Wie wird der Wirtschaftsstandort Österreich krisensicher?
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Thema
Der Krieg in der Ukraine und die Pandemie führen uns die Schattenseiten der Globalisierung vor Augen. Die Abhängigkeit von russischen Rohstoffen und die Auslagerung von wichtigen Produktionszweigen machen das österreichische Wirtschaftssystem krisenanfällig. Welche Schlüsselindustrien müssen gestärkt oder neu aufgebaut werden? Was muss geschehen, damit der Standort Österreich krisensicherer und unabhängiger wird und wettbewerbsfähig bleibt?
Teilnehmer:innen der Diskussion
Abgeordnete:
- Maria Theresia Niss (ÖVP)
- Christoph Matznetter (SPÖ)
- Walter Rauch (FPÖ)
- Elisabeth Götze (Grüne)
- Karin Doppelbauer (NEOS)
Eingeladene Fachleute:
- Iris Frey (ATTAC)
- Michael Löwy (Industriellenvereinigung)
Diskussion
Österreich ist im europäischen Vergleich nur mehr Mittelmaß, andere Volkswirtschaften wie Schweden, Dänemark oder Finnland liegen hinsichtlich Innovationskraft, Wachstumsraten und Wettbewerbsfähigkeit deutlich vorn. Dies resultiert laut Karin Doppelbauer, Finanzsprecherin der NEOS, aus einer Vielzahl von Faktoren. Mit der beginnenden Transformation zu Zukunftsindustrien müssten insbesondere die großen Blöcke Entbürokratisierung, Lohnnebenkosten und Bildung endlich aufgearbeitet werden, Innovation und Wettbewerb fehlten in Österreich.
Walter Rauch, Umweltsprecher der FPÖ, machte unter anderem die "verfehlte" Corona- und Sanktionspolitik für die wirtschaftlichen Defizite verantwortlich. In Österreich mangle es an "Leadership", an Planbarkeit und Sicherheit für die Unternehmer:innen. Wirtschaft sei Emotion und diese sei im Moment nicht vorhanden.
Österreich sei jahrzehntelang auf der Überholspur gewesen und habe eine Erfolgsstory hinter sich, analysierte SPÖ-Wirtschaftssprecher Christoph Matznetter, insbesondere aufgrund der Exportorientiertheit des Landes. Daraus resultierten "intensive Verflechtungen", die berücksichtigt werde müssten, doch das Niveau der Krisenbewältigung durch die derzeitige Bundesregierung sei "unterirdisch".
Das Problem, hielt Elisabeth Götze, Wirtschaftssprecherin der Grünen, fest, sei die hohe Abhängigkeit Österreichs von russischem Öl und Gas. Sehr lange habe man davon profitiert und auf Diversifizierung verzichtet, wodurch es zu einer einseitigen Abhängigkeit kam. Die notwendige Transformation sei aufwendig und teuer. Viel Geld werde in den Ausbau der erneuerbaren Energien gesteckt, diese seien eine Chance für den Standort und die Industrie. Der aktuelle Zusammenfall vieler Krisen sei einzigartig, erklärte Maria Theresia Niss, Forschungssprecherin der ÖVP. Die Industrie sei bisher sehr gut durch die Krise gekommen. Aktuell gebe es viele Notwendigkeiten, die zu beachten seien, vor allem betreffend die Themen Energie, Fachkräfte und Besteuerung.
Iris Frey von der globalisierungskritischen Nichtregierungsorganisation Attac führte aus, dass die aktuellen Krisen nicht nur die Schattenseiten der Globalisierung, sondern systemische Fehler im kapitalistischen Wirtschaftssystem aufzeigten. Der ständige Ruf nach mehr Standortwettbewerb sei Teil des Problems, denn dies sei ein "Race to the Bottom" und führe dazu, dass Standards gesenkt würden. Notwendig sei ein grundlegender Umbau der Wirtschaft orientiert an den Bedürfnissen der Menschen, mit Rücksichtnahme auf Umwelt und Klima.
56% des BIPs und somit jeder zweite Euro hingen am Export und an der Globalisierung, erläuterte Michael Löwy von der Industriellenvereinigung. Globalisierung bedeute Interaktion zwischen Völkern, Tourismus, der Austausch von Waren, von Kultur, das Handeln mit Dienstleistungen und Investitionen. Die Globalisierung sei, so Löwy, unumkehrbar und die Zukunft.
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Transkript
Anmoderation: In dieser Folge von Politik am Ring, der Diskussionssendung des Parlaments, diskutiert Moderator Gerald Groß mit den Abgeordneten Maria Theresia Niss von der ÖVP, Christoph Matznetter von der SPÖ, Walter Rauch von der FPÖ , Elisabeth Götze von den GRÜNEN und Karin Doppelbauer von NEOS über den Wirtschaftsstandort Österreich und Auswege aus der Krise. Zu Gast sind Iris Frey von Attac und Michael Löwy von der Industriellenvereinigung. Das Gespräch haben wir am 20. Juni 2022 im Dachfoyer der Wiener Hofburg aufgezeichnet.
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Gerald GROẞ (Moderator): Guten Abend und herzlich willkommen, meine Damen und Herren, bei einer weiteren Ausgabe von „Politik am Ring“. Der Krieg in der Ukraine und die Pandemie haben uns die Schattenseiten der Globalisierung vor Augen geführt. Die Abhängigkeit von russischen Rohstoffen und die Auslagerung von wichtigen Produktionszweigen machen auch das österreichische Wirtschaftssystem krisenanfällig. Welche Schlüsselindustrien müssen jetzt gestärkt oder vielleicht sogar neu aufgebaut werden? Was muss geschehen, damit der Wirtschaftsstandort Österreich krisensicherer und unabhängiger wird und wettbewerbsfähig bleibt? Darüber diskutieren wir heute, und zwar mit Christoph Matznetter, SPÖ, Maria Theresia Niss, ÖVP, mit Walter Rauch von der FPÖ, Karin Doppelbauer von den NEOS sowie Elisabeth Götze von den Grünen. Ihnen allen: Herzlich willkommen! Außerdem bei mir: Iris Frey von Attac – herzlich willkommen! –, und Michael Löwy von der Industriellenvereinigung. Der Wirtschaftsstandort Österreich steht also unter Druck. Die Folgen der Coronapandemie sind noch nicht bewältigt, gleichzeitig erschüttert der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine die Wirtschaft. Bei den Unternehmen wachsen zunehmend die Sorgenfalten. Was können wir tun, um den Standort resilient für die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft zu machen?
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Es folgt eine Videoeinspielung:
Sprecher: Österreichs Wirtschaft auf dem Prüfstand, und das gleich doppelt, denn während uns aktuell der Ukrainekrieg und seine Folgen vor große Aufgaben stellen, ist die erste Krise, die Coronapandemie, noch lange nicht bewältigt. Bereits vor einem Jahr, unter dem damaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz, ist klar, dass die Wirtschaft noch länger brauchen wird, um sich zu erholen.
Sebastian Kurz (ehem. Bundeskanzler, ÖVP): Wir leben alle gerade in einer sehr herausfordernden Zeit. Nicht nur die Pandemiebewältigung, sondern vor allem natürlich die größte Wirtschaftskrise der jüngeren Geschichte haben Auswirkungen auf uns alle, und ich glaube, es ist nur ehrlich, auszusprechen, dass die Aufarbeitung der Krise uns alle auch noch länger beschäftigen wird.
Sprecher: Und das tut sie weiterhin, nun unter Bundeskanzler Karl Nehammer. Neben dem zentralen Thema Energieversorgung machen uns zurzeit unter anderem die Auslagerung von pharmazeutischen Gütern, Rohstoffabhängigkeiten und die digitale Abhängigkeit von den USA zu schaffen. Laut den Wirtschaftsexperten strahlt die Krise indirekt sogar in fast alle Bereiche aus.
Michael Peneder (Wirtschaftsexperte, Wifo): Es ist so, dass durch die vielfältigen Verflechtungen zwischen den einzelnen Wirtschaftszweigen die Krise oder eine Lieferbeschränkung in einem Bereich, etwa bei den Mikrochips und Halbleitern, sich in einer Vielzahl anderer Wirtschaftszweige und Branchen fortsetzt. Man kann also gar nicht davon reden, dass es eine oder zwei Wirtschaftszweige betrifft, sondern es streut in die gesamte Wirtschaft oder in einen großen Teil der Wirtschaft aus.
Sprecher: Vor allem bei Ökologisierung und Umwelttechnologien hat Österreich viel Potenzial. Da waren wir in den Neunzigerjahren Vorreiter, heute befinden wir uns auf einer Aufholjagd. Jetzt gilt es, die nötige Infrastruktur zu schaffen, damit die Unternehmen auf erneuerbare Energien umstellen können und wir so nicht mehr vom russischen Gas abhängig sind.
Michael Peneder: Zum einen ist die Politik mit dem Krisenmanagement gefordert, das heißt, wenn es zu kritischen Engpässen kommt, dann erfolgt die Zuteilung. Die wird über die Politik erfolgen. Da geht es darum, Mechanismen zu finden, die sozusagen die Unruhe und die volkswirtschaftlichen Nachteile und Schäden möglichst begrenzt. Das ist unmittelbar Krisenmanagement, aber keine Problembeseitigung. Die Hauptaufgabe der Politik besteht sicher darin, die Unternehmen dabei zu unterstützen, die Umrüstung und die Umstellung auf alternative Energiequellen zu schaffen.
Sprecher: Insgesamt liegt Österreich im europäischen Vergleich knapp über dem Durchschnitt. Jahrzehntelang wurde Österreichs Wettbewerbsfähigkeit unter anderem auch durch günstiges Gas aus Russland gestützt. Jetzt gilt es, neue Wege zu finden, um krisensicher zu sein.
Werner Kogler (Vizekanzler, Die Grünen): Der Wettbewerb der Zukunft wird sich für Europa und speziell die österreichische Volkswirtschaft folgendermaßen darstellen: Wir werden in bestimmten Bereichen weder als Kontinent und schon gar nicht als Österreich China, Indien, die USA noch überholen können. Aber es gibt ausreichend viele Bereiche – und die werden eben identifiziert –, in denen das sehr wohl eine Chance hat.
Sprecher: Doch welche sind das und wie kann Österreichs Wirtschaft langfristig gestärkt und krisenfit werden?
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GROẞ: Das Beratungsunternehmen Deloitte vergleicht seit Jahren Österreich mit anderen Volkswirtschaften. Dazu analysieren die Experten internationale Rankings und befragen heimische Führungskräfte. Das Ergebnis ist heuer besonders ernüchternd ausgefallen: Österreich ist im europäischen Vergleich nur mehr Mittelmaß. Vergleichbare Volkswirtschaften wie Schweden, Dänemark und Finnland oder auch die Schweiz liegen weit vor uns. Der Grund: Ihre Innovationskraft, die Wachstumsraten und die Wettbewerbsfähigkeit sind deutlich höher als in Österreich und werden auch höher eingeschätzt. Das führt mich zur ersten Frage an die Runde, und ich beginne mit Ihnen, Frau Doppelbauer von den NEOS: Was ist denn los mit dem Wirtschaftsstandort Österreich?
Karin DOPPELBAUER (Finanzsprecherin, NEOS): Wenn man das so leicht beantworten könnte! Ich glaube, es ist eine Vielzahl von Dingen, die zusammenkommen. Auf der einen Seite ist es natürlich so, dass wir in Österreich eine sehr starke Industrie haben. Wir haben einen hervorragenden Mittelstand in Österreich, und den gibt es auch nach wie vor, der ist noch da. Ich glaube aber, worauf wir wirklich Acht legen müssen, ist, dass da schlicht und einfach eine Transformation beginnt, und zwar eine Transformation in neue Industrien, in Zukunftsindustrien und natürlich auch in eine vollkommene Unterstützung, was die KMUs betrifft. Und da gibt es die großen Blöcke, die wir, glaube ich, seit Jahrzehnten in der Politik auch immer vorgebetet bekommen – unter anderem ein Grund, warum ich in die Politik gegangen bin –, die endlich aufgearbeitet werden müssen. Das ist wirklich Entbürokratisierung, es sind die Lohnnebenkosten in Österreich, und es ist Bildung, Bildung, Bildung, bei der wir leider inzwischen auch im Mittelfeld sind und wo es wirklich darum geht: lebenslanges Lernen, die Ressource, die wir in Österreich haben, die wir in Europa haben, die Menschen da wirklich sozusagen mitzunehmen und so in die Zukunft zu gehen. Innovation und Wettbewerb sind das, was uns in Österreich leider fehlt.
GROẞ: Mhm. Herr Rauch, hat Österreichs Wirtschaft zu sehr auf die Globalisierung gesetzt?
Walter RAUCH (Mitglied Wirtschaftsausschuss, FPÖ): Das glaube ich in einem bestimmten Punkt sicher, lassen Sie mich aber mit einem anderen Bereich beginnen, wie Sie vorhin auch eingeleitet haben: Was ist los mit Österreich? Auch mit Schweden – Schweden haben Sie als Beispiel gebracht –, weit vor uns. – Das ist natürlich auch eine komplett verfehlte Coronapolitik, in den letzten Jahren, seit Beginn der Pandemie. Man sieht das im Vergleich zu Schweden, die stehen wesentlich besser als Österreich da, als wir hier. Das ist die eine Geschichte. Die andere Geschichte ist jetzt aktuell natürlich die verfehlte Sanktionspolitik, wo wir im europäischen Konnex in einer Art und Weise mitschwadronieren - - Der Krieg ist zu verurteilen, aber die Art und Weise, wen die Sanktionen betreffen, das spüren wir genau jetzt direkt in der Bevölkerung, in der Wirtschaft betreffend die Preissteigerungen, und da fehlt im Endeffekt das gesamte Leadership, das man benötigt, und vor allem auch die Emotion. Wirtschaft ist Emotion, und diese Emotion ist nicht vorhanden, weil bei den Unternehmen natürlich eine große Unsicherheit da ist. Man hat es gestern in einer Sendung gesehen, „Im Zentrum“, am Abend bei Frau Ministerin Raab – nein, in der „ZIB2“ war es, Frau Gewessler. Da geht es darum: Wer kriegt dann zuerst das Gas und wer später? All das sind natürlich Themen, die den Menschen unter den Nägeln brennen, und das ist auch ein wichtiger Bestandteil für die Sicherheit und Planbarkeit für die Unternehmen. Diese ist zurzeit nicht vorhanden, und das ist natürlich schade, vor allem für den Standort. Da braucht es definitiv Leadership, Vorplanungen; und natürlich, was ganz entscheidend ist: Man hätte schon im März, April betreffend die ganzen Energielieferungen vorsorgen müssen, auch Verträge abschließen, neue Wege finden. Sie haben es im Vorspann hier gezeigt, wo der Weg hinführt: auch in Richtung erneuerbare Energien – ich bin selbst Umweltsprecher meiner Fraktion –, nur, wir wissen alle: Das wird nicht von heute auf morgen gehen, das dauert Generationen – sagen wir es wirklich so, nennen wir es beim Namen! Wenn man jetzt sieht, dass man alleine Mellach als Kohlekraftwerk wieder ins Leben rufen muss, merkt man ja schon, was hier in Österreich passiert ist und wohin die Reise geht. Also ich muss ehrlich sagen: Ich bin von den Regierungsparteien nicht nur enttäuscht, sondern wirklich über sie entsetzt.
