Kampf gegen Kindesmissbrauch
Podcast: Politik am Ring #25 vom 20. März 2023
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Thema
Nicht nur aufsehenerregende Missbrauchsfälle, sondern vor allem die fortschreitende Digitalisierung befeuern die Diskussion, wie der Kampf gegen Kindesmissbrauch künftig effektiver geführt werden kann. Darüber, dass es strengere Strafen für die Täter braucht, herrscht weitgehend Einigkeit.
Doch wie sieht es mit Opferschutz und Prävention aus? Was können wir tun, um den Kampf gegen Kindesmissbrauch noch entschlossener zu führen?
Teilnehmer:innen der Diskussion
Abgeordnete:
- Elisabeth Pfurtscheller (ÖVP)
- Christian Oxonitsch (SPÖ)
- Susanne Fürst (FPÖ)
- Barbara Neßler (Grüne)
- Johannes Margreiter (NEOS)
Eingeladene Fachleute:
- Barbara Neudecker, Bundesverband Österreichischer Kinderschutzzentren, Fachstelle Prozessbegleitung
- Hedwig Wölfl, die möwe - Kinderschutz
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Transkript
Anmoderation: In dieser Folge von Politik am Ring, der Diskussionssendung des Parlaments, diskutiert Moderator Gerald Groß mit den Abgeordneten Elisabeth Pfurtscheller von der ÖVP, Christian Oxonitsch von der SPÖ, Susanne Fürst von der FPÖ, Barbara Neßler von den GRÜNEN und Johannes Margreiter von NEOS darüber, was wir tun können, um den Kampf gegen den Kindesmissbrauch noch entschlossener zu führen. Zu Gast sind Barbara Neudecker vom Bundesverband Österreichischer Kinderschutzzentren und Hedwig Wölfl vom Verein „die möwe“. Das Gespräch haben wir am 23. März 2023 im Plenarium des Österreichischen Parlaments aufgezeichnet.
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Gerald GROẞ (Moderator): Guten Abend und herzlich willkommen, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie bei „Politik am Ring“. In der heutigen Ausgabe geht es um ein höchst brisantes Thema: um Kindesmissbrauch und den Kampf dagegen. Immer dann, wenn ein besonders eklatanter, ein besonders krasser oder prominenter Fall aufpoppt, dann sind die Betroffenheit und die Bereitschaft, etwas zu tun, sehr groß – so auch im Gefolge des Falles Teichtmeister, auch wenn man sagen muss, dass Fälle wie dieser wahrscheinlich nur die Spitze des Eisberges sind. Jedenfalls hat die Regierung Ende Jänner ein Kinderschutzpaket angekündigt und in groben Zügen vorgestellt. Es reicht von strengeren Strafen über Gütesiegel für Betreuungseinrichtungen bis hin zu finanziellen Mitteln für Opferhilfe. Was daran gut ist, was weniger und was vor allem noch fehlt, darüber diskutieren heute folgende Nationalratsabgeordnete: Johannes Margreiter von den NEOS – herzlich willkommen! –, Elisabeth Pfurtscheller von der ÖVP – ebenfalls herzlich willkommen! –, Barbara Neßler von den Grünen – schönen guten Abend! –, Susanne Fürst, FPÖ – guten Abend! (FÜRST: Guten Abend!) –, und Christian Oxonitsch, SPÖ – herzlich willkommen! (OXONITSCH: Guten Abend!) Außerdem freue ich mich auf die beiden Expertinnen Barbara Neudecker und Hedwig Wölfl. Hedwig Wölfl ist die Geschäftsführerin der Möwe Kinderschutzzentren, Barbara Neudecker ist vom Bundesverband der Österreichischen Kinderschutzzentren, Fachstelle Prozessbegleitung. Was genau sie machen, darüber werden wir später noch sprechen. Eines ist sicher: Wir alle, die wir hier heute im Plenarium hoch über dem Plenarsaal des Nationalrates sitzen und diskutieren, sind uns über das grundsätzliche Ziel wohl einig, nämlich unsere Kinder besser, ja idealerweise bestmöglich zu schützen. Über das Wie herrscht freilich in Detail- und Einzelfragen Uneinigkeit, und zwar auch unter Expertinnen und Experten, vor allem wenn es etwa um das Thema der Strafhöhe geht.
