Abschieben oder aufnehmen? Österreich zwischen Asyl und Zuwanderung
Podcast: Politik am Ring #23 vom 23. Jänner 2023
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Thema
Mehr als 100.000 Menschen stellten 2022 in Österreich Antrag auf Asyl. 15 % der Verfahren endeten mit einem positiven Asylbescheid. Der Innenminister sieht das Land "an der Grenze der Belastbarkeit". Der Bundeskanzler fordert Zäune an den EU-Außengrenzen.
Auf der anderen Seite beklagt die Wirtschaftskammer, dass 270.000 Fachkräfte im Land fehlen würden. Wie schafft Österreich den Spagat zwischen restriktiver Asylpolitik und gezielter Zuwanderung?
Teilnehmer:innen der Diskussion
Abgeordnete:
- Ernst Gödl (ÖVP)
- Reinhold Einwallner (SPÖ)
- Hannes Amesbauer (FPÖ)
- Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne)
- Johannes Margreiter (NEOS)
Eingeladene Fachleute:
- Judith Kohlenberger, Wirtschaftsuniversität Wien
- Melita Šunjić, ehem. Sprecherin UNHCR Österreich
Diskussion
Hannes Amesbauer ist FPÖ-Bereichssprecher für innere Angelegenheiten. Er sagte: Österreich ist kein Einwanderungsland und soll auch keines sein. Österreich muss die eigenen Bürgerinnen und Bürger richtig ausbilden. Auch aus anderen Ländern der Europäischen Union können Arbeitskräfte nach Österreich kommen.
Ernst Gödl ist Migrationssprecher der ÖVP. Er sagte: Man muss zwischen Arbeitsmigration und Asyl unterscheiden. Es soll mehr Möglichkeiten für legale Einwanderung geben.
Die Rot-Weiß-Rot-Karte soll attraktiver werden. Illegale Migration muss scharf bekämpft werden. Die Rot-Weiß-Rot-Karte ist eine Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitsgenehmigung für Österreich. Die Rot-Weiß-Rot-Karte können qualifizierte Arbeitskräfte beantragen, die aus Nicht-EU-Staaten kommen. Die Rot-Weiß-Rot-Karte wird für 24 Monate ausgestellt.Reinhold Einwallner von der SPÖ sagte: Die aktuellen Zahlen zeigen, dass sich Ungarn unsolidarisch verhält. Österreich soll in der Europäischen Union mit den großen lösungsorientierten Staaten wie Deutschland oder Frankreich zusammenarbeiten. Diese Staaten leben den europäischen Gedanken.
Ewa Ernst-Dziedzic ist Migrationssprecherin der Grünen. Sie sagte: Die Lösungen für aktuelle Probleme müssen sachdienlich, an die Probleme angepasst und europäisch sein. Es gibt nämlich unterschiedliche Probleme, die man nicht alle in einen Topf werfen darf.
Johannes Margreiter von den NEOS meinte: Der bestehende Rechtsrahmen ist ausreichend. Die Bundesregierung muss sinnvoll Geld einsetzen, damit Integration gefördert wird.
Judith Kohlenberger von der Wirtschaftsuniversität Wien sagte: Das derzeitige System muss nicht unbedingt reformiert werden. Man muss es vor allem umsetzen. Vieles wird derzeit nicht umgesetzt. Dafür gibt es keine Sanktionen. Ein Beispiel dafür ist das Verhalten von Ungarn oder Griechenland. Dort werden Standards für die Grundrechte und die Unterbringung von geflüchteten Menschen stark nach unten gedrückt.
Melita Šunjić ist die ehemalige Sprecherin des UNHCR in Österreich. Sie sagte: Europa hat kein vernünftiges System für Arbeitsmigration. Also für Menschen, die an ihrem Zielort eine Arbeit aufnehmen wollen. Die Europäische Union braucht an ihren Grenzen ordentliche, menschenwürdige Auffanglager mit Dolmetscherinnen und Dolmetschern sowie Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern. Außerdem brauchen die EU-Länder ein einheitliches Asylverfahren.
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Transkript
Anmoderation: In dieser Folge von Politik am Ring, der Diskussionssendung des Parlaments, diskutiert Moderator Gerald Groß mit den Abgeordneten Ernst Gödl von der ÖVP, Reinhold Einwallner von der SPÖ, Hannes Amesbauer von der FPÖ, Ewa Ernst-Dziedzic von den GRÜNEN und Johannes Margreiter von NEOS darüber, wie Österreich den Spagat zwischen restriktiver Asylpolitik und qualifizierter Zuwanderung schaffen soll. Zu Gast sind die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger und Melita Šunjić, ehemalige Sprecherin des UNHCR Österreich. Das Gespräch haben wir am 23. Jänner 2023 im Plenarium des Österreichischen Parlaments aufgezeichnet.
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Gerald GROẞ (Moderator): Meine Damen und Herren, herzlich willkommen! Ich begrüße Sie bei „Politik am Ring“, und das ist eine ganz besondere Ausgabe. Auch wir sind mit dem Nationalrat, mit den Abgeordneten und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Hohen Hauses aus der Hofburg hierher ins alte, aber völlig neu renovierte und vor Kurzem feierlich eröffnete Hohe Haus am Ring mitübersiedelt. Und so melden wir uns heute zum ersten Mal aus dem sogenannten Plenarium, wo auch die Demokratiewerkstatt zu Hause ist. Wir haben die Übersiedlung für eine kleine optische Runderneuerung unserer Sendung genützt. Damit aber auch schon zum Thema: Die Pandemie, der Krieg in der Ukraine, die Energiekrise und die Teuerung haben einen Themenkomplex zumindest vorübergehend in den Hintergrund gerückt, nämlich Asyl und Migration. Nach dem Steigen der Aufgriffszahlen an der Grenze zu Ungarn im Jahr 2022 war schnell von einem zweiten 2015 die Rede. Dass die anstehenden Landtagswahlen dazu beigetragen haben und noch immer dazu beitragen, die Tonalität in dieser Thematik zu verschärfen, steht auch außer Frage. Abschieben oder Aufnehmen? Österreich zwischen Asyl und Zuwanderung – darüber wollen wir heute in „Politik am Ring“ diskutieren, und zwar mit Reinhold Einwallner von der SPÖ, mit Hannes Amesbauer von der FPÖ, mit Ewa Ernst-Dziedzic von den Grünen, mit Ernst Gödl von der ÖVP und mit Johannes Margreiter von den NEOS. Außerdem sage ich herzlich willkommen zu unseren beiden Expertinnen: Judith Kohlenberger von der Wirtschaftsuniversität Wien – herzlich willkommen! – und Melita Šunjić, ehemalige Pressesprecherin des UNHCR in Österreich – herzlich willkommen! Mehr als 100 000 Menschen haben 2022 in Österreich Antrag auf Asyl gestellt. 15 Prozent der Verfahren endeten mit einem positiven Asylbescheid. Der Innenminister sieht das Land, wie er wörtlich sagt, an der „Grenze der Belastbarkeit“, der Bundeskanzler fordert Zäune an den EU-Außengrenzen. Beide sind übrigens heute zu Gast in Bulgarien an der dortigen EU-Außengrenze, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Auf der anderen Seite beklagt die Wirtschaftskammer zum Beispiel, dass 270 000 Fachkräfte und Arbeitskräfte im Land fehlen. Wie schafft also Österreich den Spagat zwischen einer restriktiven Asylpolitik und gezielter Zuwanderung?
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Es folgt eine Videoeinspielung:
Sprecher: 2015, am Höhepunkt der Flüchtlingskrise, verzeichnet Österreich 88 340 Asylanträge. Im Jahr 2022 waren es von Jänner bis November 101 757. ÖVP-Innenminister Gerhard Karner sieht das Land deshalb an der „Grenze der Belastbarkeit“. Bundeskanzler Karl Nehammer sieht die Europäische Union gefordert.
Karl Nehammer (Bundeskanzler, ÖVP): Österreich ist mehr als belastet. Wir haben über 100 000 Asylanträge in Österreich. Über 75 000 derer, die diese Anträge stellen, sind nicht registriert. Das heißt, mehr als 75 000 Menschen überschreiten die Außengrenze der Europäischen Union, durchqueren Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und werden dann erst in Österreich aufgegriffen. Das ist ein Sicherheitsproblem, und das muss gelöst werden. Wir müssen endlich das Tabu Zäune brechen. Es braucht in Bulgarien einen Zaun, und der muss mit finanziellen Mitteln der Europäischen Union unterstützt werden.
Sprecher: Laut Nehammer würde dieser Zaun 2 Milliarden Euro kosten. Die Kommission müsse dafür die Mittel freigeben. Eine Lösung des europäischen Streits über Zuwanderungsfragen ist heute ebenso wenig wie 2015 in Sicht. Im Unterschied zu damals haben die meisten Antragsteller aber heute kaum Chancen, Asyl zu erhalten. Von insgesamt 126 723 Asylentscheidungen, die zwischen Jänner und November 2022 getroffen wurden, waren 19 425 rechtskräftig positiv und 70 150 rechtskräftig negativ, 37 148 Verfahren wurden anders entschieden, also zum Beispiel ausgesetzt oder eingestellt. Von 126 723 Asylwerbern haben also am Ende 15,3 Prozent einen rechtsgültigen positiven Asylbescheid erhalten. Nur ein kleiner Bruchteil der Asylwerber bleibt also in Österreich. Wer ins Land kommen darf und zu welchen Bedingungen, ist in der Bevölkerung umstritten. Gleichzeitig fordert aber etwa die Wirtschaftskammer mehr Zuzug nach Österreich. 270 000 Fachkräfte würden fehlen. Mit qualifizierter Zuwanderung könnten allerdings auch viele Österreicher leben.
Passant eins: Ja, ich glaube, dass es ohne Arbeitsmigration nicht gehen wird, und ich finde, dass man deswegen eine liberalere Einwanderungspolitik betreiben sollte. Liberal heißt, dass man es den Menschen leichter macht, hereinzukommen und hier auch eine legale Existenz zu führen.
Passant zwei: Also eine eher restriktivere Einwanderungspolitik: Einwanderer sollten auch die Möglichkeit haben, beruflich tätig zu sein – also dass ihnen da keine Knüppel zwischen die Beine geworfen werden –, aber trotzdem bin ich der Meinung, dass man dem Ganzen Grenzen setzen müsste.
Passantin drei: Natürlich, ich habe ja auch im Ausland gelebt und im Ausland gearbeitet, das ist die Realität, in der wir leben. Unter welchen Umständen sie kommen können: Wenn sie qualifiziert sind, wieso sollten sie nicht kommen können?
Sprecher: Auf eine gemeinsame europäische Asyllinie müssen wir wohl weiter warten, aber auch in Österreich ist offen, wie wir den Spagat zwischen restriktiver Asylpolitik und qualifizierter Zuwanderung schaffen können.
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GROẞ: Und hier sind wir wieder im „Politik-am-Ring“-Studio aus dem alten, neu renovierten Parlament. Wir sind hier im Plenarium. Auch wenn Sie jetzt schon viele Zahlen verdauen mussten, möchte ich noch eine hinzufügen: Seit 2015 ist der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund – das sind laut Statistik Austria jene Menschen, bei denen beide Elternteile im Ausland geboren sind – von ohnehin schon hohen 21,4 Prozent auf 25,4 Prozent gestiegen, ein Viertel aller Österreicherinnen und Österreicher also. Das ist deutlich mehr als in den USA und wird nur von wenigen Staaten übertroffen. Man könnte also sagen: De facto ist alles klar, politisch vielleicht nicht. Daher die Frage am Beginn an die Politikerinnen und Politiker in dieser Runde: Ist Österreich Ihrer Einschätzung nach ein klassisches Einwanderungsland oder nicht? Ich beginne mit Ihnen.
Hannes AMESBAUER (FPÖ, Sicherheitssprecher): Das sollte es nicht sein, natürlich nicht.
GROẞ: Das sollte es nicht sein, aber muss man bei dieser Faktenlage nicht eigentlich sagen: Ja, Österreich ist es!?
AMESBAUER: Nein, ist es nicht: Die Faktenlage und die Zahlen, die wir sehen, sind ein Ergebnis des Totalversagens der Bundesregierung, insbesondere der Herren Nehammer und Karner, die Österreich zum Zielland Nummer eins innerhalb der ganzen EU gemacht haben. Das zeigen ja die aktuellen Zahlen. Wir haben in reinen Zahlen die viertgrößte Zuwanderung – illegale Zuwanderung, wohlgemerkt – nach Österreich, und was den Anstieg der Zuwanderung betrifft, sind wir Nummer eins. Wir sind also Asylzielland Nummer eins, und das ist so, weil die Herrschaften aus aller Herren Länder eingeladen werden, weil bei uns natürlich auch die Sozialleistungen locken. Das ist in anderen europäischen Ländern nicht so. Darum wird auch der seit gefühlt zehn Jahren immer wieder diskutierte EU-Verteilungsschlüssel niemals kommen: erstens weil die osteuropäischen Länder nicht mitmachen, und zweitens weil sich ja die Asylwerber – und da gebe ich den Asylwerbern nicht die Schuld – das Land aussuchen, in dem es die besten Sozialleistungen gibt, und das ist derzeit offenkundig Österreich. Es stellt ja kein Mensch Asylanträge in Rumänien, in Bulgarien, auch nicht in Ungarn. Ungarn, unser Nachbarland, hat voriges Jahr unter 50 Asylanträge gehabt, ich glaube, 46, und wir haben 110 000, also da ist ein Fehler im System. Die Grenzen sind offen wie Scheunentore. Jeder, der es irgendwie über die Grenze schafft und das Zauberwort Asyl ausspricht, ist im System. Das Ergebnis ist, dass die Asylquartiere wie die Schwammerln aus dem Boden wachsen. Wir hatten im Jahr 2020 vier Bundesbetreuungseinrichtungen, jetzt sind es 28. In wenigen Tagen wird in Kindberg, in meinem Heimatbezirk, das 29. dazukommen. Das sind die Symptome, und der Grund ist das Totalversagen dieser Bundesregierung.
GROẞ: Herr Gödl, darauf müssen Sie eigentlich gleich reagieren: Totalversagen der Herren Nehammer und Karner, hat Herr Amesbauer gesagt. Jetzt muss ich ja sagen: Eigentlich ist niemand in der Runde hier Vertreter Niederösterreichs, wir müssen also nicht unbedingt den niederösterreichischen Landtagswahlkampf hier austragen, aber ein bissel geht das schon in diese Richtung.