GROẞ: Herr Matznetter, wir erleben ja eine Zeit multipler Krisen, muss man eigentlich sagen. Haben diese Krisen die Schwächen der heimischen Wirtschaft schonungslos offengelegt?
Christoph MATZNETTER (Wirtschaftssprecher, SPÖ): Na ja, man muss dazusagen, dass wir ja über Jahrzehnte auf der Überholspur waren. Also die Gründe - - Wenn man sich die Entwicklung Schwedens oder auch der Schweiz anschaut, und diese in den letzten 50 Jahren, ab 1970 –: Im Langzeitvergleich möchte ich ehrlicherweise mit der Schweiz nicht tauschen. Die waren dreimal so reich wie wir, und wir haben deutlich aufgeholt, das heißt, Österreich hat eine wirkliche Erfolgsstory hinter sich. Natürlich war diese auch dadurch bestimmt, dass wir als kleine Volkswirtschaft in hohem Ausmaß exportorientiert aufgetreten sind. Auch der Beitritt zur Europäischen Union bot die Chance, einen großen Binnenmarkt zu haben und gleichzeitig für Weltmärkte zu liefern – eine Riesenchance, die die österreichische Wirtschaft, von ganz kleinen bis zu ganz großen Betrieben, gut genützt hat. Heute ist es so, dass jeder zweite Euro unseres Bruttoinlandsprodukts eigentlich in den Export geht, und damit müssen wir in der Gesamtkonzeption der Politik in hohem Ausmaß Rücksicht darauf nehmen, dass wir eine irrsinnig intensive Verflechtung haben. Und leider – ich muss mich da leider der Kritik der Kolleginnen und Kollegen anschließen; wie sage ich es, ohne jemanden zu beleidigen? – ist das Niveau der Krisenbewältigung, das wir von der derzeitigen Bundesregierung geboten bekommen, unterirdisch. Ehrlich gesagt – ich meine, Kollege Rauch hat Mellach angeführt –: Jetzt, im Juni, stellt man sich die Frage, ob wir nicht Mellach brauchen werden! Was war die letzten Wochen? Ist irgendjemand auf Urlaub gewesen, hat er das Ministerium zugesperrt, war er nicht mehr da? Und das sind leider Schwächen, die wir überall gesehen haben, auch in der Coronapolitik. Kollegin Doppelbauer hat völlig zu Recht gesagt: Die Bürokratie müsste abgebaut werden. Was haben wir erlebt? – Wir haben Fragebögen in unfassbarem Ausmaß erlebt, also eine Bürokratiewelle sondergleichen. Da müsste man nachrüsten. Ich glaube, dass viel schiefgegangen ist. Die Krise ist halt für Wählerinnen und Wähler die Chance, zu sehen: Wo habe ich meine Stimme für fünf Jahre abgegeben und in eine Urne geworfen?, und dann sehen sie in der Krise – leider auch als Gefährdung ihrer selbst und ihrer Existenz –, wenn es eine nicht so gute Entscheidung war. Und da müssen wir, glaube ich, nachbessern, sonst wird es für das Land wirklich schwierig werden. Letzter Nachsatz: Sie haben Schweden und Finnland genannt, aber auch die Schweiz. Das sind natürlich Länder mit einem sehr, sehr hohen und ausgebauten solidarischen Gesellschaftssystem. Mit eines der Geheimnisse der Schweden ist halt auch eine Gesellschaft, die solidarisch miteinander umgeht. Da sind ja wieder attraktive Investoren. Ich erinnere, dass man geglaubt hat, Volvo und so ist aus. – Nein, da sind chinesische Investoren gekommen, das ist heute eine Weltmarke, da ist viel passiert. Und ich glaube, dass man von den Besten lernen kann und dass wir große Anstrengungen machen werden. Wir werden nachher über Energie reden, dort orte ich das größte Problem für uns, und dazu werden wir, glaube ich, eine eigene Runde machen. Dort besteht ein wirkliches Risiko.
GROẞ: Mhm. Vielen Dank einmal fürs Erste. Weil jetzt Mellach bereits mehrmals angesprochen worden ist: Frau Götze, ist es nicht in der Tat eine Ironie der Geschichte, dass jetzt ausgerechnet eine grüne Ministerin, Frau Gewessler, dieses Kohlekraftwerk wieder hochfahren muss? Das ist doch mehr oder weniger fast ein Symbol für diese Schwachstellen oder Versäumnisse in der Vergangenheit, die Abhängigkeit in der Energieversorgung von fossilen Energieträgern vor allem aus Russland. Das hat den Standort unsicher und angreifbar gemacht. Welche Antworten, außer Mellach hochzufahren, haben Sie da jetzt beziehungsweise hat die Regierung?
Elisabeth GÖTZE (Wirtschaftssprecherin, Grüne): Ich gebe Ihnen recht, dass ein Problem in Österreich, mit dem wir momentan kämpfen, die hohe Abhängigkeit von Russland, von den russischen fossilen Brennstoffen Öl und Gas ist. 87 Prozent der Importe aus Russland sind Öl und Gas, und das tut uns natürlich weh. Daher fahren wir jetzt sozusagen Krisenszenarien, das heißt, Mellach ist eine Antwort, die die Klimaschutzministerin ganz sicher sehr ungern gegeben hat, die aber in dieser Krisensituation nötig ist. Darüber hinaus ist es aber schon, denke ich, eine Chance, um auch zu versuchen, in die Zukunft zu denken. Österreich hat einen hervorragenden Standort, um erneuerbare Energien zu nützen. Wir investieren wirklich sehr viel Geld und Energie in den Ausbau der Erneuerbaren, und ich glaube, das ist wirklich auch eine Chance für den Standort Österreich, für die Industrie in Österreich. Aber: Richtig, wir haben sehr lange vom billigen russischen Gas profitiert. Da ist auch wie gesagt eine einseitige Abhängigkeit entstanden, und die Diversifizierung, die wir gebraucht hätten, hat aus Kostengründen nicht stattgefunden – das russische Gas war das günstigste. Diese Umstellung, diese Transformation ist jetzt aufwendig, teuer und geht auch nicht von heute auf morgen, unter anderem deshalb, weil die Lieferketten momentan nicht so funktionieren, weil auch Fachkräfte umgelernt werden müssen. In all das wird investiert, all das passiert. Ich glaube, es ist wirklich in der Bevölkerung, in der Industrie angekommen – ich hoffe, auch in der Industriellenvereinigung, darüber werden wir vielleicht auch noch sprechen –, aber das muss wirklich noch rascher gehen. Zum Beispiel warten wir ja auch noch auf das Klimaschutzgesetz.
GROẞ: Die Umweltökonomin Stagl, Professorin an der Wirtschaftsuniversität Wien, hat heute im „Mittagsjournal“ in einem Interview Mellach betreffend gesagt, das sei auch Ausdruck einer Hilflosigkeit der Politik. Ich weiß nicht, wie Sie das sehen, Frau Niss! In der Tat – um etwas aufzugreifen, was Herr Rauch vorhin gesagt hat – ist es ja auch so, dass die Folgen der Coronapandemie im europäischen Vergleich von Österreich zwar gemeistert wurden, aber auch nicht überdurchschnittlich gut gemeistert wurden. Bei volkswirtschaftlichen Parametern wie Wachstum, Arbeitslosenrate, Staatsverschuldung liegen wir bestenfalls im Mittelfeld der EU – wir haben das vorhin schon gehört und angesprochen. Das ist alles ernüchternd, weil die Regierung ja ständig versucht hat, uns etwas anderes zu suggerieren. Wird uns und wurde uns da Sand in die Augen gestreut?
Maria Theresia NISS (Forschungssprecherin, ÖVP): Nein, das glaube ich nicht. Vielleicht darf ich noch einen Satz zur Ministerin und zu Mellach sagen. Ich finde das interessant, dass jetzt immer - - Natürlich ist es eine gewisse Ironie, dass Ministerin Gewessler das jetzt verkünden muss, aber sie ist immerhin für das Thema Energie zuständig und es ist das, was notwendig ist. In Deutschland passiert genau das Gleiche, und dort sieht man es pragmatisch. Bei uns wird es im Endeffekt eigentlich immer verteufelt. Ich glaube, es hat niemand mit dieser Krise oder mit einer Krise in diesem Ausmaß gerechnet. Jetzt gibt es sicher auch wieder viele Stimmen, die sagen: Das haben wir immer gewusst und das war klar, dass Putin das im Endeffekt machen wird, aber ich glaube, der Zusammenfall dieser vielen Krisen ist schon einzigartig. Das wird einem auch jeder bestätigen. Insofern, glaube ich, braucht es dann halt auch unkonventionelle Antworten, wenn sie notwendig sind. Zum Thema: Wie haben wir die Krise bewältigt? – Auch da, glaube ich, ist es teilweise sehr schwer, innerhalb von Europa zu vergleichen. Wir haben – das wissen wir – einen sehr starken Tourismus. Diesen haben andere Länder nicht so und er war natürlich von Corona besonders betroffen. Wenn wir uns die Industrie anschauen, sehen wir, dass die Industrie, glaube ich, relativ gut durch die Krise gekommen ist, und die Industrie steht an und für sich oder ist sozusagen vor dem Thema Lieferketten et cetera relativ gut dagestanden, weil, glaube ich, auch sehr pragmatisch reagiert wurde. Wir haben die Industrie immer offen lassen, das muss man auch dazusagen, und wir haben beispielsweise aufgrund der Krise auch versucht, wesentliche Bereiche – Sie haben das Thema pharmazeutische, medizinische Produkte vorhin, glaube ich, auch angesprochen – teilweise wieder zu reshoren. Das muss man natürlich machen, wenn es sinnvoll ist. Also ich glaube, man kann jetzt nicht jede Produktion wieder zurückholen, aber man hat sich beispielsweise dafür entschieden, dass man die Penicillinproduktion wieder nach Österreich zurückholt. Ich sehe das also nicht ganz so, dass da lauter schlechte Entscheidungen oder dass schlechte Entscheidungen getroffen worden sind, sondern ich glaube, dass wir und dass die Industrie insgesamt sehr gut durch die Krise gekommen sind. Jetzt haben wir andere Voraussetzungen, jetzt gibt es viele Notwendigkeiten, die zu lösen sind. Da ist natürlich das Thema Gas, das Thema Energie eines der wesentlichen, ich glaube, darüber werden wir ja auch noch sprechen. Es ist aber natürlich auch das Thema Fachkräfte, wo wir jetzt auch Lösungen vorlegen – Rot-Weiß-Rot-Karte et cetera –, es ist das Thema Lohnnebenkosten, es ist das Thema Besteuerung insgesamt, wo auch jetzt mit den Themen kalte Progression abschaffen, Lohnnebenkostensenkung die ersten Schritte gesetzt wurden – auch entscheidende Schritte. Ich würde das also nicht bestätigen, dass wir da nicht richtigliegen, keine Leadership gezeigt wird und nicht gehandelt wird.
GROẞ: Mhm. Dann sage ich einmal Danke für diese erste Runde und möchte jetzt meine Gäste noch einmal herzlich willkommen heißen: Frau Mag.a Iris Frey von Attac! Attac ist eine, wie man gemeinhin so sagt, globalisierungskritische Nichtregierungsorganisation, hat weltweit cirka 90 000 Mitglieder, wenn das noch aktuell ist – zumindest sagt das der Wikipedia-Eintrag –, und agiert in 50 Ländern, fokussiert aber auf Europa. Sie selber sind Campaignerin bei Attac und haben ursprünglich Anthropologie und sozialökologisches Wirtschaften studiert – es erscheint mir in diesem Zusammenhang wichtig, das vorauszuschicken. Ich möchte Sie ganz konkret fragen, weil Sie eben einer globalisierungskritischen Organisation angehören und für diese tätig sind: Frohlocken Sie jetzt, weil sozusagen manche das Ende der Globalisierung ja gewissermaßen heraufdämmern sehen?
Iris FREY (Attac): Vielen Dank für die Einladung. Ich würde sagen, diese Krisen zeigen nicht nur die Schattenseiten der Globalisierung, sondern sie zeigen uns eigentlich die systemischen Fehler im kapitalistischen Wirtschaftssystem, die uns eben erst in diese ganzen Vielfachkrisen, in denen wir jetzt stecken, hineinkatapultiert haben. Ich denke, wir kommen nicht aus diesen Krisen raus, wenn wir die Wirtschaft nicht grundlegend umbauen, sodass sie sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert, dass sie die Umwelt nicht weiter zerstört und vor allem, dass sie unser Klima nicht weiter in die Katastrophe treibt. Ich glaube auch, dass dieser dauernde Ruf nach mehr Wettbewerb, nach Sicherung des Standortes eigentlich ein Teil des Problems ist, denn was bedeutet eigentlich der Ruf nach Standortwettbewerb? Das ist ein race to the bottom, wie man so sagt, es geht darum, Standards zu senken, Umweltstandards zu senken, Besteuerung von Unternehmen zu senken, Arbeitsstandards zu erodieren – und dabei gewinnt keiner! Was wir jetzt wirklich brauchen, ist wie gesagt dieser grundlegende Umbau der Wirtschaft, sodass sie sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert.
GROẞ: Mhm. Vielen Dank fürs Erste. – Die gleiche Frage geht an Sie, Herr Löwy, aber ich könnte mir vorstellen, mit einer ganz anderen Antwort. Fakt ist ja, dass seit ungefähr dem Jahr 2000 die Vorstellung existiert, dass sich alle Staaten der Welt am Welthandel beteiligen können. Dieses Grundvertrauen, wenn ich das so sagen darf, in die Globalisierung hat aber in den vergangenen Jahren in der Pandemie schon kräftige Risse bekommen und ist zumindest für viele durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine zusätzlich noch erschüttert worden. War es das mit der Globalisierung?, frage ich auch Sie.
Michael LÖWY (Industriellenvereinigung): Ich sehe keinen Anlass, diese These bestätigen zu wollen, im Gegenteil: Es ist einfach so – und das wurde vorhin ja auch schon angesprochen –, dass 56 Prozent unseres nationalen BIP am Export hängen, also jeder zwei Arbeitsplatz, jeder zweite Euro, den wir verdienen, hängt sozusagen an dieser Globalisierung, wenn man so will. Auch die Europäische Union ist ja eine Miniglobalisierung, und dort hat der Welthandel sozusagen glorreich funktioniert, denn die Vereinigung der europäischen Staaten in dieser Union kam ja trotz kriegerischer Voraussetzungen zustande – wenn man jetzt sozusagen Ukraine/Russland ins Spiel bringt. Nichts anderes war nämlich die Gründung der Europäischen Union, mit der man eben versucht hat, die Beendigung eines Konflikts, der 600 Jahre bestanden hatte – jener zwischen Deutschland und Frankreich – durch diese Vereinigung Europas herbeizuführen. Das heißt, in Europa hat diese sozusagen Globalisierung dieser Staaten untereinander wunderbar funktioniert, und wir sind auch der Ansicht, dass das natürlich trotz aller Rückschläge – einige davon sind ja heute angesprochen worden, und wir werden noch sehr viele Rückschläge in den nächsten Jahrhunderten erleben – geglückt ist. Eines ist klar, nämlich dass die Globalisierung, das heißt, die Interaktion zwischen Völkern, das heißt, Warenaustausch, das heißt, Handel mit Dienstleistungen, mit Investitionen – Globalisierung ist ja mehr, als eine Ware von A nach B zu befördern –, das heißt, kultureller Austausch, das heißt, Tourismus, der hier angesprochen wurde – also wenn wir das alles unter Globalisierung subsumieren –, glaube ich, unumkehrbar ist, und das wird auch die Zukunft sein.
