Verkehrswende wider Willen?
Podcast: Politik am Ring #16 vom 25. April 2022
Details
Thema
Die Spritpreise sind seit der russischen Invasion in der Ukraine auf historischem Höchststand. Die Politik erhöht das Pendlerpauschale und verspricht weitere Maßnahmen. Während Verkehrsclubs größere Entlastungen fordern, verlangen die BefürworterInnen einer ökologischen Verkehrswende ein rascheres Aus für fossile Verbrennungsmotoren. Zwingt uns der Spritpreis eine schnellere Verkehrswende auf und wie soll der Verkehr der Zukunft aussehen?
Teilnehmer:innen der Diskussion
Abgeordnete:
- Joachim Schnabel (ÖVP)
- Alois Stöger (SPÖ)
- Gerhard Deimek (FPÖ)
- Hermann Weratschnig (Grüne)
- Johannes Margreiter (NEOS)
Eingeladene Fachleute:
- Bettina Gusenbauer (ÖBB)
- Bernhard Wiesinger (ÖAMTC)
- Günter Emberger (Technische Universität Wien)
Diskussion
Beim Spritpreis selbst wolle man nicht eingreifen, führten die Vertreter der Regierungsfraktionen aus. So sei die von der Opposition geforderte Senkung der diesbezüglichen Steuern kein Thema. Der ehemalige SPÖ-Verkehrsminister Alois Stöger stellte hingegen eine Preisregelung bei Treibstoffen als wichtige Maßnahme in der aktuellen Situation dar. Jedoch sei dieses vom Nationalrat vorgesehene Instrument von der dafür zuständigen Wirtschaftsministerin nicht umgesetzt worden, so Stöger. Die NEOS stehen einer Preisregelung wiederum sehr skeptisch gegenüber, so der pinke Verkehrssprecher Johannes Margreiter, da man "grundsätzlich an das Funktionieren des Marktes" glaube. Es sei aber Handlungsbedarf gegeben, da es den Anschein habe, "dass Mineralölkonzerne die Situation schamlos zulasten der Konsumenten ausnützen". "Es braucht bei einer Verkehrswende mehr als den Spritpreis", zeigte sich der Grünen-Verkehrssprecher Hermann Weratschnig überzeugt. Es benötige diese ambitionierten Umsetzungsziele, die sich die Koalition gesetzt habe, und einen "aktiven Ausbau des öffentlichen Verkehrs", womit mit dem ÖBB-Rahmenplan in der Höhe von 18,2 Mrd. € ein Grundstein gelegt worden sei. Im Bundesmobilitätsmasterplan sei ein Bündel von Maßnahmen, wie der Ausbau des öffentlichen Verkehrs (ÖV) und die Dekarbonisierung, vorgesehen, um die Klimaziele bis 2040 zu erreichen. ÖVP-Mandatar Joachim Schnabel sprach sich genauso für den Individualverkehr wie für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs aus. Zudem sei eine Defossilisierung des Verkehrs notwendig, um "aus dem CO2-Zeitalter" herauszukommen.
Bettina Gusenbauer von den ÖBB stellte bei allen Parteien einen Rückhalt für den Ausbau der Bahn fest. Es gebe einen Rahmenplan und ein in Umsetzung befindliches „Zielnetz“. Dabei gelte Österreich als Best-Practice-Beispiel in Europa. Für die ÖBB seien die Maßnahmen für die erste und die letzte Meile vorrangig zu behandeln. In Bundesministerin Leonore Gewesslers Vorgehen sah Bernhard Wiesinger vom ÖAMTC den "alten, tradierten Kampf der Grünen gegen das Auto". Wenn man den Weg eines erzwungenermaßen höheren Preises für das Autofahren verfolge, müsse man auch annehmbare Alternativen bieten. Statt der Anbindung kleiner Gemeinden mit dem Postbus brauche es flächendecken Mikro-ÖV, also kleinräumigen und bedarfsgesteuerten öffentlichen Nahverkehr, für den es allerdings keine strukturierte Förderung vonseiten der Länder und des Bundes gebe, so Wiesinger. Gerhard Deimek (FPÖ) rief die vom ehemaligen Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) initiierten und von der jetzigen Regierung weitergeführten Projekte im öffentlichen Verkehr sowie im Bereich der Elektromobilität in Erinnerung, betonte aber auch, dass man zugunsten der Preisstabilität "bei den Erneuerbaren unbedingt technologieneutral bleiben" müsse, also auch für Technologien neben dem Elektromotor offen bleiben solle. Dabei seien vor allem E-Fuels, also mittels Strom aus Wasser und CO2 hergestellte synthetische Kraftstoffe, zu nennen, die ermöglichen würden, den Verbrennungsmotor als bestehende Hardware weiter zu nutzen. Verkehrsplaner Günter Emberger von der Technischen Universität Wien hielt fest, dass es, wenn man die Klimaerwärmung nicht unter dem Wert von 2 Grad Celsius halte, bedeute, dass es weltweit vermehrt zu Starkregenereignissen, Hitzetagen und Wassermangel kommen werde. Die Folge davon sei eine Migrationsbewegung von 150 bis 280 Millionen Menschen. Es gehe also nicht um kurzfristige Lösungen, sondern man müsse langfristig aus der Autoabhängigkeit hinauskommen und das Verhalten nachhaltig ändern.
Links
Transkript
Anmoderation: In dieser Folge von Politik am Ring, der Diskussionssendung des Parlaments, diskutiert Moderator Gerald Groß mit den Abgeordneten Joachim Schnabel von der ÖVP, Alois Stöger von der SPÖ, Gerhard Deimek von der FPÖ, Hermann Weratschnig von den GRÜNEN und Johannes Margreiter von NEOS darüber, wie die Politik die Verkehrswende bewältigen kann. Wie soll der Verkehr der Zukunft aussehen? Zu Gast sind Bettina Gusenbauer von der ÖBB, Bernhard Wiesinger vom ÖAMTC und Günter Emberger von der Technischen Universität Wien. Das Gespräch haben wir am 25. April 2022 im Dachfoyer der Wiener Hofburg aufgezeichnet.
*****
Gerald GROẞ (Moderator): Hallo und herzlich willkommen bei einer weiteren Ausgabe von „Politik am Ring“. Meine Damen und Herren, wir alle spüren es: Die Spritpreise sind seit der russischen Invasion in der Ukraine auf einem historischen Höchststand. Die Politik hat reagiert, hat das Pendlerpauschale erhöht und verspricht weitere Maßnahmen. Während Verkehrsklubs größere Entlastungen fordern, verlangen die Befürworterinnen und Befürworter einer ökologischen Verkehrswende ein rascheres Aus für fossile Verbrennungsmotoren. Zwingt uns also der Spritpreis eine schnellere Verkehrswende auf, und wie soll der Verkehr der Zukunft überhaupt aussehen? Darüber wollen wir heute diskutieren, und zwar mit folgenden Abgeordneten: Gerhard Deimek, FPÖ – herzlich willkommen! (DEIMEK: Grüß Gott!) –, Hermann Weratschnig, Grüne – herzlich willkommen! (WERATSCHNIG: Guten Abend!) –, Alois Stöger von der SPÖ – ebenfalls herzlich willkommen! –, Johannes Margreiter von den NEOS und last, but not least Joachim Schnabel von der ÖVP – ebenfalls herzlich willkommen! Außerdem freue ich mich auf die erste Experten- beziehungsweise Expertinnenrunde mit Bettina Gusenbauer von den ÖBB – herzlich willkommen! – und Bernhard Wiesinger vom ÖAMTC – ebenfalls herzlich willkommen! Später in der Sendung erwarten wir dann noch Prof. Günter Emberger von der Technischen Universität Wien. Von einer Zeitenwende ist ja im Moment allenthalben die Rede, und man muss sagen, wir spüren diese Zeitenwende nicht zuletzt auch in der Geldbörse. Dabei geht es nicht um Luxus und verzichtbare Dinge, sondern um die Bedürfnisse des täglichen Bedarfs, und dazu zählt eben auch das Tanken. Wer das Auto braucht, um zur Arbeit zu kommen oder lebenswichtige Besorgungen zu machen, der muss derzeit tief in die Tasche greifen. Die Erhöhung der entsprechenden Förderinstrumente wie Pendlerpauschale oder Pendlereuro decken die gestiegenen Preise bei Weitem nicht ab, und es erhebt sich außerdem die Frage, wie treffsicher, gerecht und zukunftstauglich sie überhaupt sind.
*****
Es folgt eine Videoeinspielung:
Sprecher: Die gefürchtete Zwei für Diesel und Benzin an der Tankstelle ist zwar im Moment Geschichte, doch die Spritpreise bleiben aufgrund des Ukrainekriegs exorbitant hoch. Für viele Menschen in Österreich ist Tanken bereits zum Luxus geworden.
Passant eins: Frechheit! Vor einem Jahr hat es die Hälfte gekostet. Also wie gesagt, der, der es sich leisten kann, für den ist es eh kein Problem, aber für die, die schwächere Einkommen haben, so wie ich: Na, also eine Frechheit!
Passantin zwei: Wo ich jetzt früher nicht so geschaut habe wegen ein paar Cent oder so, schaue ich jetzt schon immer, dass ich irgendwann genau immer dann tanke, wenn ich es irgendwo günstig sehe bei einer Tankstelle, wegen ein paar Cent – eigentlich eh, aber na ja. Wenn man mehr tankt, dann kommt halt was zusammen.
Passant drei: Na ja, berauschend ist es nicht, aber ich muss ehrlich sagen, ich akzeptiere es, wenn ich sehe, was in der Welt sonst alles vor sich geht – dann kann ich das für mich akzeptieren. Ich kann verstehen, wenn es andere in der Form nicht mehr akzeptieren können.
Sprecher: Die Regierung will der enormen Belastung der Bevölkerung entgegenwirken und präsentiert deshalb zwei Entlastungspakete. Damit sollen vor allem Pendlerinnen und Pendler unterstützt werden: Das Pendlerpauschale soll um 50 Prozent erhöht und der Pendlereuro vervierfacht werden. Doch die Maßnahmen sollen mit Ende Juni 2023 bereits ein Ablaufdatum haben.
Leonore Gewessler (Umweltministerin, Die Grünen): Wir stehen jetzt in einer Ausnahmesituation: Die Preissituation ist etwas, was viele Menschen in unserem Land erdrückt, und da gibt es dann auch manchmal schlicht und ergreifend pragmatische Lösungen, die aber jetzt wirken.
Sprecher: Am Spritpreis selbst will die Regierung nicht schrauben. Die von der Opposition geforderte Senkung der Steuern ist zumindest vorerst kein Thema.
Magnus Brunner (Finanzminister, ÖVP): Aus unserer Sicht ist eine Mehrwertsteuersenkung erstens einmal aus europarechtlicher Sicht nicht möglich – das ist einmal das Erste, die rechtliche Begründung –, und zum Zweiten ist sie auch nicht treffsicher.
Sprecher: Insgesamt macht die Regierung 3,7 Milliarden Euro für die beiden Entlastungspakete locker. Für die Verkehrsökonomin von der Universität für Bodenkultur ist der Fokus der politischen Maßnahmen allerdings zu stark auf den Pkw-Fahrern.
Astrid Gühnemann (Verkehrsökonomin, Universität für Bodenkultur): Aus unserer Sicht ist das natürlich ein kritischer Weg insofern, als er Anreize setzt, wieder weiter und mehr zu fahren und er damit mit Klimaschutzzielen und Ähnlichem in Konflikt steht. Die Pendlerpauschale nützt vor allem auch mittleren und hohen Einkommen, das heißt, bei den Personen, die wirklich die Entlastung brauchen, bei denen kommt sie dann unter Umständen nicht an.
Sprecher: Opposition und Arbeiterkammer sind mit den Antiteuerungspaketen alles andere als zufrieden.
Dominik Bernhofer (Steuerexperte, Arbeiterkammer): Man darf nicht vergessen, die Inflationsraten sind die höchsten seit den Ölpreisschocks in den 1970ern. Man redet auch von einer Zeitenwende im Energiebereich, da sind erhebliche Kosten für die privaten Haushalte zu erwarten. Allein jetzt im Treibstoffbereich, bei den aktuellen Preisniveaus, die wir wahrscheinlich noch länger sehen werden, sind es 500 Euro für einen durchschnittlichen Haushalt, die da an Mehrkosten zu erwarten sind, für Pendlerhaushalte schnell einmal das Doppelte. Und da hat die Regierung etwas gemacht, aber da muss sozusagen noch mehr gemacht werden.
Sprecher: Doch was gemacht werden muss, um eine echte Verkehrswende zu erreichen, da scheiden sich die Geister – und die Uhr tickt.