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Es folgt eine Videoeinspielung:
Sprecher: In den letzten Monaten erschütterten mehrere Fälle von Kindesmissbrauch die Öffentlichkeit. An einer Wiener Schule und in einem Kindergarten soll es zu Übergriffen gekommen sein, und bei einem prominenten Schauspieler sollen Tausende Dateien mit Missbrauchsdarstellungen an Kindern gefunden worden sein – und das sind nur die Fälle, die über die Medien bekannt wurden. Stimmen werden laut, dass nicht genug zum Schutz der Kinder und Jugendlichen getan wird. Die Regierung präsentiert daraufhin am 25. Jänner ein neues Kinderschutzpaket. Geplant ist unter anderem eine Erhöhung der Strafen für die Darstellung von Kindesmissbrauch, erklärt Juristin Katharina Beclin vom Institut für Strafrecht an der Universität Wien.
Katharina Beclin (Juristin, Institut für Strafrecht und Kriminologie Universität Wien): Die Pläne sind so, dass sämtliche Strafrahmen, die in Paragraf 207 enthalten sind, entsprechend erhöht werden sollen, also meistens um ein Jahr. Teilweise wird die Obergrenze gleich gelassen und eine Untergrenze eingezogen, aber es ist einfach quer über alle Strafdrohungen eine Erhöhung geplant.
Sprecher: Konkret sieht das so aus: Besitzt jemand Missbrauchsbilder von Kindern über 14 Jahren, droht nicht mehr nur ein Jahr, sondern es drohen bis zu zwei Jahre Haft, bei Kindern unter 14 Jahren wird das Strafmaß von bis zu zwei auf bis zu drei Jahre erhöht. Die Strafe für die Herstellung und das Anbieten einer Vielzahl an Missbrauchsdarstellungen erhöht sich künftig von bis zu zwei Jahren auf bis zu zehn Jahre. Die Regierung will so mit voller Härte gegen die Täter vorgehen. Die Expertin sieht das kritisch.
Katharina Beclin: Die Höhe der Strafdrohung hat keinen Einfluss auf die Abschreckung. Was einen Einfluss hat, ist die Wahrscheinlichkeit, dass man angezeigt wird, und die Wahrscheinlichkeit, dass man dann auch verurteilt wird. Beides ist halt bei Kindesmissbrauch nicht sehr hoch, ja, weil die Anzeigewahrscheinlichkeit sehr gering ist. Man geht davon aus, dass auf einen Fall im Hellfeld ungefähr 19 Fälle kommen, die im Dunkelfeld verbleiben, weil ja auch sehr viele Täter aus dem engen sozialen Umfeld sind.
Sprecher: Der Entwurf sieht auch vor, dass der Opferschutz ausgeweitet werden soll. Aber gehen die Pläne weit genug, um die Kinder und Jugendlichen vor Missbrauch zu schützen, oder bräuchte es noch zusätzliche Maßnahmen?
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GROẞ: Darüber wollen wir heute und hier in „Politik am Ring“ diskutieren. Ich beginne vielleicht einmal mit den Vertreterinnen der Regierungsparteien, nämlich ÖVP und Grüne. Frau Pfurtscheller, warum setzt man bei der Strafhöhe an? Weil das am einfachsten ist? Weil es bei den Menschen gut ankommt und nichts kostet?