GROẞ: Mhm. – Können Sie eigentlich der These von Gabriel Felbermayr etwas abgewinnen, der zuletzt in der „Pressestunde“ des ORF gesagt hat, dass es in Zukunft vielleicht eine Globalisierung im kleineren Stil geben wird, dass es sozusagen Klubs geben wird, in denen sich einfach einzelne Länder oder Regionen dieser Welt wiederfinden?
LÖWY: Ja, ich glaube, das ist eine Tendenz, die es ja immer wieder einmal gibt: Es gibt immer wieder Regionen, die sich mehr integrieren – die Lateinamerikaner sind untereinander mehr integriert als die Nordamerikaner, und für uns Europäer gilt das Gleiche –, und es gibt eine Reihe von Freihandelszonen, die in den letzten Jahren neu entstanden sind: zwei riesige in Südostasien – eine mit chinesischer Beteiligung, eine nicht mit chinesischer Beteiligung. Es wird also immer wieder diese sozusagen Klubs geben, aber das ist keine Antithese zur Globalisierung, weil die ja auch untereinander agieren. Möglicherweise – und vielleicht meint Professor Felbermayr das – ist es durch diesen Krieg, der jetzt leider auch in unmittelbarer Nähe stattfindet, natürlich so, dass sich neue Allianzen bilden: Indien, China versus vielleicht den sogenannten Westen. Vielleicht kommen wir auch noch dazu, das zu besprechen. Da sieht man vielleicht Allianzen, die sich untereinander vertiefen, aber auch das ist in der Geschichte der Menschheit nichts Neues.
GROẞ: Mhm. – Diese Klubs sollten ja dann auch so etwas wie etwa verbindende gemeinsame Werte haben. So ein Klub – das hat Felbermayr zum Beispiel konkret gesagt – könnte ein Klimaklub sein, also alle Länder, die gemeinsame Interessen haben, was das Weltklima betrifft. Können Sie dem etwas abgewinnen?
FREY: Ich glaube, solange wir die grundlegenden Probleme des Kapitalismus nicht beheben, werden wir weiter diese Vielfachkrisen reproduzieren. Da möchte ich noch einmal auf Sie eingehen: Es geht ja nicht darum, dass die Globalisierung nicht sozusagen jemandem genützt hätte, sondern die Frage ist doch: Wem hat sie genützt? – Dem globalen Norden hat sie genützt, und im globalen Süden wurden die Ungleichheiten massiv erhöht und außerdem die Lebensgrundlagen unterminiert. Wir stecken in einer massiven Klimakrise, und ich frage mich langsam, wo da die Antworten der Politik darauf bleiben. Also wenn wir so weitermachen, dann fahren wir mit Vollgas gegen die Wand.
GROẞ: Mhm. – Was sagen denn die Damen und Herren Abgeordneten jetzt zu diesen ersten vorgetragenen Thesen zum Thema Globalisierung?
NISS: Also ich finde es immer wieder interessant, wie sehr die Globalisierung dämonisiert wird. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Globalisierung Milliarden Leute aus der Armut und aus der extremen Armut gebracht hat. Ich glaube, im Jahr 1990 haben noch 1,7 Milliarden Menschen in extremer Armut gelebt – oder sogar 1,9 –, und jetzt sind es 700 Millionen Leute, obwohl die Weltbevölkerung gewachsen ist. Also das dürfen wir nicht vergessen. Es ist auch so, dass sozusagen – ich darf es einmal so sagen – der böse Norden ja auch investiert und dort auch, ehrlich gesagt, Standards einbringt – wir werden nachher auch das Thema Lieferketten besprechen, kann ich mir vorstellen –, sodass dort unter Standards produziert wird, wo normalerweise früher nicht produziert worden ist, wo teilweise gar nicht produziert worden ist, wo natürlich aber Standards – Umweltstandards et cetera – eingehalten werden, die auch hier dem globalen Norden entsprechend sind. Ich glaube also, man muss schon auch sehen, was hier sozusagen an eben Armut abgebaut, aber auch an Wohlstand gebracht worden ist, und das sehe ich sozusagen immer etwas ein bisschen auf die Seite gestellt oder ein bisschen vergessen beim Thema Globalisierung.
GROẞ: Mhm. – Bitte.
MATZNETTER: Ganz kurz: Kollegin Niss hat recht: Es sind Hunderte Millionen, die aus bitterer Armut geholt wurden, Sie haben aber nicht gesagt, wo und warum. Der überwiegende Teil davon, nämlich rund 800 Millionen, sind aus der Volksrepublik China. Die haben dort 200-Jahr-Programme, eine langfristige Planung, bei der man zwar ganz bewusst eine kapitalistische Marktwirtschaft zugelassen hat, aber in den wesentlichen Eckpunkten eine Komplettsteuerung macht. Und wir im Westen tun uns da oft schwer, zu verstehen, wie die Menschen so leben können, das löst aber natürlich aufgrund der gestiegenen Lebenshaltungsmöglichkeiten dort durchaus die Zustimmung der Bevölkerung aus. In vielen Punkten hat aber Kollegin Frey recht: So, wie es jetzt ist, geht es nicht weiter. Wir brauchen nur die Kernprobleme zu nennen: Wie will man Resilienz in der Europäischen Union herstellen? – Wenn es rein marktwirtschaftlich hergeht, wird das nicht funktionieren, denn warum soll jemand in der Europäischen Union ein Produkt einkaufen, wenn es das woanders billiger gibt? Das kann nur funktionieren, indem es eine vernünftige Planung dafür gibt. Detto der Klimaschutz: Der wird nicht mit marktwirtschaftlichen Mitteln allein lösbar sein, sondern da wird es notwendig sein – das sehen ja selbst die Konservativsten ein –, dirigistische Maßnahmen zu setzen – das haben wir ja: Wie muss bei Autos der Verbrauch bei der Flotte sein?, et cetera. Das heißt, wir werden uns notwendigerweise in stärkerem Ausmaß von der Laissez-faire-Form – jeder darf machen, was er will – verabschieden müssen und werden uns natürlich aus Überlebensgründen in vielen Bereichen ordnungspolitisch einschalten müssen. Das wird nicht nur bei der Energie so sein, das wird anderswo auch so sein. Nur noch ein Nachsatz, weil Kollege Rauch sagt: Die Sanktionen waren falsch. – Einen Punkt muss man an der Stelle schon sagen: Jeder, der politischer Entscheidungsträger ist, muss die Kollateralfolgen berücksichtigen. Und wenn man mit einem: Hurra!, mit Kriegstreiberei zu allem Ja und Amen sagt, was in Wahrheit von außen diktiert wird, was man gegenüber Russland tun muss, dann wird man in die unangenehme Situation kommen wie – ich habe es einmal damit verglichen – ein Bankkunde bei einem Banküberfall: Da ist böser Angreifer, der schon einen erschossen hat und die Waffe auf mich gerichtet hält. Ein anderer Bankkunde kann wohl nicht hingehen und dem ohne Erfolg aufs Knie treten. Entweder man gewinnt, oder sonst muss man deeskalieren, denn das ist lebensgefährlich. Und was haben wir gemacht? – Wir haben nur eskaliert, und das ist mit ein Problem, in dem wir jetzt stecken. Es gibt seit 2014 Sanktionen gegen Russland – wirkungslos –, die führen in brutaler Form einen Angriffskrieg gegen die Ukraine, aber wir haben keine Sekunde lang überlegt: Ist der Maßnahmenmix der richtige? – Und jetzt sitzen wir in der Bredouille. Das ist einfach kurzsichtige Politik, aber da kann man leider von Herrn Xi Jinping mehr lernen als von so manchem westlichen Politiker.
GROẞ: Mhm. – Herr Rauch.
RAUCH: Ich schließe da an, wo Herr Kollege Matznetter aufgehört hat – außer bei Xi Jinping, also da bin ich nicht so ganz d’accord. Man kann vielleicht etwas lernen, aber im Endeffekt ist es natürlich die Art und Weise, wie dort Wirtschaft betrieben wird: Ich glaube, das wäre für den Westen in dieser Art und Weise, glaube ich, nicht sehr erträglich oder auch tragbar. Es ist natürlich so: Die Sanktionspolitik gegenüber Russland, die sehr einseitig über die Jahre von 2014 bis jetzt durchgeführt wurde, hat jetzt gezeigt, dass da weder Europa noch Österreich in irgendeiner Art und Weise einen Vorteil hatte oder sich zumindest irgendwelche wirtschaftlichen Aspekte herausholen konnte. Und Österreich hat einen wesentlichen Punkt anzustoßen versäumt, in dem wir eigentlich immer Weltmeister waren: die Diplomatie, und zwar vor allem in dem Bereich, wo man – also vor allem Wien – sich hingestellt hat und sich hier immer als Zentrum von Ost und West, als diplomatischer Partner und sich vor allem auch als neutraler Raum für die Staaten dementsprechend präsentiert hat. Das alles hat man bis jetzt versäumt. Und betreffend - -
MATZNETTER: Das macht ja Herr Erdoğan jetzt.
RAUCH: Der macht das jetzt, ja, richtig. – Aber jetzt zur Globalisierung: Nehmen wir China her: Die Chinesen sind ja immer sehr einkaufswütig, und zwar in der ganzen Welt, auch in Europa, und das ist auch ein Szenario, das Österreich irgendwann betreffen kann, wenn die Wirtschaft nicht dementsprechend floriert, die Unternehmen nicht das nötige Kapital haben und die Zinsen in den nächsten Wochen und Monaten steigen, um hier auch dementsprechend Kapital für die Wirtschaft zu lukrieren. Dann stellt sich natürlich im Umkehrschluss die Frage – Frau Frey, da bin ich auch bei Ihnen –: Ist das alles in dieser Art und Weise notwendig, oder muss man natürlich auch dementsprechend schauen, dass man Produktionen auch nach Österreich holen kann/muss, Dinge hier regional entwickelt, auch alles, was die Pharmazie betrifft, alles, was die Gesundheitsversorgung betrifft? – Das hat man ja gesehen: Das beste Beispiel war ja dann die Hygiene Austria – also als negatives Beispiel, so, wie man es nicht machen sollte –, aber all das sind natürlich Themen, die hier in Österreich, in Europa für die Zukunft wesentliche Faktoren sein müssen. Was den Lösungsansatz angeht: Ich sehe ihn nicht, weder von Grün noch von der ÖVP als ehemalige Wirtschaftspartei. Die beiden Parteien sind mit sich selbst beschäftigt – die ÖVP mit der Korruption, die Grünen sind eher damit beschäftigt, dass sie jetzt ein Kohlekraftwerk aufsperren müssen; das müssen sie dann in den eigenen Reihen vertreten –, aber im Endeffekt fehlt hier wirklich dieses Leadership und vor allem die Emotion – da schaue ich in Richtung Industrie. Industrie, Wirtschaft ist Emotion, und ich sage es noch einmal: Die Emotion ist nicht gut in Österreich.
GROẞ: Frau Götze und Frau Doppelbauer.
GÖTZE: Also der Ausgangspunkt war ja die Globalisierung, und ich glaube nicht, dass man das schwarz-weiß sehen kann. Die Globalisierung ist nicht per se schlecht, aber wie sie über Jahrzehnte gelebt wurde, war vielleicht nicht ganz optimal – in dem Sinn, dass es wirklich diese Ausbeutung des globalen Südens gegeben hat – ich glaube, das ist inzwischen ja auch sozusagen Common Sense –, daher gibt es aber auch das Bekenntnis der EU, mit diesen Ländern anders umzugehen. Es wurde – nur als Beispiel – schon das Lieferkettengesetz erwähnt, mit dem wir als Europa Verantwortung übernehmen wollen für die Art, wie produziert wird, also soziale Verantwortung, aber auch für Umweltstandards. Lassen Sie mich jetzt nach Österreich zurückkehren: Auch die ökosoziale Steuerreform ist eine Form der sozialen Verantwortung und der ökologischen Verantwortung, und dieses Modell müssen wir weiter leben und ausrollen. Im Endeffekt bedeutet ja Globalisierung auch, dass Länder miteinander zu tun haben, miteinander Handel treiben, und auch das ist eine Form der Friedenspolitik, die über viele Jahre bis zu einem gewissen Grad sehr gut funktioniert hat – und leider im Moment in der Ukraine nicht. Das heißt, wir müssen uns überlegen, wie wir mit diesem Angriffskrieg durch Russland umgehen, das heißt auch, dass es natürlich Sanktionen geben muss, weil man ja nicht so tun kann, als wäre nichts gewesen. Mit einem Land, das ein anderes Land in Europa angreift sozusagen, kann man nicht weiter so wie bisher Handelskontakte pflegen. Das ist aus meiner Sicht ab 2014 nicht eindeutig genug passiert, und daher hat sich das so aufgeschaukelt, ist so eskaliert, dass wir jetzt den Scherbenhaufen aufräumen müssen. Was ich aber schon sagen muss: Was wir momentan wirklich lernen, ist Krisenmanagement – also Krisenmanagement von Corona bis zum Ukrainekrieg, und wir haben noch die Klimakrise, um die wir uns kümmern müssen. Also wir lernen wirklich, mit Krisen umzugehen, und insofern, wenn man versucht, daraus wieder etwas Positives mitzunehmen, dann ist es das: Wir sind momentan wirklich zu diesem Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen und dem Schwenk hin zu den Erneuerbaren gezwungen, und das passiert gerade ganz massiv mit leider – es wurde schon davon gesprochen – einem Wiederaufsperren eines Kohlekraftwerks. Das ist aber wirklich nur ein, sage ich einmal, kleiner Schritt zurück, aber sonst geht es in die richtige Richtung, wir werden nämlich unabhängiger von Öl und Gas.
GROẞ: Frau Doppelbauer, in der Wirtschaft gibt es den schönen Begriff des Decouplings, also der Entkoppelung der Weltwirtschaft, wenn man so will. Ist das wirklich so ein neues Phänomen oder ist das in Wirklichkeit nicht doch schon ein paar Jahre alt, wenn man an den fast möchte man sagen Schlachtruf des Donald Trump: America first, die zwei Kreisläufe von China denkt, und jetzt kommt eben auch diese neue Eiszeit mit Russland dazu. Wie gehen wir damit um?