*****
GROẞ: Dann schauen wir einmal, inwieweit sich die Geister auch hier bei uns in „Politik am Ring“ scheiden. Herr Stöger, ich möchte mit Ihnen beginnen, und zwar deshalb, weil Sie ja schon einmal Verkehrsminister waren – ich sage es jetzt der Einfachheit halber so: Verkehrsminister. Was würden Sie denn in der jetzigen Situation tun oder was hätten Sie denn getan anstelle von Frau Gewessler?
Alois STÖGER (SPÖ, Verkehrssprecher): Ich glaube, ich hätte aus meiner Sicht – danke auch für die Frage – erstens das gemacht, was der Gesetzgeber vorgeschlagen hätte, nämlich eine Preisregelung bei den Treibstoffen. Dafür zuständig ist eigentlich die Wirtschaftsministerin. Sie hätte diese Möglichkeit gehabt – das hat sie bewusst abgelehnt und nicht gemacht, daher hat sie das, was der Nationalrat an sich für solche Fragen vorgesehen hat, schlicht und einfach nicht eingehalten. Das ist der erste wichtige Punkt. Und der zweite wichtige Punkt, den haben wir begonnen: Wir haben 2007 begonnen, intensiv in den öffentlichen Verkehr zu investieren, insbesondere im Bereich der Österreichischen Bundesbahnen, des schienengebundenen Verkehrs, und wenn wir eine Verkehrswende und eine Neutralisierung, einen CO2-neutralen Verkehr haben wollen, dann müssen wir die Schiene ganz massiv ausbauen. Das haben wir begonnen. Das erkennt man, wenn man heute von Salzburg nach Wien fährt: Da erkennt man, dass das der Erfolg ist – und die Züge sind voll. Und wenn wir jetzt auch die Züge in den Süden ausbauen würden und das nicht immer von einem Tag auf den anderen verschieben würden, dann hätten mehr Österreicherinnen und Österreicher die Chance, einen billigeren und einen klimaneutralen öffentlichen Verkehr zu haben. Das hätten wir getan und das hätte ich gestärkt.
GROẞ: Okay. Herr Deimek, unter Türkis-Blau hat die FPÖ den Infrastrukturminister gestellt; Norbert Hofer hat sich da als glühender Befürworter, könnte man fast sagen, der Elektromobilität erwiesen. Wenn man sich jetzt die Aussagen entsprechender zuständiger FPÖ-Politiker von Kickl abwärts anschaut, auch von Ihnen selber, dann ist nicht viel übrig geblieben von dieser Euphorie, oder?
Gerhard DEIMEK (FPÖ, Mitglied des Verkehrsausschusses): Euphorie immer, die Frage ist nur: Wie setzt man sie richtig um? Es sind ja verschiedene Punkte, Projekte eben für den öffentlichen Verkehr als auch für die Elektromobilität durchaus bestehen geblieben. Das, was wir allerdings immer gesagt haben, ist, dass wir bei den Erneuerbaren unbedingt technologieneutral bleiben müssen. Da geht man jetzt mittlerweile davon weg, die Technologieneutralität ist aber ein wichtiger Faktor, der halbwegs eine Preisstabilität und nicht ein Davonziehen in einzelnen Segmenten garantieren kann. Technologieneutralität deswegen, weil wir dann in verschiedenen Bereichen die Motoren möglichst günstig betreiben können, die Technologien betreiben können, und - -
GROẞ: Nur damit wir es richtig verstehen: Technologieneutral heißt für Sie, dass man nicht nur auf Elektromobilität setzt, sondern auch auf andere Antriebsarten.
DEIMEK: Beispielsweise Wasserstoff, beispielsweise E-Fuel. Ich meine, das ist mehr noch ein Thema der Zukunft, aber da gibt es ganz konkrete Projekte. Beispielsweise investiert Saudi-Arabien gerade eineinhalb Milliarden Dollar, und wenn die so viel Geld in die Hand nehmen, dann kann man damit rechnen, dass ihre Aussagen, sie wollen Treibstoffe zu Marktpreisen der fossilen Treibstoffe herstellen – und zwar war das noch vor den ganzen Preiserhöhungen –, halten, dass die das auch zusammenbringen und dass die das schaffen. Damit hätte der Verbrenner, der ja wirklich ein optimiertes Aggregat ist, eine Chance, mit erneuerbaren Energien zu fahren.
GROẞ: Herr Margreiter, der Markt regelt alles, sagen die Wirtschaftsliberalen. Wie weit darf, soll, muss man vielleicht in der jetzigen Situation aus Sicht der NEOS eingreifen?
Johannes MARGREITER (NEOS, Verkehrssprecher): Es überrascht nicht, dass wir NEOS einer Preisregelung sehr skeptisch gegenüberstehen. Wir glauben tatsächlich grundsätzlich an das Funktionieren des Marktes – nur mit der Einschränkung, dass es immer schon Möglichkeiten gegeben hat, Auswüchse, Kartellabsprachen und so weiter zu verhindern. Und da ist derzeit meines Erachtens tatsächlich Handlungsbedarf gegeben, weil es schon den Anschein hat, dass die Mineralölkonzerne die Situation zulasten der Konsumenten schamlos ausnützen, und zwar, indem sie jede Preissteigerung am Markt sofort weitergeben und an der Zapfsäule ablesbar machen – in die umgekehrte Richtung geht der Weg dann aber immer sehr, sehr langsam. Und es wäre schon ein Thema für die Kartellbehörden, sich das anzuschauen. – So verstehen wir Markt: Dass man sagt, er soll grundsätzlich frei bleiben, aber Auswüchse, verbotene Kartelle darf es nicht geben. Ganz abgesehen davon sehen wir aber die Probleme, die diese fossile Inflation derzeit allgemein bereitet, doch etwas umfassender. Wir sehen also schon durchaus das Bemühen der Regierung und dass sie ein gewisses Problembewusstsein hat, nur setzt sie unseres Erachtens tatsächlich an den falschen Hebeln an. Das Verdoppeln des Pendlerpauschales, das Vervielfachen des Pendlereuros wird das Problem nicht lösen. Erstens sind diese Maßnahmen von ihrer Treffsicherheit her fragwürdig – wir wissen ja, wie das Pendlerpauschale funktioniert, es ist ja kein Absetzbetrag, sondern wirkt sich auf die Steuerbemessungsgrundlage aus –, und zum Zweiten denken wir, dass also die allgemeine inflationäre Situation, die durch diese fossile Preistreiberei hervorgerufen wird, alle berührt – das berührt ja nicht nur die Pendler, das bringt ja jeden Haushalt in Schwierigkeiten. Da setzen wir halt viel grundlegender an und sagen: Wenn den Haushalten generell mehr Geld in der Tasche bleibt, wenn man ihnen nicht im Wege der kalten Progression Haushaltseinkommen nimmt, dann wäre ja die Situation schon sehr viel deutlicher entschärft. Daher glauben wir, dass es also wirklich die Maßnahme der Wahl wäre, dass man in dieser schwierigen Situation alle möglichen Maßnahmen setzt, und da gehört vor allem die Abschaffung der kalten Progression dazu, damit den Haushalten mehr Geld bleibt, damit es leistbare Mobilität gibt.
GROẞ: Okay. Herr Schnabel, Sie sind auch Bürgermeister in einer südsteirischen Gemeinde – in der Gemeinde Lang, wenn ich es mir richtig gemerkt habe. Dort kämpfen Sie für die A 9, das ist die Autobahn von Graz nach Leibnitz – ich glaube, so in etwa soll sie verlaufen. Jetzt ist das eines, das, glaube ich, auch bei den gestoppten Projekten dabei ist, bei jenen, die Ministerin Gewessler gestoppt hat. Wie geht es Ihnen denn da mit dem Koalitionspartner? Und sind Sie für den Individualverkehr auf der Straße?
Joachim SCHNABEL (ÖVP, Mitglied des Verkehrsausschusses): Sowohl als auch: Ich bin für den Individualverkehr genauso wie für den öffentlichen Verkehr. Die A 9 ist ein ganz spezielles Thema bei uns im Süden von Graz, und da muss man ganz klar sagen: We agree to disagree. Da haben wir andere Herangehensweisen, weil wir genau auf diesem Teilstück der Autobahn mehrere Dinge haben, und eines davon ist, dass wir dort das Cargo Center haben, also einen Verkehrsknotenpunkt, wo eben die Verlagerung des Warentransports von der Straße auf die Schiene und von der Schiene auf die Straße passiert. Und wir haben dort einen sehr stark prosperierenden Raum, und auch für diesen Warenverkehr brauchen wir eine gute straßengebundene Verkehrsinfrastruktur. Ich sage immer, wir müssen zweifach verlagern – und da tun wir ja sehr viel mit dem Ausbau des öffentlichen Verkehrs –: Wir müssen den Menschen, wo die Pendlerstrecken zumutbar sind, die Möglichkeit geben, den öffentlichen Verkehr zu benutzen, aber wir müssen auch – und das ist bei uns, ich sage es noch einmal, ein südsteirisches Phänomen – den Verkehr aus den Dörfern, die sich links und rechts der Autobahn befinden, wieder auf die Autobahn zurückbekommen. Wir haben genug Untersuchungen, die eben auch aufzeigen, dass die Lebensqualität dort, in diesen Wohnbereichen, mittlerweile wirklich stark am Sinken ist. Wir müssen diesen Verkehr zurückverlagern – und das funktioniert nur mit einer gut ausgebauten Autobahn. Ich sehe das nicht als Problem betreffend den Klimawandel, weil wir den Verkehr ganz sicher dekarbonisieren oder defossilisieren müssen, und das wird über die Technologie – und die müssen wir vorantreiben – ganz sicher auch in einem absehbaren Zeitraum vonstattengehen. Wir sind ja in der Steiermark, was den Automotivsektor betrifft, in vielen Bereichen – mit vielen Technologiekonzernen und produzierenden Konzernen – sehr stark am Markt vertreten, und wir sehen ja quasi in der Steiermark auch vor Ort, was alles möglich ist. Wir müssen diese Dinge nur schrittweise vorantreiben, um eben aus dem fossilen Brennstoff oder aus dem CO2-Zeitalter herauszukommen.
GROẞ: Vielen Dank. Herr Weratschnig, Madeleine Petrovic, eine frühere Grünen-Chefin, hat – 1990, glaube ich, war es; ich bin so alt, mich daran zu erinnern – einen Benzinpreis von damals 25 Schilling gefordert – das hat einen Aufschrei nach sich gezogen. Ihr Wunsch ist in Erfüllung gegangen, könnte man sagen, oder?
Hermann WERATSCHNIG (Grüne, Verkehrssprecher): Der Wunsch ist nicht in Erfüllung gegangen. Ich glaube, es braucht bei einer Verkehrswende mehr als den Spritpreis, es braucht einen aktiven Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Ich glaube, wir haben als Regierung hier mit einem ÖBB-Rahmenplan von 18,2 Milliarden Euro einen Grundstein gelegt, wir wissen aber auch, dass es bis 2040 auch eine klare Verlagerung braucht. Der Bundesmobilitätsmasterplan liegt vor; wir müssen bei den Personenkilometern im Individualverkehr von 70 auf 50, 54 Prozent zurückkommen. Da braucht es ein Bündel an Maßnahmen: Das ist einerseits natürlich die Dekarbonisierung, das ist der Ausbau des öffentlichen Verkehrs, das ist die Steigerung des Anteils des öffentlichen Verkehrs bis 2040 auf 40 Prozent – das ist sehr ambitioniert, das ist machbar –, und dann darf man in allen Gemeinden nicht die letzte Meile an Mobilität vergessen, wo wir, glaube ich, starke Unterstützung auch vom – Gehen, Radfahren – Fußgängerverkehr und Radverkehr brauchen. Da freue ich mich, dass wir in der finalen Phase sind, auch was die Straßenverkehrsordnung betrifft, und da in Bälde ein gutes Fahrradpaket auch präsentieren können.
GROẞ: Vielen herzlichen Dank für diese erste Runde. Damit komme ich zu meinen beiden Gästen: Frau Bettina Gusenbauer, Büroleiterin des CEO der ÖBB-Holding AG, und Bernhard Wiesinger – noch einmal – Director Public Affairs & Public Relations des ÖAMTC. Frau Gusenbauer, sind in diesen ersten Wortmeldungen aus Ihrer Sicht jetzt die Eisenbahn, der öffentliche Verkehr insgesamt genügend gewürdigt worden, oder wo hätten Sie das Schwergewicht in diesen ersten Wortmeldungen gesehen? Und wie kann aus Ihrer Sicht überhaupt der Beitrag des öffentlichen Verkehrs im Allgemeinen und der ÖBB zur Verkehrswende ausfallen?