Ernst GÖDL (ÖVP, Integrationssprecher): Nein, ich glaube, es gibt ganz klare Fakten, die für sich sprechen. Österreich war immer dann ein Einwanderungsland, wenn es in der Region Krisen gegeben hat: Man denke zurück an die Ungarnkrise, man denke zurück an die Jugoslawienkrise, und auch jetzt, mit der Ukrainekrise in der nächsten Nähe, in der nächsten Umgebung. Derzeit sind zum Beispiel weit über 70 000 Menschen aus der Ukraine bei uns, und sollte der Krieg länger andauern, wird möglicherweise auch ein größerer Teil hier bei uns bleiben. Was wir aber nicht vermischen sollten – und deswegen finde ich auch diese Diskussionssendung heute wirklich wichtig –, sind Arbeitsmigration und Asyl. Tatsächlich gibt es im Bereich des Asyls einige unbefriedigende Entwicklungen, nämlich dass sehr, sehr viele Menschen ungehindert in die EU hineinkommen und dann quasi bei uns zum ersten Mal registriert werden. Deswegen – und das trifft sich mit der Diskussion heute auch gut – sind unser Bundeskanzler und unser Innenminister derzeit in Bulgarien, um genau die Situation vor Ort zu besprechen. Sie kennen auch die Diskussion über den Schengenbeitritt von Rumänien und Bulgarien, weil wir diese Unzulänglichkeit – nämlich keine Grenzkontrollen, unzureichende Grenzkontrollen, kein funktionierendes Asylsystem – auf EU-Ebene bearbeiten müssen. Da sind wir durchaus erfolgreich in diesem Sinne: Es ist unserem Bundeskanzler zu verdanken, dass es in einem Monat schon einen Asylgipfel auf EU-Ebene gibt, bei dem genau über das Problem der unkontrollierten, der illegalen Zuwanderung in Europa effektiv gesprochen wird.
GROẞ: Frau Ernst-Dziedzic, wie geht es Ihnen eigentlich als Koalitionspartner mit dieser Haltung der ÖVP? Das Veto gegen den Schengenbeitritt von Bulgarien und Rumänien wurde ja schon angesprochen: Da bleibt die Regierung offensichtlich hart.
Ewa ERNST-DZIEDZIC (Grüne, Migrationssprecherin): Das waren jetzt viele Fragen. Grundsätzlich: Österreich war schon immer ein Einwanderungsland. Wir sind im Herzen von Europa und haben historisch natürlich immer wieder zu spüren bekommen, was es beispielsweise bedeutet, 1989 diese Zäune an der ungarischen Grenze zu durchschneiden. Was jetzt die Lösungen anbelangt, so müssen sie konstruktiv, differenziert und europäisch sein. Das ist auch der Zugang der Grünen, und das ist auch mein Motto, wenn es um diese wirklich sehr herausfordernde, sehr oft von der Politik instrumentalisierte Debatte geht: Wer darf kommen, wer gehört abgeschoben, wie behandeln wir Menschen, die eigentlich arbeiten wollen, aber einen Asylantrag stellen? – Das heißt, sehr viele Parteien im rechten Spektrum in ganz Europa verwenden diese Debatte, um politisches Kleingeld daraus zu schlagen. Ich denke, dass wir mit der ÖVP versuchen, eine Sachebene zu finden, aber gleichzeitig auch kommunizieren, wenn wir zu anderen Schlüssen kommen. Wir haben von Beginn an gesagt: Wir dürfen den Schengenbeitritt, bei dem es ja eine europäische Einigung gab, nicht konterkarieren und nicht mit österreichischer Innenpolitik argumentieren. Dieser Meinung bin ich noch immer. Ich finde, da müssen wir jetzt die Wogen glätten. Die 30 000 rumänischen Pflegekräfte stehen jetzt weiterhin an den Grenzen, aber dadurch wird kein einziger Flüchtling mehr oder weniger registriert. Das heißt, das Problem liegt woanders. Österreich ist tatsächlich stark belastet, aber nicht an erster Stelle – das ist Deutschland –, sondern erst an vierter Stelle. Ungarn, das stimmt auch, ist Schlusslicht, aber weswegen? – Ungarn hat das Asylsystem einfach außer Kraft gesetzt. Das trägt dazu bei, dass Österreich eben so hohe Zahlen hat. Wie der Kanzler im Beitrag gesagt hat: Das führt auch dazu, dass die meisten erst auf österreichischem Boden registriert werden, weil Ungarn sie eben durchlässt beziehungsweise das System in Ungarn nicht funktioniert und die Leute – ich war des Öfteren an den Außengrenzen – dort auf die Schlepper angewiesen sind. Das heißt, wir haben da wirklich einen Blumenstrauß an unterschiedlichen Herausforderungen. Das wird leider immer in einen Topf geworfen, vermischt, Angst wird geschürt, statt dass die Politik wirklich in jedem Bereich versucht, sachliche Lösungen zu finden. Die gibt es, und ich hoffe, wir diskutieren heute auch noch darüber, welche Lösungen auf welcher Ebene die richtigen wären.
GROẞ: Genau. – Ich komme gleich zu Ihnen, Herr Einwallner und Herr Margreiter, lassen Sie mich nur vielleicht an dieser Stelle, weil das jetzt bereits mehrmals angesprochen worden ist, eine Grafik abrufen, die wir vorbereitet haben, nämlich zum Thema Asylanträge pro Kopf im EU-Vergleich. (Im Folgenden werden die Ausführungen des Moderators durch eingespielte Diagramme unterstützt.) Pro Kopf verzeichnet Österreich nämlich nach Zypern tatsächlich die meisten Asylanträge aller EU-Staaten, genau viermal so viele Anträge wie im EU-Durchschnitt. An dieser Grafik sieht man auch das, was gerade angesprochen worden ist: dass Ungarn tatsächlich am Ende liegt, auch weil das Land Asylwerber nicht registriert. Wir können die Diskussion über diese Grafik beziehungsweise über die Aussagen dieser Grafik dann auch mit unseren beiden Expertinnen noch vertiefen. Herr Einwallner, vielleicht wieder zurück zur Eingangsfrage: Ist Österreich ein klassisches Einwanderungsland, ja oder nein?
Reinhold EINWALLNER (SPÖ, Sicherheitssprecher): Ich glaube, man sieht es ein bisschen an den Zahlen, die Sie genannt haben: Wenn ein Viertel der Österreicherinnen und Österreicher oder der in Österreich lebenden Menschen Migrationshintergrund hat, dann zeigt das schon klar, dass wir natürlich ein Einwanderungsland sind. Man muss auch dazusagen, dass wir einen großen Teil des Wohlstands, den wir haben, auch diesen Menschen mit zu verdanken haben, die hier durch ihre Leistungen im Land auch dazu beigetragen haben. Das muss man, glaube ich, auch einmal klarstellen und richtigstellen. Und ich warne auch heute Abend wieder vor der Vermischung der Debatten über Asyl und Migration. Ich glaube, wir müssen sehr, sehr achtsam hinsichtlich der Vermischung dieser beiden Themen sein, weil sie unterschiedlich zu betrachten sind. Wenn Sie mich zum Thema Asyl oder zu den angesprochenen Zahlen fragen: Aus diesen Zahlen geht eines ganz klar heraus, nämlich dass sich ein Land, ein Nachbarland, in dieser Frage ganz unsolidarisch verhält. Ungarn winkt durch, registriert nicht, und wir haben dann in dieser Frage die ganze Last zu tragen. Das ist natürlich eine Vorgangsweise, die nicht zu akzeptieren ist. Da muss man natürlich die Rolle und die Funktion unserer Bundesregierung hinterfragen. Die Frage ist, welche Allianzen man sich in der Europäischen Union sucht. Sucht man sich Allianzen mit den Lösungsorientierten, die eine Lösung für dieses Problem haben wollen, oder geht man den Weg, den die Bundesregierung geht, und verbündet sich mit jenen, die sich in diesem Bereich eigentlich destruktiv verhalten, wie Orbán in Ungarn, der dieses Thema Asyl und Migration sehr, sehr stark und sehr populistisch nutzt? Ich glaube, es ist wichtig, dass wir uns auf europäischer Ebene andere Verbündete suchen, die ähnlich belastet sind, aber eine Lösung suchen. Lösungsvorschläge liegen ja auf der Hand: Wir brauchen endlich ein europäisches Asylsystem mit europaweit gleichen Kriterien, mit gleichen Standards. Wir sagen auch, es wird zusätzlich Verfahrenszentren nach Menschenrechtsstandards an den EU-Außengrenzen brauchen, damit es eine legale Migration in die Europäische Union geben kann, damit wir dem Schlepperwesen endlich die Grundlage entziehen. Das muss ein Ziel unserer Politik sein, und das geht natürlich nur, wenn wir dementsprechend europäisch handeln.
GROẞ: Darauf kommen wir mit Sicherheit noch zu sprechen, weil das ja, soweit ich das sehe, auch die Position unserer beiden Expertinnen ist. Ich möchte nur noch nachfragen, weil Sie das jetzt mehrmals angesprochen haben, aber ohne konkrete Namen zu nennen: Wer sind denn die konstruktiven Kräfte innerhalb der EU? Die nicht konstruktiven oder die destruktiven haben Sie genannt, aber wer sind dann die konstruktiven?
EINWALLNER: Ich glaube, man muss sich mit jenen Kräften verbünden, die eine entscheidende Rolle spielen. Das kann zum Beispiel Deutschland sein, es kann auch Frankreich sein. Wir müssen schauen, dass wir große Verbündete bekommen, die diesen europäischen Gedanken auch leben, und das ist, glaube ich, das Wichtige, das wir tun müssen. Da muss man auch eine entsprechende Diplomatie an den Tag legen. Die Entscheidung für das Schengenveto – Entschuldigung, dass ich das noch sage – war natürlich diplomatisch ganz, ganz schlecht vorbereitet, also außenpolitisch natürlich unter jeder Kritik.
GROẞ: Herr Margreiter.
Johannes MARGREITER (NEOS, Justizsprecher): Ich denke, dass uns Etikettierungen wie: Einwanderungsland ja oder nein?, oder auch dieses Zahlenmaterial nicht sehr viel weiterbringen. Wo müssen wir anknüpfen? – Wir müssen an zwei Punkten anknüpfen. Wir sind ein Rechtsstaat, wir haben Gesetze, und wir sind Mitglied der Europäischen Union – und übrigens auch der darüber hinausgehenden Weltgemeinschaft. Wir haben völkerrechtliche Verpflichtungen, wir haben europarechtliche Verpflichtungen und innerstaatliche Verfahren. Ein funktionierendes Asylsystem muss einfach beides erfüllen: Es muss auf der einen Seite Schutz gewähren, wenn ein Schutzgrund vorliegt, wenn das in einem rechtsstaatlichen Verfahren festgestellt wird, und auf der anderen Seite natürlich auch, wenn es an einem Schutzgrund fehlt, die Konsequenzen daraus ziehen. Das kann in einem Rechtsstaat gar nicht zur Diskussion stehen. Dazu kommt noch zusätzlich als österreichisches Interesse neben der Frage des Schutzes, den wir unseren globalen Mitmenschen einfach schuldig sind, wenn sie Verfolgung erleiden, wenn ein Asylgrund vorliegt, das Eigeninteresse, das vom Arbeitsmarkt her geprägt wird. Das heißt also, latent liegen schon mehr Interessen da, dass wir, und zwar nicht nur wegen des Arbeitsmarktes, sondern auch wegen der Bevölkerungsentwicklung, Zuzug brauchen, denn, wenn wir keinen Zuzug hätten, würden wir in Österreich aussterben; das muss uns klar sein. Daher glaube ich, dass auf der Basis von sehr strengen Gesetzen – die sind ja auch in der Zeit der Regierungsbeteiligung der FPÖ noch einmal strenger gemacht worden – dieser Rechtsrahmen durchaus ausreichend ist. Wir müssen nicht neuerlich legistisch arbeiten, aber es läge an der Bundesregierung, konsequent zu vollziehen und auch sinnvoll Geld in die Hand zu nehmen, um Integration zu fördern. Das fehlt weitgehend, und genau dort fängt es dann an, dass bei der Bevölkerung – und diese Emotionen der Bevölkerung müssen wir ernst nehmen – natürlich Vorbehalte da sind. Da tun einige noch ihr Werk dazu, die also noch in eine Glut hineinblasen und da Emotionen schüren, weil sie glauben, dass das politischen Ertrag bringt. Das ist ein Vorgehen, das überhaupt einmal strengstens festgemacht werden soll und beim Namen genannt werden soll, dass uns das überhaupt nicht weiterhilft. Da hilft man weder der Bevölkerung noch den Schutz suchenden Menschen. Das wäre das Arbeitsprogramm, das aufzusetzen wäre.
GROẞ: Vielen Dank fürs Erste. Es gibt jetzt noch in Reaktion zwei Wortmeldungen. Frau Ernst-Dziedzic, bitte.
ERNST-DZIEDZIC: Ja, eine kurze Ergänzung zu den Zahlen: Österreich ist zweifelsohne in Relation zur Bevölkerungszahl stark belastet. Das haben wir auch in der Grafik gesehen, aber Sie haben selber eingangs gesagt, von den 100 000 Asylanträgen wurden 15 Prozent anerkannt. Und was ich meinte, sozusagen in der Hierarchie steht als Zielland nicht Österreich, sondern stehen eben andere Länder für die Menschen, die durch Österreich durchziehen, im Vordergrund. Das ist, glaube ich, der Unterschied, weil wir hier mit den absoluten Zahlen operieren und sagen, es sind so viele, und gleichzeitig wissen wir, dass wir es mit einem neuen Phänomen wirklich auch der Wanderarbeiter zu tun haben, und die Menschen zum Beispiel nach Spanien weiterwollen, um dort in der Landwirtschaft zu arbeiten, aber natürlich auf österreichischem Boden einen Asylantrag stellen, aber dann trotzdem weiterziehen, also hier die Zahlen ein wenig auseinanderzudröseln - -
GROẞ: Also zusammengefasst heißt das, wir sind gar nicht Asylzielland Nummer eins, wie Sie gesagt haben, sondern wir sind halt das erste Land, wo sie registriert werden.
ERNST-DZIEDZIC: Genau, würde uns, glaube ich, auch weiterhelfen in der Bewertung, mit welchen Gruppen von Menschen wir es zu tun haben.
GROẞ: Herr Gödl, ganz kurz.
GÖDL: Da muss ich gleich schon einhaken und etwas zurechtrücken: Das war auch aus meiner Sicht unvollständig beim Trailer am Anfang. Es stimmt, dass nur 15 Prozent einen positiven Asylbescheid erhalten haben, aber es gab 70 000 negative Entscheidungen, und es ist leider nicht so, dass alle, die negativ entschieden werden, freiwillig nach Hause gehen, sondern ganz viele bleiben im Land und tauchen unter oder wollen andere Wege versuchen. Und dann haben wir das gesamte Problem mit den Rückführungen, mit den Abschiebungen. Das heißt, das Problem liegt nicht bei den 15 000, die positiv anerkannt werden, sondern liegt bei jenen, die dann nicht nach Hause gehen, die wir oft mit Gewalt aus unserem Land entfernen müssen. Das heißt, das Problem Asyl ist in diesem Bereich viel größer. Zum Herrn Kollegen Einwallner: Natürlich ist unsere Bundesregierung extrem aktiv. Unser Bundeskanzler war beispielsweise Anfang November in Serbien, zusammen auch mit Viktor Orbán. Sie haben sich zusammengesetzt. Serbien hat daraufhin auch die Visafreiheit für Tunesien eingestellt, und schon haben wir einen Rückgang von Tunesiern, die bei uns ansuchen, das Gleiche jetzt mit Indien. Seit 1. Jänner ist die Visafreiheit für Indien eingestellt und es gibt bereits einen starken Rückgang auch von Anträgen aus Indien. Das heißt, unsere Regierung ist sehr aktiv, und das zeigt sich auch: Mit Indien wurde im Übrigen auch noch eine Mobilitätspartnerschaft und eine Migrationspartnerschaft vereinbart, dass eben in Zukunft 800 Rot-Weiß-Rot-Karten an Inder ausgestellt werden, im Gegenzug zur Rücknahme von jenen, die abgelehnt werden. Also die Bundesregierung insgesamt ist an vielen Fronten aktiv, um das Problem in den Griff zu bekommen. Wo wir einer Meinung sind: Es geht nur gemeinsam auf europäischer Ebene, und dazu braucht es Grenzschutz, dazu braucht es Anlaufstellen an den Außengrenzen. Das ist auch ein klares Forderungspapier, das wir nach Europa tragen.