Elisabeth PFURTSCHELLER (ÖVP, Frauensprecherin): Ich möchte zuerst einmal sagen, dass dieses Paket, das wir als Regierungsparteien vorgestellt haben, ja aus mehreren Teilen besteht, und die Strafverfolgung und die Strafhöhe ein Teil davon ist. Wir haben auch Präventionsmaßnahmen ins Auge gefasst, wir haben mit der Stärkung der Ermittlungen auch eine höhere Aufklärungsquote ins Auge gefasst, und haben – wie auch in dem Beitrag gesagt worden ist – neben der Strafverfolgung sozusagen in der Nacharbeit dann auch noch die Unterstützung der Opfer, aber auch die Täterarbeit ins Auge gefasst. Also wenn wir jetzt über die Strafverfolgung reden, was wir natürlich gerne tun können, dann reden wir nur von einem Bereich. Es gibt unterschiedliche Zugänge auch der Spezialisten, der Fachleute: Manche sagen, der Strafrahmen habe keinen Einfluss auf die Täter, andere sehen es anders. Ich persönlich muss sagen: Ich bin keine Juristin, ich kann es schwer einschätzen, ich finde aber, dass es wichtig ist, dass innerhalb des Strafrahmens alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, weil die Tat an sich eine wirklich schreckliche und eine wirklich verurteilenswerte ist, wenn man sie jetzt zum Beispiel mit irgendwelchen Wirtschaftsdelikten vergleicht. Was man aber schon auch dazu sagen muss und was mir jetzt auch sehr wichtig ist, ist: Hier geht es um Strafen für das Erstellen von Videos oder Bildern von Missbrauch von Kindern, und das Thema an sich ist ja ein viel größeres. Es geht ja um Gewalt an Kindern insgesamt, also ist das wieder nur ein Teil. Trotzdem finde ich es wichtig, finde ich es auch richtig, wenn der Strafrahmen erhöht wird, aber zu sagen, wir hätten es uns einfach gemacht, greift, glaube ich, viel zu kurz, weil wir einfach viele andere Punkte auch in unser Paket mit aufgenommen haben.
GROẞ: Es geht nicht nur um das Erstellen und die Produktion solcher Videos und Bilder, sondern es geht natürlich auch um deren Besitz, um die Weitergabe und so weiter und so fort. Frau Neßler, ich möchte trotzdem noch bei diesem Thema der Strafhöhe bleiben. Letztlich geht es ja auch immer um die Frage der Verhältnismäßigkeit. Sie, Frau Pfurtscheller, haben es angesprochen: Eigentumsdelikte zum Beispiel, Wirtschaftsdelikte, Eigentumsdelikte, die in Österreich lange Zeit mit einem sehr hohen Strafrahmen versehen waren: War das jetzt ein Ziel, auch da sozusagen so etwas wie Verhältnismäßigkeit herzustellen?
Barbara NEẞLER (Grüne, Sprecherin für Kinder, Jugend und Familie): Also vielleicht zuerst ein Blick hinter die Kulissen: Das Kinderschutzpaket ist kein schnell zusammengeschustertes Paket aufgrund des Teichmeister-Falles, sondern wir waren seit Juni in intensiven Verhandlungen zu dem Thema, weil wir schon gesehen haben, dass es einfach massive Lücken im Kinderschutzbereich gibt. Wir wissen, dass in jeder Klasse durchschnittlich ein Kind von sexualisierter, sexueller Gewalt betroffen ist. Und das ist der Punkt: In der Vergangenheit kam es oft quasi sehr schnell zum Ruf nach härteren Strafen, wenn solche Fälle aufgepoppt sind – und das kann schon ein Baustein sein; es ist auch einer im Paket, aber eben nur ein Baustein. Für uns war es extrem wichtig, dass wir das Übel an der Wurzel anpacken, denn wenn das Kind missbraucht worden ist und es zu dieser Strafe kommt, dann ist es schon passiert, und unser Zugang war, dass wir ansetzen, bevor so etwas überhaupt passiert ist. Das war unser Ansatz während der Verhandlungen, weil ich ganz ehrlich sagen muss: Ich halte nichts von der Schlagzeilenpolitik, wo man halt dann nach so einem Fall hergeht und schreit: Höhere Strafen!, und das war es dann wieder, und darum haben wir ein wirklich breites Paket aufgestellt, in dem das eben ein Baustein ist, aber das Herzstück dieses Pakets sind die präventiven Kinderschutzkonzepte. Zu den Strafen grundsätzlich: Natürlich sind wir für die härteren Strafen, auch wenn wir wissen, dass sie dann quasi eh schon zu spät greifen. Was wichtiger ist, ist, dass wir einfach das Personal betreffend die Cyberkriminalität aufstocken und die Technik entsprechend quasi erneuern, weiterhin aufrüsten für den Kampf gegen den Kindesmissbrauch, denn wir wissen, das passiert hauptsächlich im Darknet, wo ungefähr 250 000 Plattformen kursieren. Das ist ein lukratives Geschäft: Ungefähr 100 Millionen quasi bringt Kindesmissbrauch ein, und daher braucht es den Kampf gegen Kindesmissbrauch im Darknet, und darum haben wir vor allem bei der Cyberkriminalität extrem aufgestockt: Weil – wir haben es im Video gesehen – die Täter wissen müssen, dass sie auch gefasst werden.