Bettina GUSENBAUER (ÖBB): Ich glaube, die Bahn ist durchaus gut gewürdigt worden, und: Danke!, an alle Vertreter hier: Ich glaube, es gibt überall, in allen Parteien einen Rückhalt für den Ausbau der Bahn. Wie Herr Stöger ja auch gesagt hat: Seit 2007 wird in die Infrastruktur investiert, und Österreich ist da schon ein europäisches Best-Practice-Modell. Wir haben einen Rahmenplan, wir haben ein Zielnetz und setzen das konsequent in Meilensteinen bis 2025 um – die Weststrecke als erstes Beispiel, die Südstrecke kommt –, das zieht auch eine Menge mehr an Menschen und Fahrgästen an. Was aus meiner Sicht als Nächstes kommen muss, und das hat Herr Weratschnig auch angesprochen, ist ein Bündel an Maßnahmen, das auf die erste und letzte Meile abzielt. Gerade in den ländlichen Gebieten wird es die Bahn allein nicht sein, weil da ist viel kleinteiliger Verkehr, da muss es wahrscheinlich auch der Bus sein, der ausgebaut werden muss – aus unserer Sicht, der Bus als echte Alternative zum Zweitauto. Wenn man in dieser Richtung mehr macht, ist auch ein wesentlicher Schritt zur Dekarbonisierung erreichbar, aber natürlich werden Bahn und ÖV den motorisierten Individualverkehr nie ganz ersetzen, also das sind alles Dinge, die ineinandergreifen müssen.
GROẞ: Herr Wiesinger, die Verkehrswende ist eine Frage der Alternativen, sagen Sie, und wenn man keine Alternativen hat, dann muss man entweder den Spritpreis schlucken oder die Konsequenzen ziehen – sprich: nicht mehr mobil sein –, und das ist dann natürlich eine Einschränkung von Lebenschancen. Aber kann man es sich so einfach machen?
Bernhard WIESINGER (ÖAMTC): Nun, es sind einige, glaube ich, sehr wichtige und richtige Ansätze ja schon erwähnt worden. Es sind da, soweit es den Individualverkehr betrifft, den motorisierten Individualverkehr, einige Dinge zurechtzurücken: Wir haben in Österreich ungefähr fünf Millionen Pkw – 5,1 Millionen sind es jetzt. Pro Jahr haben wir jetzt ungefähr 250 000 Neuanmeldungen. Gleichzeitig haben wir ein Klimaziel – und das ist, glaube ich, von allen Parteien unterstützt und anerkannt und auch wir als Mobilitätsklub bekennen uns dazu –, das uns sagt, wir sollen bis 2030 die CO2-Emissionen um die Hälfte reduzieren. Wenn man das in Fahrzeugbestand umrechnet, dann wären das 2,5 Millionen Elektrofahrzeuge bis 2030, die auf der Straße sein müssten – das geht sich schlicht und einfach nicht aus. Selbst die optimistischsten Prognosen sprechen von höchstens einer Million Fahrzeugen, die auf der Straße sind, und daher glauben wir, dass es auf jeden Fall Technologieoffenheit braucht. Mit Elektromobilität alleine – diese ist wichtig und wir brauchen sie unbedingt –, aber mit Elektromobilität alleine werden wir es nicht schaffen. Wir müssen vor allem im Bestand, vor allem bei den Menschen, die sich nicht sofort ein Elektroauto leisten können, eine Alternative bieten. Das wären unserer Meinung nach alternative Kraftstoffe, sei es jetzt auf biogener Basis oder auf Dieselbasis.
GROẞ: Darf ich vielleicht kurz nachfragen: Was glauben Sie denn, ist der Grund dafür, dass Frau Ministerin Gewessler so stark auf die Elektromobilität setzt? Würden Sie meinen, sie verfolgt da eine Art Elektromobilitätsagenda, vielleicht sogar eine versteckte Agenda, dass sie überhaupt das Auto von den Straßen verbannen will? Würden Sie so weit gehen, ihr das zu unterstellen? Ich denke, diese Rechnung, die Sie vorhin angestellt haben, wird sie ja mit ihrem Team und mit ihren Expertinnen und Experten auch angestellt haben.
WIESINGER: Kurz und einfach: Ja. Das ist der alte, tradierte Kampf der Grünen gegen das Auto. Ist in Ordnung, aber dann muss man schauen, was man für Alternativen anbieten kann, und da schaut es leider auch eher düster aus. Öffentlicher Verkehr wird dann angenommen – das zeigen uns alle Studien –, wenn er eine lebbare, wenn er die bessere Alternative ist. Niemand fährt heute mehr mit dem Auto von Sankt Pölten nach Wien, in dieser Pendelsituation. Na klar, da ist die Bahn die viel bessere Alternative! Auch ich fahre, wenn ich nach Linz fahre, wenn ich nach Salzburg fahre, mit der Bahn, weil es die bessere Alternative ist. Aber ohne diese Alternativen kann ich die Menschen mit einem erzwungenermaßen höheren Preis – und dahin zielt die Politik, wenn ich alle anderen technischen Möglichkeiten ausschließe, denn dorthin werden wir kommen – nicht dazu zwingen, das Auto stehen zu lassen. Das ist zumindest für 1,5 Millionen Österreicher, das ist fast jeder Dritte - -, das wird zu sozialen Problemen führen, und darauf muss man ein Auge haben. Daher plädieren wir dafür, eben technologieneutral, technologieoffen zu agieren, in diesem Bereich, vor allem, alternative Kraftstoffe zuzulassen und zu fördern, und auf der anderen Seite echte Alternativen anzubieten. Wir wissen beispielsweise aus einer Studie mit Prof. Hauger von der TU, dass eben das Angebot für den Umstieg das Entscheidende ist. Wenn das Angebot funktioniert – wir haben hier Pendler untersucht, mehr als 1 500 Pendlerinnen und Pendler wurden befragt –, wenn das Angebot stimmt, dann steigt man um. Die Grenze ist ungefähr, das war das Ergebnis dieser Studie, bei 20 Minuten mehr Zeit pro Strecke. Die sind die meisten Menschen zu akzeptieren bereit. Wenn es darüber hinaus geht, können Sie, ich sage es einmal so, Maßnahmen setzen, wie Sie wollen, die werden nicht umsteigen. Daher würden wir dafür plädieren, dass man sich noch einmal überlegt, ob man das Geld, von dem man sehr viel eingesetzt hat, beispielsweise mit dem Klimaticket, nicht besser in ein besseres Angebot, in den Ausbau von Strecken, in Taktverdichtung investiert, weil das eigentlich der entscheidende Faktor ist, wenn man will, dass umgestiegen wird. Alleine das Klimaticket macht es leider nicht aus.
GROẞ: Ich würde gerne an dieser Stelle Sie, Frau Gusenbauer, fragen: Dieses Bahnnetz, das wir jetzt ausbauen wollen – Sie haben das vorhin ja auch gesagt –, das hat es ja zum Teil schon gegeben. Es wurden ja in der Vergangenheit in den letzten Jahrzehnten Regionalbahnen eingestellt. War das rückblickend gesehen ein schwerer Fehler?
GUSENBAUER: Sagen wir es einmal so: Die Zeit des Einstellens oder Stilllegens von Regionalbahnen ist sicherlich vorbei, aber nicht immer ist die Bahn auch das beste Angebot, weil ein Zug, in dem zehn Menschen sitzen, nicht das effizienteste Angebot ist – da ist es unter Umständen eher ein E-Bus, und das Einstellen dieser Bahnen ist ja damals nach genau diesen Kriterien erfolgt. Was wir aber schon auch klar sagen und sehen müssen: Seit fünf Jahren werden keine Regionalbahnen mehr eingestellt, sondern im Gegenteil, wir arbeiten intensiv mit den diversen Bundesländern an Regionalbahnpaketen, sei es in Oberösterreich an der Mühlkreisbahn, an etlichen Bahnverbindungen in der Steiermark, im Salzkammergut. Dort wird gezielt gearbeitet, um diese regionalen Bahnstrecken so zu attraktivieren, dass die Pendler sie auch nutzen können, denn wenn ich eben zwei Bahnangebote am Tag habe, werden die Pendler nicht umsteigen, da muss ich auch einen entsprechend dichten Takt hinterlegen. Dafür brauchen wir die Länder und auch den Bund als Partner, weil das natürlich nicht immer selbsttragende Verkehre sein können, sondern es dafür öffentliche Finanzierung braucht. Aber das ist am Laufen, und Regionalbahnen haben Zukunft.
GROẞ: Wie optimistisch, Herr Wiesinger, sind Sie denn, dass das in überschaubarer Zeit passieren wird? Die Uhr tickt ja, wir haben ja nicht endlos Zeit, um die Bahn noch auszubauen oder überhaupt den öffentlichen Verkehr auszubauen. Wenn ich alle Ihre bisherigen Wortmeldungen richtig interpretiert habe, dann sind Sie eher skeptisch, dass das in kurzer Zeit überhaupt gelingen kann, und überhaupt meinen Sie, es mache keinen Sinn, jetzt noch mehr Geld, wie Sie sagen, in den öffentlichen Verkehr hineinzupumpen. Warum nicht?
WIESINGER: Na ja, in welchen öffentlichen Verkehr? In traditionellen öffentlichen Verkehr in der Fläche am Land, glauben wir, macht es keinen Sinn, denn ob der Postbus von einem kleinen Ort viermal oder sechsmal fährt, ist egal, er wird oft nicht als Alternative empfunden. Bei der Vergabe dieser Linien – Streckenverkehren von A nach B – ist großer Reformbedarf. Wir fordern und wünschen uns schon seit Langem wirklichen Mikro-ÖV, flächendeckenden Mikro-ÖV. Was ist das? – Das sind Rufbusse, Gemeindebusse, sie haben verschiedene Namen, Narzissenexpress, es gibt ja verschiedene Modelle. In vielen Gemeinden gab es hier Modelle, und durchaus erfolgreiche. Wenn man sich aber anschaut, wie diese verlaufen, dann ist es so, dass das meistens sehr engagierte Menschen sind, die das mit dem Bürgermeister starten. Dann wird zumeist irgendein Fahrzeug finanziert, ein Leasingfahrzeug, das schafft die Gemeinde gerade noch irgendwie aus Eigenem, aber nach ein, zwei Jahren kommt man darauf, dass das doch recht viel Aufwand ist, und dann wünscht man sich eine Abgeltung, die aber nicht zu leisten ist. Und es gibt keine strukturierte Förderung dieses Mikro-ÖVs, denn die Länder machen auch nur Vorzeigeprojekte und Showcases, aber es gibt keine dauerhafte Finanzierung – die würde man auch dort brauchen. Und ein zweiter Punkt, der dem zuwiderläuft, das muss man auch offen ansprechen, ist: Das sind oft sehr informelle Situationen, wie dies entsteht. Das ist vielleicht ein Frühpensionist, eine Frühpensionistin, die sich da engagiert. Auf der anderen Seite haben wir natürlich im öffentlichen Verkehr sehr viele sehr strenge Regeln. Denken wir jetzt beispielsweise an die Regeln für die Arbeit von BusfahrerInnen: Da gibt es genaue Ruhezeiten, genaue Entlohnung und so weiter, und wenn wir es da nicht schaffen, aus dieser rigiden Umklammerung zu kommen, die sich, ich will niemandem die Schuld geben, im öffentlichen Verkehr über Jahre entwickelt hat, dann werden wir es nicht schaffen, diesen Mikro-ÖV entsprechend flexibel zu machen, um eben ein Angebot zu kreieren, das lebbar ist. Es geht immer um das Angebot, das wirklich eine Alternative ist. Wenn man weiterhin, ich sage es jetzt, nur in den traditionellen öffentlichen Verkehr investiert, glaube ich nicht, dass wir es schaffen.
GROẞ: Zusammenfassend würde das würde heißen, was diesen Mikro-ÖV, also öffentlichen Verkehr, betrifft: Da braucht es eine Professionalisierung, wenn man so will, und auch eine Ökonomisierung im Sinne von, dass es sich auch rechnen muss, es muss wirtschaftlich sein, es muss am Ende attraktiv sein. (Wiesinger: Und auch ... Wettbewerb ...!) Da gibt es ein Modell, das mir einfallen würde in dem Zusammenhang, und zwar zum Beispiel die Skibusse in Westösterreich. Aber kann man so etwas dann auch auf Ostösterreich umlegen, wo halt natürlich einfach kein Bedarf an Skibussen ist?