GROẞ: Weil Sie es jetzt kurz angesprochen haben: Schauen wir uns vielleicht für 2022 einmal an, woher die Asylwerber tatsächlich überwiegend gekommen sind! (Die Ausführungen des Moderators werden durch ein eingespieltes Diagramm unterstützt.) Da zeigt sich, dass insgesamt 101 755 Asylanträge zwischen Jänner und November 2022 gestellt wurden, und die meisten Anträge sind aus Afghanistan, Syrien, Indien und Tunesien gekommen. So, und an dem Punkt – ich glaube, wir haben genug Gesprächsbedarf beziehungsweise auch Themen, die auf dem Tisch liegen – würde ich gerne unsere beiden Expert:innen noch einmal begrüßen und vielleicht etwas detaillierter vorstellen als in der ersten Begrüßungsrunde. Frau Dr.in Melita Šunjić, Sie sind noch im ehemaligen Jugoslawien geboren, sind als Flüchtlingskind nach Österreich gekommen und lebten bis zu Ihrem zehnten Lebensjahr mit Ihren Eltern im UNHCR-Flüchtlingslager in Steyr beziehungsweise auch in Linz, haben danach studiert, sind Journalistin geworden, waren Leiterin der Außenpolitik bei der „Wiener Zeitung“, sind dann zum UNHCR, also dem Flüchtlingshochkommissariat, gewechselt, waren dort langjährige, ich glaube, 25 Jahre, Pressesprecherin und sind jetzt Agenturleiterin. Und ich begrüße Frau Dr.in Judith Kohlenberger. Sie ist Kulturwissenschaftlerin am Institut für Sozialpolitik der Wirtschaftsuniversität Wien, der WU also, und am Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital und lehrt noch an zahlreichen anderen Universitäten und Institutionen. Seit 2015 arbeiten Sie jetzt schon sehr intensiv in diesem Bereich der interdisziplinären Fluchtforschung. Ich habe in einem Artikel von Ihnen gelesen, dass Sie sagen – und da decken Sie sich ja zum Teil jetzt durchaus mit den Befunden, die wir schon hier auf der politischen Ebene gehört haben –, dass unser System dysfunktional ist. Da möchte Sie einfach gerne fragen: Warum glauben Sie, dass es dysfunktional ist?
Judith KOHLENBERGER (Wirtschaftsuniversität Wien): Ich glaube, bei der Frage muss man vielleicht als Erstes die Gegenfrage stellen: Welches System genau ist da jetzt gemeint? Wir haben jetzt einerseits ja das Schengensystem, das auch so als Debatte im Raum steht, aktuell mit der Bulgarienreise des Bundeskanzlers und des Innenministers. Da bin ich der Meinung, das Schengensystem ist vielleicht gar nicht unbedingt der richtige Adressat, wenn es um das Asylwesen und die irregulären Ankünfte geht. Da ging es vielleicht eher um das Dublinsystem, das Dublinabkommen, das de facto gar nicht mehr zur Anwendung kommt, also da sind wir schon einmal bei der Frage Systeme - -
GROẞ: Also das Dublinabkommen, dass immer die Leute in das Land zurückgeschickt werden, wo sie zuerst angekommen sind, also gelandet sind.
KOHLENBERGER: Ganz genau. Das findet de facto nicht mehr statt, schon seit vielen Jahren findet das einfach nicht mehr statt. Gleichzeitig ist es mir auch wichtig, zu betonen, dass natürlich die Feststellung – ich habe sie auch getroffen –, dass das System dysfunktional ist, eigentlich eine billige ist, wenn wir uns alle ehrlich sind, denn, bevor wir überhaupt dahin kommen, ein neues System, ein alternatives System vorzuschlagen oder Reformvorschläge auf den Tisch zu legen – und ich glaube, da gibt es ja schon sehr viele –, man sollte sich vielleicht einmal das jetzt bestehende System anschauen: Was wird denn davon überhaupt noch umgesetzt, zur Anwendung gebracht? Und vor allem, wenn es nicht umgesetzt wird: Was sind die Sanktionen dahin gehend? Ich glaube, das zum Beispiel wäre ein ganz wichtiger Faktor beim Thema Ungarn. Ungarn ist meines Erachtens eigentlich einer der wichtigsten Adressaten für Österreich, wenn wir konkret unsere Asylantragszahlen senken wollen, denn de facto haben wir ja dort geltende Regelungen, die aber in Ungarn mehr oder weniger außer Kraft gesetzt werden, und das bisher sanktionslos in der gesamten EU. Also das wäre für mich auch eine Ableitung beziehungsweise eine Frage, die ich auch gerne in den Raum stellen möchte, die Frage von Sanktionen auf europäischer Ebene, Vertragsverletzungsverfahren, was auch immer. Das betrifft nicht nur Ungarn, das betrifft auch Griechenland. Griechenland hat in den letzten zwei Jahren die Grundrechts- und Unterbringungsstandards für geflüchtete Menschen, auch für Asylberechtigte bereits, ganz massiv nach unten nivelliert. Das hat in der Praxisbedeutet, dass Personen dort aufhältig waren, bereits legal aufhältig waren, aber de facto obdachlos, und keinen Zugang zu Lebensmittelversorgung hatten. Die haben sich dann auf eigene Faust auf den Weg in Richtung westliche oder nördliche EU gemacht. Das hätte man präventiv tatsächlich verhindern können, wenn man auf Griechenland mitunter auch mit Sanktionen eingewirkt hätte. Das alles passiert nicht, es ist also gar nicht die Frage: Funktioniert das System nicht?, sondern: Wie kommt es zu einer Durchsetzung der bestehenden Regeln, die überhaupt nicht mehr greifen können, weil sie auch sanktionslos bleiben?
GROẞ: Lassen Sie mich noch ganz kurz die Gelegenheit gleich nutzen, Sie zu fragen, wie Sie diese erste Runde jetzt hier empfunden haben! Sie sagen ja, dass der österreichische Migrationsdiskurs in den vergangenen Jahren unglaublich abgedriftet ist und alle politischen Parteien versuchen, sich in restriktiven Haltungen gewissermaßen zu unterbieten. Sie haben da den Begriff von der 3A-Politik geprägt, nämlich Auslagerung, Abschottung, Abschreckung. Nach dieser ersten Runde: Deckt sich Ihr Befund mit der politischen Realität?
KOHLENBERGER: Also einerseits – da ich auch schon einiges gewohnt bin, gerade weil ich sehr häufig zu diesem heiklen und aufgeladenen Thema Migration und Asyl diskutieren darf – finde ich, war es eine sehr zahme Runde und auch eine sehr schöne und formelle Diskussion; das finde ich einmal begrüßenswert, muss ich sagen. Da hilft vielleicht der Rahmen des Hohen Hauses. Was ich aber auch feststellen muss, weil Ihre Eingangsfrage war: Ist Österreich ein Einwanderungsland? – Ich finde, die Runde hat auch irgendwie verdeutlicht, ja, die Zahlen mögen das vielleicht hergeben, dass wir ein Einwanderungsland sind, aber wir verhalten uns irgendwie überhaupt nicht danach. Also wir haben erst sehr, sehr spät – viel zu spät meines Erachtens – in Österreich ein Integrationsgesetz und ein Integrationsjahrgesetz erhalten, im Jahr 2017, nachdem wir seit Jahrzehnten eigentlich sowohl reguläre als auch Fluchtmigration in diesem Land gesehen haben. Man sieht auch, dass das im Selbstverständnis erstens einmal der Politiker, Politikerinnen, aber, ich glaube, auch im Selbstverständnis der Bevölkerung noch nicht so wirklich angekommen ist, was das eigentlich bedeutet, dass es da natürlich auch Regeln braucht, die wir vielleicht auch noch nicht in der Form gefunden haben, dass es auch ein neues Selbstverständnis im Umgang braucht. Das alles fehlt mir ein bissel. Da kann man jetzt natürlich den Schwarzen Peter nicht nur den Politiker:innen zuschieben, das ist mir ganz klar, aber ich finde, diese erste Runde war schon exemplarisch dafür.
GROẞ: Vielen Dank. Frau Šunjić, wenn Sie sagen – und das tun Sie, in verschiedenen Beiträgen habe ich das von Ihnen gelesen –, dass man das Asylsystem komplett neu denken muss: Was konkret meinen Sie denn dann damit und wie könnte so eine Neuregelung ausschauen?
Melita H. ŠUNJIĆ (ehem. Sprecherin UNHCR Österreich): Was ich damit meine, ist: Es ist irgendwie wie „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Ich hätte fast das Drehbuch schreiben können, was ungefähr wer sagen wird. Und das tun wir seit Jahren, immer wieder kommen dieselben Argumente, die oft emotional, ideologisch und nicht faktenbasiert sind, und es geht nichts weiter. Bevor ich zu den Lösungen komme, müssen wir vielleicht einmal Äpfel und Birnen auseinanderklauben. Die letzten Tage war ständig in den Medien, Österreich ist so schrecklich mit den über 100 000 Asylanträgen überlastet. Wie schaut denn das aus? Die Leute werden an der Grenze aufgegriffen. Das ist nur ein Symptom dafür, dass Österreich tatsächlich kontrolliert. Die werden aufgegriffen, dann kriegen sie einen Brief in die Hand, wo sie zur Ersteinvernahme gehen sollen, und die meisten fahren dann einfach weiter. Ich habe mir die Zahlen angeschaut (auf einen Zettel blickend): Wenn man die Ukrainerinnen und Ukrainer herausrechnet, die wir in Österreich haben, dann haben wir jetzt 36 000 Menschen in der Bundesbetreuung. In der Bundesbetreuung sind also die, die tatsächlich einen Asylantrag stellen und ihn hier auch durchführen, und Asylanträge dauern mehrere Jahre. Das heißt, das sind nicht nur die 100 000 vom Vorjahr, sollten da drin sein, sondern auch alle jene Asylanträge, die noch nicht abgehandelt sind. Es müsste also in Wirklichkeit eine viel höhere Zahl sein.
GÖDL: Viele dauern nur ganz kurz, das ist jetzt nicht richtig, was Sie sagen.
ŠUNJIĆ: Gut, ich kann Ihnen Gegenbeispiele nennen.
GÖDL: Na, ich kann Ihnen die Zahlen sagen.
ŠUNJIĆ: Nichtsdestotrotz: Wir haben im Vorjahr, im abgeschlossenen Jahr, oder mit heutigem Tag eigentlich 36 000 und ein bissel was Leute in der Bundesbetreuung, die nicht Ukrainerinnen und Ukrainer sind. 2016 hatten wir zweieinhalb Mal so viele. Also diese Riesenbelastung zeigt so ein bissel die Doppelbödigkeit, dass man gerne Äpfel mit Birnen vermischt, wenn es gerade in die politische Debatte passt. Darum sollte man das jetzt wirklich auf die Fakten zurückführen. Faktum ist, es werden sehr viele Asylanträge gestellt, aber Faktum ist, die meisten ziehen weiter. Es ist also erstens ein Symptom dafür, das gut kontrolliert wird, und zweitens ist es ein Symptom dafür, dass Europa kein vernünftiges Arbeitsmigrationssystem hat, das parallel zum Asylsystem funktioniert. Denn wer aufgegriffen wird und nicht sofort abgeschoben werden will, zum Beispiel ein Inder, der in Spanien oder in Italien in der Landwirtschaft arbeiten will und nur durch Österreich durchfahren möchte, muss quasi einen Asylantrag stellen, damit er nicht sofort zurückgeschickt wird. Das ist unsinnig, und da muss man endlich einmal diese zwei Schienen haben, die Arbeitsmigrationsschiene und die Asylschiene, und nicht permanent Leute, die eigentlich einen Job in Europa suchen, ins Asylsystem schaufeln. Und das macht nicht nur Österreich, das macht eigentlich die gesamte EU.
GROẞ: Darf ich da nachfragen: Was würden Sie jetzt ganz konkret mit den Indern machen, die eigentlich nur in Italien oder Spanien in der Landwirtschaft arbeiten wollen, bei uns einen Asylantrag stellen und dann hier gewissermaßen festsitzen?
ŠUNJIĆ: Also mein Vorschlag ist, dass man dort, wo die Leute ohnehin nach Europa hereinkommen – das heißt, das ändert sich ja auch im Laufe der Jahre, aber wäre momentan vielleicht Griechenland, Lampedusa, Spanien –, Erstauffanglager macht, nicht in Ruanda, das kann nicht funktionieren, sondern innerhalb der EU, ordentliche, menschenwürdige Auffanglager macht, dass es nicht 27 Asylverfahren, 27 Asylbehörden, 27 Mal weiß ich wie viele Betreuungseinrichtungen gibt, Dolmetscher, Sozialarbeiter, alles, was man braucht, sondern dass das alles an den Grenzen zentralisiert wird, dass es eben ein EU-Asylverfahren gibt. Erfahrungsgemäß bekommt maximal ein Drittel einen positiven Bescheid in irgendeiner Form, ist übrigens nicht immer Asyl, ist auch subsidiärer Schutz und humanitärer Schutz, der zeitlich begrenzt ist, und bei den anderen kann man dann eine zweite Schiene einführen und sagen: Sind das Leute, die wir für den Arbeitsmarkt in Europa verwenden können oder nicht? Und dann – und was auch wichtig wäre –: Wir leisten uns auch 27 Mal Rückführungsabkommen mit allen Staaten, in die zurückgeführt werden will.
GROẞ: Das sind ja dann bilaterale Abkommen (ŠUNJIĆ: Genau!), das heißt, da muss jeweils das Zielland mit dem Herkunftsland sozusagen verhandeln, viele Länder wollen die Leute dann auch gar nicht mehr haben.
ŠUNJIĆ: Und das ist immens schwierig und teuer. Wir leisten uns ein so ineffizientes, teures System. Es ist auch unmenschlich für die Betroffenen, wenn die jahrelang in Asylverfahren hängen, irgendwo in Europa, und dann am Schluss doch abgelehnt und zurückgeschoben werden. Das kostet den Staat Geld und das kostet die Menschen Nerven und Menschenwürde.
GROẞ: Es gibt da jetzt schon ziemlich viele Wortmeldungen in der Runde. Lassen Sie mich trotzdem nun noch nachfragen, aus Verständnisgründen letztlich auch, weil Sie gesagt haben, wer schutzbedürftig ist, darf einreisen, nur: Was passiert dann mit diesen Leuten, wo gehen sie dann hin? Die meisten wollen ja in einige wenige Länder. Dann haben wir ja sozusagen wieder diese Verteilungsdebatte.
ŠUNJIĆ: Das können sie sich dann nicht aussuchen. Der Unterschied für die Aufnahmestaaten ist, sie müssen kein Asylverfahren mehr durchführen. Sie kriegen sozusagen Leute, deren Schutzbedarf schon feststeht (AMESBAUER: Von wem? Wer stellt das fest?), und man kann direkt mit der Integration, mit dem Sprachenlernen, mit der Integration in den Arbeitsmarkt beginnen – also eine immense Ersparnis auf allen Seiten.