DOPPELBAUER: Also ich glaube ja, dass es ein Lehrbeispiel ist, wie man es nicht macht, was Trump mit America first in Amerika vorgeführt hat: alte Industrieren sozusagen wieder hochleben zu lassen und Steuergelder – und das geht natürlich nur mit Steuergeldern – sehr ineffizient einzusetzen, um Industrien, die in Wahrheit niemals überlebensfähig sein werden und die auf sehr alten – teilweise alten, muss man sagen, nicht alles ist alt, aber auf sehr alten – Modellen beruhen, hochleben zu lassen. Das ist ein ganz, ganz ineffizienter Einsatz von Ressourcen und verhindert vor allem eines, nämlich das, was wir am Anfang schon gesagt haben: die Weiterentwicklung. Wenn ich jetzt das ganze Modell auf Europa oder auch auf Österreich umlege, dann, glaube ich, muss man sich wirklich von diesem kapitalismuskritischen Ansatz lösen. Warum? – Weil Kapitalismus über Jahrzehnte wirklich durchaus Wohlstand in dieses Land gebracht hat. Die Dämonisierung von Unternehmerinnen und von Unternehmern, die wir im Augenblick in ganz, ganz vielen Bereichen sehen, ist etwas, das, wie ich wirklich finde, wir aus ganz vielen Gründen sehr ernsthaft diskutieren müssen, denn wirtschaftliche Prosperität, Innovationsfähigkeit und soziale Sicherungssysteme gehen Hand in Hand. Wenn Sie die Wirtschaft nicht unterstützen, entbürokratisieren, entfesseln und in die Zukunft bringen, dann wird es sozialen Standard und soziale Leistungen, wie wir sie im Augenblick kennen, in Österreich und auch in Europa nicht mehr geben. Und ich möchte schon eines sagen, weil wir über Globalisierung geredet haben – Kollegin Götze hat da vieles gesagt, was ich unterstreichen kann und was natürlich vor allem ganz, ganz wichtig ist, wenn wir über Wohlstand reden –: Die Globalisierung hat Wohlstand gebracht. Das ist ein Faktum, und ich glaube, das wird hier auch niemand bestreiten. Was jetzt gemacht werden muss, ist eben, den nächsten Schritt zu gehen, und da ist Freihandel, wenn man ihn richtig macht, ein ganz, ganz wichtiges Thema, um als Europa wichtig und in der Geschichte zu bleiben, denn was sehen wir denn im Augenblick? – Schauen Sie sich einmal um! China wächst, wächst, wächst, die Amerikaner spielen ihr eigenes Spiel. Europa ist in der Mitte, und Europa hätte so viele Einflussmöglichkeiten, wenn es geeint nach vorne gehen würde, um zum Beispiel über Freihandelssysteme, über Freihandel Dinge zu verbessern, und da rede ich durchaus von Umweltschutz, von sozialen Standards und, und, und. Also hier diese Fantasie zu haben, man macht Reshoring, holt das alles zurück und wir in Österreich sitzen auf unserer Nussschale, ist schön, aber aus meiner Sicht leider vollkommen falsch.
GROẞ: Mhm. – Ich fürchte ja, dass wir diesen Gegensatz Kapitalismus versus Nichtkapitalismus heute im Lauf dieser Sendung nicht überbrücken können, aber ich möchte Sie, Frau Frey, schon ganz konkret Folgendes fragen. Wenn Sie sagen, dass künftig nur noch produziert und angeboten werden soll, was die Gesellschaft auch wirklich braucht, also Nahrung, Bildung, Mobilität, dann ist das ja ein klares Plädoyer für gewissermaßen ein Zurück-zum-Ursprung, aber was bedeutet denn das für ein Land wie Österreich und eine Wirtschaft, die, wie wir es gerade schon mehrmals gehört haben, so extrem exportabhängig wie die österreichische ist? – Das wäre ja vernichtend für die österreichische Wirtschaft.
FREY: Dazu möchte ich Folgendes sagen: Also es stimmt natürlich, dass die Globalisierung Wohlstand in dieses Land gebracht hat, aber eben auf welcher Grundlage? Also woher kommen denn die Seltenen Erden für die ganzen elektrischen Geräte? – Die werden ja mit Kinderarbeit hergestellt, die werden ja unter schrecklichsten Bedingungen aus dem Boden geholt, muss man sagen, und ich finde, dann zu sagen: Ja, okay, wir stützen uns dann auf die EU, die verbreitet dann die Werte mit den Handelsabkommen!, das ist ein Mythos. Die EU hat in ihren Handelsabkommen zwar schöne Worte drin, was denn die Werte betrifft – also ja, Nachhaltigkeitsstandards, ökologische Standards, Schutz der Menschenrechte –, aber das ist doch alles nichts durchsetzbar! In den ganzen Handelsabkommen, die jetzt in den vergangenen Jahren durchgesetzt worden sind, sind ja keinerlei Durchsetzungsmechanismen drin. Das mag sich mit dem Lieferkettengesetz ändern, aber was wir bisher davon gesehen haben, ist eines: Diese Lieferkettengesetze haben massive Lücken. Also ich sehe nicht, wie diese massiven Probleme, die wir haben, und besonders auch aus Perspektive des globalen Südens, da behoben werden oder angegangen werden.
GROẞ: Okay, aber meine Frage haben Sie jetzt trotzdem nicht beantwortet, nämlich: Was bedeutet das für eine kleine Volkswirtschaft wie die österreichische, die so überwiegend vom Export abhängig ist?
FREY: Ja, das kann ich Ihnen sagen: Also ich denke, wir müssen eben die Wirtschaft umbauen, sozial-ökologisch umbauen, sodass sie an den Bedürfnissen der Menschen orientiert ist. Das heißt auch, den Verbrauch von Rohstoffen, von Ressourcen hier senken, indem wir mehr Wiederverwendung, Reparatur, Recycling ins Zentrum stellen. Man kann sich das dann auch in verschiedenen Bereichen anschauen, zum Beispiel in der Energiepolitik. Da sieht man ja auch: Wie die Energiemärkte jetzt aufgebaut sind, das ist eine Schönwetterkonstruktion! Die Preise spielen verrückt, die Leute schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, wissen nicht, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen. Was jetzt wirklich ein Ansatz wäre, der sozusagen nach vorne gehen würde, wäre zum Beispiel die Bereitstellung einer gewissen Grundversorgung mit Energie für alle Menschen, den Verbrauch darüber hinaus, der Luxuskonsum, stärker zu besteuern und gleichzeitig die Übergewinne der Energiekonzerne – diese massiven Gewinne, die da jetzt generiert werden – abzuschöpfen. Das wäre zum Beispiel so ein Ansatz.
GROẞ: Okay. Weil jetzt der Begriff Energie schon mehrmals gefallen ist und auch der Wunsch nach einer eigenen Runde war – logischerweise –, möchte ich diese Runde gleich einleiten. Ich beginne mit Ihnen, Herr Löwy: Was braucht denn die Energie jetzt in Sachen Energie von der Politik an Rahmenbedingungen? Was würden Sie sich da wünschen?
LÖWY: Ja, ich glaube, es ist in dem Beitrag auch vorab schon gesagt worden, diese Energiewende wollen alle, und dass der Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen und die Abhängigkeit von russischem Gas zu reduzieren ist, ist, glaube ich, Common Sense in Österreich und wohl auch in Europa. Aber der Weg dorthin – da gibt es eben unterschiedliche Vorstellungen. Es ist einfach so, dass man gewisse Dinge nicht verordnen kann. Ich kann auch im Parlament beschließen, dass die Erde eine Scheibe ist – mit einfacher Mehrheit –, aber sie ist trotzdem rund, und über manche Dinge kann man sich nicht sofort und einfach hinwegsetzen. Das bedeutet also in dem Fall, dass wir natürlich die europäische Solidarität im Falle eines tatsächlichen Gasausfalls brauchen, weil von heute auf morgen eine 80-prozentige Abhängigkeit von Russland nicht substituierbar ist. Gleichzeitig ist es aber sinnvoll und wichtig, eben Maßnahmen einzuleiten, dass man A diese Unabhängigkeit schafft. Die schaffe ich, indem ich meine Quellen diversifiziere. Das wird ja auch versucht, dass man auf anderen Märkten einkauft.
GROẞ: Aber ist das eigentlich ausreichend, aus Ihrer Sicht, was da passiert? Wenn man sich anschaut, wir haben es gerade einmal geschafft, glaube ich, von 80 Prozent Abhängigkeit von russischem Gas auf 70 Prozent herunterzukommen. Immerhin, die Deutschen haben es geschafft, 20 Prozentpunkte jetzt in dieser kurzen Zeit schon gutzumachen. Ist das genug? Kennen Sie sich aus, auch mit den Plänen? Auch gestern war ja Ministerin Gewessler in der Zeit im Bild 2 und da ging es um die Frage, wie weit die Wirtschaft eigentlich über diese Energiezuteilungspläne Bescheid weiß. Sind Sie da integriert, eingeweiht, ist das ausreichend für Sie oder tappen Sie da im Dunkeln?
LÖWY: Ich würde gern zwei Dinge dazu sagen: Das eine ist, ich glaube, wir müssen die Verfahren beschleunigen. Also Energiewende und Energietransformation heißt, rascher sozusagen schlussendlich von diesen fossilen Brennstoffen wegzukommen, das bedeutet, Verfahren zu beschleunigen. Und wenn wir nicht in der Lage sind, die Dinge rasch umzusetzen, dann wird das nicht funktionieren. Das liegt nicht allein an Ministerin Gewessler, aber sie hat als Energieministerin eine gewisse Verantwortung für diese Dinge. Der zweite Punkt, der Teil Ihrer Frage ist: Natürlich ist es so, dass man gerne mehr verstehen würde, wer wann was bekäme im Fall des Falles. Dieser sogenannte Masterplan, über den die Industriellenvereinigung in den letzten Wochen spricht, um eben besser zu verstehen, was passiert wann wie: Da wünschen wir uns natürlich eine bessere Kommunikation mit der Bundesregierung.
GROẞ: Und was die Preise betrifft, die Energiepreise, würden Sie sich da Reglementierungen wünschen, stärkere, Deckel?
LÖWY: Also einen Deckel, den halte ich in etwa so sinnvoll wie ich die Kritik an unserem marktwirtschaftlichen System, die heute mehrfach gekommen ist, ablehne, denn schlussendlich ist sozusagen das marktwirtschaftliche Element Angebot und Nachfrage, Leistung, die ich erbringen möchte, der Motor von allen Dingen. Je mehr ich dirigistisch in etwas eingreife, umso mehr Risken schaffe ich, und das ist eigentlich nicht eine Wohlstandsvermehrung, das ist eine vermeintliche Sicherheit, die man sozusagen dann vorgaukelt, aber die dirigistischen Systeme, die wir heute in der Welt haben oder in den letzten Jahrzehnten haben, sind alles andere als erfolgreich. Also ich glaube, Venezuela ist nicht gerade das Role Model für Demokratie, Menschenrechte und wirtschaftlichen Erfolg, und die haben Energie ohne Ende; und da gibt es sozusagen noch ein paar andere schöne Staaten auf dieser Welt. Ich glaube, so schlecht sind wir nicht gefahren mit unserem marktwirtschaftlichen System. Wenn es heißt: mehr dirigistische Eingriffe!, sage ich, na ja, wir haben ja so wenige auch wieder nicht. Es gibt ja – wie soll ich sagen? – eine hohe Steuern- und Abgabenquote, die zu den höchsten in der Europäischen Union, innerhalb der OECD zählt. Also da wollen wir schon ein bisschen, glaube ich, bei der Sache bleiben. Wir geben in etwa jeden dritten Euro, den wir einnehmen, als Staat für Sozialpolitik ja auch wieder aus. Aber hier sozusagen der letzte Punkt zu dieser Fragestellung: Wir müssen das schneller machen und schlussendlich, was die Preise betrifft, keine Deckelung.
GROẞ: Aber was tun wir denn tatsächlich, wenn das russische Gas ausbleibt? Wir erleben das ja gerade unter der Ausrede, dass es offensichtlich technische Probleme gibt. Es landet ja von russischer Seite immer weniger Gas jetzt auch in Europa. Wer sagt denn, dass wir tatsächlich im Winter nicht einfach dann ohne Gas dastehen, Frau Niss?
NISS: Na ja, also ich glaube, hier gibt es auch kurz-, mittel- und langfristige Punkte dazu.
GROẞ: Ja, aber da geht es um kurzfristige.
NISS: Ich wollte gerade sagen – das Thema kurzfristig ist natürlich eines –, dass wir einerseits versuchen, jetzt – und das auch in der Vergangenheit, die letzten Wochen, schon gemacht haben – die Speicher aufzufüllen. Da sind wir jetzt mittlerweile auf fast 60 Prozent. Da hilft uns natürlich in dieser Hinsicht, Haidach sozusagen auch wieder anschlussfähig an das österreichische Netz zu machen et cetera. Aber natürlich wird es auch Maßnahmen in Richtung andere Energiequellen geben müssen, wie LNG et cetera. Das wird natürlich jetzt auch diskutiert, also ich glaube, das ist natürlich etwas Wesentliches. Herr Löwy hat vorhin den europäischen Solidaritätsmechanismus angesprochen, der ja auch beschlossen wurde. Österreich ist hier besonders abhängig von russischem Gas, also insofern ist natürlich hier die Regelung, dass im Notfall da auch eingesprungen wird oder es eine Solidarität innerhalb der Europäischen Union gibt. Die Europäische Union ist eine Solidaritätsunion, hier ist das notwendig. Aber ich glaube, gleichzeitig müssen wir uns natürlich Gedanken machen: Wie schaffen wir trotzdem eine relativ – und da sind wir beim Mittelfristigen – rasche Diversifizierung? Da sind die Erneuerbaren natürlich einerseits notwendig, aber andererseits, glaube ich, für uns auch eine Chance, nämlich weil wir auch sozusagen die Mechanismen - -, die Industrie in dieser Hinsicht natürlich auch eine Möglichkeit wiederum für den Export ist, wenn Österreichs Industrie hier mitspielt. (MATZNETTER: Das ist blauäugig!) Was, glaube ich, aber hier wirklich wesentlich ist – es wurde schon angesprochen –, ohne das schaffen wir es nicht: Wir brauchen schnellere UVP-Verfahren. Wir schaffen es nicht, bis 2030 die Ziele zu erreichen, die wir auch im Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz haben, wenn wir nicht schneller die ganzen Genehmigungen erteilen, die wir für diesen Ausbau brauchen; und das ist, glaube ich, wesentlich. Dann liegen für die Industrie hier große Chancen.
GROẞ: Es sind jetzt eh quasi alle zu Wort gemeldet. Frau Doppelbauer war die Nächste. Ich komme zu Ihnen auch gleich. – Bitte.