WIESINGER: Nein, man muss sich das regional differenziert anschauen. Die Skibusse aber zeigen eines sehr gut: Die Skibusse, auch wenn das jetzt vielleicht viele Verkehrsplaner, auch in den Ländern, nicht gerne hören, sind nicht entstanden, weil jemand in einer Landeshauptstadt sich das überlegt hat und gesagt hat: Wir brauchen genau den Bus!, sondern wenn man sich die einzelnen Modelle anschaut, sieht man, die sind entstanden, weil sich der Fremdenverkehrsverband, der Bürgermeister, Hoteliers zusammengesetzt haben und gesagt haben: Das geht nicht, dass sich jeden Tag in der Früh auf kurzen Strecken von 1 bis 3 Kilometern 1 000 Autos zu einer Liftanlage bewegen, dann dort den ganzen Tag stehen, sich wieder zurückbewegen! Das macht keinen Sinn! So, dann sind diese entstanden, und siehe da: Es funktioniert. Es funktioniert auch ohne zentrale Planung – Achtung!, ganz wichtig –, daher glauben wir, dass man, wenn man Mikro-ÖV flächendeckend anbieten will, auch ein anderes Vergabeverfahren finden muss: einfach die Versorgung von Regionen ausschreiben. Ob das jetzt zwei, drei, fünf, zehn Gemeinden sind, was Sinn macht, muss man sich im jeweiligen Fall anschauen. Beispielsweise ein Talzusammenhang macht Sinn – den gemeinsam zu versorgen –, und da müssen wir diese Flexibilität hineinbringen, dass beispielsweise in der Früh natürlich ein großer Bus, ein großes Vehikel fährt, um die Schüler in die Schule zu bringen, dann aber beispielsweise eben Rufbusse angeboten werden. Das kann auch einmal ein Taxi sein, im Zusammenhang, aber solche Angebote müssen maßgeschneidert für die Region entwickelt werden, und das kann auch regional erfolgen, auch wenn es die Verkehrsplaner der Länder nicht gerne hören.
GROẞ: Ich habe, während Sie gesprochen haben, wahrgenommen, dass es schon Wortmeldungen von den Abgeordneten gibt – no na net. Ich glaube, der Erste, der sich gemeldet hat, war Abgeordneter Schnabel, bitte, und dann Stöger und natürlich Weratschnig, Margreiter und alle. – Bitte.
SCHNABEL: Ich möchte zum Mikro-ÖV ergänzend noch etwas sagen: Wir sind in der Südweststeiermark eine Region, die in 43 Gemeinden seit mittlerweile drei Jahren ein solches System betreibt, mittlerweile auch sehr erfolgreich, und wir sehen das wirklich so als Missing Link für die First Last Mile, um auch den ländlichen Raum, wo es keine Busverbindung und auch keinen Zug gibt, entsprechend mit einem öffentlichen oder teilöffentlichen Verkehrsangebot zu versorgen. Es wird unterschiedlich gut angenommen, so fair und klar muss man das aussprechen, aber es gibt doch uns als Gemeinden die Möglichkeit, für unsere Bevölkerung wirklich ein öffentliches Verkehrsangebot zu bieten. Was wäre eigentlich ein wichtiger nächster Schritt im Sinne einer Verkehrswende? – Dass man in weiterer Folge diese Systeme, die es in verschiedenster Ausprägung gibt, zum Beispiel in das Klimaticket oder das Ticket, das die einzelnen Bundesländer anbieten, integriert, das heißt, dass es nicht ein zusätzliches Ticketsystem mit zusätzlichen Kosten ist, sondern, wenn man unser altes System 1-2-3 hernimmt: 4 für die Inklusion des Mikro-ÖVs, damit wir mithilfe von Mikro-ÖV zusätzlich auch den ländlichen Raum an ein öffentliches Verkehrsangebot anbinden und dann bis zur Schiene durchgängig die Möglichkeit eines öffentlichen Verkehrssystems bieten.
GROẞ: Danke. Ganz kurz: Frau Gusenbauer, ist das umsetzbar?
GUSENBAUER: Ganz einfach: Das gibt es schon.
GROẞ: Okay. Wo zum Beispiel?
GUSENBAUER: Wir bieten das jetzt schon an. Wir haben ein Produkt, das nennt sich ÖBB 360 Grad. Wir bieten das für Städte, für Gemeinden, für ganze Tourismusregionen und für Unternehmen an: Man macht einen Mix aus allem, was es so im Portfolio der ÖBB gibt, plus Partner dazu. Das geht von Bahn über Bus, über Carsharing, über E-Bikes, über E-Scooter bis hin zu den regionalen entweder Taxiverbünden oder Rufbussystemen, die man über eine App einbindet, und da bin ich sehr bei Kollege Wiesinger: Man muss zuerst die Bedürfnisse der Region anschauen, das regional analysieren und die Menschen dort, also die Gemeinden, sehr stark einbinden; das sehen wir gerade beim Mikro-ÖV immer mehr. Das funktioniert nicht, wenn man da einen Raster drüberlegt, das muss gemeinsam mit den Gemeinden oder gemeinsam mit den Unternehmen entwickelt werden. Aber ja, daran arbeiten wir, und wir wollen da gern auch noch mehr, auch gern in der Steiermark, machen.
GROẞ: Okay. Herr Weratschnig, Sie haben sich als Zweiter gemeldet. Es gab ja auch heftige Kritik an der grünen Infrastrukturministerin.
WERATSCHNIG: Ja, also wenn man sich die schreckliche Situation in der Ukraine, die Kriegszustände, anschaut, dann sieht man: Wir müssen raus aus Öl und Gas, rascher, als wir glauben. Ich glaube, das ist unwidersprochen, mittlerweile auch bei allen Fraktionen, und das bedeutet, dass wir diese Umsetzungsschritte, diese ambitionierten Ziele, die wir uns gestellt haben, gerade im Bereich der Umstellung mit Sicherheit brauchen. Ich darf nur ein Beispiel bringen, was alternative Treibstoffe betrifft. Da ist nämlich die Industrie schon längst auf der Überholspur, da steht der ÖAMTC noch in der Boxengasse und ist noch beim Reifenwechsel. Da ist die Industrie schon voraus, was Batterieelektrik betrifft. Derzeit, im Vergleich Batterieelektrik und E-Fuels: Wenn man eine 3-Megawatt-Windkraftanlage hernimmt, so versorgt der Storm dieser 3-Megawatt-Anlage im Jahr 250 Fahrzeuge. Wenn man das herkömmlich mit Batterieelektrik macht, 3 Megawatt in die Batterieelektrik, dann versorgen wir damit jährlich 1 600 Fahrzeuge, das heißt, die Effizienz liegt derzeit bei der Batterieelektrik. Das ist keine Glaubensfrage, das ist eine technische Frage. Ich bin überzeugt, dass wir E-Fuels, Wasserstoff und auch andere Technologien brauchen – brauchen werden für die Industrie, für den Flugverkehr und für alle Anwendungen, wo wir nämlich 2030, 2035 anstehen und Versorgungsengpässe haben werden. Dort brauchen wir diese Technologien. Zweitens noch zum Mikroverkehr: Ich glaube, es braucht beides. Es braucht den Linienverkehr, es braucht den Gelegenheitsverkehr, und es braucht die Anbindungen durch Mikroverkehre und dahin gehend auch die Schnittstellen. Ich bin heute mit meinem Elektroauto nach Jenbach gefahren – dort ist eine Park-and-Ride-Anlage –, bin in den Zug eingestiegen; und genau solche Schnittstellen wie Park and Ride, Bike and Ride werden wir flächendeckend in ganz Österreich brauchen, um eben wie gesagt diese letzte Meile gut versorgen zu können.
GROẞ: Lassen wir ganz kurz Herrn Wiesinger erwidern, nicht nur auf den Boxenstopp – das war jetzt natürlich die Retourkutsche –, sondern vielleicht auch zu diesem E-Fuels-Thema, weil das natürlich schon auch nicht ein Glaubenskrieg sein soll, sondern wir das ja auch über Fakten diskutieren wollen. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann braucht man ja sehr viel Strom zur Erzeugung von E-Fuels. Das macht nur Sinn, wenn das sozusagen ein grüner Strom ist, den man verwendet, und das Ergebnis kann allenfalls sein, dass man CO2-neutral aus dieser ganzen Geschichte aussteigt. Ist das dann wirklich die Lösung für den Individualverkehr?
WIESINGER: Wir glauben, dass man es eben der Industrie überlassen soll, die beste Lösung zu finden. Ich glaube, es ist, wie ich vorhin schon erwähnt habe, einhellig das Ziel, dass wir defossilisieren, also aus fossilen Kraftstoffen aussteigen – da treffen wir uns ja. Wir glauben nur nicht, dass es die beste Lösung ist, auch die Technik vorzuschreiben. Warum? – Ich bin ganz sicher nicht der Vertreter der Hersteller, ganz im Gegenteil, wir stehen aufseiten der Nutzer, das ist ganz eindeutig. Wenn man sich aber die Hersteller anschaut, dann sieht man: Da gibt es sehr, sehr viele, die eben sagen, Elektromobilität kann nicht das Einzige sein! Da muss man den Blick etwas öffnen und sich auch aus Europa heraus bewegen. Wenn Sie den weltgrößten Autobauer nehmen, Toyota: Die sagen ganz eindeutig, dass sie auf mehrere Technologien setzen. Wenn Sie Stellantis nehmen, mittlerweile der zweitgrößte, der sich aus Ford beziehungsweise Fiat, der Fiat-Gruppe, entwickelt hat: Auch dort sagt man ganz klar, es braucht auch E-Fuels, um die Mobilität der Zukunft zu bewältigen; und beispielsweise auch BMW. Dass man in Österreich – und vor allem unsere Frau Ministerin – immer nur einer Gruppe zuhört, der VW-Gruppe, wo Herr Diess das aus, sage ich einmal, Börsegründen heraus predigt, ist vielleicht das Unverständnis von Wettbewerbssituationen am Markt, aber ganz sicherlich nicht die Meinung einer Branche. Wir brauchen das ganz einfach. Um das vielleicht noch einmal zu erklären: Was sind E-Fuels? – E-Fuels sind grün erzeugter Wasserstoff, den ich dann durch CO, also Kohlenstoff, den ich aus der Luft nehme, weiter zu einem synthetischen, zu einem künstlichen Kraftstoff, der funktioniert, veredle. Und das ist eben das Bestechende: Er funktioniert, wenn ich künstlichen Diesel, wenn ich künstliches Benzin mache, eben auch mit den Fahrzeugen, die derzeit auf der Straße sind – das ist das Bestechende. Ich muss nicht eine neue Hardware anschaffen, was ich im Fall der Elektromobilität unbedingt machen muss, und daher sind wir dafür, dass man das eben auch zulässt. Wir sagen nicht, dass es der einzige Weg ist, weil wir schlicht und einfach alle Möglichkeiten brauchen werden, um – und das Ziel ist anerkannt, ich glaube, da sind wir uns auch einig – die CO2-Neutralität in der Zeit zu schaffen. Dass die E-Fuels ineffizienter sind – wenn ich eine Stromerzeugung in Österreich vergleiche, und ich mache vorher E-Fuels daraus; ich habe mehrere Prozesse, mehrere Umsetzungsmöglichkeiten –, ist klar, aber das hat auch niemand gefordert. Wir werden im industriellen Maßstab E-Fuels sinnvollerweise nur in den bevorzugten Sonnen- und Windregionen dieser Welt erzeugen können, das ist einhellig die Meinung. Daher macht dieser Vergleich keinen Sinn. Wir haben einmal einen sinnvollen Vergleich gemacht: Wenn man direktes Stromladen in Österreich macht und das mit E-Fuels vergleicht, die man beispielsweise in Chile oder Island erzeugt hat, mit der Windenergie, die dort sehr günstig und effizient zur Verfügung steht, kommt man in dieselben Effizienzen –Effizienz ist also nur ein Grund. Ein Punkt vielleicht noch – und das vergisst man leider –: Wir sind jetzt am Weg, uns durch verstärkte alternative Stromerzeugung mit alternativen Energien eine Autarkie im Strombereich zu erarbeiten. Das sind 25 Terawattstunden, übersetzt heißt das fünf Laufkraftwerke à la Freudenau plus 2 Millionen Dächer plus 1 200 Windräder, also so viel, wie wir derzeit haben. Das wollen wir alles bis 2030 schaffen, und dann haben wir gerade einmal den Strom ersetzt, da haben wir noch keine Energie für die Industrie. Daher brauchen wir ohnehin Import. Es sind E-Fuels ja nur transportfähig gemachte alternative Energie.
GROẞ: Ich will jetzt nicht unhöflich sein, aber die Abgeordneten warten natürlich schon brennend. – Herr Stöger.
STÖGER: Erstens geht es einmal um die Frage – ich will jetzt nicht in eine technische Diskussion eingreifen –, was die Menschen, die jetzt an der Tankstelle sind, tun können. Da braucht man Antworten, und die Antworten hat die Bundesregierung nicht gegeben. Sie haben keine Preisbremse gemacht. Es ist im Beitrag auch herausgekommen, dass die Vorschläge der Bundesregierung eher den Besserverdienenden nützen als den Pendlerinnen und Pendlern. Da braucht es etwas anderes. Wir haben Vorschläge gemacht, tatsächlich die Steuern befristet auszusetzen, damit der Preis an der Tankstelle runtergeht – das ist die eine schnelle Geschichte.
GROẞ: Steuern heißt jetzt Mehrwertsteuer und Mineralölsteuer?