GROẞ: Okay, lassen wir vielleicht ganz kurz noch Frau Kohlenberger antworten und dann komme ich zu Ihnen. Machen wir wieder eine Runde bei Ihnen!
KOHLENBERGER: Eine kleine Ergänzung tatsächlich nur, weil ich diesem Vorschlag auch sehr viel abgewinnen kann: Wir wissen beide, in der aktuellen europäischen Politik ist das leider derzeit noch ein bissel weit weg. Wir haben das Einstimmigkeitsprinzip, mit den EU-27 wird das schwierig werden; aber ein wichtiger Punkt, weil gesagt wurde, die wollen ja eh alle nur in einige wenige Länder: Wir wissen schon, dass ein Hauptgrund auch, warum es derzeit zu diesem Aussuchen von gewissen Zielländern kommt, ist, weil wir sehr unterschiedliche Zuerkennungs- und Ablehnungsquoten in den einzelnen Asylverfahren pro Land haben. Und das hätten wir nicht mehr, wenn wir ein gemeinsames Asylverfahren haben, für alle EU-Mitgliedstaaten, und danach erst die Verteilung. Ich glaube, weil vorher auch über die gemeinschaftliche Finanzierung von Grenzzäunen gesprochen wurde, das wäre meines Erachtens viel wesentlicher, gemeinsam so ein Verfahren zu finanzieren, dass es dann durchgeführt wird, in Mitgliedstaaten mit Außengrenzen, nämlich auf europäischem Territorium, ganz wesentlich, und dann auch gemeinschaftlich verteilt wird. Ich glaube, die Zukunft kann nur in diesem mehr Europa und nicht weniger Europa liegen. Gleichzeitig sagt die Realität leider – das wird jetzt wahrscheinlich auch wieder als Einwand eingebracht werden –: Wir sind de facto sehr weit davon entfernt. Das ist die Realität, und da sind wir wieder bei der Frage: Wozu braucht man die ungelöste Asyl- und Migrationsfrage auf europäischer Ebene? Um damit tatsächlich national, in den Mitgliedstaaten, politisches Kapital daraus zu schlagen.
GROẞ: Es gibt jetzt viele Einwände, ich habe es registriert. Ich glaube, wir können, Herr Einwallner, mit Ihnen beginnen und wir gehen dann wie in der Vorstellungsrunde einfach weiter vor. – Bitte.
EINWALLNER: Gar kein Einwand. Ich kann das nur unterstreichen, was Sie sagen, weil ich es auch eingangs gesagt habe. Ich glaube, wir brauchen ein europäisches Asylsystem und ein zentraler Teil müssen diese Verfahrenszentren an den EU-Außengrenzen sein.
KOHLENBERGER: Aber auf europäischem Territorium: ja oder nein? Aus dem SPÖ-Vorschlag ist ja nicht ganz - -
EINWALLNER: An den Außengrenzen, und wenn es notwendig ist - - Also mir wäre es lieber auf europäischem Gebiet oder unmittelbar an der europäischen Grenze, aber wichtig ist, dass es dort ein Verfahrenszentrum gibt, ein Zentrum gibt, wo entschieden wird, ob jemand asylberechtigt ist: ja oder nein? Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Punkt. Denn wenn wir noch einmal die Zahlen ganz genau anschauen: Sie haben es ganz richtig gesagt: Von den gut 90 000 Menschen, die in Österreich in der Grundversorgung sind, sind 55 000 Ukrainerinnen und Ukrainer, also wir sind bei 37 000, 38 000 Menschen, die eigentlich in der Grundversorgung sind. Wenn wir die Gruppe der Ukrainerinnen und Ukrainer, wobei wir heute hier auch in dieser Runde wahrscheinlich einig sind, dass es hier einen klaren Asylgrund gibt, weil es Kriegsvertriebene sind, weil es Krieg in Europa gibt – das ist hoffentlich unbestritten –, aber wenn wir die wegrechnen, haben wir eine Zahl, die sich nicht wesentlich von Zahlen aus den Vorjahren unterscheidet. Nur vielleicht für Herrn Amesbauer: Wie Herr Kickl Innenminister war, waren über 60 000 Menschen in der Grundversorgung– über 60 000 Menschen! –, 2018 über 60 000, 2019 waren dann noch immer 42 000 Menschen in der Grundversorgung – nur, dass wir einmal auch die Zahlen auf den Tisch legen. Gelöst hat Schwarz-Blau also gar nichts in dieser Frage, weil wir uns in einer nationalen Denke einbunkern. Diese Frage können wir nur international lösen und die können wir nur europäisch lösen. Wir müssen es europäisch angehen, und mit diesem Ansatz angehen, den Sie jetzt beschrieben haben. Wir brauchen einheitliche Asylverfahren, einheitliche Standards, und dann ist das ein wesentlicher Punkt. Zur Arbeitsmigration: Sie haben jetzt in der Grafik gezeigt, dass die Inder, glaube ich, die dritt- oder viertstärkste Gruppe waren. In der Grundversorgungsgruppe, wenn man sich die Zahlen in der Grundversorgung anschaut, da kommen die Inder gar nicht mehr vor unter den Top Ten (GÖDL: Das Thema ist geregelt!), weil sie durch Österreich durchziehen, weil sie gar nicht Asyl wollen in Österreich. (GÖDL: Das Thema ist geregelt! Es gibt keine Visafreiheit mehr in Serbien und das Thema ist geregelt!) Es ist kein Asylbedarf und es braucht hier eine Lösung der Migration. Also: Wir brauchen europäisch eine Strategie für Asyl und wir brauchen zusätzliche eine Migrationsstrategie auf europäischer Ebene, und natürlich müssen wir uns auch auf nationaler Ebene Gedanken machen, welche Migrationsansätze wir wollen und brauchen – aber vielleicht kommen wir da noch dazu in weiterer Folge.
GROẞ: Okay. Herr Amesbauer, jetzt sicher ein Einwand.
AMESBAUER: Na, ein Einwand, aber auch einiges zum Klarstellen, weil es ist ja einiges in den Raum gestellt worden. Zum Ersten – was Kollege Einwallner zu unter Kickl gesagt hat – kann ich einen ganz einfachen Vergleich bringen: Von den rund 110 000 Asylwerbern, die wir jetzt in Österreich haben, Asylanträgen, die gestellt wurden, sind 92 Prozent originär, das bedeutet Erstantragsteller. Der Rest sind Mehrfachantragsteller, also Menschen, die mehrmals den Antrag stellen, Nachzügler und so weiter, also Familiennachzug und so; also 92 Prozent originär von 110 000. 2018, als ein freiheitlicher Innenminister, nämlich Kickl, in Verantwortung war, hatten wir 13 700 Asylanträge, und da waren 42 Prozent originär, also Erstantragsteller, das heißt weniger als die Hälfte. Und das, was Kollege Einwallner angesprochen hat von der Grundversorgung her, das ist schon richtig, aber da muss man schon bedenken, dass da ein massiver Rückstau war und Herbert Kickl nur eineinhalb Jahre im Amt war. – Also das einmal zu dem Thema. Das andere war: Es wird mir da trotzdem noch zu viel vermischt. Wir haben einerseits gesagt – und dem stimme ich natürlich zu –, dass wir Asyl und Migration trennen müssen, aber dann wird wieder in den Raum gestellt: Na ja, die sollen doch arbeiten dürfen. Erstens, wenn man asylberechtigt ist, hat man ab dem ersten Tag des positiven Asylbescheids vollen Zugang zum Arbeitsmarkt. Und was die Asylwerber betrifft, na bitte, das ist ja nicht vorgesehen, das ist erstens nicht vorgesehen. Das wäre ein weiterer Pullfaktor, wenn man da sofort überall arbeiten darf – gemeinnützige Arbeit ist übrigens gestattet, wird nur sehr, sehr wenig in Anspruch genommen. Und da haben wir aber auch ein Problem mit der Qualifikation. Natürlich brauchen wir qualifizierte Zuwanderung, aber das muss sich der Staat selbst aussuchen, wer kommen kann, für welche Branchen wir wirklich die Menschen brauchen. Wir sollten auch in der Bildung der eigenen Staatsbürger mehr tun, aber natürlich, Österreich sollte sich das selbst aussuchen, und nicht jeder soll kommen und hier arbeiten. Da haben wir ein Problem. Die meisten, die zu uns kommen, vor allem aus Afghanistan, können ja nichts, also die können wirklich nichts. Wir haben jetzt die aktuellen Zahlen vom Österreichischen Integrationsfonds, dass 70 Prozent aller Asylwerber erst alphabetisiert werden müssen (KOHLENBERGER: Lateinische Schrift!), was die lateinische Schrift betrifft, aber von diesen 70 Prozent - - (KOHLENBERGER: Können Sie Arabisch schreiben? Wahrscheinlich nicht! – ŠUNJIĆ: Zyrillisch?) Na, ich brauche auch nicht Arabisch zu können in Österreich. (KOHLENBERGER: Na ja, wenn Sie fliehen müssten!) – Ja, aber wenn die herkommen, müssen sie zumindest die Schrift können. 70 Prozent können die lateinische Schrift nicht, müssen alphabetisiert werden. Und von diesen 70 Prozent wiederum haben 48 Prozent nicht einmal gelernt, in ihrer eigenen Muttersprache zu lesen und zu schreiben. Also die kann man im Arbeitsmarkt nicht brauchen, nicht einmal für einfachste Hilfstätigkeiten, weil die Herrschaften ja gar nicht hackeln wollen. Also eine körperliche Arbeit über acht Stunden, das machen diese Leute nicht. (KOHLENBERGER: Das sind Vorurteile!) Die kommen her und wollen sich faul in die soziale Hängematte legen und hier die Gelder kassieren. So schaut die Wahrheit aus! (ŠUNJIĆ: Es ist unglaublich!)
GROẞ: Können wir da ganz kurz einen - - (KOHLENBERGER: Es war in der ersten Runde so zivilisiert!)
AMESBAUER: Abschließend noch, der letzte Satz: - - (KOHLENBERGER: ... den Tag vor dem Abend gelobt!)
GROẞ: Sie haben das verschrien, Frau Kohlenberger. Sie haben gesagt: Das war so zivilisiert.
KOHLENBERGER: Ich habe es verschrien, in der ersten Runde waren Sie so konstruktiv.
AMESBAUER: Na, das ist natürlich FPÖ, Herr Groß hat mich ja motiviert. Er hat gesagt, na ja, alle probieren jetzt ein bisschen restriktiver zu sein. Ich weiß schon, die ÖVP vor den Landtagswahlen und ein bisschen jetzt in letzter Zeit die SPÖ, jeder will ein bisschen FPÖ sein, aber nur die FPÖ ist die FPÖ, und darum sind wir ja die FPÖ. Wir haben die Lösungen für dieses Thema, wir haben die Kompetenz für dieses Thema. Und letzter Satz jetzt, weil es auch gefallen ist: Ich verwehre mich entschieden gegen ein europäisches Asylsystem, es kommt ja sowieso nicht. Abgesehen davon brauchen wir jetzt schnelle Lösungen. Das ist eine akademische Diskussion, die hat einen ewig langen Bart, dieser wickelt sich schon um den Stuhl von mir, so alt ist diese Diskussion. (Šunjić: Aber entschuldigen Sie, unsere Diskussionen haben auch einen langen Bart! Sie sagen immer wieder dasselbe!) Es wird nicht kommen. Ich will nicht, und das wollen die Österreicher auch nicht, dass eine Frau Von der Leyen entscheidet, wer zu uns kommt. Das muss nationalstaatlich entschieden werden.
GROẞ: Okay. Zum Thema Vermischung: Ich möchte nur sagen, wir haben uns eigentlich vorgenommen, dass wir das Thema Arbeitsmigration sozusagen in die zweite Hälfte der Sendung nicht verlagern, sondern dort dann noch schwerpunktmäßig behandeln; also dieses Thema. (AMESBAUER: Na, die Forderung war ja da!) Natürlich ist es schwer, diese Themen dann immer ganz konsequent zu trennen. Frau Ernst-Dziedzic.
ERNST-DZIEDZIC: Ja, ich finde, die Wortmeldung von Kollegen Amesbauer hat jetzt gut aufgezeigt, wieso es so schwer ist, auf europäische gemeinsame Lösungen ohne Polemik zu kommen, wenn schon Parteipolitik mit dem Thema betrieben wird und wenn es ebenso schwer fällt, ohne Vorurteile sachlich darüber zu diskutieren, welche Lösungen es braucht. Ganz kurz, Indien: Die Asylanerkennungsquote der Inder in Österreich ist genau null. Wir haben gewusst, die kommen durch die Visafreiheit durch Serbien. Es gibt jetzt das Abkommen mit Serbien zum einen, es gibt jetzt ein Abkommen mit Indien zum anderen (Groß: Also dass es jetzt sozusagen keine Visafreiheit mehr gibt!), wo es eben ganz stark auch darum geht, den Indern den Arbeitsmarktzugang zu ermöglichen, wenn sie entsprechende Qualifikationen haben. Das ist das eine. Rückkehrzentren war das Thema: Das ist ja nicht eine Idee, die erst umzusetzen wäre, sondern faktisch geschieht genau das jetzt schon, weil die Länder an den Außengrenzen – um Griechenland aufzugreifen – ja nichts anderes machen, als die Leute aufzufangen, in geschlossenen Lagern mittlerweile jahrelang festzuhalten – unter wirklich menschenunwürdigen Zuständen ohne irgendeine Perspektive, dass irgendwer prüft: Haben sie ein Anrecht oder nicht? Mir haben dort Frauen durchaus, zum Beispiel in Moria, ihre Anerkennungsbescheide gezeigt. Keinen kümmert das irgendwas. Das heißt, das gibt es schon in Ansätzen und es funktioniert eben nicht beziehungsweise haben wir in Griechenland gesehen, wie das auch missbraucht werden kann, wiederum von der Innenpolitik, von der griechischen in dem Fall. Dritte Sache – auch wenn Sie sagen, über Arbeitsmarktpolitik reden wir ein bisschen später –, vielleicht nur perspektivisch: Solange die Union keine Sozialunion ist, solange die Union nicht eine gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Arbeitsmarktpolitik hat, wird es sehr schwierig sein, zu einem gemeinsamen Asylsystem zu kommen. Wir verhandeln diesen Asyl- und Migrationspakt schon seit Ewigkeiten gefühlt, und immer wieder gibt es Länder – da gebe ich dir recht, mit wem man sich verbündet, sollte man sich da genauer anschauen –, immer wieder gibt es Länder, die das wirklich aus rein innenpolitischer Überlegung konterkarieren. Und genau das ist das Problem, wieso wir keine europäische Lösung haben, weil – da bin ich durchaus bei Ihnen –: Wir hätten gemeinsame Kriterien, die sich an der Genfer Flüchtlingskonvention orientieren, die sich an der Grundrechtecharta orientieren. Das ist ja alles vorhanden, das ist ja alles verschriftlicht. Wir müssen das jetzt nicht neu erfinden, wir müssen uns eigentlich nur daran halten. Ich glaube, wenn wir das auf eine europäische Ebene verlagern würden, könnte das sachlicher funktionieren, als wenn wir eben Parteipolitik auf dem Rücken von den Menschen machen, die sich auf den Weg machen. Letzter Satz: Wir haben es gesehen, Afghanistan steht an erster Stelle. Na wieso? – Wir wissen alle, die Taliban haben dort die Macht übernommen. Die Frauen dürfen nicht mehr arbeiten, nicht mehr auf die Straße, nicht mehr in die Schulen. Sie werden dort terrorisiert, alle Minderheiten werden verfolgt, umgebracht. Natürlich machen sich die Leute auf den Weg. Zweites Land, Syrien: Was passiert gerade in Syrien? – Erdoğan, die Türkei versucht dort, eine Sicherheitszone zu errichten, und die Kurden sitzen wieder auf den Koffern. Das heißt, wer zu uns kommt, und überhaupt, wer Anrecht auf Asyl bekommt, hängt ja damit zusammen, dass die Menschen sich eben vor einer dezidierten, einer sehr konkreten Gefahr auf den Weg nach Europa machen. Das heißt, es ist auch eine geopolitische, es ist auch eine außenpolitische, eine sicherheitspolitische Frage, ob die Menschen kommen oder nicht. Wenn wir möchten, dass aus Syrien nicht so viele kommen, müssen wir auch mit der Türkei reden. Wenn wir möchten, dass aus der Ukraine nicht so viele kommen, müssen wir auch Klartext mit Putin reden. Das wollte ich noch einbringen in die Debatte, weil es auch diese Metaebene braucht, wenn wir zu Lösungen kommen wollen.