DOPPELBAUER: Weil eben das Energiethema gerade genannt worden ist: Also wir sind auch nach wie vor zu 80 Prozent von russischem Gas abhängig. Die 70 Prozent, die Sie hier genannt haben, würden nur dann richtig sein, wenn wir schon unsere Gasreserve eingekauft hätten, die wir nicht eingekauft haben; also die gibt es im Augenblick noch nicht. Wir haben auch nicht 60 Prozent unserer Gasspeicher befüllt, sondern 60 Prozent ist genau ein Speicher, das ist der OMV-Speicher, die sind 60 Prozent voll. Das Problem, das im Augenblick besteht, das ist eben: Was kann man kurzfristig machen? – Das ist das, was ich ab Tag eins, nachdem diese Krise losgegangen ist, auch in allen Energieausschüssen und in den Wirtschaftsausschüssen immer wieder gefordert habe, nämlich sofort zur OMV zu gehen, die Leitungskapazitäten über die OMV zu buchen und zu schauen, was noch zu kriegen ist. Die OMV, und das wissen viele nicht, hat eine Beteiligung an einem norwegischen Gasfeld. Das wäre Gas gewesen, das hätten wir uns holen können. Inzwischen sind diese Kapazitäten, so sagen Experten, kurzfristig nicht mehr verfügbar. Das heißt, das norwegische Gas dürfte für den nächsten Winter weg sein. Dann haben wir das Nächste: Die OMV hat - - Und ich möchte auch daran erinnern, dass die Republik an der OMV zu 31,5 Prozent immerhin beteiligt ist und da durchaus auch für Versorgungssicherheit sozusagen diese Beteiligung ja hat. Es hätte die OMV auch in Rotterdam ein LNG-Terminal. Dieses Terminal gibt es zwar, aber auch hier sind die Kapazitäten offenbar im Augenblick nicht verfügbar, sagt Frau Bundesministerin Gewessler. Das heißt, zwei Dinge, zwei Infrastrukturen, die wir gehabt hätten, die wir hätten nützen können, können wir kurzfristig nicht für Österreich verfügbar machen. Da kommt natürlich dann die gesamte Diskussion, die jetzt zwar nicht kurzfristig ist, aber auf der wir als NEOS bestehen und beharren werden: Wie kam es zu dieser Abhängigkeit? Die ist nicht vom Himmel gefallen. Die ist hausgemacht und die ist nur in Österreich so. Und warum? Weil wir hier sehr russlandfreundliche Manager in die OMV geholt haben, weil es willfährige Politiker gab, die das alles unterstützt haben, und weil natürlich die Wirtschaftskammer dahinter war, dass man das alles auch so macht. Also das heißt, diese Abhängigkeit, die wir jetzt haben, die muss sich Österreich selbst zuschreiben, und da müssen wir jetzt ganz dringend raus. Kurzfristig wird das aber sehr schwierig. Es war auch gestern – ein letzter Satz noch dazu – in der „ZiB 2“ der ehemalige Geschäftsführer der E-Control zu Wort gemeldet, und der hat gesagt: Kurzfristig können wir als Österreich gar nichts mehr machen. Wir müssen uns jetzt auf die EU verlassen und hoffen, dass die EU uns jetzt über die Gaslieferungen unterstützt. – Das finde ich eine dramatische Situation; wollte ich nur kurz ausführen.
GROẞ: Vielen Dank. – Bitte sehr, Frau Götze.
GÖTZE: Na ja, ich möchte schon sagen, dass in den letzten Monaten sehr viel passiert ist. Wir haben das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz beschlossen, wir haben das Erneuerbare-Wärme-Gesetz beschlossen beziehungsweise ist in Begutachtung, das Energieeffizienzgesetz, auf das warten wir dringend.
GROẞ: Müsste schnellstens umgesetzt werden, genauso wie das - -
GÖTZE: Genau. Was auch noch ansteht – ich möchte das schon sagen –, ist das Klimaschutzgesetz, wo ich ganz dringend hoffe, dass wir auch da rasch ins Tun kommen mit unserem Koalitionspartner. Ich schaue auch jetzt unseren Koalitionspartner an sozusagen, weil das die Industrie unterstützt zur Transformation, und ich glaube, das ist etwas, was wir zeitgleich mit all diesen Knappheiten mitdenken müssen. Also nicht nur: Wo bekommen wir Gas her, damit wir diese Situation überbrücken? Das ist natürlich wichtig und deswegen gibt es jetzt Krisenpläne – und die Ministerin ist selbstverständlich im Austausch mit den Industriebetrieben, und das wissen Sie natürlich auch, Herr Löwy. Es ist wichtig, dass wir die Industrie auch unterstützen, dass sie umsteigen kann, zumindest einmal auf Strom. Daher haben wir jetzt auch ein Unterstützungspaket für Industriebetriebe, das den Ersatz von Gas durch Strom ermöglicht und dann wirklich die Transformation zur erneuerbaren Energie inklusive Wasserstoff natürlich in den Industriebetrieben. Was ich auch noch erwähnen möchte, ist: Es geht aber immer auch um Kreislaufwirtschaft. Das hat mit Energie natürlich bedingt zu tun, aber trotzdem, weil angesprochen wurde, wo wir denn unsere Ressourcen herbekommen, und sie werden nicht weniger, wir verbrauchen immer mehr. Natürlich, grundsätzlich gilt Kreislaufwirtschaft beziehungsweise geht es im Energiebereich auch darum, Energie einzusparen und einfach weniger zu verbrauchen, beispielsweise in der Mobilität, indem wir eine andere Form der Mobilität wählen, in Immobilien, indem wir die Häuser besser isolieren und so weiter. Da ist also ganz viel zu tun, aber es geht nicht von heute auf morgen, und wir sind an allen Ecken und Enden dran, das muss ich wirklich sagen.
GROẞ: Okay. – Herr Rauch.
RAUCH: Ja, das ist jetzt schwierig, darauf zu antworten, denn das war viel Sand in die Augen bei Ihren Wortmeldungen – ganz, ganz offen und ehrlich. Deswegen werden die Haushalte im Herbst nicht warm sein, deswegen wird die Industrie kein Gas haben, deswegen werden wir auch nicht mehr Strom haben, bei all diesen gesetzlichen Maßnahmen, die Sie jetzt ins Leben gerufen haben. Jetzt geht es wirklich darum, Entscheidungen zu treffen und diese Entscheidungen auch für die Haushalte, für die Bürger in Österreich und vor allem auch für die Wirtschaft und Industrie. Diese Sicherheit vermitteln Sie nicht – das ist das Hauptproblem. Da hilft es auch nichts, jetzt in Richtung des Koalitionspartners zu schieben, wer wo schuld ist; also dass diese Harmonie in dieser Art und Weise nicht mehr gegeben ist, das wissen wir eh schon länger. Trotzdem jetzt zu den Tatsachen: Frau Doppelbauer hat das eigentlich sehr, sehr gut auf den Punkt gebracht. Es fehlt das Leadership vom Anfang bis zum Ende. Wir hatten Möglichkeiten, über die OMV Reserven zu buchen, wir hatten Möglichkeiten, hier auch norwegisches Gas zu buchen – das wäre alles mit März, April möglich gewesen. Was ist natürlich jetzt passiert? – Jetzt haben wir Mitte Juni und im Endeffekt sind alle Kapazitäten erschöpft, und wir müssen uns jetzt darauf verlassen, dass die Europäische Union solidarisch ist; genau. Also ich bin gespannt, ob die deutsche Wirtschaft dann hergeht und sagt: Ich sperre Mercedes zu, ich sperre Audi zu, ich sperre BMW zu – wenn wir nur in der Automobilindustrie sind –, damit es in Österreich jetzt vielleicht in dem einen oder anderen Haushalt warm wird. – Das wird sich so in dieser Art und Weise nicht spielen. Haidach war auch ein Thema. Das haben wir zwar letzte Woche beschlossen, das ist richtig, aber es ist ja immer noch die Frage, ob Gazprom auch diesen Gasspeicher füllen wird. Was ist denn die Sanktion, wenn die den nicht füllen? Warum sollten sie, na warum sollten sie diesen auch füllen? Was ist die Konsequenz? Es gibt ja im Endeffekt nicht einmal eine Konsequenz (NISS: Dass wir ihn befüllen!), und gleichzeitig ist Haidach noch nicht einmal ans österreichische Netz angeschlossen. – Das ist das eine Problem. Das nächste – wenn wir auch von Strom reden und von den schnelleren Verfahren, das ist alles recht und schön –: In Oberösterreich gibt es ein Unternehmen, sehr industriell – Oberösterreich baut insgesamt 150 Windkrafträder in den nächsten Jahren –, und nur für dieses eine Unternehmen – die Voest, nennen wir es beim Namen – bräuchte man, um energieautark zu werden, über erneuerbare Energien 1 500 Windräder – nur für dieses eine Unternehmen! Also bitte endlich einmal realistisch werden, den Menschen auch die Wahrheit sagen! Die Erneuerbaren sind wichtig, aber sie werden nicht der Weisheit letzter Schluss sein, um diese Art und Weise der Wirtschaft, wie wir sie jetzt kennen - - Frau Frey, da mag ich durchaus bei Ihnen sein, es wird da Veränderungen geben, aber dann wird sich das massiv ändern müssen. Entweder schaffen wir es jetzt, dass wir diese Ressourcen, die wir bis jetzt vergeudet haben, aufgrund von ideologischen Versäumnissen, auf der einen Seite - -, oder wir schaffen es, dementsprechend hier einen Kompromiss zu finden, sowohl in der Sanktionspolitik als auch in der Energiepolitik.
GROẞ: Okay. Wenn es dazu jetzt nicht unbedingt mehr - - (MATZNETTER: O ja! Das ist ein Niveau!) – Dann heben Sie das Niveau, bitte, Herr Matznetter.
MATZNETTER: Nein, ich finde das nicht verantwortlich gegenüber unseren Zuseherinnen und Zusehern, dass jeder mit irgendwelchen Geschichten kommt. Bleiben wir doch auf der Faktenlage! Wir haben einen Energiebericht des Gewessler-Ministeriums. Wir haben dort letzte Zahlen, die das Ministerium veröffentlicht – 2020er-Zahlen –: einen Bruttoinlandsverbrauch von 1 347 Petajoule. Das führt dann zu einem energetischen Endverbrauch nach der Umwandlung von 1 055. Von diesem entfällt wieder, und das ist das Entscheidende, der Großteil, nämlich 1 358, auf Importe. Es ist lächerlich, geradezu absurd, zu sagen, innerhalb von fünf Jahren stellen wir das alles um. Die gesamte erneuerbare Energie, die wir haben, ist ungefähr 500 Petajoule, da ist aber schon die Wasserkraft drinnen. Ich weiß nicht, das ist eine irrsinnige Anstrengung, die wir haben, und wir liegen leider als Österreich ziemlich weit im Norden, was den Nachteil hat, dass die Sonnenstrahlen ziemlich flach bei uns einströmen. Das heißt, die Gesamtanstrengung, die wir für die Klimapolitik machen, muss eine globale sein und muss eine gemeinschaftliche sein. Wir werden es hier nicht lösen können. Und dann das Gerede: Dort hätten wir Gas in Katar kaufen können. – Jetzt will ich über die Menschenrechtssituation in Katar nicht reden, aber jetzt kaufen wir – beim Öl geht es ja noch, weil das kann man verschiffen und im Tanker bringen – in Saudi-Arabien? Die führen seit fünf Jahren einen Krieg im Jemen mit 380 000 Toten und dann sind sie die Good Guys, weil sie die Waffen im Westen kaufen? – Das stört mich so, diese irreale Sicht. Wir haben keine LNG-Terminals. Es ist auch nicht möglich, weder Pipeline noch LNG, innerhalb von einem Jahr oder zwei Jahren herzustellen, das geht technisch nicht. Wir haben ein Riesenproblem – die Wirtschaft, die Industrie, die Haushalte –, wir sind in einer echten Krisensituation, wenn dieses Gas abgedreht wird. Wer macht Schritte, um das Abdrehen zu verhindern? Ist das der Fall? Hat man sich es vorher überlegt, bevor man die Maßnahmen setzt? Hat man nachgedacht? – Das ist unglaublich!
GROẞ: Aber genau das wäre das Stichwort jetzt für den nächsten Film, den ich gerne mit Ihnen anschauen würde. Wir haben uns eine Industrie herausgesucht, die besonders energieintensiv ist und die in der momentanen Situation besonders leidet, das ist die Papierindustrie. Das Papiergeschäft ist ja ein hochkomplexes, auch wenn sich die Herstellung von Papier seit der Erfindung vor etwa 2 000 Jahren vom Prinzip her wenig verändert hat. Neues Papier zu produzieren, kostet eben viel Energie, und die ist Moment teuer und irgendwie, wie wir gemerkt und besprochen haben, nur begrenzt vorhanden. Das ist die eine Seite. Die andere heißt aber Innovation: Mit beachtlichem Forschungsaufwand arbeitet die Papierindustrie auch in Österreich seit Jahren an einer möglichst optimalen Nutzung des Rohstoffs aus dem Wald bis hin zur Fernwärme für Haushalte in der Umgebung von Papierfabriken. Vielleicht ein Beispiel auch für andere Branchen.
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Es folgt eine Videoeinspielung:
Sprecher: Seit 400 Jahren wird am Standort Gratkorn bei Graz Papier produziert. 1 Million Tonnen sind es pro Jahr. Nach der Pandemie steht die Branche jetzt allerdings vor neuen Herausforderungen. Der Ukrainekrieg und seine Folgen machen ihr zu schaffen, denn die Herstellung von Papier ist sehr energieintensiv und ohne Gas nicht möglich.
Max Oberhumer (Geschäftsführer SAPPI): Die Coronakrise haben wir gut bewältigen können. Insgesamt ist die Industrie hier ganz gut durchgekommen, natürlich mit Einschränkungen und zusätzlichen Schwierigkeiten, aber das Ganze wurde verstärkt dann durch die große Sorge der Gasversorgung. Der erste Schritt war ja die enorme Verteuerung des Gases. Gas kostet für uns heute das Fünffache wie vor einem Jahr. Das kann man sich schwer vorstellen. Das ist so, wie wenn Sie zur Tankstelle fahren und für den Liter Benzin dann 8 Euro zahlen statt 2 Euro oder 1,50. Damit muss die Industrie zurechtkommen. Es ist aber noch viel kritischer, überhaupt kein Gas zu bekommen. Also teures Gas macht uns Schwierigkeiten, überhaupt kein Gas stellt uns vor fast unlösbare Probleme.
Sprecher: Denn dann müssten im Worst Case die Maschinen abgestellt werden. Zurzeit wird nämlich die Energie für die Papierproduktion zu 60 Prozent aus Biomasse und zu 40 Prozent aus Gas gewonnen, doch Sappi hat bereits vor der Krise begonnen, von Kohle auf Biomasse umzustellen und ist jetzt klar im Vorteil. Mit diesem Biomassekessel will man weg von den fossilen Energien zu erneuerbarer Energie kommen. In wenigen Wochen soll der Kessel bereits in Betrieb gehen.
Christian Rath (Projektleiter SAPPI): Er wird jetzt am Beginn mit Erdgas in Betrieb genommen. In der näheren Zukunft, ab Juli, wird auch Biomasse schon zugefördert. Die Biomasselinie wird somit in Betrieb genommen, aber es ist so, dass wir die ersten zwei bis drei Jahre nur einen geringeren Anteil an Biomasse zubringen, circa ein Drittel der Brennstoffwärmeleistung, und in einem weiteren Ausbauschritt der Biomasselogistik eben auf 100 Prozent Biomasse umstellen werden.