STÖGER: Mehrwertsteuer, Mineralölsteuer – es geht darum, schnell zu handeln.
GROẞ: Entschuldigung, dass ich diesen Einwand gleich bringe, weil er natürlich schon auf dem Tisch liegt, dass es aus europäischen Gründen nicht gehe, die Mehrwertsteuer zu senken, und die Mineralölsteuer bringe zu wenig, höre ich immer.
STÖGER: Entschuldigung, das ist alles ein Blödsinn. Ich kläre dieses Theater auf. Bei den Hoteliers war es kein Problem, da hat man es auch gemacht. Wenn man will, geht das. Sie wollen nur nicht. Das ist der Unterschied. Auch in anderen Bereichen kann man das tun, wenn man es will. Worum geht es wirklich? Es geht jetzt darum, dass wir erstens den öffentlichen Verkehr stärken, dass wir einmal definieren, was denn ein Grundangebot an öffentlichem Verkehr ist. Das muss man mittelfristig einlösen. Wir haben ein Bundesverkehrszielegesetz in den Nationalrat eingebracht, in dem wir erstmals definieren, was öffentlicher Verkehr ist, und da sagen wir, es muss Montag bis Sonntag öffentlicher Verkehr für alle zur Verfügung stehen, nur dann nutzt man das. Wenn man von Salzburg nach Wien in 2:22 Stunden jeden Tag mit der Bahn fahren kann, dann fährt man auch mit der Bahn. Wenn man 14 Tage braucht, bis man die Verbindung nach Fürstenfeld ausrechnen kann – wann man da ankommt –, dann fährt man nicht mit dem öffentlichen Verkehr. Daher geht es darum, dass wir einen Halbstundentakt in jeder Gemeinde in Österreich umsetzen. Das braucht massive Investitionen, und das ist ein Teil unserer Verkehrsziele. Das Zweite ist die Frage – und das ist gut herausgekommen –: Wenn man ein Unternehmen startet, einen Skilift betreibt, dann muss man sich auch die Frage stellen: Wie kommen denn die Menschen zu dem Skilift? Und wenn man dann draufkommt, da wollen mehr Ski fahren, als die Straße verträgt, dann braucht man Alternativen dazu, und genau diese Alternativen muss man entwickeln, das braucht Raumordnungspolitik, da geht es darum, dass man sagt: Wenn in einer Gemeinde ein Grundstück für Wohnungen zur Verfügung gestellt wird, dann muss es auch öffentlichen Verkehr geben. Wenn man einen Skilift eröffnet, muss man auch öffentlichen Verkehr haben. Und wenn man die Shoppingcity irgendwo auf die grüne Wiese stellt, oder noch besser, ein Postverteilzentrum auf die grüne Wiese stellt, dann muss der Herr Generaldirektor, bevor er das macht, auch die Schiene dort haben, und wenn er das nicht tut, dann sollte der Generaldirektor verjagt werden – ganz deutlich. Derzeit machen wir das nicht, und genau diese Fragen sind es, die man jetzt angehen kann. Da weiß ich auch, das wird übermorgen nicht wirken, aber möglicherweise wirkt es in der nächsten Funktionsperiode, denn von 2007 bis 2013 haben wir investiert und 2014 ist man von Salzburg bis Wien in 2:22 Stunden gefahren, und das muss man tun.
GROẞ: Danke schön. – Herr Deimek.
DEIMEK: Ich möchte das in zwei Gruppen gliedern. Das eine ist die Forderung nach öffentlichem Verkehr, der passend ist: Ja, reservierte Mittel hat es zumindest einmal gegeben, Stichwort Nahverkehrsmilliarde, unter Hofer eingeführt, im koalitionsfreien Raum – unter der Fachregierung oder Beamtenregierung – hat man die noch weitergeführt. Mir gehen jetzt ein bissel die Projekte dazu ab. Busnetz ja, aber erstens bitte wie gesagt in der Region und langfristig und auch bundesländerübergreifend planen. Beim Mikro-öffentlichen-Verkehr, beim Mikro-ÖV, kommen wir zumindest in Oberösterreich langsam, aber sicher dorthin, dass sich das die Regionen selbst vornehmen, sei es jetzt über Leaderregionen oder Ähnliches; alles andere ist aufgesetzt und wird nicht so wirken. Trotzdem ist es so, ich nehme da immer ganz gern die Gemeinde Gaflenz, die gleich weit nach Amstetten und nach Steyr hat: Wenn die Pendler zu den Schichtzeiten nach Steyr oder nach Amstetten müssen, dann können sie nach Steyr in eineinhalb Stunden öffentlich fahren, und sicher nicht zu den Zeiten, zu denen man in der Früh mit der Schicht anfängt – 6 Uhr –; da müssen die Arbeiter am Vorabend anreisen, das funktioniert so nicht, die fahren natürlich mit dem Auto, mit dem Pkw. Da sind wir jetzt in dem Bereich Technologievorgabe – Herr Wiesinger hat es relativ deutlich und ausführlich erklärt, wo die Problematik rund um die Technologieneutralität ist. Die Kostenseite, die auch nicht erst seit ein paar Monaten, sondern schon im letzten Jahr kritisch zu werden angefangen hat: Nehmen wir ein Durchschnittsauto wie den Golf. Mit den neuen Preisen, mit den neuen Steuern und so weiter kommt man dahin, dass man 2 000 Euro extra ablegt. Das ist ein Monatsgehalt von solchen Arbeitern! Ein Arbeitnehmer wird nicht von seinen 14 Monatsgehältern auf eines verzichten, sondern er wird sich irgendwo anders einschränken, denn er muss nämlich beispielsweise nach Steyr kommen, und das wird dann keine Verkehrswende, sondern ich fürchte, das wird dann ein Verkehrsende werden, und die Verwerfungen im sozialen Bereich, die ganz kurz – gar nicht so unbegründet – angeführt worden sind, werden noch viel gewaltiger werden, wenn wir keine Bremse einziehen. Zu den Steuerbremsen: Wenn ich jetzt wieder gehört habe: Aus europäischer Sicht!, dann schauen wir bitte einmal in die Nachbarländer. Kroatien hat die Mehrwertsteuer von 23 auf 5 Prozent reduziert, Ungarn hat gedeckelt und Steuern reduziert, Polen hat Steuern reduziert, Frankreich hat Steuern reduziert. Ich bin nicht Finanzminister, aber ich erwarte von einem Finanzminister, der sich auch Fachkraft nennt, dass er nicht sagt, was nicht geht, sondern dass er dem Bürger und der Politik sagt, was geht, und entsprechende Modelle bringt, dass es zu diesen 2 000 Euro nicht kommt, sondern dass das abgefangen wird.
GROẞ: Dann haben wir jetzt für diese Runde noch Herrn Margreiter offen.
MARGREITER: Die zwei großen Herausforderungen, vor denen die Politik steht, sind einerseits leistbare Mobilität für alle – unsere Gesellschaft setzt heute sehr, sehr viel Mobilität voraus – und auf der anderen Seite die Anforderungen, denen wir infolge des Klimawandels ausgesetzt sind. Jetzt haben wir die Situation mit der Ukraine, mit den horrend steigenden Treibstoffpreisen, Rohstoffpreisen, und das bietet natürlich eine Chance. Da will ich schon anmerken, dass das grundsätzlich sehr erfreulich ist, festzustellen, wie die beiden Experten, die vielleicht vor Jahrzehnten eigentlich eher noch in Gegnerschaft waren – auf der einen Seite der ÖAMTC als die Kfz-Lobby und auf der anderen Seite die ÖBB –, eigentlich beide am selben Strang ziehen – heute erleben wir das hautnah mit –, wie der ÖAMTC sich als Mobilitätslobbyist versteht und die ÖBB berichten können, dass es weit über Bahn hinausgeht, dass Carsharing schon Thema ist, und genau das ist der Hebel. Der einzige Player auf dem ganzen Feld, der versagt, ist meines Erachtens die Regierung, denn da habe ich schon ein bissel den Eindruck, dass wir vom Besten aus beiden Welten weit weg sind; es ist eher das weniger Gute aus beiden Welten: auf der einen Seite eine ideologiegetriebene Ablehnung und ein ideologiegetriebener Umgang mit dem motorisierten Individualverkehr, den wir immer brauchen werden, und auf der anderen Seite eine orientierungslose ÖVP, die irgendwo an finanziellen Schrauben dreht. Übermorgen im Plenum werden wir also die Verdoppelung des Pendlerpauschales und die Vervielfachung des Pendlereuros beschließen, das sind aber alles nicht zielgerichtete Maßnahmen, die wirklich das Problem nachhaltig lösen. Die nachhaltige Lösung im Bereich der Leistbarkeit der Mobilität habe ich schon im Eingangsstatement erwähnt, Stichwort kalte Progression, Anforderungen des Klimawandels – da ist schon sehr viel angesprochen worden –, Mikro-ÖV, aber auch die individuelle Mobilität hat ein Riesenpotenzial, wenn wir wissen, dass zum Beispiel heute die Pkws im Pendlerverkehr mit durchschnittlich 1,1 Personen besetzt sind. Wenn es gelingen würde, diese Zahl auf 1,5 Personen anzuheben, dann würden wir schon 50 Prozent der Dekarbonisierung des Verkehrssektors erreichen. Das wären die Maßnahmen ohne einen großen Komfortverlust oder Mobilitätsverlust. Wenn wir da den Hebel ansetzen, diese Programme attraktivieren, wenn dafür auch Steuermittel zur Verfügung gestellt werden, dann könnte man wirklich an großen Schrauben drehen, wo dann sowohl das Erfordernis der Leistbarkeit der Mobilität gegeben ist, als auch auf der anderen Seite den Anforderungen des Klimawandels entsprochen wird.
GROẞ: Vielen Dank. Ich möchte diesen Block mit Ihnen beiden gerne beenden. Frau Gusenbauer, da hat es jetzt viel Lob für Sie beide gegeben, aber auch ein bisschen Kritik habe ich durchgehört, von Herrn Deimek zum Beispiel. Die Projekte gehen ihm ab, wenn ich das richtig verstanden habe. (Abg. DEIMEK: Das Geld!) – Das Geld. Bleiben wir gleich dabei: Wie geht es denn den ÖBB mit dem Pendlerpauschale und dieser Erhöhung? Sagt man da, das Geld ist falsch investiert, das wäre besser bei uns angelegt?
GUSENBAUER: Sagen wir so: Wir würden uns natürlich auch beim Pendlerpauschale vielleicht ein bisschen mehr Anreize in Richtung öffentlicher Verkehr wünschen. Zum Beispiel gab es einmal als Vorschlag einen Bonus beim Pendlerpauschale für diejenigen, die mit einem ÖV-Jahresticket unterwegs sind.
GROẞ: Nur ganz kurz überhaupt das Thema der Fahrgastzahlen: Die sind ja mit der Pandemie doch zurückgegangen. Wie hat sich denn das entwickelt und wann rechnen Sie damit, dass Sie wieder auf dem Stand von vor der Pandemie sind?
GUSENBAUER: Wir hatten im letzten Jahr rund ein Drittel weniger Fahrgäste als in den Jahren vor der Krise. Es lässt sich jetzt natürlich noch nicht sagen, wir merken aber, seit März kommen die Fahrgäste wieder, der Osterreiseverkehr war sehr ermutigend, sehr erfreulich von den Buchungen her, auch gerade bei den Nachtzügen. Also da springt auch der Tourismus wieder an. Wir hoffen, dass wir bis Jahresende, so mit der Weihnachtszeit, die unsere stärkste Reisezeit ist, wieder auf dem Niveau vor der Krise landen.
GROẞ: Das heißt, Sie gehen nicht davon aus, dass das Homeoffice dazu führen wird, dass die Züge halb leer unterwegs sein werden?
GUSENBAUER: Halb leer sowieso nicht. Der Rückgang im Nahverkehr betrug im letzten Jahr um die 29 Prozent, regional recht unterschiedlich. Wir merken natürlich schon, dass die Pendler zum Teil weniger sind. Was wir auch merken, ist, dass sich durch Teleworking und mehr Flexibilisierung in den Arbeitszeiten die Leute besser verteilen, was generell für die Lenkung der Verkehrsauslastung eigentlich ganz klug ist.
GROẞ: Vielen Dank. Herr Wiesinger, ein Thema ist für mich noch offen – es ist bereits angesprochen worden –, nämlich das Thema Preisfestsetzung. Wenn ich es richtig verstanden habe, hat ja die Justizministerin auch die Wettbewerbsbehörde eingeschaltet. Das ist sehr kompliziert, denn ausschlaggebend ist ja für den Preis an der Zapfsäule der Marktpreis in Rotterdam. Jetzt habe ich aber gelernt, dass eigentlich nur ein kleiner Teil des Treibstoffs über diese Börse gehandelt wird. Also irgendetwas kann da nicht stimmen, oder, Herr Wiesinger?