GROẞ: Lassen Sie mich vielleicht an dieser Stelle nur auf ein Thema noch zu sprechen kommen, das Sie jetzt auch angezogen haben, nämlich: Wer kommt eigentlich zu uns? Verteilung nach Alter und Geschlecht, weil das auch nicht ganz unwesentlich ist, weil es die Debatte ja doch auch wesentlich mitbestimmt, und vor allem auch die Emotionen. Im Vergleich zu früheren Fluchtbewegungen, weil Ungarn 1956 zum Beispiel schon angesprochen worden ist oder auch die Kriegsflüchtlinge aus dem Balkan in den Neunzigerjahren, ist die Struktur der Asylwerber heute nämlich eine gänzlich andere. (Im Folgenden werden die Ausführungen des Moderators durch eingespielte Diagramme unterstützt.) Der überwiegende Teil der Flüchtlinge sind nämlich Männer. Wenn ich da auf die Grafik jetzt verweisen darf: 91 Prozent sind männlich und 8,7 Prozent weiblich. Mehr als 80 Prozent übrigens der männlichen Asylwerber sind zwischen 15 und 35 Jahre alt. – Nur, damit wir das sozusagen jetzt auch gesehen haben. Aber, Herr Gödl, ich möchte jetzt zu Ihnen noch kommen.
GÖDL: Ich bin sehr dankbar für diese Grafik, weil in der Hinsicht bin ich wirklich perplex, was Sie, Frau Šunjić, hier gefordert haben, nämlich dass jene, die abgelehnt werden, quasi überprüft werden sollen, ob sie nicht die geeigneten Kandidaten für die Arbeitsmigration wären. Wir sehen hier diese Asymmetrie, dass sehr, sehr, sehr viele Männer, junge Männer, kommen. Das kann nie eine Basis sein für eine gelingende Arbeitsmarktintegration. Und, liebe Ewa, wenn du jetzt sagst: Ja, wir brauchen europäische Lösungen! – Ja, genau das Schengensystem ist eine der wenigen europäischen Lösungen, die wir eigentlich haben, nämlich einen gemeinsamen Raum mit einer gemeinsamen Außengrenze. Da ist es ja nur logisch, wenn dieser Raum nicht funktioniert, dass wir uns hier auf die Hinterbeine und auf die Hinterfüße stellen. Wenn ich ein Haus, ein zweistöckiges Haus habe und ich möchte einen dritten Stock darauf bauen und ich komme drauf, dass das Fundament aber am Bröckeln ist, dann versuche ich zuerst einmal oder werde ich zuerst einmal das Fundament neu errichten und dann erst den dritten Stock darauf bauen. So ist es auch bei Schengen: Jetzt müssen wir die Basis neu schaffen, dass Schengen überhaupt funktioniert, und dann können wir erweitern. Und da hoffe ich doch sehr, dass wir unserem Bundeskanzler dabei den Rücken stärken, auch wenn jetzt dann die Migrationskonferenz in Brüssel Anfang Februar stattfindet. Da brauchen wir eine Geschlossenheit in Österreich und nicht diese oft sehr umfassende Kritik, die von den Oppositionsparteien kommt. Also ich hoffe schon, dass wir da einen Konsens auch finden können.
ERNST-DZIEDZIC: Darf ich da nur ganz kurz - -
GROẞ: Ja, aber lassen wir vielleicht hier Herrn Margreiter sprechen, weil dieser Schulterschluss jetzt schon gefordert worden ist. (ERNST-DZIEDZIC: Und dann ad hoc, gerne!) Werden Sie da als Oppositionspartei sich beteiligen an diesem Schulterschluss?
MARGREITER: Ja, es ist jede konstruktive Idee natürlich willkommen. Worauf ich noch gesondert eingehen will, das ist das Thema Europa. Natürlich, da, glaube ich, sind wir uns einig, abgesehen vielleicht von Kollegen Amesbauer, der zwar richtig feststellt, dass es derzeit überhaupt nicht funktioniert, aber wir, glaube ich, in der Mehrheit wären schon der Auffassung: Natürlich, jeder Aufwand, jede Mühe, Europa zu bewegen, da einen gemeinsamen Weg zu gehen, muss es uns wert sein. Nur, wie können wir das glaubwürdig vermitteln, wenn wir selber in vielen Bereichen die gemeinsame europäische Idee ganz offensiv unterlaufen? Ich erinnere Schengen: Schengen ist etwas, wo wirklich die Bevölkerung einen absoluten Mehrwert vom gemeinsamen Europa spürt. (GÖDL: Ja!) Ich komme aus Westösterreich. Seit acht Jahren, seit 2015, werden die Grenzen zwischen Deutschland und Österreich, zwischen Bayern und Österreich kontrolliert – Schengen hin oder her. Das ist da wurscht, wenn es tagespolitisch opportun ist, zu sagen: Wir machen Grenzkontrollen, weil es ja so gefährlich ist!, dann ist die gemeinsame europäische Idee gleich einmal nicht mehr so wichtig. Vor diesem Hintergrund, wenn Politiker so agieren, werden wir auch für dieses Problem, das noch viel komplexer ist, keine Meter machen, keine europäischen. Das heißt mit anderen Worten, und deswegen ist ja die Themenstellung „Österreich zwischen Asyl und Zuwanderung“ die richtige, wir müssen uns heute und hier fragen: Welche Möglichkeiten haben wir, damit wir dieses Problem, das Asylproblem, so lösen, dass die Bevölkerung damit leben kann, dass das nicht ständig ein Thema ist, wo man der Bevölkerung Angst macht, wo man sagt, wir sind überfordert? – Ich spüre diese Überforderung wirklich nicht. 20 000 Asylwerber sollten für eine Bevölkerung von 9 Millionen nicht das ganz große Problem sein. Also da gehört einfach von der politischen Kommunikation her eine viel weniger destruktive.
GROẞ: Vielen Dank. Ich habe gesehen, es gibt die eine oder andere Wortmeldung. Lassen wir trotzdem die beiden Expertinnen jetzt auch wieder zu Wort kommen, weil auch sie etwas ergänzen wollten. Sie haben sich zuerst gemeldet, Frau Kohlenberger, und dann Frau Šunjić.
KOHLENBERGER: Ich möchte gern die Grafik, die vorhin gezeigt wurde, einordnen. Ich bin sehr dankbar für dieses ewige und endlose Thema. Da wären wir wieder bei dem, was Sie, Frau Šunjić, sehr richtigerweise gesagt haben, wir diskutieren das alles.
GROẞ: Sie meinen jetzt Alter und Geschlecht, diese Grafik?
KOHLENBERGER: Die jungen Männer, die da zu uns kommen – unter Anführungszeichen. Ja, ich sage immer, wer gerne mehr Frauen und Kinder unter den Geflüchteten sehen möchte, der müsste sich für legale Fluchtrouten nach Europa einsetzen. Das wären dann auch sichere Fluchtrouten. Wir haben de facto die Situation, dass die EU den Weg in die EU hinein als immer gefährlicher, immer weiter und immer schwieriger gestaltet hat. Die Zahlen der Toten im Mittelmeer sprechen eine deutliche Sprache, die Situation der Menschen auf der Westbalkanroute und darüber hinaus auch eine sehr deutliche Sprache. Das bedeutet, dass wir einerseits eine Form der fast schon biologistischen Selektion eingeführt haben – nur die Fittesten, die Gesündesten können diesen Weg auf sich nehmen –, gleichzeitig auch eine Form der ökonomischen Selektion dadurch eingezogen haben. Weil: Wir wissen, und das zeigt konkret auch meine Forschung ganz, ganz deutlich, dass die Menschen, wenn sie eben über keine legalen Fluchtrouten verfügen, sehr häufig die Hilfe von Professionisten, also von Schleppern, in Anspruch nehmen, weil es keine anderen Optionen gibt, um in Freiheit und Sicherheit zu gelangen. Das bedeutet, dass das auch sehr teuer ist, diesen Weg nach Europa zu gehen, und das bedeutet, dass sich die Ärmsten der Armen in den betroffenen Ländern, wie zum Beispiel Afghanistan oder Syrien, diesen Weg nach Europa oft gar nicht leisten können. Die können maximal als Binnengeflüchtete innerhalb der Grenzen des Landes in etwas sichere Regionen gehen oder ins unmittelbare Nachbarland – Libanon, Jordanien –, wo jeder vierte bis jeder sechste dort lebende Mensch ein syrischer Flüchtling ist. Das sind ganz andere Dimensionen als in Europa. Und die, die es sich leisten können, über das entsprechende Kapital und Einkommen verfügen und auch entsprechend robust sind, können diesen sehr gefährlichen Weg mit Hilfe von Schleppern auf sich nehmen. (GÖDL: Das ist ein illegaler Weg!) –Ja, genau, aber da beißt sich die Katze - - (GÖDL: Das ist ein illegaler Weg, und dem kann man nicht das Wort reden; kann man nicht rechtfertigen!) Wenn wir aber tatsächlich versuchen würden, neben dieser Festung Europa, an der an allen Ecken und Enden gebaut wird, auch auf ein wesentliches Element von Festungen, nämlich Zugbrücken, nicht zu vergessen, dann würden wir auch diese Selektion nicht mehr in dieser Härte sehen. Zugbrücken in dem Fall, in dieser Metapher wären legale Zugangsmöglichkeiten, auch für vulnerable Gruppen.
GROẞ: Okay, aber da möchte ich Sie trotzdem bitten, noch ein bisschen konkreter zu werden. Wie kann so eine legale Fluchtroute ausschauen? Wie schaut ein legaler Weg eigentlich aus? – Ganz konkret jetzt.
KOHLENBERGER: Österreich hat da viele Erwartungswerte. Auch wir hatten vor gar nicht allzu langer Zeit noch humanitäre Aufnahmeprogramme in Österreich, die HAP 1 bis 3 beispielsweise. Noch unter einer Innenministerin Mikl-Leitner gab es auch diese Aufnahmeprogramme, wo zum Beispiel syrische Geflüchtete, jesidische Frauen unter anderem, auch aufgenommen wurden – auch das gab es vor nicht allzu langer Zeit im Lauf der Zweiten Republik immer wieder, auch in größeren Kontingenten. (GÖDL: Familienzusammenführungen gibt es ja jetzt auch!) – Absolut, genau. (GÖDL: Das ist ja bitte eine falsche Darstellung!) Wir sehen aber natürlich, dass gleichzeitig, und das finde ich schon auch spannend, im türkis-blauen Regierungsprogramm noch ein geringes, aber doch Resettlementkontingent vorgesehen war – Sie waren also auch für legale Fluchtmöglichkeiten. Im türkis-grünen Regierungsprogramm fehlt das leider vollkommen. Ich möchte da jetzt gar nicht konkreten Parteien den schwarzen Peter zuschieben. Ich glaube, das ist leider im Trend der Zeit, weil auch auf europäischer Ebene sieht man das. (GÖDL: Weil wir andere Zahlen haben, Entschuldigung, seit 2015! Wir haben andere Zahlen!) – Genau, aber das sind miteinander kommunizierende Gefäße. Ich möchte das nur verdeutlichen: Je weniger legale Zugangsmöglichkeiten es gibt, desto mehr weichen Menschen auf den irregulären (GÖDL: Ja!) oder, wie Sie es nennen, illegalen Weg aus. (GÖDL: Aber den kann ich nicht rechtfertigen!) Das heißt, Sie können da schon ein bisschen auch damit versuchen, die Personen eher in legale Möglichkeiten zu leiten – das kann Asyl sein oder notwendigerweise Arbeitsmigration.
GROẞ: Nur weil dieser Begriff jetzt gefallen ist: Resettlement. Das heißt also, dass Menschen, die zum Beispiel von den Vereinten Nationen jetzt als Flüchtlinge anerkannt worden sind und zum Beispiel auf die Übersiedlung nach Österreich vorbereitet worden sind, zum Beispiel in einem der großen von der UNO mitbetriebenen Flüchtlingslager des Nahen Ostens, die könnten dann legal einreisen, so wie Sie gesagt haben, und würden den Schleppern das Geschäft verderben. Aber dieses Resettlementprogramm wurde 2018 aufgekündigt, auch deshalb, wie Sie jetzt ohnedies schon angemerkt haben, weil man gesagt hat, 2015 sind die Zahlen so angestiegen, und jetzt will man das nicht mehr. Weil jetzt auch schon mehrmals dieser EU-Migrationsgipfel Anfang Februar angesprochen worden ist: Da würde mich nur mal ganz kurz, wenn Sie das schaffen, Ihre Einschätzung beziehungsweise Ihre Erwartungshaltung interessieren. Was ist davon zu erwarten? Was glauben Sie, in welche Richtung wird sich die EU da bewegen?
KOHLENBERGER: Na, ich glaube, es wird schon weiter einerseits Richtung Auslagerung gehen. Also man muss schon anerkennen, dass mit 2016, mit der EU-Türkei-Erklärung, da auch ein wichtiger Damm gebrochen ist und auch tatsächlich diese sogenannte Externalisierungspolitik, also die Auslagerung der Asylverantwortlichkeit an Drittstaaten – Drittstaaten mit zweifelhafter Menschenrechtslage –, salonfähig gemacht wurde.
GROẞ: Macht sich die EU durch diese Tendenz erpressbar?
KOHLENBERGER: Absolut. Und ich glaube, das muss man – gerade in geopolitisch so heiklen Zeiten, in denen wir leben – schon ins Auge nehmen. Erdoğan hat sich da in eine sehr interessante Vermittlerposition zwischen der Ukraine und Russland hineingespielt. Erdoğan haben wir selbst – nämlich in Form von vier Millionen syrischen Geflüchteten, die mit viel europäischem Steuergeld in der Türkei untergebracht sind – einen Riesenhebel gegen die EU in die Hand gegeben. Diesen Hebel weiß er sehr gut bei sämtlichen außenpolitischen Auseinandersetzungen einzusetzen. Er droht immer wieder damit, die Geflüchteten nach Europa zu schicken. Das passiert auch immer wieder, da kommt es dann zu Grenzauseinandersetzungen mit Griechenland. Wenn man das Gleiche jetzt auch mit Ruanda spielen möchte oder einem beliebig anderen Drittstaat, würde ich sehr davor warnen. Gleichzeitig natürlich die Frage: Warum ist denn genau der Teil der EU-Türkei-Erklärung, der wichtig für schutzsuchende Menschen wäre, nämlich dass jene mit Schutzbedarf auch aufgenommen werden in der EU, nicht umgesetzt worden? – Und da sind wir wieder beim Thema politisches Kapital schlagen und auch Stimmung machen.