Sprecher: Insgesamt wird man in rund zwei Jahren also zu einem sehr großen Teil auf Bioenergie umsteigen können. Der Betrieb der Papiermaschine ist allerdings so energieintensiv, dass ein Betrieb mit ausschließlich erneuerbarer Energie noch nicht möglich ist. Ganz ohne Gas geht es somit noch nicht.
Christian Rath: Für die Papierproduktion brauchen wir mindestens 10 Prozent an den Papiermaschinen, das ist eine technologisch wichtige Einrichtung zur Trocknung der Papierbahn.
Sprecher: Sappi setzt also alles daran, auch weiterhin Gas zu beziehen – nicht zuletzt deshalb, weil die Fabrik auch 15 000 Haushalte in der Umgebung mit Fernwärme versorgt.
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GROẞ: Und hier sind wir wieder im Studio von Politik am Ring. Herr Löwy, wie sehen denn Sie als Vertreter der heimischen Industrie eigentlich die Rolle Österreichs, wenn wir etwa diese innovativen Ansätze sehen, die es da gibt? Haben wir zum Beispiel eine Chance, uns da ganz konkret in eine Nische hineinzusetzen?
LÖWY: Ich glaube, wir haben eine große Chance, und wir sitzen ja global auch sehr erfolgreich in sehr vielen Nischen. Also es gibt in der österreichischen Wirtschaft mit der genannten hohen Exportquote eine Reihe von Betrieben, die global tätig und sehr erfolgreich sind – in Umwelttechnologien, sozusagen die Speerspitze vieler Überlegungen, wenn es um Wasseraufbereitung und Müllverarbeitung geht, aber genauso gut bauen wir die besten Schienen der Welt: Wir haben eine der wettbewerbsfähigsten Bahnindustrien der Welt, was man vielleicht in der Öffentlichkeit nicht so weiß. In sehr vielen industriellen Fertigungen spielen wir in der obersten Liga der Welt mit, darauf können wir auch ein wenig stolz sein, aber es geht natürlich darum, dass wir diese Wettbewerbsfähigkeit behalten, denn das ist sozusagen die Voraussetzung für die hohen sozialen Standards in Österreich.
GROẞ: Was braucht es, um diese Wettbewerbsfähigkeit zu behalten?
LÖWY: Na ja, ich glaube, es gibt dabei drei entscheidende Faktoren. Jetzt kann man sich sozusagen in Details hineinbegeben, aber das Erste ist natürlich Ausbildung, Bildung, qualifizierte Arbeitskräfte, Fachkräfte, also junge Leute auch dafür zu motivieren, sich für Mathematik, Physik und diese Dinge zu interessieren; also ich bleibe bei dem Ausdruck der Ausbildung und Qualifikation. Das Zweite ist natürlich, nach wie vor einen hohen Anteil in Forschung und Entwicklung zu geben. Der Motor unserer Innovationskraft ist Forschung und Entwicklung: Ob das Programme der Industrie selbst oder des Staates sind, es geht darum, dass man die gut miteinander kombiniert. Und das Dritte ist natürlich auch die Fragestellung: Sind wir, was Lohnabgaben, was Steuerpolitik betrifft, auch sozusagen wettbewerbsfähig? Denn wir sind ein Hochsteuerland und unserer Ansicht nach sollten wir uns im europäischen Mittelfeld, im europäischen Schnitt und im OECD-Schnitt befinden. Das tun wir nicht, wir müssen also weiter mit unserer Steuerbelastung herunterkommen.
GROẞ: Frau Frey, jetzt ist in den letzten Jahren ja seit Beginn der Pandemie sehr viel von diesem Region-to-region-Ansatz die Rede gewesen, also dass man eine Regionalisierung beziehungsweise Lokalisierung der gesamten Wertschöpfungskette – Einkauf, Produktion, Forschung und Entwicklung, Verkauf und so weiter und so fort – erzielt. Ist das etwas, was Sie auch vertreten, wo Sie mitkönnen?
FREY: Ja, also es macht auf jeden Fall Sinn, die Transportwege zu reduzieren, weil der Transport ja auch einen massiven Beitrag zu den CO2-Emissionen leistet. Und ich denke, es braucht halt nicht nur eine Regionalisierung und freie Hand für die Unternehmen, sondern auch eine öffentliche Steuerung, öffentliche Kontrolle der Konzerne, der Unternehmen. Es stimmt auch nicht, dass Österreich ein Hochsteuerland ist. Die Steuersätze für Unternehmen sind in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken. Es ist mittlerweile angekommen, dass es sich nicht ausgehen wird. Dafür geht unsere Generation seit Jahren jeden Freitag auf die Straße: Wir versuchen, irgendwie eine Aufmerksamkeit auf dieses Debakel zu lenken. Und ich denke, Sie alle haben die Aufgabe, die Menschen zu vertreten, und deswegen muss an erster Stelle immer die Frage stehen: Was ist das öffentliche Interesse? – Das öffentliche Interesse ist, die Versorgung der Menschen, die Versorgung mit gesunden, leistbaren Lebensmitteln, die Versorgung mit Energie, die Versorgung mit Wohnraum sicherzustellen. Es ist ganz klar, wer für diese Transformation zahlen muss: Das sind die Konzerne und die Reichen. Die Konzentration von Reichtum ist auf ein unermessliches Ausmaß gestiegen – das kann man sich nicht vorstellen. Der reichste Mann der Welt besitzt 300 Milliarden Euro – das ist eine Summe, die für mich unvorstellbar ist. Und das ist ja der Ausdruck dieser Krise, in der wir stecken: Es gibt immer mehr Umverteilung von unten nach oben, es gibt immer mehr Naturausbeutung, Naturzerstörung.
GROẞ: Weil Sie die Konzerne angesprochen haben: Heißt das ganz konkret Vermögenssteuern, oder in welche Richtung denken Sie da?
FREY: Ja, Vermögenssteuern, Unternehmenssteuern, also da ist sehr viel Spielraum. In Österreich haben wir keine Vermögenssteuern. Das heißt, da frage ich mich: Wo bleibt die Politik? Warum tappen Sie sozusagen nicht endlich in die Quellen, die da sind?
GROẞ: Machen wir vielleicht einmal die Probe aufs Exempel. Fragen wir gleich: Wer in der Runde könnte sich Vermögenssteuern vorstellen? Herr Matznetter?
MATZNETTER: Wir wollen für Millionenvermögen selbstverständlich eine Vermögensbesteuerung und vor allem auch eine Erbschaftsbesteuerung. Es gibt nichts Leistungsfeindlicheres, als dass man eine Art Geburtslotterie gewinnt und dann ohne Beitrag einen Vermögenszuwachs hat, nur weil man Millionäre oder gar Milliardäre als Eltern hat. Ganz ehrlich: Das ist nicht einzusehen, denn die Geburt ist keine Lotterie, und da muss man abschöpfen. Selbst Länder wie die USA und andere schöpfen da natürlich ab, weil es ja keine Leistung ist, sondern nur einfach damit zu tun hat, woher du abstammst. Da gehört ehrlich gesagt was gemacht.
GROẞ: Stichwort Abschöpfung: Das führt mich zur Gewinnabschöpfung von Übergewinnen. (MATZNETTER: Übergewinne gehören abgeschöpft!) Wer ist denn dafür?
MATZNETTER: Unbedingt – wie im Ersten Weltkrieg, wie im Zweiten Weltkrieg: Du kannst nicht zulassen, dass ein paar Raubritter auf Kosten der Not der Bevölkerung ohne Ende mitschneiden. Großbritannien hat abgeschöpft - ‑
GROẞ: Aber das heißt, der Verbund ist in Ihren Augen ein Raubritter?
MATZNETTER: Entschuldigung, wenn es ein System gibt, in dem ich null Cent Mehrkosten habe und die Kilowattstunde um den vierfachen Preis verkaufe, muss abgeschöpft werden. Das kann nicht in der Tasche der Aktionäre verschwinden.
GROẞ: Aber wäre es dann nicht sinnvoller, den Strompreis endlich zu entkoppeln?
MATZNETTER: Na ja, vielleicht könnten wir ihn auch regeln. Die Kroaten haben jetzt zumindest beim Treibstoffpreis angefangen. Die Franzosen haben noch früher - ‑ Natürlich, auch das könnte man machen.
GROẞ: Das machen übrigens auch die Schweizer, glaube ich, den Strompreis zu regeln. Frau Götze, warum sind Sie dagegen?
GÖTZE: Gegen was?
MATZNETTER: Gegen eine Strompreisregelung.
GROẞ: Gegen Strompreisregelung beziehungsweise auch Gewinnabschöpfung.
GÖTZE: Was wir gemacht haben, ist, dass wir die Menschen, die sozusagen geringe Einkommen haben, besonders unterstützen, damit sie sich das Leben leisten können. Was, glaube ich, nicht möglich ist, ist, dass man bei Energie oder Lebensmitteln die Preise senkt oder kontrolliert – weil sich auch in anderen Fällen, zum Beispiel in Deutschland, gezeigt hat, ist, dass die Preise dann trotzdem nicht sinken, sondern die Unternehmen das erst wieder einsammeln. Auch in Spanien hat es nur bedingt oder eigentlich nicht funktioniert, und man muss sagen: Spanien ist ja ein abgegrenzter Markt, also dort kann man den Strompreis regulieren. Bei uns ginge das nicht, der würde ja auch zum Teil ins Ausland abfließen, wie das - - (MATZNETTER: In Spanien hat es besser funktioniert!)
GROẞ: Frau Frey, Sie wollten etwas einwenden?
FREY: Ich will fragen: Warum ist das nicht möglich? Und warum setzen Sie sich dann nicht auf EU-Ebene dafür ein, dass auch dort die Regeln geändert werden, sodass es den Menschen zugutekommt?
GÖTZE: Also wofür wir uns zum Beispiel ganz stark einsetzen, ist, dass es eine Mindeststeuer für globale Konzerne gibt. Ich hoffe, dass die sehr rasch kommt. Da ist von 15 Prozent Mindeststeuer die Rede, und ich glaube, das wäre wirklich auch eine große Entlastung für die heimischen Betriebe. Vielleicht sollten wir darüber reden, was man denn für ein gutes Leben braucht. Ich glaube, was die Menschen für ein gutes Leben brauchen, ist leistbares Wohnen – das wurde schon angesprochen, und da gibt es sicher auch noch auch Verbesserungsbedarf –, aber sie brauchen auch eine gute Nahversorgung. Und gute Nahversorgung ist das, was die heimischen Betriebe liefern, und die sind derzeit nicht ausreichend wettbewerbsfähig, vor allem in der Pandemie hat sich das gezeigt, weil die Menschen halt bei Amazon oder sonst wo bestellen, und diese Konzerne nicht im gleichen Wettbewerb stehen. Und da sind wir ganz klar für eine Besteuerung.
GROẞ: Okay. Ganz kurz Herr Rauch noch, und dann wechseln wir das Thema.
RAUCH: Frau Kollegin, ganz ehrlich, Sie reden um den heißen Brei herum. Im Endeffekt sind wir mitten in der Krise. Die Menschen erwarten sich Antworten. (GÖTZE: Genau!) Was Sie jetzt machen, ist im Endeffekt nur, den Menschen Sand in die Augen zu streuen. Und der wichtige Punkt wäre ja genau jetzt – vor allem der Verbund ist ja das beste Beispiel: kein einziger Cent an Mehrausgaben, kein einziger Cent an Mehraufwand und der Preis steigt um das Vierfache –, da die Übergewinne abzuschöpfen und entweder von Haus aus dem Kunden zur Verfügung stellen, indem er einen geringeren Preis bezahlt, oder den Preis so oder so zu deckeln. Ich muss den Strompreis deckeln, so wie ich auch den Spritpreis deckeln muss. In dieser Art und Weise wird es sich die Wirtschaft, werden es sich die Bürger in den nächsten Wochen und Monaten – vor allem bis zum Ende des Jahres – nicht mehr leisten können. Wenn dann im Frühjahr kommenden Jahres 2023 die Endabrechnung, vor allem die Jahresabrechnung vom Strom, kommt, dann werden viele erst aufwachen. Und diese ganzen tröpfchenweisen Unterstützungen, die Sie von der Regierung den Bürgern jetzt gönnerhaft zur Verfügung stellen, das ist das Letzte, was es überhaupt gibt. Ich habe 1 500 Euro mehr an Einnahmen und gebe dem Bürger 800, 900 Euro zurück. Also wer ist der Gewinner? Ganz ehrlich, wer ist der Gewinner? – Der Bürger nicht. Im Endeffekt ist das, aufgrund der Hochsteuerbelastung, der Staat und im Endeffekt sind das auch die Konzerne.
NISS: Ganz kurz nur zum Thema Gewinnsteuerabgabe oder wie auch immer man es bezeichnen will: Ich glaube, der Verbund hat jetzt einiges gemacht. Er hat erstens eine Sonderdividende ausgeschüttet, er gibt teilweise den Strompreis - ‑ (RAUCH: An wen? An die Aktionäre?) – An den Bund, und der Bund gibt es natürlich sozusagen auch weiter. Das Zweite - ‑ das Zweite ist - - (MATZNETTER: Der kriegt nur 31 Prozent! – RAUCH: 31 Prozent! Und die 70?) – Darf ich vielleicht einmal ausreden? (MATZNETTER: Ich glaube, Nehammer hat Recht!) Das Zweite ist, dass er Stromrechnungen auch sozusagen erlässt – für zwei Monate und in Härtefällen für vier Monate –, und das Dritte ist natürlich auch, dass der das Geld verwendet, um in die erneuerbare Energie zu investieren, und das müsste ansonsten auch der Staat. (RAUCH: Das greift ja nicht jetzt!) – Na ja, aber es ist trotzdem notwendig. Ich glaube, das ist schon etwas Wichtiges, und kombiniert mit den Maßnahmen, die die Regierung jetzt setzt – in viele Richtungen, mit den einzelnen (RAUCH: Goodies, ja!) Boni et cetera, aber natürlich auch mit der Abschaffung der kalten Progression et cetera –, werden hier natürlich Maßnahmen gesetzt, die der Unterstützung der Bevölkerung zugutekommen. Und ich glaube, da sind die Pakete schon, die letzten drei Pakete, die wir gesetzt haben, eine massive Unterstützung der vulnerablen Bevölkerung, der Familien, et cetera – alles Themen, die meiner Meinung nach schon wichtig sind und bei denen auch richtig eingesetzt wird. Ein Punkt, den ich aber auch noch erwähnen wollte, zum Thema vorhin: Was notwendig ist, ist einerseits leistbarer Wohnraum, ja, aber was auch notwendig ist, sind Arbeitsplätze. Das brauchen die Leute. Die Leute brauchen Arbeit, und dafür brauchen wir wettbewerbsfähige Unternehmen. Und deswegen ist - ‑ (RAUCH: Die auch Energie haben! Die brauchen ja Energie! – MATZNETTER: Und geringere und billigere!) – Da bin ich natürlich auch bei Ihnen, aber die Diskussion haben wir vorhin gehabt. (RAUCH: Ohne Energie wird es keine Unternehmen geben!) Aber dafür brauche ich wettbewerbsfähige Unternehmen. Dafür muss ich das Thema Lohnnebenkosten herunterbringen (RAUCH: Dazu auch bei Ihnen!) dafür brauche ich aber auch nicht mehr Besteuerung in Österreich. Du kannst jetzt sagen, die Körperschaftssteuer ist mit 25, die auf 23 Prozent - - Da gibt es billigere.(MATZNETTER: Aber keine erfolgreichen!) Also ich glaube, da jetzt wieder stärker zu besteuern, bringt uns sicher nicht mehr Wettbewerbsfähigkeit. Und im Endeffekt ist es ganz ehrlich gesagt so, dass die Unternehmen dann irgendwann auch abwandern. Die sind mit Österreich nicht verheiratet. (MATZNETTER: Und zwar nach China, wo es höhere Steuersätze gibt!) Ich glaube, das muss schon auch einmal ganz klar gesagt werden, weil immer wieder höhere Steuern et cetera gefordert werden. (MATZNETTER: Nach Indien, wo es höhere Steuersätze gibt. Wohin gehen die? – DOPPELBAUER: Osteuropa!) Das bringt uns im Endeffekt nichts, weil die Unternehmen abwandern und die Arbeitsplätze verloren gehen. (MATZNETTER: Erstaunlich! Vietnam, höhere Steuersätze! Das ist ja alles abseits der Wirklichkeit!)