WIESINGER: Seit die Preise so stark angestiegen sind, haben wir auch gefordert, dass man vonseiten der Wettbewerbsbehörden darauf schaut. Gott sei Dank hat die Regierung diese Forderung dann auch aufgegriffen. Es ist höchste Zeit. Sie haben es richtig beschrieben, nur ein kleiner Teil des Treibstoffes, der bei uns verkauft wird, stammt tatsächlich von der Börse in Rotterdam, allerdings findet die Preisfestsetzung für den gesamten Markt über diese Börse statt. Da kann etwas nicht stimmen, und das ist nicht nur in Österreich so, dass dieses Thema bewegt, sondern beispielsweise auch in Deutschland oder in der Schweiz. Deswegen haben wir mit unseren Partnerklubs dort jetzt auch eine Untersuchung auf europäischer Ebene – der europäischen Wettbewerbsbehörden – angeregt. Wir glauben, dass man das genau unter die Lupe nehmen muss, und Preisexzessen muss ein Riegel vorgeschoben werden.
GROẞ: Dann sage ich vielen herzlichen Dank, Frau Gusenbauer und Herr Wiesinger. Stichwort Ausbau des öffentlichen Verkehrs: Das ist ja jetzt schon des Öfteren gefallen, und da sind eines der großen Probleme ganz sicher die Verbindungen – auch das ist mehrmals gesagt worden – zwischen den Städten. Die sind inzwischen sehr attraktiv, teilweise sogar herausragend. Kaum jemand, wie Sie alle betont haben, fährt mit dem Auto von Wien nach St. Pölten oder auch nach Linz oder sogar nach Salzburg, aber fernab dieser – ich nenne es jetzt einmal so – Blockbusterverbindungen wird es kritisch. Dass das nicht so sein müsste, zeigen wir am Beispiel einer Region, in der wegen der Nähe zu Wien besonders viele Pendler leben.
*****
Es folgt eine Videoeinspielung:
Sprecher: Seit 15. Dezember 2019 ist auf diesen Gleisen kein Personenzug mehr gefahren, denn vor zweieinhalb Jahren wurde die Nebenbahn von Obersdorf bis Gänserndorf im Weinviertel eingestellt. Die Gleise sind stillgelegt, die Bahnhöfe verwaist. Martin Wannemacher ist seitdem auf das Auto angewiesen, um in die Arbeit zu kommen. Er arbeitet als Servicetechniker in Wien.
Martin Wannemacher (Pendler): Das ist natürlich drastisch, bedeutet Umstieg auf das Auto, bedeutet, jeden Tag in die Arbeit nach Wien zu pendeln. Hin und retour sind das 70 Kilometer für mich. Das bedeutet im Jahr 15 000 Kilometer nur mit dem Pkw für die Arbeit. Bei den Spritpreisen natürlich leider Gottes: Vor der Krise mit durchschnittlich, sage ich einmal, 1,20 Euro ist mich der Sprit auf 1 300 Euro gekommen, und jetzt bei durchschnittlich 1,80 Euro sind es natürlich über 2 000 Euro – nur die Spritpreise für das In-die-Arbeit-Fahren.
Sprecher: Die Weinviertler Nebenbahn ist unter anderem eingestellt worden, weil sie nur rund 700 Fahrgäste täglich benutzt haben. Um kostendeckend zu sein, hätten 2 000 Menschen pro Tag damit fahren müssen. Auch die Groß-Schweinbarther haben sie am Schluss wenig benutzt.
Marianne Rickl-List (Bürgermeisterin Groß-Schweinbarth): Es ist aber nie etwas investiert worden. Ich sehe das schon auch als Versäumnis der Vergangenheit. Man hat jahrzehntelang nichts investiert, es sind die alten Dieselloks, die gefahren sind, aus den Siebzigerjahren, und der Fahrplan ist laufend unattraktiver geworden, sodass Schüler und Pendler, für die ja die Bahn in erster Linie angeboten wird und die die ja nutzen, das Angebot nicht angenommen haben.
Sprecher: Statt der Regionalbahn Schweinbarther Kreuz gibt es jetzt Busse in den Gemeinden. Zusätzlich wurden Fahrradabstellplätze und Radboxen installiert, um die Einwohner zu motivieren, die Busse auch zu nutzen. Für die Interessengemeinschaft Regionalbahn Weinviertel ist das Unfug.
Gabriele Rath-Schneider (IG Regionalbahn Weinviertel): Wir haben jetzt als Alternative eine Buslinie bekommen, und die erregt größtes Ärgernis, weil die Leute Busse nicht annehmen. Die Busse fahren jetzt im Halbstundentakt durch unsere Dörfer, unsere Dörfer sind irrsinnig vom Verkehr belastet, kein Mensch sitzt in den Bussen, die fahren leer herum.
Sprecher: Zur potenziellen Auslastung der Nebenbahn, wenn sie bis nach Wien fahren würde, gibt es jetzt eine neue Studie der Technischen Universität Wien.
Gabriele Rath-Schneider: Die prognostizieren eine Personenanzahl von 4 000 Leuten, wenn die Bahn im Klimaticket eingebunden ist, also wenn dieser Tarif eingebunden ist, die Fahrzeit im Halbstundentakt ist, also von in der Früh 4, 5 Uhr bis 24 Uhr – dann nehmen die Leute das an.
Sprecher: Damit die neue Regionalbahn bis nach Wien fahren kann, müssten 900 Meter neue Gleiskörper verlegt werden, dann könnte die Bahn sogar mit Akkuzügen betrieben werden. Für Martin Wannemacher ist klar, er würde die Bahn jedenfalls nutzen, denn dann spart sich der Familienvater 2 000 Euro Spritkosten im Jahr.
*****
GROẞ: Von der Technischen Universität Wien, die gerade angesprochen worden ist, begrüße ich nun Prof. Günter Emberger. Er ist vom Institut für Verkehrswissenschaften und dort für den Forschungsbereich Verkehrsplanung und Verkehrstechnik zuständig – herzlich willkommen! Herr Professor, Sie haben die Diskussion bis jetzt natürlich aufmerksam verfolgt. Was haben Sie für einen Eindruck von den ja durchaus unterschiedlichen und kontroversen Standpunkten gewonnen, aber auch von dem, worin sich alle einig sind, und was ist aus Ihrer Sicht noch offen geblieben bis jetzt?
Günter EMBERGER (Technische Universität Wien): Zuerst einmal ein herzliches Grüß Gott von meiner Seite. Danke für die Diskussion, sie war sehr interessant. Ich möchte aber trotzdem ein bisschen ausholen. Ich war letzte Woche am Klimatag. Das ist ganz interessant: Warum machen wir das Ganze eigentlich? Wir machen heute nicht Verkehrsplanung für Pendler für einen Tag oder so, für kurzfristige Maßnahmen, sondern wir haben eine Strategie. Wir müssen ja bis 2050 klimaneutral sein. Und das machen wir auch nicht deswegen, weil der Verkehr klimaneutral sein soll, sondern um das 2-Grad-Ziel zu erreichen. Jetzt müssen wir einmal sagen: Was heißt 2-Grad-Ziel? Das wird in den Medien sehr schlecht kommuniziert, auch von uns Wissenschaftlern und von der Politik. 2-Grad-Ziel heißt, es wird wärmer, es werden Starkregenereignisse kommen, es wird Wasserproblematiken geben und wir werden Hitzetage haben – in Österreich. Aber das Ganze geht ja weiter, wir haben natürlich die gleiche Problematik weltweit gesehen, also das heißt, wir werden auf der einen Seite noch einen sea level rise haben, also der Meeresspiegel wird steigen, es wird Migrationsbewegungen geben, es werden 150 bis 280 Millionen Menschen unterwegs sein, wenn wir nicht etwas machen, wenn wir es nicht schaffen, bis 2050 CO2-neutral zu sein. Also das ist das Problem, und nicht: Ist jetzt eine Pendlerpauschale eine kurzfristige Lösung oder nicht? Wir müssen aus der Autoabhängigkeit rauskommen. Da gibt es viele Maßnahmen, Sie haben heute einige diskutiert – ÖV-Ausbau: sehr gut; letzte Meile: sehr gut. Viele Sachen sind andiskutiert worden, aber man wird auch ehrlich sein müssen: Wir müssen raus aus der Automobilität.
GROẞ: Automobilität – damit wir es gleich konkretisieren – heißt für Sie auch, E-Mobilität, also Elektromobilität?
EMBERGER: Auch, auch. Wenn man sich die Ziele anschaut – und es gibt auch Forschungsprojekte, die das sagen –, werden wir die tägliche Mobilität, die wir heute haben, also mit diesen 15 000 Personenkilometern pro Jahr oder so, auf ein Vierzigstel reduzieren müssen. Also es wird sich viel ändern. Und es sind zwei Sachen: Wenn wir das Klimaproblem nicht in den Griff bekommen, dann wird sich viel ändern, dann wird es wahrscheinlich gewisse Logistikketten weltweit nicht mehr geben und es wird die Wasserversorgung - -, und so weiter und so fort. Wir werden mehr Krisen haben. Wenn wir aber das Problem der Mobilität lösen wollen, dann werden wir die Mobilität, wie wir sie heute kennen, auch lösen müssen, wir werden nicht mehr so viele Kilometer unterwegs sein können. Daran müssen wir arbeiten, da müssen wir alle zusammenarbeiten. Ich habe interessiert zugehört, es ist ganz interessant gewesen, weil einfach viele Maßnahmen den Ausbau, Ausbau, Ausbau der letzten Meile betreffen – aber ja nicht unser Verhalten ändern. Sie wissen, es gibt Studien, die mit Backcasting gemacht worden sind. Wir müssen unser Verhalten ändern, mit Technologie, E-Fuels und allem Drum und Dran. Mit E-Mobilität alleine werden wir es nicht schaffen. Wir müssen das ändern, wir müssen das kommunizieren. Da ersuche ich Sie als Vertreter, dass Sie das kommunizieren. Wir von der Wissenschaft probieren es die ganze Zeit, dass man einfach sagt, es muss etwas passieren. Ich werde noch ein paar Sachen sagen: Also immer nur Angebote schaffen, dass immer mehr Leute immer längere Wege unterwegs sind, das wird es nicht geben. Sie wissen, dass wir zur Zeit ungefähr 35 Kilometer pro Tag mobil sind – das wird es in Zukunft nicht mehr so spielen, wenn wir die Grenzen, die uns der Planet vorgibt, ernst nehmen. Da müssen wir schauen, dass wir jetzt umbauen können, wir müssen also von dieser starken Abhängigkeit von der Mobilität ein wenig runterkommen, da brauchen wir langfristige Strategien. Ich denke, ich gebe Ihnen einmal die Möglichkeit, zu antworten. Ich habe noch ein paar Maßnahmen, die natürlich nicht uninteressant sind.
GROẞ: Vielen Dank für diesen, ja, flammenden Appell, würde ich fast sagen. Natürlich ist das etwas, das man auch einmal verdauen muss. Herr Schnabel, Sie haben es offenbar schon verdaut, Sie haben sich schon gemeldet. – Bitte.
SCHNABEL: Ich möchte noch kurz darauf replizieren, bevor wir das Setting geändert haben, und ein paar Dinge zurechtrücken: Gerade die Erhöhung der Pendlerpauschale und die Vervierfachung des Pendlereuro ist zielgerichtet, das muss man schon einmal klar sagen und aussprechen, weil das genau der arbeitenden Bevölkerung zugutekommt. Es ist das gute Recht der Opposition, hier andere Forderungen aufzustellen, aber populistische Maßnahmen über den Kamm zu scheren, das weisen wir einmal zurück. Wenn hier gesagt wird, der Minister oder die Ministerin könne alles ändern, dann glauben Sie nicht uns, Herr Kollege Stöger, sondern fragen Sie vielleicht bei den regierenden Sozialdemokraten im Deutschen Bundestag nach. Die haben über ihren wissenschaftlichen Dienst ganz genau erhoben, was im Bereich der Mehrwertsteuersenkung möglich ist und was nicht, und das geht eben im Bereich der Treibstoffe nicht. Ich bin ja froh, dass Herr Prof. Emberger jetzt, um quasi darauf zurückzukommen, aufgezeigt hat, wie wichtig die Klimathematik ist. Ich bin froh, dass wir in der Koalition auch die Diskussionen geführt haben, was die CO2-Bepreisung betrifft, und dass wir diesen Weg geschafft haben. Ab der Mitte dieses Jahres kommt auch der Klimabonus zur Auszahlung, der ja – quasi berechnet – über das ganze auch einen Teil der Preissteigerung schon kompensiert, mitkompensiert. Auch das Niveau der CO2-Bepreisung mit 30 Euro finden wir von der ÖVP wirklich gut gewählt – Gott sei Dank. Es hat ja auch andere Vorschläge gegeben: von den NEOS waren es 250 Euro, Frau Kollegin Julia Herr von der SPÖ hat auch wesentlich mehr gefordert. Wenn wir das so gemacht hätten, dann wäre der Aufschrei noch größer. Deswegen bin ich froh, dass wir diesen Weg zur Dekarbonisierung durch diesen – aus jetziger Sicht – wirklich gemäßigten Zugang gewählt haben, mit einem massiven Ausbau des öffentlichen Verkehrs, den wir vorher diskutiert haben. Nicht nur betreffend Infrastruktur haben wir, was die preisliche Gestaltung betrifft, in der Koalition sehr viel mit den Ländern gemacht – dass das wirklich auch leistbar ist und sehr gut in Anspruch genommen wird. Das ist ein großer Mix, den wir anbieten, und in diesem Sinne werden wir uns auch dieser Teuerung stellen. Eines muss noch gesagt werden: Sollte sich – jetzt sind die Preise doch wieder etwas zurückgegangen – herausstellen, dass weitere Maßnahmen notwendig sein werden, dann werden wir auch da reagieren. Es gibt einen riesengroßen Arbeitskreis, wo auch die Sozialpartner mit eingeladen sind, und wir werden, wenn es notwendig ist, weitere Maßnahmen setzen.