GROẞ: Vielen Dank.
ŠUNJIĆ: Ich weiß gar nicht, worauf ich zuerst antworten soll. Vielleicht einmal zur Tatsache, dass so viele Männer kommen? – Da muss ich mich meiner Vorrednerin anschließen: Weil der Weg teuer und gefährlich ist und weil die Arbeitsimmigration nicht funktioniert. Auf der einen Seite – und Sie sind ja Vertreter einer prononcierten Wirtschaftspartei – schreien ja gerade die Arbeitgeber, und zwar nicht nur in Österreich, sondern europaweit, nach Arbeitskräften – übrigens nicht nur nach qualifizierten. Es werden in Spanien, in Süditalien die Pflücker gebraucht, es werden auch durchaus unqualifizierte oder wenig qualifizierte Arbeitskräfte in Europa gebraucht. Es ist ja nicht so, dass wir nur – ich weiß nicht – die Ingenieure brauchen; und die Ingenieure arbeiten bei uns oft weit unter ihren Qualifikationen, das nur so nebenbei. Das heißt, an dem hapert es. Und weil diese Arbeitsimmigration nicht funktioniert, haben wir diese vermischte Immigration, wo Leute versuchen, über die Asylschiene nach Europa zu kommen. Die Doppelbödigkeit der Asyldebatte zeigt sich ja immer wieder. Ich kann mich erinnern, dass alle, als die ersten Ukrainer:innen durch Österreich durchgefahren sind, erst gesagt haben: Wunderbar, jetzt kommen neue Arbeitskräfte, jetzt kommen die Ukrainer:innen und die können wir sicher gut brauchen, die sind qualifiziert! Und dann waren alle enttäuscht, als die meisten von ihnen weitergefahren sind. Und dann waren sie noch enttäuschter, als sich herausgestellt hat – bei denen die dageblieben sind –, dass, wenn Frauen mit Kindern kommen und es keine Kinderbetreuung gibt, die dann nicht arbeiten können. – Also die Arbeitskräfte werden ja gebraucht. Künftig – das ist ein bisschen untergegangen in der ganzen Diskussion für die Rot-Weiß-Rot-Card – gilt sozusagen als Bonus, wenn man BKS – Bosnisch, Kroatisch, Serbisch – oder Französisch oder Spanisch kann. (GÖDL: Ja!) Wer aus den Drittländern kann denn bitte Französisch und Spanisch? Das sind die Nordafrikaner und die Marokkaner und eventuell die Westafrikaner, aber darüber hinaus? Das heißt, es geht ja eh etwas weiter bei der Legalisierung der Arbeitsmigration, aber niemand sagt das, denn niemand wagt es, zu sagen: Österreich ist ein Einwanderungsland.
GÖDL: Entschuldigung, wir haben erst letzte Woche eine Pressekonferenz gehabt!
AMESBAUER: Das hat ja mit Asyl nichts zu tun. (GÖDL: Nein, das hat mit Asyl nichts zu tun, genau!) Weil ständig die Ukrainerinnen kommen: Die haben mit dem Asylsystem auch nichts zu tun.
GROẞ: Lassen Sie mich an dem Punkt, damit wir uns da selber nicht untreu werden hier in dieser Sendung – und wenn Sie vielleicht diese Geduld noch aufbringen können, merken Sie sich bitte, was Sie noch sagen wollten –, zu diesem von uns vorbereiteten Beitrag zum Thema Arbeitsmigration kommen. Die heimische Wirtschaft sucht ja – und ich glaube, das ist jetzt auch schon mehrmals angesprochen worden –, zumindest in vielen Branchen, händeringend nach Arbeitskräften. Die Expert:innen sind sich außerdem alle einig, dass wir, um das Sozialsystem und den Wohlstand zu sichern, mehr Zuwanderung brauchen, auch um nicht auszusterben, wie ich heute schon von Herrn Margreiter gehört habe. Man könnte fast von einem politischen Paradoxon sprechen, wenn Sie so wollen, denn einerseits erfordert die ökonomische Entwicklung ganz offensichtlich mehr Offenheit, auf der anderen Seite besteht aber ein innenpolitisches Interesse – und ich glaube, das haben wir jetzt auch schon gehört und gesehen – an zumindest fallweise mehr Abschottung. Wir haben darüber auch mit AMS-Chef Johannes Kopf gesprochen und eine junge Frau getroffen, die über die Hürden spricht, die Arbeitsmigrantinnen und -migranten hierzulande erwartet.
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Es folgt eine Videoeinspielung:
Mariia (Marketingmanagerin): Im Leben passiert so viel Unerwartetes. Vor genau einem Jahr wusste ich nicht, dass ich nach Wien kommen würde.
Sprecher: Mariia ist Ukrainerin, lebt aber seit Jahren in Krakau. Vor knapp einem Jahr bekommt ihr polnischer Lebensgefährte Pavel ein Jobangebot in Österreich. Mariia will ihn begleiten. Die Uni-Absolventin kommt nicht als Flüchtling, weil sie schon seit Jahren in Polen lebt und arbeitet. Deshalb sucht die Marketingfachfrau um die Rot-Weiß-Rot-Karte an. Das ist eine Kombination aus Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung für Menschen aus Drittstaaten.
Johannes Kopf (AMS-Chef): Wir haben eine Zuwanderung, die mit der Rot-Weiß-Rot-Karte organisiert ist, da wird definiert, welche Berufe besonders nachgefragt sind. Da kann man vereinfacht sagen: Es sind alle ganz hoch qualifizierten, und je niedriger man mit der Qualifikation, meistens auch mit dem Verdienst kommt, desto spezieller wird es. Da gibt es sozusagen – abhängig vom konkreten Mangel in den betreffenden Regionen, aber auch österreichweit – so etwas wie eine Mangelberufsliste, auf der stehen heuer 98 Berufe.
Sprecher: Mariia will sich in Österreich ein Leben aufbauen. Ihr erster Schritt: Einen Arbeitgeber suchen, der diesen Weg mit ihr gehen möchte.
Mariia: Jedes Unternehmen braucht die Besten an Bord. Ich hatte Glück, weil mich mein Arbeitgeber unterstützt hat. Er war interessiert daran, dass genau ich für ihn arbeite. Er musste ein halbes Jahr warten, musste sich mit meinen Papieren und dem AMS beschäftigen. Ich glaube nicht, dass das jeder Arbeitgeber machen würde.
Sprecher: Mariias Arbeitgeber will sie unbedingt und wartet, bis ihre Arbeitserlaubnis da ist. Doch das können oder wollen nicht alle Unternehmen.
Mariia: Ich habe gehört, dass manchmal die Unternehmer nicht warten wollen. Sie wollen zwar die besten Leute an Bord, aber sie wollen kein halbes Jahr oder Jahr warten, deshalb sagen sie dann mitten im Prozess ab und der Antragsteller muss alles von vorne beginnen und sich nach einem neuen Arbeitgeber umsehen.
Sprecher: Der österreichische Arbeitsmarkt braucht qualifizierte Kräfte, doch um deren Rekrutierung besteht ein weltweiter Wettbewerb.
Johannes Kopf: Österreich ist nicht unattraktiv an sich, aber Österreich ist zum Beispiel für das europäische Nachbarland attraktiv. Die Diskussion war viel auch aus eher so Sicherheitsgesichtspunkten, Armutszuwanderung und so weiter getrieben, und da haben Parteien ja auch durchaus erfolgreich Politik gemacht mit diesem Schüren von Ängsten und so weiter. Das hat auf der einen Seite wahrscheinlich auch zu Vorbehalten unter der Bevölkerung geführt, hat aber in Wirklichkeit möglicherweise auch die eine oder andere Spitzenkraft verschreckt.
Sprecher: Als Mariia die Zusage für die Rot-Weiß-Rot-Karte bekommt, ist sie glücklich. Seit 9. Jänner 2023 arbeitet sie nun in einem Start-up in Wien. Zwei Jahre gilt ihre Rot-Weiß-Rot-Karte, danach kann sie sie verlängern. Für sie ist Wien der perfekte Ort zum Leben. Ihr nächster Schritt: Deutsch lernen.
Mariia: Ich weiß, dass ich hier fast überall Englisch reden kann, aber ich will unbedingt alles verstehen. Ich glaube auch, dass Deutsch mir hilft, ein Teil der Gesellschaft zu werden. Vielleicht bin ich dann eines Tages nicht die Ausländerin, sondern kann sagen: Ich bin aus Wien.
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GROẞ: Manche Expert:innen wie zum Beispiel Frau Šunjić sagen ja, dass man in den letzten Jahren den Umstieg in die Arbeitsmigrationsspur erschwert hat, um das Land nicht sozusagen zusätzlich attraktiv zu machen. Aber, Herr Amesbauer, müsste nicht das Gegenteil der Fall sein, auch wenn wir jetzt Johannes Kopf zum Beispiel ernst nehmen? Müssten wir uns nicht attraktiv machen für die besten Köpfe, um die es ja global geht und einen Kampf gibt?
AMESBAUER: Da müssen wir uns die Frage stellen, warum nicht die besten Köpfe kommen, sondern warum 110 000 illegale Köpfe kommen; und auch im Jahr 2021 im Übrigen 40 000 Illegale. Noch einmal, das habe ich eingangs schon gesagt: Zuwanderung von Fachkräften für die Wirtschaft, für Schlüsselpositionen, sofern wir diese Menschen hier nicht selbst haben – ja. Aber wir, als Österreich, müssen uns aussuchen, wer zu uns kommt. Wir können es nicht hinnehmen, dass 110 000 über unsere Grenzen kommen, das Zauberwort Asyl aussprechen und im System sind.
GROẞ: Über die illegale Migration haben wir ja schon wirklich sehr ausführlich geredet. Jetzt reden wir über die legale beziehungsweise über die gesteuerte Arbeitsmigration, und da möchte ich Sie fragen, ob Sie glauben, dass wir zum Beispiel Pfleger:innen aus den Philippinen, ich weiß nicht, Techniker aus Indonesien, Ingenieure aus Vietnam bei uns aufnehmen sollen und gezielt auch anwerben sollen.
AMESBAUER: Schauen Sie, weil Sie den Pflegebereich angesprochen haben: Es sind vor allem auch viele aus Osteuropa da, da gibt es soweit auch kein Problem. Man muss ja immer auch schauen: Wo kommen die Menschen her? Wo kommen sie her? Ich spreche jetzt für alle EU-Länder, da gibt es ja keine Probleme. Das Problem ist, dass so viele aus völlig kulturfernen Regionen herkommen, vor allem aus dem arabischen Raum. Wir haben ja die Statistiken gesehen: Afghanistan, Syrien, Marokko und so weiter, vor allem aus dem islamischen Raum, Menschen mit einem völlig anderen Wertesystem, mit einem völlig anderen Wertekompass, wo die Frau nichts zählt, wo die Gesetze nichts zählen; weil ja immer so auf die Rechtsstaatlichkeit verwiesen wird: für die zählt aber die Scharia und nicht unsere Verfassung und unsere Gesetze. Und andererseits haben wir aber das System, dass wir die Einzigen sind - - Wir – Österreich – sind die Dümmsten der Dummen in Wahrheit in Europa, denn wenn wir uns die Nachbarländer anschauen: die machen Push-backs, die hören die Asylanträge gar nicht, die nehmen die Asylanträge, die vielleicht auch in Ungarn gestellt werden, gar nicht zur Kenntnis – aber wir machen das. (ERNST-DZIEDZIC: ... gegen das Völkerrecht!) – Ja, Ewa, das höre ich immer (ERNST-DZIEDZIC: Ja, es gibt ein Völkerrecht!), die sind gegen das Völkerrecht, die sind gegen die Menschenrechtskonvention, die sind gegen unsere Bundesverfassung. Trotzdem machen es viele Länder. Das machen die baltischen Staaten, das machen die Polen, das macht Italien, das macht Ungarn – nur wir machen es nicht.
GROẞ: Es gibt auch Länder, Herr Amesbauer, wo zum Beispiel die Arbeitsmarktservices Außenstellen haben (AMESBAUER: Ja, natürlich!), zum Beispiel in Jakarta oder – ich weiß nicht – in Manila und so weiter und so fort. Ist das ein Weg, den Sie sich auch vorstellen könnten?
GÖDL: Herr Groß, das passiert ja längst. Diese junge Frau aus der Ukraine, die hier zu Wort kam: Wenn sie nach dem 1. Oktober einen Antrag gestellt hätte – sie war vorher dran –, würde es schon schneller gehen. Wir haben am 1. Oktober eine Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte bereits auf den Weg gebracht, seitdem sind auch die Anträge und auch die Genehmigungen sprunghaft angestiegen. Das ist gut so. Wir müssen natürlich unseren Wirtschaftsstandort attraktiv für ausländische Arbeitskräfte machen, in vielen Bereichen. Da gibt es ja bereits viele positive Beispiele. Ich denke etwa zum Beispiel an ein Programm: dass von Kolumbien Pflegekräfte in Österreich bereits aktiv sind. Die werden in Kolumbien ausgebildet, lernen dort auch bereits Basiswissen in Deutsch und kommen dann schon direkt mit einem Einstellungsvertrag nach Österreich. – So funktioniert qualifizierte Zuwanderung, und nicht so, wie Frau Šunjić gesagt hat: dass wir dann schauen sollen, ob auch die, die dann doch nicht bleiben dürfen, nicht doch dableiben können. Qualifizierte Zuwanderung in unser System kann nur über die Rot-Weiß-Rot-Card funktionieren, und da machen wir Fortschritte, da haben wir einiges auf den Weg gebracht. Das zeigen auch schon die Zahlen, dass es funktioniert. Dass es noch mehr sein muss, dass es noch besser werden muss, Nostrifikation und dergleichen, keine Frage, aber da tut sich vieles im positiven Sinne.
GROẞ: Okay. – Bitte.