GROẞ: Frau Doppelbauer, wenn Sie sagen Osteuropa: Wo gehen sie hin? In die Slowakei oder wohin?
DOPPELBAUER: Auch die Slowakei wird übrigens schon von einigen Unternehmen als nicht mehr so günstig angesehen, und wenn Sie sich die Industrie anschauen, dann sehen Sie, dass die eher Richtung Bulgarien, Rumänien, Marokko und, und, und unterwegs ist. Also ich möchte nur einmal sagen, dass man da schon auch ein bisschen - - Also wir sollten da nicht in eine populistische Diskussion kommen. Die Industrie kann abwandern, auch der Mittelstand kann abwandern – und da sollten wir uns wirklich darauf verständigen: Arbeitsplätze sind etwas unglaublich Wichtiges, um den Wohlstand in diesem Land aufrechtzuerhalten. Worüber wir wirklich sprechen sollten, ist Bildung, ist Forschung, ist Transformation der Unternehmen, damit dieser Wohlstand, den wir in Europa haben, auch in Zukunft noch da ist, und damit wir den auch exportieren können. Das wäre mein Wunsch.
GROẞ: Wir haben trotzdem noch ein Thema, das uns im Moment beschäftigt – und wir haben ja ohnedies die ganze Zeit schon indirekt darüber gesprochen –: das Thema Inflation, Inflationsbekämpfung. Herr Löwy, was muss die Politik tun, damit die Industrie eher wettbewerbsfähig bleibt? Es gibt ja viele Leute, die schon vor einer Stagflation warnen, also dass die Wirtschaftskraft sinkt, beziehungsweise wir in eine Rezession hineinkommen, aber gleichzeitig die Inflation noch immer weitergeht. Was würde das bedeuten und wie kann man dagegen ankämpfen?
LÖWY: Ich glaube, das Thema Inflation hat ja viele Ursachen. Aktuell ist sie sicherlich durch den Russlandkonflikt noch einmal getrieben. Jetzt könnte man sagen, das liegt schon in der Covid-Epidemie begründet, weil man da relativ viel Geld in die Märkte geflutet hat – aus bekannten und, ich glaube, auch aus richtigen Gründen. Jetzt will ich sozusagen nicht die Vergangenheit bedienen, sondern sie nur im Hinblick auf die Frage bewerten: Was lerne ich aus dem und was kann ich sozusagen ableiten? – Es gibt eine Reihe von Ökonomen – und ich persönlich würde mich dem auch anschließen –, die meinen, die EZB hätte die Zinsen schon früher erhöhen müssen, um sozusagen dagegenzuwirken, wie das ja andere Nationalbanken auch tun. Es gibt ja auch im Nicht-Euroraum in der Europäischen Union Nationalbanken, die da entgegenwirken. Es ist jetzt, glaube ich, also schon einiges gemacht worden, um diese Spirale der Inflation zu bekämpfen (RAUCH: Gar nichts!), und jetzt muss man eben warten, ob das wirkt und wann das wirkt.
GROẞ: Ist zu befürchten, dass die Kaufkraft der Menschen so weit sinkt, dass man sich dann auch die Produkte der heimischen Industrie irgendwann einmal nicht mehr leisten kann?
LÖWY: Wir müssen jetzt nicht gleich den Teufel an die Wand malen. Es ist natürlich so: Wenn die Inflation steigt und die Lebensmittelpreise steigen, oder wenn das, was allgemeinhin als Güter des allgemeinen Bedarfs bewertet wird, steigt, ist das natürlich negativ, das ist ja keine Frage. Aber ich glaube, wir sollten da kühlen Kopf bewahren. Es ist jetzt, glaube ich, auch ein vernünftiges Paket von der Bundesregierung beschlossen worden. Zumindest aus unserer Sicht sind da einige Maßnahmen gesetzt worden, die auch wirken könnten. Wenn wir über globalen Kontext, Export und diese Dinge sprechen, müssen wir natürlich auch sehen: Österreich ist ja keine Insel. Wir sind nun mal mit anderen Wirtschaftsräumen verwoben, und die Inflation entsteht ja nicht in Wien oder im Bregenzerwald. Insofern sind also die Möglichkeiten, die wir haben, zwar da, aber schlussendlich auch limitiert. Das muss uns einfach immer bewusst sein. Wir müssen aber auch unseren Handlungsspielraum nutzen, und ich glaube, wir sind jetzt einmal auf dem richtigen Pfad – vielleicht nicht immer schnell genug, das ist vielleicht nicht die Stärke Österreichs. Insofern muss man jetzt, glaube ich, vorsichtig, sensibel sein, aber man muss es trotzdem auch mit einem gewissen Optimismus angehen.
GROẞ: Frau Frey, Sie haben jetzt dieser Diskussion zugehört. Was ist Ihr Eindruck und was nehmen Sie mit?
FREY: Na ja, ich kann nur dazu sagen: Es ist anscheinend angekommen, dass der Hut brennt, aber es ist nicht genügend politischer Wille da, die notwendigen Schritte zu setzen. Die notwendigen Schritte sind halt sehr viel tiefgreifender als alles, was bis jetzt auf dem Tisch lag. Da braucht es Ordnungspolitik, aber noch darüber hinaus staatliche Eingriffe, um die Lebensgrundlagen für die Menschen zu sichern, die Versorgung mit den Gütern des täglichen Bedarfs sicherzustellen. Und wenn das nicht bald passiert, dann werden wir noch viel schlimmere Krisen sehen, als wir jetzt schon sehen. Und ich denke, da braucht es politischen Willen. Die Unternehmen wandern nicht einfach so ab, weil irgendwo die Bedingungen besser sind, sondern die Unternehmen sind ja auch hier, weil die Infrastruktur gut ist, weil die Kultur da ist, weil sozusagen das ganze Land, die Rechtssicherheit da ist. Die Unternehmen wandern nicht einfach ab, weil die Steuern ein bisschen erhöht werden. Ich glaube, da wäre die Politik gefordert, an den richtigen Stellen abzuschöpfen und umzuverteilen, weil das ist das, was es jetzt braucht, damit wir die nötige Finanzierung für die massiven Anstrengungen, die uns ins Haus stehen, aufstellen können.
GROẞ: Reden wir vielleicht noch über diese ordnungspolitischen Maßnahmen oder wie immer wir sie bezeichnen. Sie, Herr Matznetter, haben ganz am Beginn schon sozusagen gesagt: Schluss mit Laissez-faire. Was konkret haben Sie denn damit gemeint, und wo braucht es solche ordnungspolitischen Maßnahmen? Vielleicht können wir in einer Runde auch darüber noch konkret diskutieren.
MATZNETTER: Ich fange gleich bei der Inflation an. Es gibt jetzt ein Paket, das angeblich 28 Milliarden Euro groß ist. Keine einzige Maßnahme darin ist inflationssenkend. Das heißt, es ist auf einer reinen Almosenschiene, vieles mit Einmalzahlung, in der Hoffnung, dass dadurch die Stimmung in der Bevölkerung gegenüber der Regierung nicht noch schlechter wird. Super. Nicht eine einzige Maßnahme dient zur Senkung der Inflation. Jetzt hat Kollege Löwy gesagt, die EZB soll das regeln. Wir wissen alle, dass der Hebel, den Zentralbanken heute haben, einfach nicht mehr wirkt. Das ist wie Bremsen, indem ich beim Auto einen Finger raushalte. Das ist keine Scheibenbremse und funktioniert auch so nicht. Das heißt, wir müssen uns natürlich viele Maßnahmen überlegen: Wo wollen wir hinkommen? – Wir wollen ressourcenschonend sein, wir wollen erneuerbare Energie haben, die nicht unsere Atmosphäre belastet, wir bräuchten – (in Richtung Frey) so wie Sie es vorhin kurz dargestellt haben – regionale Wirtschaftskreisläufe; die werden nicht vom Himmel fallen. Dazu muss ich eine Reihe von Maßnahmen setzen, bei denen ich einfach, auch wenn ich bei der Marktwirtschaft bleibe, den Import von woanders mit langen Wegstrecken so verteuere, dass regionale KMUs eine Chance haben. Und da haben wir wirklich tolle im Land: Wir haben zigtausende Einpersonen-, Kleinunternehmen. Die könnten liefern, sind aber nicht wettbewerbsfähig, weil – und jetzt komme ich zu dem, was Elisabeth Götze mit Amazon angesprochen hat – wir eine Struktur haben, die bewirkt, dass große Konzerne de facto nichts zahlen und kleine, die es bringen wollen, unter der vollen Last der Bürokratie und Steuern im Land nicht wettbewerbsfähig sind. Und da muss man ordnungspolitisch eingreifen, zum Beispiel die Transporte verteuern, zum Beispiel beim Import an der europäischen Grenze CO2-Besteuerung nachholen, dafür Exportunternehmen entlasten, wenn sie exportieren, also Neutralität herstellen. Solche Maßnahmen müssen wir uns überlegen, und wenn wir das nicht machen, können wir es überhaupt vergessen. Ich sage es, wie es ist. Und bei der Energie sowieso: Da sehe ich nur Hilflosigkeit.
GROẞ: Da schaue ich jetzt einmal in diese Richtung, Frau Niss, Frau Doppelbauer.
NISS: Na ja, also für mich gibt es da zwei Punkte, die wir meiner Meinung nach vorhin noch nicht diskutiert haben. Der eine betrifft das Thema der Schlüsseltechnologien et cetera: Was muss ich, was soll ich in Österreich unterstützen? – Im Endeffekt wollen wir ja die Industrie auch resilienter machen. Ein Bereich beispielsweise ist das Thema Halbleiterindustrie et cetera. Es gibt auch auf europäischer Ebene einen Chipsektor. Da haben wir in Österreich große Stärken, wir haben mit AT&S, mit Infineon et cetera, glaube ich, auch einen wirklich starken Nukleus. Ich glaube, da heißt es im Endeffekt auch zu stärken, weil wir uns – natürlich Österreich, aber vor allem auch Europa insgesamt – damit in der gesamten Kette unabhängig machen. Und ich glaube, das ist wesentlich. Ein zweiter Punkt - -
GROẞ: Wie konkret stärken? Durch Förderungen, durch entsprechende Ausbildungen?
NISS: So wie es ja auch passiert, muss man ganz ehrlich sagen. (Zwischenruf des Abg. MATZNETTER.) Infineon haben wir durch eine große Investition nach Österreich geholt, einerseits natürlich weil wir hier die richtigen Leute haben, zweitens einmal weil es den Standort schon gibt – es ist eine Erweiterung –, aber natürlich auch weil wir hier die richtigen Förderungsmaßnahmen gesetzt haben. Das Gleiche passiert mit AT&S.
FREY: Und was sind die Auflagen dazu?
NISS: Darf ich einmal ganz kurz ausreden?
FREY: Und was sind die Auflagen dafür, dass öffentliche Steuergelder Unternehmen in den Rachen geschoben werden?
NISS: Entschuldigung, wissen Sie, was diese Unternehmen an Steuern und an Lohnnebenkosten et cetera zurückzahlen? – Ein Vielfaches! Und das ermöglicht auch den Sozialstaat.
FREY: Ja, genau. Und das - - Irgendwann - -
NISS: Ich sage es nur. Ganz ehrlich gesagt: Wir könnten uns unseren Sozialstaat nicht leisten, wenn wir nicht die Unternehmen hätten, die Arbeitsplätze zur Verfügung stellen, die Steuern zahlen, die ordentlich ihre Steuern zahlen, die die Abgaben zahlen et cetera. Ja, also ich glaube, das ist schon notwendig. Und vielleicht auch betreffend Klima: Die österreichische Industrie ist energieintensiv, das ist richtig, wir haben es gehört, die Papier-, die Chemie-, die Glasindustrie – was wir alles haben –, die Stahlindustrie. Es ist aber immer noch besser, es wird in Österreich produziert, als es wird woanders produziert, weil die Tonne Zement in Österreich im Vergleich zum gesamten Rest der Welt am energie- oder am umweltfreundlichsten produziert wird. Also ich glaube, das ist wichtig. Das bringt mich zum zweiten Thema, zum Thema Transformationsfonds. Ich glaube, es ist wirklich wesentlich, dass wir die Industrie und die Wirtschaft bei dieser Transformation unterstützen, dass wir es ihnen ermöglichen, den Weg der Transformation zu gehen, weiter grün zu werden, und dass wir aber auch diese Wertschöpfung oder die Forschung, die Technologie et cetera, die wir damit schaffen, dann in die Welt exportieren und damit auch wieder Arbeitsplätze schaffen. Das finanziert dann im Endeffekt auch wieder den Sozialstaat.
MATZNETTER: Darf ich Frau Frey eine gute Nachricht überbringen?
GROẞ: Ja.
MATZNETTER: Für die Chipindustrie brauchen Sie keine niedrige Steuer, weil 18 Prozent in Taiwan hergestellt wird, dort ist die Steuer viel höher als bei uns. Also da besteht keine Gefahr.
GROẞ: Gibt es dazu noch Wortmeldungen?