GROẞ: Herr Stöger.
STÖGER: Ich wollte zur Frage des Pendlerpauschales und zur Frage der Steuer etwas sagen. Noch einmal: In anderen Bereichen hat man es tun können, da will man nicht. Das Zweite ist: Ich brauche nicht die deutsche Rechtslage, mich interessiert die österreichische, und in Österreich haben wir die Möglichkeit - - (SCHNABEL: Die haben die EU-Rechtslage untersucht! Das EU-Recht!) – Eine Preisbremse kann man machen.
GROẞ: Ich möchte mit Blick auf die laufende Zeit nicht noch einmal diese Detaildebatte über die Steuer aufmachen – das haben wir ja diskutiert. Jetzt geht es sozusagen um diese ganz große Perspektive, die Emberger hier aufgemacht hat. Das, was Emberger gesagt hat, ist ja eigentlich sehr provokant, wenn man ihm richtig zugehört hat, nämlich: Es geht nicht um kurzfristige und auch nicht um mittelfristige Maßnahmen, sondern es geht letztlich um eine Verhaltensänderung.
STÖGER: Es geht darum, dass wir erstens den öffentlichen Verkehr vor dem Individualverkehr stärken, damit haben wir auch diese Änderung umgesetzt. Der öffentliche Verkehr wird elektrisch betrieben, aber nicht mit Batterien, sondern mit Oberleitungen, und ist damit auch effizienter und auch weniger umweltgefährdend – das ist einmal das Erste. Das Zweite ist: Das größte Problem im Verkehr ist nicht die Antriebsform, sondern der Platzbedarf. Der ist auch klimapolitisch ein Thema, insofern braucht man andere Systeme – das kann ich nachvollziehen. Ich glaube aber, dass die Freiheit von Menschen sich auch in ihrer Mobilität ausdrückt. Eine reiche Gesellschaft muss die Freiheit der Menschen ermöglichen, muss ihnen die Chance geben, dass sie ihr Mobilitätsbedürfnis auch befriedigen können. Wenn man sich anschaut, dass Menschen, die in der Stadt leben, weniger Verkehr brauchen als Menschen, die nicht in der Stadt leben, dann muss man auch darauf Rücksicht nehmen. Daher geht es darum, den öffentlichen Verkehr massiv auszubauen, ein alternatives öffentliches Angebot – dann brauche ich weniger Fahrzeuge – und einen Halbstundentakt, der attraktiv ist, zu schaffen. Wenn ich in einer Stadt lebe, wo ein attraktives öffentliches Verkehrsnetz zur Verfügung steht, dann wird es auch von der Bevölkerung genutzt. Das ist ganz entscheidend: Ich will keine Gesellschaft, in der sich nur mehr die Reichen Mobilität leisten können und die Ärmeren nicht. Das kann es nicht sein, und insofern führt der Weg in einer demokratischen Gesellschaft nur über ein gutes Angebot im öffentlichem Verkehr.
GROẞ: Okay, danke schön. – Bitte.
DEIMEK: Wenn ich das so höre: Sie haben dieses Raus aus der Mobilität provokant genannt, ich hinterfrage es einmal, nämlich vor allem betreffend Individualmobilität, und das komplette Reduzieren der 15 000 Personenkilometer pro Jahr. Wir wissen, die Leute haben auf ihrem Weg zum Arbeitsplatz 20, 40, teilweise 60 oder mehr Kilometer pro Strecke zurückzulegen, die Arbeitsplätze sind eher im urbanen Bereich. Rechnen Sie jetzt damit, dass wir eine große Landflucht haben, dass die Leute vom Land in die Städte, zu den Betrieben ziehen? Ich gebe Ihnen grundsätzlich betreffend Verbesserung der Raumplanung, das heißt, Verdichtung in den Ortszentren, recht. Was ich aber nicht glaube, ist, dass die Industrie in die kleinen Dörfer am Land rausgeht, das heißt, dass sich die Leute, die am Land wohnen, das Pendeln ersparen werden. Das glaube ich nicht. Die großen Betriebe werden alle im urbanen Bereich bleiben, und daher hinterfrage ich diese komplette Reduktion der Individualmobilität. Wenn wir es nicht schaffen, dass das vernünftig abläuft, dass die Leute ihren Arbeitsplatz erreichen können, und zwar nicht die Erntehelfer am Land, sondern wirklich jene Hochqualifizierten mit Berufen in den Städten, dann erreichen wir das, was Kollege Stöger gesagt hat, nämlich eine Verarmung, und dann wird es ordentliche soziale Verwerfungen geben. Ich glaube daher – aber Sie können mir sagen, wie es anders gehen könnte –, dass wir mit den Bestrebungen in Richtung der erneuerbaren Energien dieses Problem durchaus schaffen können. Eine zweite Geschichte ist die zeitliche Sache.
GROẞ: Vielen Dank. – Bitte sehr.
EMBERGER: Die Handlungsmaxime in der Mobilität, glaube ich schon, muss sein, drei zentrale Begriffe in den Mittelpunkt zu stellen, nämlich Verlagern – damit meine ich auch Verlagern auf Dekarbonisierung, Verlagerung auf die Bahn –, das Zweite ist Vermeiden – dort, wo Fahrten vermieden werden können, dort sind sie auch zu vermeiden; Corona hat uns gezeigt, gerade am Beispiel Homeoffice, dass es da Potenziale gibt, die auch gerne angenommen werden und jetzt in Firmen auch weiter praktiziert werden –, und natürlich das Thema Verringern – das betrifft natürlich auch Verkehre in den nächsten Jahren, wo wir die Verkehrslast verringern müssten. Ich glaube nämlich auch, dass es kein Endloswachstum geben kann. Mobilität ist ein Grundbedürfnis, um das wir uns kümmern müssen, und das hat in Österreich sehr stark auch mit den Themen Bodenverbrauch und Zersiedelung zu tun. Da würden wir jetzt zwei neue, weite Themenbereiche aufmachen. Das steht in einem direkten Zusammenhang mit den zukünftigen Mobilitätsfragen – also nicht nur das Thema Technik und wie wir auf die Bahn verlagern, sondern wie wir miteinander leben, wie wir miteinander wohnen und wo wir unseren Arbeitsplatz haben. Das bedeutet auch einen starken Fokus auf die Regionalwirtschaft.
GROẞ: Herr Margreiter.
MARGREITER: Die Ausführungen des Herrn Professor waren schon sehr interessant bis schockierend. Tatsächlich ist der Verkehrsbereich laut Umweltbundesamt mit circa 30 Prozent an den Treibhausgasen beteiligt. Und trotzdem, selbst wenn der Verkehrsbereich dekarbonisiert wird, selbst wenn er noch so CO2-neutral abläuft, sagen Sie, müssen wir herunter. Warum? Warum muss Mobilität, die CO2-neutral ist, reduziert werden? Und welche Maßnahmen sind da vorstellbar? Wo ist Mobilität - - Es gibt natürlich einsparbare Mobilität, aber die Frage muss schon auch erlaubt sein, ob nicht doch auch eine gewisse Mobilität, die jetzt nicht unmittelbar einer Existenzsicherung dient, sondern der Erbauung des Menschen, der Freude des Menschen, nachher noch zulässig ist. Was erwartet uns da für ein Szenario, das da angesichts des Klimawandels gezeichnet wird?
GROẞ: Vielen Dank. Ich glaube, das bringt es sehr gut auf den Punkt. – Bitte, Herr Prof. Emberger.
EMBERGER: Es ist so drastisch. Also wie gesagt, ich komme gerade vom Klimatag und es gibt auch andere Studien, wo man wirklich sagt, dass man schon bis 2030 komplett klimaneutral sein sollte, inklusive aller Sektoren, damit wir das 2-Grad-Ziel erreichen. Ich denke, Sie wissen, wenn ein Kipppunkt erreicht ist – also wenn das Grönland-Eisschild abschmilzt oder so etwas –, dann brauchen wir nicht mehr viel zu diskutieren, dann wird es wirklich ungemütlich auf dieser Welt. Es ist also wirklich drastisch. Wir reden dann noch immer über die Freiheit und so weiter. Wir müssen langsam anfangen, darüber nachzudenken, was wirklich zumutbar ist, was wir den Menschen sagen können, was wir machen können. Wir müssen anfangen, uns da ein wenig zu adaptieren. Und wie gesagt, wir müssen einfach schneller werden. Die Maßnahmen sind sehr langsam. Heute ist immer vom Ausbau geredet worden – wir wissen, der Ausbau dauert lange –, aber wir haben zum Beispiel nicht schnelle Maßnahmen besprochen. Das wäre meiner Meinung nach ein Tempolimit – 80, 100, 30. Sie sparen sofort 15 Prozent, 20 Prozent Spritverbrauch ein, Sie brauchen weniger Flächen. Wir haben die Flächenthematik angesprochen. Wir brauchen nur deswegen so breite Fahrbahnen und Autobahnen, weil die Leute mit 130 fahren wollen. Wenn wir das reduzieren, haben wir da sehr viel eingespart und es würde uns resilienter machen. Gleichzeitig, wenn Sie auf 80, 30, 100 gehen würden, haben wir diesen Effekt mit der Verkehrssicherheit, wir haben weniger Unfälle, sehr, sehr viel weniger Unfälle, und wir hätten gleichzeitig den öffentlichen Verkehr attraktiviert, weil Sie ja die Geschwindigkeitsvorteile des Autos rausnehmen. Das wäre eine sehr schnelle und einfache Maßnahme, die man umsetzen könnte, die sehr, sehr effizient wäre. Natürlich gibt es noch viele kompliziertere Sachen. Ich habe ein Arbeitspapier geschrieben, wo ich nachgewiesen habe: Wenn man die derzeitige Technik verwenden würde, die in Autos eingebaut ist – sprich Navi-System, sprich Alkomat, was es schon alles gibt, und wir gar nicht auf die Automatisierung warten, obwohl sehr viele Menschen darauf reagieren –, dann könnte man das relativ einfach durchsetzen, diese Tempolimits, man könnte das Navi einsetzen.
GROẞ: Ich weiß nicht, ob ich Sie richtig verstanden habe, Herr Margreiter. War Ihre Frage so gestellt oder so gemeint: Warum müssen wir aus dem Auto raus, so wie Sie gesagt haben, wenn wir es eh schaffen, den Verkehr CO2-neutral zu machen?
EMBERGER: Der Autoverkehr hat ja - - Die Nichtkostenwahrheit im Verkehr hat ja mehrere Probleme. Einerseits fördert es die Zersiedelung. Das heißt, die Menschen können wohnen, wo sie wollen. Das ist ein Vorteil, solange es nicht an Grenzen stößt wie zum Beispiel betreffend Flächenverbrauch. Das Gleiche bei den Firmen: Wir haben es mittlerweile geschafft, dass wir sehr große Einheiten haben, sehr große Firmen haben, wo wir auf Kosten der Gesellschaft eine economy of scale ausnutzen, wo wir hergehen und sagen: Diese Firma siedelt sich hier an und wie die Menschen hinkommen, zahlt die Allgemeinheit! – Pendlerpauschale, Pendlereuro. Das heißt, wenn wir da Kostenwahrheit einführen würden, dann würden sich diese Systeme wieder auf ein normales Maß zurückbewegen. Und da müssen wir hin, weil dieser westliche Zugang, dass wir in der Wirtschaft und im Konsum auf unbegrenztes Wachstum gehen, ist global nicht tragbar. Das sind wirklich die großen Probleme. Und ich weiß, dass Österreich nur ein kleines Land ist, aber ich denke, wir müssen hier anfangen, offen über die Zukunft zu diskutieren, und nicht Pendlerpauschale, ja, nein, groß, sondern wir müssen wirklich die großen Sachen machen. Große strategische Entscheidungen sind zu treffen.
