denke ich mir, so schlecht dürfte es dann doch nicht um unsere Koalition stehen. Also, ich glaube, es war vom ersten Tag an diese Koalition auf Inhalte ausgerichtet, darauf ausgerichtet, zu arbeiten, und durchaus dort, wo es Unterschiede gibt, diese Unterschiede auch zu leben, und das tun wir immer noch. Ich glaube, wir sind ganz erfolgreich damit, und wir werden auch weiter damit arbeiten. Von daher, ja, es gehört halt zum Oppositionshandwerk dazu, ständig Neuwahlen zu fordern, aber ich sehe sie momentan nicht.
GROẞ: Man muss dazusagen, dass Sie ja auch schon allein deshalb kein großes Interesse daran haben können, weil Sie ja im Moment nach den derzeitigen Umfragen auch keine Mehrheit mehr miteinander hätten. Das heißt, es würde dann allenfalls nur mehr mit anderen Partnern funktionieren, dass die Grünen in der Regierung wären. Aber, Frau Schwarz, es gibt ja durchaus auch die These, dass zumindest Teile der ÖVP sehr wohl an Neuwahlen interessiert wären, wenn man etwa in die Bundesländer schaut. Niederösterreich, Salzburg und Tirol wählen nächstes Jahr im Frühjahr, und da hat man natürlich wenig Interesse, jetzt möglicherweise aus dem U-Ausschuss ständig irgendwelche Querschüsse, negative Schlagzeilen die ÖVP betreffend zu bekommen. Ist da etwas dran, dass der Druck aus den Bundesländern in Richtung Neuwahlen hier durchaus vorhanden ist?
SCHWARZ: Ich versuche es kurz zu machen. Wir sind schon 7 Minuten über der Zeit, und als alte Journalistin habe ich immer die Uhr im Blick.
GROẞ: Ah, die Zeit haben wir jetzt auch noch.
SCHWARZ: Ich sage Ihnen ganz einfach, ich bleibe bei meinem Optimismus und der Tatsache, dass ich das Regierungsprogramm, das wir vereinbart haben, das ich auch mitverhandelt habe, vor Augen habe. Ich gehe voll des Optimismus in die nächsten Monate und Jahre. Ich gehe davon aus, dass die Koalition hält. Wir haben viel vor. Einiges von dem, was wir verwirklicht haben, hat Kollege Schallmeiner schon angesprochen, aber das wird uns nicht daran hindern, auch die restlichen Dinge abzuarbeiten, und ich hege keinen Zweifel daran, dass wir alle miteinander guten Willens sind, das auch zu machen.
GROẞ: Also: Niederösterreich, Tirol und Salzburg wählen vor dem Bund?
SCHWARZ: Davon gehe ich aus.
GROẞ: Dann sage ich vielen herzlichen Dank für diese Diskussion. Meine Damen und Herren, bei Ihnen bedanke ich mich wie immer für Ihr Interesse und fürs Dranbleiben. Bleiben Sie gesund! Bis zum nächsten Mal in einem Monat – auf Wiedersehen!