ERNST-DZIEDZIC: Bevor ich zum Arbeitsmarktzugang etwas sage, ganz grundsätzlich: Genau heute ist es 30 Jahre her, dass die größte Kundgebung mit über 300 000 Menschen in Österreich stattgefunden hat. Das war die Antwort auf das FPÖ-Ausländer-raus-Volksbegehren (AMESBAUER: Österreich zuerst, hat es geheißen!) – oder wie das geheißen hat –, nämlich das Lichtermeer. (AMESBAUER: Wir werden das übrigens neu auflegen zum Jubiläum! Dann könnt ihr wieder ein Lichtermeer machen!) Und das zeigt uns gut auf, dass in Österreich Menschen durchaus nicht nur ein Herz haben, sondern auch Verstand, und genau unterscheiden können, dass es Menschen gibt, die vor Krieg und Verfolgung flüchten, und dass es auf der anderen Seite eben ein Regelwerk braucht, eben durch Reformierung der Rot-Weiß-Rot-Karte – da haben wir schon einige Schritte gesetzt. Zum Beispiel unser Vorschlag wäre auch, dass wir eben schon in den Ländern selbst Anwerbeprogramme starten, damit die Menschen sich bewerben können. Die OECD hat zum Beispiel festgestellt, dass Österreich das Potenzial der Menschen – im Gegensatz zu dem, was Kollege Amesbauer sagt – gar nicht nutzt, das heißt, dass die Menschen durchaus qualifiziert sind, aber es dann noch Probleme gibt: beim Spracherwerb, bei der Nostrifizierung, bei der Anerkennung der ganzen Abschlüsse. Da gibt es also noch irrsinnig viel Luft nach oben. Sie haben es eingangs gesagt, die WKÖ sagt es auch: 270 000 Menschen fehlen uns, 85 Prozent in der Industrie, an die 80 Prozent, glaube ich, sind es im Tourismus. Das heißt, wir brauchen dringend Fachkräfte, wir brauchen dringend Menschen, die hier arbeiten wollen. Viele wollen aber nicht mehr kommen, weil durch die Debatte in Österreich die Atmosphäre mittlerweile schon so vergiftet ist, weil es Menschen gibt, die sagen: alles Illegale! Aus meiner Sicht ist kein Mensch, kein Kopf illegal. Es gibt irreguläre Menschen, schlicht, weil es keine legalen Fluchtwege gibt. (AMESBAUER: Jetzt bist aber du außerhalb des Rechtsstaates.) Wenn wir uns einmal darauf einigen würden, dass kein Mensch illegal ist, sondern per se eine Existenzberechtigung hat, aber wir ein Asylsystem haben, das prüfen muss, ob dieser Mensch Anrecht hat, zu bleiben oder nicht – (AMESBAUER: Ja!) das wäre das eine –, dann könnten wir uns dem widmen, dass wir Menschen auch bewusst anwerben, Fachkräfte anwerben, die besten Köpfe anwerben, die für uns in Österreich auch arbeiten wollen. Das ist ja in unserem Sinn, wenn Menschen, die ausgebildet sind, die den Willen haben, arbeiten zu wollen, zu uns kommen.
GROẞ: Herr Einwallner und dann Herr Margreiter.
EINWALLNER: Ich glaube, man muss noch einmal zwei Sachen klarstellen. Um nur ganz kurz einen Rückblick zur letzten Runde zu machen, weil darüber die Frage war: Wird das Thema eigentlich genutzt, um politische Kommunikation zu machen? – Da müssen wir leider in Österreich sagen: Ja, ÖVP und FPÖ nutzen dieses Migrations- und Asylthema leider, um Politik zu machen, um billige Politik zu machen. Man sieht es ganz klar: Wenn ihr bei der ÖVP in irgendeinen Skandal verwickelt seid, dann wird das Thema hochgefahren (AMESBAUER: Stimmt!), und bei der FPÖ ist das einzige Thema, das überhaupt vorhanden ist, dieses Ausländer- und Migrationsthema. (GÖDL: Und du hast nie was von Doskozil gehört, glaube ich, gell!) Dann gibt es das zweite Thema und diese Vermischung, und da müssen wir eben aufpassen. Und ja, wir brauchen natürlich auch eine Migrationspolitik für Österreich, weil wir Fachkräfte und Arbeitskräfte brauchen im Land. Ich komme aus Vorarlberg, und der Tourismus würde nicht so funktionieren, wenn wir keine ausländischen Arbeitskräfte im Tourismus oder in der Industrie in Vorarlberg hätten. Selbstverständlich brauchen wir qualifiziertes Personal, und wir müssen natürlich eine Migration ermöglichen – auf einem legalen Weg nach Europa, nach Europa und nach Österreich. (GÖDL: Rot-Weiß-Rot-Card! – AMESBAUER: Diese legalen Wege gibt es ja. – GÖDL: Nicht immer dagegenstimmen!) Die Rot-Weiß-Rot-Card muss gut gemacht sein (GÖDL: Ist sie!) und muss immer wieder angepasst sein. (GÖDL: Ja!) Zu gut gemacht sage ich Ihnen jetzt ein Beispiel: Ich habe ein Beispiel gehört von einer Studentin, die mit einer Rot-Weiß-Rot-Card den Studienabschluss in Österreich gemacht hat: Sie hat den Abschluss gemacht, spricht perfekt Deutsch, ist in keinem Mangelberuf – ist in keinem Mangelberuf! –, und ist aber nach ihrem Studium im öffentlichen Dienst beschäftigt und hat ein zu geringes Einkommen, um in Österreich bleiben zu können. – Das sind die Realitäten, die wir in der Rot-Weiß-Rot-Card haben (GÖDL: Beppo Muchitsch, Sozialdumping, sag ich dir nur als Stichwort!): dass sie für viele Bereiche nicht praktikabel ist.
GROẞ: Wie viele Menschen kommen im Moment eigentlich über die Rot-Weiß-Rot-Card nach Österreich – 3 000 bis 4 000?
GÖDL: Im Vorjahr waren es das erste Mal 6 200, im Jahr zuvor, 2021, waren es 3 800 (ŠUNJIĆ: Im Jahr?) – im Jahr. Wir haben also mit der Reform - -
GROẞ: Das ist eigentlich verschwindend wenig, muss man sagen, oder?
GÖDL: Wir haben mit der Reform ab Oktober - -
EINWALLNER: Wenn 270 000 Fachkräfte fehlen, Kollege Gödl, und wir schaffen es mit der Rot-Weiß-Rot-Card gerade einmal, 6 000 nach Österreich zu bringen, dann sieht man doch das Riesendelta, das vorhanden ist.
GÖDL: Ja, aber wir haben auch noch Arbeitslose, bitte, das möchte ich schon sagen. Also, bitte, schon die Kirche im Dorf lassen! (Ruf: So niedrig, wie schon lange nicht!)
EINWALLNER: Das ist ein weiterer Punkt, ja. Da braucht es Qualifizierungsmaßnahmen, braucht es Umschulungsmaßnahmen, das müssen wir natürlich auch machen. Man kann nicht nur mit dem Instrument der Migration arbeiten. Aber wir müssen der Realität ins Auge sehen: dass es einen Teil braucht, der Umqualifizierung, Höherqualifizierung, Qualifizierung derer, die jetzt in Österreich arbeitslos sind, heißt – das ist der eine Punkt; nicht vermischen! –, und dann ist aber klar, dass wir die 270 000 fehlenden Fachkräfte nicht aus diesem Pool alleine bewältigen können, sondern dass wir eine qualifizierte Zuwanderung brauchen werden, und die müssen wir ermöglichen. Dazu braucht es eine funktionierende Rot-Weiß-Rot-Card, und das war bis jetzt halt leider ein Stückwerk, das zeigen auch die Zahlen.
GROẞ: Herr Margreiter.
MARGREITER: Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber was sieht man, wenn man mit offenen Augen durch die Straßen geht oder auch durch Krankenhäuser, was immer? Wer ist bei Sommerhitze, bei Winterkälte in der Künette unten und gräbt und arbeitet da? Wer asphaltiert bei Sommerhitze? Wer reinigt unsere Krankenhäuser? Wer fährt mit dem Wischmopp durch die Gegend? Können wir uns einmal ein bisschen von dem Mythos der qualifizierten Zuwanderung befreien? Wir haben eine Situation, wie wir sie derzeit haben, schon einmal in den Siebzigerjahren gehabt. Damals hat man das noch Gastarbeiter genannt. Ich weiß das sehr genau, weil in meiner Heimatgemeinde große Baufirmen und auch ein großer metallverarbeitender Industriebetrieb – mit Gussöfen, also harte Arbeit – waren, und die haben keine einheimischen Arbeiter mehr gefunden. Da sind dann sehr viele Menschen aus Jugoslawien und auch aus der Türkei gekommen – aus der Türkei; das war damals natürlich noch nicht diese islamistische Agenda, wie heute, aber es war ein islamischer Staat, und was die Kulturfremdheit betrifft, in etwa kein großer Unterschied zu Syrien heute. Da sind zunächst nur Männer gekommen, und als man gesehen hat, das funktioniert nicht, hat man es ermöglicht, dass sie ihre Familien nachkommen lassen. Heute sind das hochintegrierte Menschen, bei denen zum großen Teil das Integrationsversprechen gelungen ist. Das sind heute erfolgreiche Unternehmer, die schon in der dritten Generation ihre Kinder bei uns haben und, und, und. Das ist ein Modell, woran man sieht: Das funktioniert, wenn man will, das geht. Ich sehe heute wieder eine ähnliche Situation, nur ist der Unterschied heute, dass eine öffentliche Kommunikation maßgeblich ist und den Takt vorgibt, die das schlechtredet, die da Angst schürt, die da mit den Fremden, mit den Leuten, die wir nicht brauchen, politisches Kleingeld schlagen will. Wir brauchen sie aber, wir brauchen sie wirklich, und zwar für alle Arbeiten. Wir brauchen nicht nur Fachkräfte, denn Österreicher, autochthone Österreicher machen die ganzen Arbeiten nicht mehr, die wir heute von Menschen aus anderen Ländern machen lassen, wobei wir froh sein müssen, dass sie herkommen. Denen sollen wir eine Integrationschance bieten, wie das in den Siebziger-, Achtzigerjahren erfolgreich funktioniert hat, bis eben da der Stimmungswechsel war.
GROẞ: Vielen Dank für diese Runde. Frau Kohlenberger, Sie haben sich vorhin schon gemeldet, vielleicht erinnern Sie sich noch daran, was Sie sagen wollten. Bitte.
KOHLENBERGER: Einerseits wollte ich diesen Gedanken der Paradoxie, mit dem Sie diese Runde begonnen haben, aufgreifen, weil sich ja auch da deutlich so ein paradoxer Moment zeigt, würde ich sagen: Auf der einen Seite wird überall qualifizierte Zuwanderung gefordert, auf der anderen Seite gibt es keine Arbeitsmarktgruppe, die stärker von Dequalifikation betroffen ist, als migrantische Arbeitnehmer:innen. Das heißt, sehr, sehr häufig sind Migrantinnen und Migranten, wenn sie am österreichischen Arbeitsmarkt tätig sind, teilweise massiv, aber auf jeden Fall zumindest für einen erheblichen Teil überqualifiziert für die Tätigkeit, die sie ausüben. Das heißt, die Menschen kommen mit Qualifikationen, die verwenden wir aber einfach hier nicht. Da stellt sich also auch die Frage der richtigen Arbeitsmarktpolitik, Integrationspolitik – ganz ein wichtiges Thema! Es bringt uns nichts, wenn wir superqualifizierte Menschen anwerben, die aber ihre Qualifikationen hier nicht einsetzen können und wir sprichwörtlich die studierte Biochemikerin haben, die als Gebäudereinigungskraft arbeiten muss. Ich glaube, es geht beim Thema Integration nicht nur um die Frage: Arbeiten Migranten?, sondern: Was arbeiten sie und welche sozialen und Bildungsaufstiegsmöglichkeiten bekommen sie in die Hand? – Ich glaube, da wurde teilweise auch in den Sechzigern und Siebzigern noch etwas verabsäumt – das eröffnet aber ein anderes Thema. Ich glaube, es wäre wesentlich, sich das anzuschauen. Die Zahlen zeigen ja klar: Der eklatanteste Arbeitskräftemangel herrscht ja nicht in den akademischen Berufen, im hoch qualifizierten Sektor, sondern im niedrig qualifizierten Sektor, im manuellen Sektor. Das ist übrigens auch der Bereich, den man nie komplett durch die Digitalisierung wird wegrationalisieren können, weil sich, das sagen mir die Experten bei uns an der Wirtschaftsuniversität, die dazu forschen, ganz manuelle Tätigkeiten für Roboter schwer programmieren lassen. Mit künstlicher Intelligenz kann man aber vieles in der Wissensarbeit abfangen. Ein zweiter wichtiger Punkt ist schon auch, dass wir – ja eh! – Migration und Asyl trennen müssen und so weiter, gleichzeitig sind das auch auf der rhetorischen Ebene kommunizierende Gefäße, dazu gibt es auch schon empirische Forschung. Ich kann nicht auf der einen Seite einen restriktiven Asyldiskurs führen und auch ganz massiv Stimmung gegenüber irregulär Ankommenden, gegenüber Fremden und so weiter machen und auf der anderen Seite sagen: Die guten Fremden, die Qualifizierten wollen wir aber bitte schon, kommt her zu uns! – Das geht sich nicht aus, weil sich die Menschen natürlich genau deshalb dann auch als Kollektiv verstehen, eine kollektive Identität als Ausländer in Österreich ausprägen und dann natürlich daraus schließen: Wir sind hier nicht willkommen, egal über welche Schiene ich gekommen bin, denn offenbar ist das kein Land, in dem eine gute Einwanderungsrhetorik herrscht, in dem ich willkommen geheißen werde, in dem ich Chancen bekomme! – Auch in Puncto Einbürgerung ist das eine Frage. Man sieht also: Wenn man qualifizierte Fachkräfte will, dann muss man vielleicht auch ein bisschen etwas bei der Stimmung im Land machen, wenn es um die Frage Zuwanderung und einfach generell den Umgang mit Neuankommenden geht.
GROẞ: Vielen Dank. Frau Šunjić, ich möchte Sie noch fragen, weil zwar vorhin nicht explizit vom dänischen Modell die Rede war, es aber doch angesprochen worden ist: Tatsächlich verfolgt ja Dänemark einen sehr restriktiven Weg. Sie haben vorhin eingeworfen, dass dort zur Zeit eine Sozialdemokratin die Regierung führt. Restriktiver Weg heißt, dass man dort auch Asylverfahren zum Beispiel in Ruanda will, dass Leute auch zurückgeschickt werden, wenn sie zum Beispiel westlichen Normen oder so nicht entsprechen, dass es auch viel Geld gibt, also fast so eine Art Kopfprämien, für Rückkehrerinnen und Rückkehrer. Das klingt also alles nicht wahnsinnig liberal. Können Sie dazu etwas sagen? Wie stehen Sie eigentlich zu diesem dänischen Modell?