GROẞ: Sie haben vorhin selber gesagt, natürlich ist Österreich da ein kleiner Player. Selbst Europa ist in der globalen Sicht eigentlich fast vernachlässigbar, wenn man sich anschaut, was in Asien passiert, was möglicherweise in Afrika noch passieren wird. Gehen Sie davon aus, dass man dort ähnliche Überlegungen wälzt?
EMBERGER: Es wäre sinnvoll. Auf einer globalen Ebene, auf einem globalen Maßstab wäre es sinnvoll. Wie gesagt, ich habe Ihnen - - Ich weiß nicht, ob ich es schon erwähnt habe, aber es gibt Studien, wo drinnen steht, dass wir 70 Prozent der bekannten fossilen Ressourcen unter der Erde lassen müssen, um das 2-Grad-Ziel zu erreichen. Es gibt aber keine internationale Institution, wo wir zur Zeit über diese Themen diskutieren. Wir haben ja gesehen, jetzt gibt es einen Erdölschock – also beim Gas ist es etwas anderes, aber betreffend Erdöl sind es 10 Prozent, die wir in Österreich von der Ukraine kriegen –, und der hat solche weltweiten Auswirkungen. Wir haben also sehr, sehr große Probleme, und deswegen würde ich schon sagen, dass es sinnvoll ist, dass sich Österreich da besinnt, anfängt, in der Raumplanung zu arbeiten, Geschwindigkeit aus dem System nimmt, und wirklich schaut, dass wir von den fossilen Energieträgern und von der fossilen Mobilität oder von der Mobilität eben weniger abhängig werden. Wir können nicht immer sagen: Immer mehr Mobilität ist zulässig! – Es gibt kein Menschenrecht auf 20 000 Kilometer im Jahr. Es gibt ein Menschenrecht auf eine gesunde Umwelt, es gibt ein Menschenrecht, dass Sie sagen, okay, auf ein lebenswertes Leben.
GROẞ: Sie haben vorhin schnelle Maßnahmen erwähnt und Sie haben dann die Temporeduktion angesprochen. Das wäre eine schnelle Maßnahme, das könnte man sehr schnell umsetzen und das würde sehr viel bringen. Gibt es da noch etwas anderes? Gibt es da noch andere Punkte, die Sie nennen können, die jetzt sehr schnell gehen würden?
EMBERGER: Ja, mittelfristig und kurzfristig gibt es zum Beispiel, wie soll ich sagen, einmal die Möglichkeit, dass wir die letzte Meile attraktivieren, Sie haben es schon angesprochen. Wir wissen, dass 7 Prozent der Autowege kürzer als 1 Kilometer sind. Wir wissen, dass 20 Prozent der Autowege kürzer als 2,5 Kilometer sind, und dass ungefähr 40 Prozent der Autowege unter 5 Kilometer sind. Das heißt, man müsste den Menschen einfach auch sagen: bitte geht zu Fuß!, und attraktive Angebote schaffen.
GROẞ: Wir haben heute über das Thema Fahrrad noch gar nicht gesprochen.
EMBERGER: Haben wir gar nicht gesprochen, aber ein Ansatz wäre – das wäre natürlich auch interessant –, dass wir hergehen und Parkraumbewirtschaftung einführen. Es gibt keinen Grund, warum man in den Ortschaften draußen gratis im öffentlichen Raum parken soll, weil der Parkplatz sehr große Effekte für die Verkehrsmittelwahl hat.
GROẞ: All das, was Sie gesagt haben, also Ihr Modell, setzt letztlich aber einen kompletten Umbau des Wirtschaftssystems voraus. Verstehe ich das richtig?
EMBERGER: Wir werden darüber nachdenken müssen, ja.
GROẞ: Dann sage ich vielen Dank. Ich würde diesen Input gerne aufgreifen und für die Schlussrunde aufnehmen, zu der ich jetzt kommen möchte. Ich beginne jetzt bei Ihnen, Herr Weratschnig, weil ich Sie in der Eröffnungsrunde als Letzten drangenommen habe. – Bitte sehr.
WERATSCHNIG: Ja, zum Schluss: Ich glaube, kurzfristige, langfristige, mittelfristige Maßnahmen in der Politik sind notwendig. Die großen Maßnahmen von Rahmenplänen, von Zielnetzen: Dort, glaube ich, müssen wir ganz stark weiterarbeiten. Bei den kurzfristigen glaube ich, dass wir sehr gut am Werken sind, wenn man nur an das Klimaticket denkt – das haben wir heute gar nicht erwähnt. Wenn wir daran denken, dass wir mit der Erhöhung der Pendlerpauschale auch weitere 150 Millionen für die Bundesländer beschließen, nämlich dort Tarife abzustützen, dort auch den öffentlichen Verkehr zu unterstützen und auszubauen, wenn wir uns Radförderpakete anschauen – das war heute noch gar nicht das Thema, von 4 auf 40 Millionen –: Also es gibt sehr viele Maßnahmen, an denen wir arbeiten, und ja, es sind noch zu wenig und es wird noch mehr brauchen. In Anbetracht der Prognose vom Herrn Professor und von den Fakten des Klimawandels wird es hier noch viel Umwälzung brauchen, im Sinne von dem, was ich vorhin schon gesagt habe: im Verkehrsbereich verlagern, dort, wo es geht, verringern und auf jeden Fall auch reduzieren und dort Fahrten vermeiden, wo sie vermeidbar sind, und umsteigen. – Das ist eigentlich das Schlusswort von meiner Seite.
GROẞ: Vielen herzlichen Dank, Herr Weratschnig. – Herr Schnabel.
SCHNABEL: In der ganzen Diskussion muss man schon auf die Chancengleichheit des ländlichen Raums mit dem urbanen Raum achten, denn sonst haben wir nur noch eine noch größere Verstädterung und der ländliche Raum wird entvölkert werden, und das kann nicht das Ziel der Politik sein und schon gar nicht das Ziel in Österreich, wo wir so stolz auf die gesamte Bandbreite unserer Bundesländer sind, darauf, wie gut vor allem der ländliche Raum in vielen Bereichen dasteht. Wenn man das so drastisch machen würde, dann würden sich dort keine Lebensperspektiven mehr ergeben und die Menschen würden dann quasi ganz einfach in eine zweite Klasse der Gesellschaft abgeschoben werden. Was brauchen wir grundsätzlich? – Es gebe noch weitere schnelle Maßnahmen, die wir vielleicht auch schneller vorantreiben sollten: Das ist die Beimischung mit Bioethanol oder Biodiesel. Da könnte man auch kurzfristig einiges an CO2-Emissionen reduzieren. Da haben wir auch österreichische Technologien. Da könnte man ansetzen. Wir brauchen auch, was das Thema Wasserstoff betrifft - ‑, da sind wir jetzt in der Endphase. Bei dieser Wasserstoffstrategie sind andere westliche Nationen schon weiter. Da müssen wir nachziehen, dass wir da dementsprechend auch, was die Technologieoffenheit betrifft, Antworten geben können. Und – das haben wir jetzt erst kürzlich wieder gemacht – ganz wichtig ist der Ausbau des Breitbandinternets – Homeoffice ist gekommen, um zu bleiben. Das muss man dementsprechend auch für den ländlichen Raum flächendeckend anbieten. Dann wird sich nämlich über diesen Bereich auch der Verkehrsweg reduzieren. Diese Technologieoffenheit in vielen Dingen, noch mehr zu investieren: Das wird aus unserer Sicht ganz wesentlich sein, um die Defossilisierung eben nachhaltig einzuleiten.
GROẞ: Danke schön. – Herr Margreiter.
MARGREITER: Ja, ein Wechselbad der Gefühle. Im ersten Teil war eigentlich schon sehr viel Anlass für Zuversicht, dass wir also dieses Mobilitätsproblem, auch das Problem der leistbaren Mobilität im Einklang mit den Anforderungen an die Klimapolitik mit technischen Innovationen, mit CO2-neutralen Mobilitätslösungen in den Griff bekommen. Der Herr Professor hat da jetzt schon ein sehr dystopisches Bild gemalt, wo ich mich frage: Wohin führt das? Gibt es dann eine Behörde, die dem Individuum ein Mobilitätspotenzial zuerkennt? Wenn man sagt, es gibt kein Grundrecht auf 20 000 Jahreskilometer. Was ist die Alternative? Also ich hätte immer geglaubt, dass die Mobilität soweit unbeschränkt ist und bleiben kann. Der nächste Schritt ist dann wirklich auch – was man immer wieder hört –, dass die Demokratie gar nicht in der Lage wäre, die Probleme und die Herausforderungen des Klimawandels zu lösen. Das sind also dystopische Bilder, wo ich also schon eher davon ausgehe - -, dass ich denke, wenn man ein bisschen die Geschichte anschaut – es hat immer wieder natürlich und vollkommen zu Recht massive und eindrückliche Warnungen im Falle von so disruptiven Ereignissen gegeben, wie es 1973 oder Anfang der 70er-Jahre bei der Ölkrise war –: Der Mensch hat richtig reagiert. Der Verbrauch der Fahrzeugflotten ist massiv gesunken. Heute sind wir schon dabei, dass wir emissionsfrei fahren werden können. Ich denke doch, wenn Emissionsfreiheit möglich ist, dass es also möglich sein muss, die Mobilität den Menschen individuell zu überlassen, und nicht nur das, sondern auch dafür Vorsorge zu treffen, dass ihre Mobilitätsbedürfnisse eben in klimagerechter Weise gelöst werden. Da bin ich sehr zuversichtlich, dass das doch wohl möglich sein muss, das in einer demokratischen Gesellschaft zu lösen, in der die Stimmen der Wissenschaft gehört werden, in der aber auch die Anforderungen an unsere Individualität Berücksichtigung finden müssen und auch ein selbstbestimmtes, weitgehend freies Leben möglich sein muss. Das würde ich mir sehr wünschen und das ist also mein Optimismus, den ich habe.
GROẞ: Vielen Dank. – Herr Deimek, mit welcher Emotion - ‑ oder besser gesagt, welche Emotion überwiegt am Ende dieser Diskussion bei Ihnen?
DEIMEK: Insofern eine positive Emotion, weil ich mir verschiedene Sachen, die skizziert wurden, so nicht vorstellen kann, weil ich auch glaube, dass wir uns erstens in Österreich, zweitens in Europa unserer Wertigkeit und unserer Position bewusst sein müssen. Wenn wir bei uns im Bereich der Mobilität so drastisch reduzieren – und Mobilität hat halt nur ein Drittel der ganzen Emissionen –, wenn wir auch im Industriebereich so stark reduzieren und gleichzeitig Länder wie China das Zehnfache von dem, was wir reduzieren, aufbauen, dann glaube ich nicht, dass da ein gewisses Gleichgewicht ist. Ich glaube daher, dass es vernünftige Lösungen geben wird und geben muss, die mit lebbaren Szenarien und mit lebbaren Modellen das Ganze machen. Insofern sind das Anstöße – man muss darüber nachdenken, man muss forschen und das Ganze dann umsetzen.
GROẞ: Danke schön. – Herr Stöger.
STÖGER: Ja, in der Aufklärung haben wir die individuelle Freiheit, sich niederzulassen, wo wir wollen, mobil sein zu dürfen, dem Kaiser abgerungen, und das ist ein Erfolg europäischer Geschichte. Ich möchte, dass das auch so bleibt, dass die Menschen selber entscheiden können, wo sie mobil sind. Damit sie das können, braucht man öffentlichen Verkehr. Dieser muss klimaneutral sein, und das ist die Aufgabe. Da haben wir viele Vorschläge gemacht. Ich sage noch einmal einen Vorschlag: Wenn ein Produkt in Europa 500 Kilometer transportiert wird, dann sollen 80 Prozent der Verkehrsleistung auf der Schiene stattfinden – und dann sind wir dort, wo wir hinkommen. Das braucht eine Ordnungspolitik. Das braucht keinen Markt – der Markt regelt nichts –, sondern wir brauchen Ordnungspolitik im Verkehrsgeschehen. Daher müssen wir auch die europäischen Regeln dazu ändern.
GROẞ: Dann sage ich vielen herzlichen Dank, meine Herren Abgeordneten. Ich bedanke mich auch bei Ihnen, Herr Prof. Emberger, dass Sie zum Schluss noch so große radikale Fragestellungen aufgeworfen haben, die die Herren hier mit Sicherheit auch mitnehmen werden. Das wird noch sickern und es wird diesbezüglich sicher noch sehr viel Diskussionsbedarf geben – vielen herzlichen Dank dafür. Bei Ihnen, meine Damen und Herren, bedanke ich mich für das Dabeisein, für das Zuschauen. Ich freue mich schon auf das nächste Mal bei „Politik am Ring“. – Auf Wiedersehen.