RAUCH: Die Inflation zum Beispiel, die Inflation ist ein Thema. Die Inflation beträgt jetzt aktuell 8 Prozent, gefühlt ist sie ja wesentlich höher bei den Bürgern, gemessen an dem, was ankommt, vor allem im täglichen Leben. Da sieht man schon, dass die EZB in den letzten Jahren eine verfehlte Geldpolitik betrieben hat, vor allem Geld gedruckt hat, in den Markt geworfen hat. Dieser Überfluss an Geld ist jetzt natürlich da und wir haben im Endeffekt das Ergebnis. Mittlerweile reagieren die Großbanken, oder zumindest die Zentralbanken, und die Wirtschaft nicht mehr darauf, die Inflation hintanzuhalten. Also da bedarf es auch Regulierungsmaßnahmen. Mit Ihnen, Herr Matznetter, bin ich auch d’accord, was diese 28 Milliarden betrifft, die hier in den Raum gestellt werden. Im Endeffekt ist es ein reiner Goodwill – oder Goodwill ist übertrieben, das ist im Endeffekt nur ein Tropfen auf den heißen Stein und löst die Ursache nicht.
GÖTZE: Ich habe auf „Tropfen auf den heißen Stein“ gewartet. Bei 28 Milliarden finde ich das ziemlich absurd, von einem Tropfen auf den heißen Stein zu sprechen. (Abg. RAUCH: Was nimmt denn der Staat mehr ein?) Es ist eindeutig eine Entlastung, wirklich eine gezielte Entlastung der Menschen (Abg. RAUCH: Wie viel nimmt der Staat mehr ein?), die das brauchen. Was uns auch die Wirtschaftsforscher und -forscherinnen gesagt haben: Es ist so, dass das die Inflation nicht anheizt. Ich möchte schon sagen, dass die Inflation ja nicht hausgemacht ist, sondern ein europäisches, ein weltweites Problem. Also die Inflation zu stoppen, wenn wir Produkte importieren, die einfach teurer werden, ist unrealistisch, das geht sich nicht aus.
MATZNETTER: Warum ist Frankreich besser? Warum ist die Schweiz besser? Frankreich hat dieselbe Zentralbank.
GÖTZE: Geringfügig besser in diesem Bereich (Abg. MATZNETTER: 2 Prozent ist nicht geringfügig besser!), aber in anderen Bereichen gar nicht besser. Also wir haben durchaus auch Vorteile, zum Beispiel was Arbeitsplätze betrifft. (Abg. MATZNETTER: Preisregelung - -!)
GROẞ: Frau Doppelbauer hat sich noch zu Wort gemeldet.
DOPPELBAUER: Ich wollte nur sagen, dass ich durchaus glaube, dass die Zentralbank too little und too late unterwegs war. Ich glaube, man hätte das früher machen müssen. Und vielleicht zu den 28 Milliarden Euro, die kolportiert worden sind: Was im Augenblick auf dem Tisch liegt, sind 6 Milliarden. Und von diesen 6 Milliarden sind wahnsinnig viele Gelder mit der Gießkanne verteilt worden. Ich nenne nur den Klimabonus: 500 Euro für jeden, das ist Gießkanne, die wirklich nicht guttut und aus meiner Sicht auch durchaus inflationsantreibend ist. Auf die anderen 22 Milliarden warten wir, dafür gibt es weder Richtlinien noch sonstiges. Ganz, ganz wichtig wird natürlich die Umsetzung der teilweisen Abschaffung der kalten Progression, wie sie im Augenblick geplant ist, damit man auch wirklich sieht, dass die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler auch wirklich entlastet werden. Und ein letzter Satz dazu: Auch jemand, der wenig Steuern zahlt, wird von der Entlastung oder der Abschaffung der kalten Progression wirklich positiv beeinflusst. Ich möchte das noch einmal ganz klar ausschildern.
GROẞ: Ich möchte zur letzten Runde kommen und möchte noch das Thema Arbeitskräftemangel ansprechen, weil das ein Thema ist, das schon mehrmals von Ihnen angesprochen worden ist beziehungsweise einfach im Moment in der Luft liegt und uns alle beschäftigt. Ich möchte bei Ihnen beginnen, Frau Frey, und Sie jetzt vielleicht gar nicht so sehr als Attac-Vertreterin fragen, sondern als Vertreterin einer Generation, um die es hier auch geht: Was konkret sind denn die Vorstellungen von Arbeit, die Sie haben? Ich war vor Kurzem bei einer Veranstaltung, wo das ein deutscher Arbeitswissenschaftler pointiert zusammengefasst hat. Er hat gemeint: Es werden in Zukunft weniger Menschen mehr arbeiten müssen, weil einfach nicht mehr Menschen da sind, um die vorhandene Arbeit zu verrichten. Wenn ich das richtig einschätze, dann würde das diametral dem entgegenstehen, was sich die Generation, die sozusagen jetzt am Zug ist, wünscht oder vorstellt, oder?
FREY: Na ja, ich muss sagen, wenn ich an die Zukunft der Arbeit denke, dann denke ich mir: Okay, ich muss eigentlich froh sein, wenn wir oder wenn meine Kinder in der Zukunft noch leben. Ich muss das tatsächlich so drastisch formulieren, weil es genügend Menschen in meinem Umfeld gibt, die Angst davor haben, was in der Zukunft passiert. Die machen sich nicht viele Gedanken um ihren Arbeitsplatz, weil sie sozusagen damit beschäftigt sind, die PolitikerInnen darauf aufmerksam zu machen, dass wir in einer Vielfachkrise stecken. Klar würde ich mir irgendwie sozusagen für die zukünftigen Generationen auch ein so nettes Leben wünschen, wie Sie es vielleicht hatten – gemütlich und alles –, aber wir haben mit ganz anderen Problemen zu kämpfen. Wir müssen tatsächlich dafür kämpfen, dass unser Überleben auf diesem Planeten irgendwie gesichert ist. Das kann ich dazu sagen.
GROẞ: Herr Löw, aus Sicht der Industrie: Stimmen Sie dem Satz, den ich vorhin zitiert habe – weniger Menschen werden mehr arbeiten müssen –, zu?
LÖWY: Ich glaube, das ist zu eindimensional, und ich mache mir auch nicht so viele Sorgen um den Planeten, weil es ihn schon eine Weile gibt. Ich zähle eher zu den Optimisten und weniger zu den Apokalyptikern, und ich glaube, dass es der Mensch durch Innovation und Forschung eigentlich immer wieder geschafft hat, auch Probleme wie den Klimawandel in den Griff zu bekommen. Natürlich ist das ein großes Thema, das ist ja gar keine Frage, aber es geht um die Zukunft von uns allen und nicht nur von jenen, die sozusagen in einer bestimmten Alterskategorie sind. Also wir sollten daher solidarisch miteinander umgehen.
FREY: Genau diese Einstellung hat uns in diese Krise gebracht. Genau diese Einstellung! Und wenn Sie so weitermachen, dann fahren wir mit Vollgas gegen die Wand.
GROẞ: Frau Frey, ich glaube, wir haben es jetzt verstanden, ich muss trotzdem zum Thema zurückkommen. Das Thema ist der Arbeitskräftemangel, der ja im Moment ein Problem ist, wenn ich das richtig sehe, auch für die Industrie.
LÖWY: Der Arbeitskräftemangel ist natürlich ein Problem, nicht nur für die Industrie, sondern für den gesamten Standort. Es ist ja, wir sehen das ja, nicht nur ein Mangel an Facharbeitskräften, sondern an – sozusagen – Arbeitern aller Art. Und insofern gibt es ja Gott sei Dank Arbeit. Abgeordnete Niss hat da zu Recht gesagt: Am Ende des Tages geht es ja um Arbeit und um Arbeitsplätze, damit wir diese solidarische Gesellschaft auch bilden können – auch wenn die Kollegin von Attac sich sehr über mich aufregen muss.
GROẞ: Okay. Herr Matznetter, die SPÖ will eine Viertagewoche. Wie geht sich das aus?
MATZNETTER: Es werden sonst die Arbeitskräfte nicht mehr zu finden sein. Die Work-Life-Balance gerade junger Menschen stellt andere Anforderungen, und auf die muss man sich auch einstellen. Wir haben einen Arbeitsmarkt, das heißt, ich muss dort Leute finden, die auch motiviert arbeiten, und dafür muss ich gute Angebote machen. Ich glaube, die Lösung kann nur eine bessere Work-Life-Balance sein, um zu motivieren, und gleichzeitig durch eine deutlich stärkere Rationalisierung und Digitalisierung – so wie die letzten 200 Jahre der Entwicklung – entsprechend notwendige Arbeitseinsätze zu reduzieren, sonst werden wir es nicht schaffen. Die andere Methode wäre es, mehr Kinder zu kriegen. Das dauert aber zu lang, bis sie arbeiten. Und ich fürchte, dass Europa es schwer aushalten wird, eine große Migrationswelle zu machen.
GROẞ: Herr Rauch.
RAUCH: Das mit den Arbeitskräften ist sicher ein schwieriges Thema, vor allem für die Wirtschaft und die Industrie, aber auch für den Tourismus. Das sieht man ja in vielen Bereichen. Aber was auch ein wichtiger Punkt ist, der nicht angesprochen wurde: Man muss auch mit dem Einkommen auskommen. Das ist, glaube ich, der wesentliche, entscheidende Faktor gerade jetzt im Zuge dieser Inflation, dieser Preissteigerungen. Ich bin, wenn ich in Richtung Industrie schaue, gespannt, ob sie dann bei den nächsten Lohnabschlüssen 8, 10, 12 Prozent dementsprechend den Arbeitnehmern geben kann, will, muss. Ansonsten wird das Leben in diesem Staat mühsam werden.
GROẞ: Frau Götze.
GÖTZE: Zunächst ist es mir wichtig zu sagen, dass ich die Sorgen von Ihnen, Frau Frey, sehr ernst nehme und wir uns wirklich um diese rasche Transformation bemühen und bemühen müssen. Das muss gelingen, sonst sehe ich auch wirklich schwarz für uns alle und für unsere Kinder. Das ist wirklich ein Aufruf, der, glaube ich, ganz wichtig ist, jetzt auch am Schluss. Zu den Arbeitskräften: Es gibt genug, insbesondere Frauen, und ich weiß, da sind wir auf einer Linie, die arbeiten wollen, mehr arbeiten wollen. Ich glaube, dass wir ihnen auch die Rahmenbedingungen zur Verfügung stellen müssen, auch Familien die Rahmenbedingungen zur Verfügung stellen müssen, dass sie das können, dass die Frauen, die wollen, auch arbeiten können. Da geht es um Kinderbetreuungsplätze, da geht es um sonstige Rahmenbedingungen beim Arbeiten. Das ist gerade im Tourismus ein großes Problem. Warum wollen die Menschen nicht mehr im Tourismus arbeiten? – Weil das zum Teil aufgrund einer – ich weiß nicht – bis zu Siebentagewoche oder Ähnliches einfach familienfeindlich ist. Natürlich wird auch mehr Digitalisierung benötigt, wobei Digitalisierung halt wieder Energie braucht, und damit drehen wir uns im Kreis. Wir brauchen die Erneuerbaren.
GROẞ: Frau Doppelbauer, ich nehme an, Bildung ist der Schlüssel – das ist bei den NEOS ja oft der Fall –, aber das geht halt auch nicht von heute auf morgen.
DOPPELBAUER: Das ist richtig, und wir sind, und ich habe es vorhin schon angesprochen, leider auch nur mehr im Mittelfeld. Ich komme aus der IT-Industrie und weiß, dass meine Firma – wir sind ein global tätiges Unternehmen – sagt, dass 60 Prozent der Jobs, die es 2030 braucht, im Augenblick gar nicht ausgebildet werden. Das heißt, was braucht es? – Lebenslanges Lernen – wirklich frühkindlich anzufangen und dann begleitend im Beruf – und auch die Menschen länger im Job zu halten, so sie das wollen, und da sozusagen flexible Möglichkeiten zu ermöglichen. Ich möchte noch zwei Sätze sagen. Der erste ist: Es braucht gezielte Zuwanderung, und zwar wirklich. Ein IT-Manager, der nach Österreich kommt, muss nicht Deutsch können, der kann genauso gut auch Türkisch können und so auch in den Supermarkt gehen. Es braucht gezielte Zuwanderung von Fachkräften und Arbeitskräften. Diesen Sprung müssen wir endlich auch mal machen. Ein letzter Punkt, weil ich glaube, dass da der jüngeren Generation oftmals Unrecht getan wird: Da geht es nicht nur um Work-Life-Balance – das wird immer so dahingesagt – und die Viertageswoche. Ich glaube, da geht es um meaning und sense in life. Ich arbeite sehr viel mit jungen Mitarbeitern zusammen und die wollen einen Job, der etwas bringt. Die wollen sozusagen sehen: Was ist mein Impact, den ich im Leben habe? Da ist es wahnsinnig wichtig, wenn ich jetzt gerade auf den Bereich erneuerbare Energien denke, dass das meaningful jobs sind. Dafür braucht es wieder die beste Ausbildung und die müssen wir in Österreich zur Verfügung stellen. Und das ist auch das, was ich mit der Transformation des Systems und einer modernen Industrie und einer modernen Wirtschaft in Österreich meine, die, glaube ich, da sehr viel vereinen kann und dann letztendlich den Wohlstand in diesem Land sichert, weil natürlich irgendwer am Ende des Tages die Sozialleistungen auch zahlen muss.
GROẞ: Frau Niss.
NISS: Ich gebe Kollegin Doppelbauer total Recht: Wir müssen, glaube ich, den Bereich der Fachkräfte gerade im technologischen Bereich wirklich stärken – durch Ausbildung, durch die verschiedensten Initiativen in jedem Bereich –, weil die, Frau Kollegin, die Probleme der Zukunft lösen werden. Nur durch Technologie, Innovation und Forschung werden wir diese Probleme lösen können. Durch Verzicht: Das ist einfach nicht realistisch. Zum gesamten Thema Fachkräfte und Arbeitskräfte: Ich glaube, was ein ganz wesentlicher Punkt ist, ist, dass Arbeit sich lohnen muss. Deswegen ist es wichtig, dass wir Lohnnebenkosten senken, et cetera, dass wir den Anreiz, zu arbeiten, weiter erhöhen, weil eine Viertagewoche sich einfach nicht ausgeht. (Abg. MATZNETTER: Das muss man sich noch anschauen!) Zweitens müssen wir natürlich alle anderen Bereiche mitdenken. Das Thema Migration wurde angesprochen, deswegen wird der Zugang zur Rot-Weiß-Rot-Karte jetzt vereinfacht, erweitert et cetera. Wir brauchen Frauen. Wir müssen auch schauen, wie wir die Expertise von älteren Leuten bekommen. Ich glaube, es gibt nicht eine einzige Maßnahme, dazu ist der Fachkräftemangel zu groß, sondern wir brauchen da wirklich ein Bündel, eine Strategie, wie wir dieses Problem, das immer größer wird, lösen können.
GROẞ: Frau Frey, Herr Löwy, meine Damen und Herren Abgeordneten, vielen herzlichen Dank für die heiße Diskussion am Ende eines heißen Tages. Ich bedanke mich auch bei Ihnen, meine Damen und Herren, fürs Dabeisein, für Ihr Interesse und Ihre Aufmerksamkeit. Das war die letzte Ausgabe von Politik am Ring vor der Sommerpause. Wir kommen im September wieder. Verbringen Sie einen schönen Sommer und machen Sie es gut!