ŠUNJIĆ: Ich stehe, wie Sie sich vorstellen können, relativ skeptisch gegenüber diesem Modell, weil das eben genau diesen Diskurs schürt, dass die Fremden das Böse sind und dass man da irgendwie dagegen anarbeiten soll. Diese Idee von einer Auslagerung zum Beispiel nach Ruanda ist ja insofern schon nicht praktikabel, denn: Erstens, wir schaffen es nicht einmal in Griechenland, ein EU-konformes Asylverfahren zu schaffen; die Ungarn brechen die Asylnormen jeden Tag und dann sagen wir: Okay, wir lagern das aus! Wie soll das also ausschauen? Das müsste ein Guantanamo sein, da muss man die Leute dann einsperren, festhalten, bewachen. Es gibt dann sofort eine Schleppermafia. Es kostet enorm viel, die Leute dorthin zu schaffen. Wer soll die Asylverfahren führen? Man muss einen Riesenapparat aufbauen. – Das ist einfach nicht praktikabel. Es klingt auf das Erste demagogisch sehr gut: Wir lagern das Problem aus, wir schauen weg, Hauptsache, sie sind nicht bei uns! – nach dem Florianiprinzip. Ich möchte aber diese Schlussrunde jetzt auch nutzen, noch zwei Mythen und zwei falsche Argumente zu zerschlagen, die immer kommen. Das eine ist: Wir wollen keine Leute aus kulturfernen Gegenden!, wie Sie das so demagogisch formuliert haben (AMESBAUER: Wollen wir nicht, nein! Die Bürger wollen das nicht!), man hätte also gerne irgendwen aus den Nachbarstaaten. Tatsache ist, dass die osteuropäischen Staaten ein massives Migrationsproblem haben, und zwar ein Emigrationsproblem: Den Rumänen fehlen drei Millionen Menschen, die ausgewandert sind; ich glaube, viereinhalb Millionen Polen sind außerhalb des Landes. Die Länder haben ihrerseits Einwanderungsprogramme, je nachdem Bangladesch, Vietnam, aus verschiedenen Ländern. Das wird sich also nicht ausgehen. Seit Kroatien bei der EU ist, gehen ganze Jahrgänge, wenn sie fertig studiert haben, nach Westeuropa, wo sie dann unter ihrer Qualifikation und unterbezahlt irgendwo arbeiten. Das wird sich mit einer europäischen Umverteilung nicht ausgehen. Das ist das eine. Das Zweite ist: Österreich war immer und ist ein Einwanderungsland (AMESBAUER: Nein!) – man braucht sich nur die Namen anzusehen: in Vorarlberg die italienischen, in Wien die tschechischen und ungarischen –, es war das Zentrum eines Vielvölkerstaates: Da sind Leute eingewandert und es sind Leute ausgewandert, und das wird auch in Zukunft so sein. (AMESBAUER: In dem Vielvölkerstaat hat ja jeder in seinem Landesteil gewohnt, die haben ja nicht zusammengelebt!)
GROẞ: Vielen Dank auch dafür, dass Sie jetzt sozusagen die Schlussrunde eingeläutet haben. Tatsächlich verbleiben uns nur mehr wenige Minuten, und ich möchte jetzt mit der Schlussrunde fortfahren und gleich mit Ihnen weitermachen, Frau Kohlenberger, und Sie fragen: Ich komme noch einmal zurück auf dieses liberale Paradoxon, wie Sie es bezeichnet haben, nämlich diese Diskrepanz zwischen sozusagen diesem Pragmatismus auf der einen Seite, der uns eigentlich sagen würde, wir brauchen Menschen aus anderen Ländern, und gleichzeitig der oft der Innenpolitik geschuldeten restriktiven Haltung. Kommen wir Ihrer Einschätzung nach aus diesem Paradoxon raus?
KOHLENBERGER: Kann man dieses Paradoxon auflösen? – Ich bin da ja an sich eher skeptisch, ich glaube tatsächlich – und das scheint mir heute ja ein gewisser Konsens in der Runde hier gewesen zu sein –, es geht auch darum, wie man über das Thema spricht, also auch darum, erst einmal ehrlich zu sprechen, die Mythen zu adressieren und aufzulösen, und darum, dann tatsächlich von dieser Dauerkrisenstimmung runterzugehen, in der wir über Migration sprechen. Migration ist Realität, und ich würde tatsächlich sagen: sie ist Normalität für sehr, sehr viele Menschen in diesem Land. Wir tun aber so, als wäre es ein Dauerkrisenthema, und das ist es eigentlich nicht. Ich glaube, das könnte ein erster Schritt dahin gehend sein, bevor wir überhaupt über Lösungen oder über Auflösungen von Pattsituationen sprechen.
GROẞ: Vielen Dank dafür. Dann gehen wir noch zu den Damen und Herren Abgeordneten: Herr Amesbauer, können Sie sich vorstellen, einmal ganz ohne Emotionen oder weitgehend ohne Emotionen, rein pragmatisch an dieses Thema heranzugehen und auch der Vorstellung näherzutreten, dass wir eben einfach auch aus ökonomischen Gründen Menschen aus fernen Ländern und Kulturen brauchen werden und dass wir die – wie wir sie heute bezeichnet haben – irreguläre oder auch illegale Migration auch auf durchaus humanen Wegen eindämmen?
AMESBAUER: Ich gehe immer programmatisch und pragmatisch an diese Sache heran. Zum einen möchte ich einmal mit dieser Mär aufräumen: Wir brauchen händeringend Arbeitskräfte. – Das stimmt so nicht. Wir haben nach wie vor Arbeitslose, wir haben nach wie vor Nachholbedarf, was die Qualifizierung eigener Bürger betrifft, und ich darf daran erinnern, dass es nahezu 450 Millionen EU-Bürger gibt, die aufgrund der Arbeitnehmerfreizügigkeit ohnehin in jedem europäischen Staat, in jedem EU-Mitgliedsland jederzeit arbeiten dürfen, also das ist das eine. Da werden wir wohl genug haben. Wenn das für gewisse Branchen, wo es Mängel gibt – da haben Sie ja völlig recht – immer noch nicht reicht, dann wird man das auch schaffen können. Das hat aber mit der illegalen Massenmigration nichts zu tun. Da muss ich auch sagen – und das ist ganz pragmatischer Zugang –: Die Menschen wollen das nicht, diese Massenmigration wollen sie in vielen europäischen Ländern nicht. Da wird immer vorgeworfen: Die anderen Länder, die Osteuropäer, die Ungarn und so weiter, Italiener, Griechen sind alles Rechtsbrecher. – In Wahrheit machen sie es genau richtig. In einer Demokratie ist das Volk der Chef und entscheidet Volk, und wenn das Volk die Massenzuwanderung nicht will, ist unser politischer Auftrag – und das ist wieder ganz pragmatisch –: Grenzschutz, echter Grenzschutz, Push-backs, das heißt Rückweisungen, an den Grenzen eine groß angelegte Abschiebeoffensive und ein völliges Aussetzen des Asylrechts, das heißt, keinen einzigen Asylantrag annehmen. Wir haben ein 23-Punkte-Programm im Nationalrat vorgelegt. Es liegt an der Mehrheit, es anzunehmen, wenn sie es ernst meint. Wenn sie es nicht ernst meint, dann weiß man, dass das nur Wahlkampfgetöse ist. Bei uns ist es kein Wahlkampfgetöse, wir haben das in unserer DNA, wir sind rot-weiß-rot, wir wollen Österreich schützen.
GROẞ: Herr Gödl.
GÖDL: Für uns ist maßgeblich, dass wir möglichst pragmatische Lösungen suchen. Unser Kanzler und unser Innenminister sind darum wirklich sehr bemüht und auch erfolgreich, wie wir bei der Vereinbarung mit Serbien gesehen haben und jetzt auch mit Indien sehen. Für uns ist wichtig, eben klar zwischen Asyl und Arbeitsmigration zu trennen. Ein Schlepper darf nie indirekt ein Arbeitskräftevermittler sein, so ein System können wir nie dulden. Daher braucht es den Ausbau der legalen Möglichkeiten, sprich Attraktivierung der Rot-Weiß-Rot-Card, aber eine klare Kante, wenn es darum geht, illegale Migration zu bekämpfen. Ich glaube, dafür stehen wir.
GROẞ: Wäre die FPÖ, wie sie jetzt gerade in diesen Forderungen beschrieben worden ist oder sich gezeigt hat, eigentlich in Zukunft ein Koalitionspartner? Stichwort Push-backs, Aussetzen von Asylanträgen auf österreichischem Boden.
GÖDL: Wo wir uns von der FPÖ sicher unterscheiden, ist, dass wir immer alles anhand des Rechtsstaates, auf Basis eines Rechtsstaates machen werden. Wir werden Regeln ändern, damit wir auch handlungsfähig sind und bleiben. Wir werden sicher nicht entgegen der Regeln arbeiten. Wie die Zukunft nach den nächsten Wahlen dann aussieht: Ich glaube, da ist heute nicht der richtige Zeitpunkt, darüber zu sprechen.
GROẞ: Herr Margreiter.
MARGREITER: Ich denke, dass wir wirklich darauf schauen müssen, dass sehr viel, was da negativ ist, das zu Recht als Argument ins Treffen geführt wird – Schlepperunwesen und, und, und –, nicht dadurch zu bekämpfen ist, indem man alles noch restriktiver macht. Das zeigen ganz viele Beispiele aus der Geschichte. Ein kleines Beispiel: die amerikanische Prohibition. Zu keiner Zeit gab es so viel Kriminalität, Begleitkriminalität, als Alkohol einfach verboten. So ähnlich müssen wir das auch mit dem Problem der globalen Migration sehen. Öffnen wir legale Fluchtrouten, wird das Schlepperunwesen sehr schnell zu Ende sein, und das wird für die globale Gesellschaft einen Mehrwert bringen – Punkt eins. Punkt zwei – Appell speziell an ÖVP und FPÖ –: Es ist verlockend und relativ einfach, mit Ressentiments Stimmen zu machen. Dieses Ausländerthema ist ein geeignetes Thema, Ressentiments zu schüren. Tun Sie das bitte nicht mehr! Das ist ein Appell. Das Problem ist komplex genug, speziell wenn wir Richtung Europa schauen. Dass wir als Österreich mit einer Stimme in Richtung Europa sprechen, dass wir ein ordentliches, europäisches Asylsystem etablieren, gelingt nur, wenn wir in Österreich mit einer Stimme sprechen, und dazu gehört, dass wir davon Abstand nehmen, dieses Thema ständig für tagespolitische, kurzfristige Vorteile zu nutzen. Langfristig wird das die Gesellschaft so spalten und der Gesellschaft solchen Schaden zufügen, dass niemand etwas davon hat. Das wäre aber genau die Verantwortung von Politikern, und die fordere ich ein. Ich appelliere wirklich an die ÖVP, die in der Regierung sitzt, aber vor allem auch an die FPÖ, die dieses Thema für sich gepachtet hat: Lassen wir das, das bringt nichts! – Danke schön.
GROẞ: Vielen herzlichen Dank. Frau Ernst-Dziedzic, ich wollte Sie eigentlich schon in der ersten Runde etwas fragen, was ich dann aber leider nicht untergebracht habe, daher möchte ich das jetzt noch nachholen: Täuscht der Eindruck oder ist es so, dass es in dieser derzeitigen Koalition zwischen Schwarz und Grün oder Türkis und Grün eine Art Aufteilung, also Arbeitsteilung, inklusive Stillhalteabkommen gibt? Was meine ich konkret: Die Grünen dürfen sozusagen weitgehende Freiheit bei ihrem Herzensthema, dem Klimaschutz, haben, dafür darf die ÖVP klare Kante, wie wir gerade von Herrn Gödl gehört haben, zeigen und Pflöcke bei Asyl und Migration einschlagen.
ERNST-DZIEDZIC: Also erstens bin ich Parlamentarierin und nicht Regierungsmitglied, aber ich beantworte die Frage sehr gerne. Wir haben das heute auch schon andiskutiert, dass wir beispielsweise beim Schengenveto auf keinen grünen Zweig kommen. Ja, es stimmt, da ist entsprechend der Innenminister derjenige gewesen, in dessen Verantwortung sozusagen auch die Stimme Österreichs lag. Das bedeutet aber nicht, dass wir da nicht sehr intensive Debatten führen, uns nicht immer einig sind. Ich bin trotzdem sehr froh, wenn ich dem Kollegen von der FPÖ zuhöre, dass nicht diese in Regierungsverantwortung ist. Wieso? – Die Genfer Flüchtlingskonvention, die Menschenrechtskonvention, die Grundrechtecharta, das Völkerrecht, das sind rechtliche Rahmen, die uns vor der Barbarei schützen und davor beschützen, dass wir hier wieder Tür und Tor dafür öffnen. Deswegen dürfen wir bei Menschen nicht unterscheiden, aus welchem Kulturkreis sie kommen, welches Geschlecht, welche Hautfarbe oder sexuelle Orientierung sie haben, sondern Mensch ist Mensch, Krieg ist Krieg. Wenn jemand flüchtet, hat er oder sie Anrecht, Asyl zu bekommen; wenn jemand Arbeit sucht, dann können wir das auch verstehen, dürfen aber selbstverständlich die Kriterien selber aufstellen – das muss aber geregelt sein. Die Menschen müssen sich in Österreich auskennen: Woran bin ich; wird das Asylrecht eingehalten – ich hoffe doch, anders als bei Ungarn –; und gibt es Möglichkeiten, sich um einen Arbeitsplatz, qualifiziert oder nicht, zu bewerben? – Da müssen wir wieder hin, und deswegen freue ich mich heute, das diskutiert zu haben. Ich denke, diese Diskussion war tatsächlich ein wenig sachlicher, als ich es bei diesem Thema gewohnt bin.
GROẞ: Vielen Dank auch dafür. Herr Einwallner, zum Abschluss: Auch Ihre Parteichefin tut sich ja nicht ganz leicht, eine klare Linie zwischen Humanität auf der einen, Kontrolle auf der anderen Seite zu finden – ganz im Gegensatz zum burgenländischen Landeshauptmann Doskozil, der, wir haben es heute schon gehört, eher auf der Linie von zum Beispiel Innenminister Karner ist. Welcher Weg wird sich denn mittelfristig in der SPÖ durchsetzen?
EINWALLNER: Ich glaube gar nicht, dass Doskozil und Rendi-Wagner so weit auseinander sind. Die Inhalte, die sie vorschlagen, sind eigentlich die gleichen. In der Kommunikation sind sie ein bisschen unterschiedlich, das kennen wir alle. Ich glaube aber, was sich auch heute in der Diskussion gezeigt hat, was wir unter Hans Peter Doskozil und Peter Kaiser in einem Papier schon 2017 ausgearbeitet haben, dass dieses Problem oder dieses Thema nur europäisch lösbar ist. Die drei wichtigsten Faktoren, die wir schon in diesem Papier genannt haben – wenn ich mir heute auch die Runde anschaue und die Meinungen der Expertinnen und Experten anhöre –, sind nach wie vor aktuell. Wir brauchen eine europäische Lösung, keine nationale Lösung, denn national werden wir dieses Thema nicht lösen können, es braucht also eine europäische Lösung, ein europäisches Asylverfahren, einheitliche Standards. Es braucht diese Verfahrenszentren, dass es eben genau diese legalen Wege für jene Menschen, die Schutz brauchen und Schutz bedürfen, nach Europa gibt, und keine Push-backs, Herr Amesbauer, keine Push-backs, Herr Gödl, weil man auf Menschenrechtsverletzungen nicht mit Menschenrechtsverletzungen reagieren kann. Das wäre es. Diese Menschen, die kommen, sind auf der Flucht, das sind auch Kinder und Familien. Darauf kann man nicht einfach mit Push-backs reagieren. Das ist also vollkommen der falsche Weg. Es braucht eben diese Verfahrenszentren, sodass es einen Ort gibt, wo dieses Asylverfahren abgehandelt wird, und dann braucht es für all jene, die kein Asyl in Europa bekommen, auch Rückführungsabkommen. Da gibt es auch noch ein großes Defizit, einen großen Aufholbedarf dieser Regierung. Wenn wir aber eine europäische Lösung hätten, würden wir uns auch da entsprechend leichter tun. Ich glaube, da wären schon einige Lösungsansätze da, und ich glaube, das wäre ein Weg, den wir gehen müssen: lösungsorientiert und nicht destruktiv.
GROẞ: Vielen herzlichen Dank Ihnen allen für diese Diskussion und Ihre Beiträge. Meine Damen und Herren, bei Ihnen bedanke ich mich für Ihr Interesse und fürs Dabeisein. Bis zum nächsten Mal bei „Politik am Ring“ im Plenarium des Hohen Hauses.