GROẞ: „Extrem aufgestockt“ heißt, in Zukunft soll extrem aufgestockt werden. (NEẞLER: Genau! Genau!) Das ist ja im Innenministerium angesiedelt.
NEẞLER: Wir haben es mit Frischem versehen, genau im ersten Halbjahr.
GROẞ: Okay. Und wie viele Leute sollen dann für diesen Bereich zuständig sein? Weil im Moment sind es, glaube ich, weniger als zehn, wenn ich das richtig gelesen habe und im Kopf habe.
NEẞLER: Genau. – In der Vergangenheit war es leider so, dass wir prinzipiell überall Personalmangel hatten, dass auch der Justizbereich einfach grundsätzlich – ich sage es einmal auch so – langsam chronisch ausgehungert wurde, und da haben wir uns seit Regierungseintritt mit einem großen Justizbudget da dagegengestellt, und das werden wir auch weiterhin tun. Wie viele es im Endeffekt werden, das werden wir sehen, aber es wird ein großer Fokus auf diese Cyberkriminalität gelegt.
GROẞ: Aber wir sind uns einig, dass es wahrscheinlich ein Vielfaches von dem braucht, was es jetzt an Personal gibt. (NEẞLER: Auf jeden Fall!) Ich habe vor Kurzem erst den Chef dieser Abteilung gehört, und der hat gemeint, es gehe gar nicht mehr, als sozusagen letztlich irgendwie die Spitze des Eisbergs unter Kontrolle zu halten oder zu beobachten, weil einfach nicht mehr möglich ist, so groß ist das Problem. – Bitte.
PFURTSCHELLER: Wenn ich vielleicht noch Folgendes ergänzen darf: Es ist eben vorgesehen, in den Landeskriminalämtern die Organisation zu verändern. Wir haben es ja im Cyberbereich nicht nur mit Gewalt an Kindern oder mit Gewaltbildern von Kindern oder Videos von Kindern zu tun, sondern natürlich auch zum Beispiel von Frauen, aber auch mit Waffenhandel, Drogenhandel, Terrorismus – alles wird übers Darknet abgewickelt. Deswegen ist diese Aufstockung auch in den Landeskriminalämtern extrem wichtig, und natürlich auch die entsprechende Ausbildung und das Werkzeug.
GROẞ: Genau. – Heute wollen wir natürlich ausschließlich über das Thema Kindesmissbrauch und Gewaltdarstellungen von Kindern reden, und wie dreist da manche Täter vorgehen, hat man erst an diesem jüngsten Fall aus der Steiermark gesehen, bei dem ein Mann ganz offensichtlich auf den Philippinen Videos in Auftrag gegeben hat und viel Geld dafür bezahlt hat, damit das dort auch hergestellt wird. Sind solche Leute im Visier auch Ihrer Partei, Frau Fürst, wenn Sie sagen, die Mindeststrafen sind noch weiter anzuheben und jeder Missbrauch von Kindern ist als schwerer Missbrauch einzustufen? Sie sagen ja, das Regierungsvorhaben sei überhaupt eine Mogelpackung und ein Ablenkungsmanöver. Warum sind Sie da so negativ?
Susanne FÜRST (FPÖ, Menschenrechtssprecherin): Was mich an dem Kinderschutzpaket einmal stört, ist, dass es dieses prominenten Falles Teichmeister bedurft hat, dass die Bundesregierung in hektische Betriebsamkeit ausgebrochen ist.
GROẞ: Entschuldigung, aber die Frau Neßler sagte, es war schon vorher sozusagen in Diskussion.
FÜRST: Ja, egal, aber es ist ja kein Zufall, dass es dann gleich, nachdem dieser Fall Anfang Jänner aufgekommen ist, die Aktuelle Stunde, die Dringlichen, den Ministerrat gegeben hat, und dann ist es gekommen. Ich nehme einmal an, es wird niemand bestreiten, dass das im Zusammenhang mit diesem Fall war. Gut, soll es so sein, Hauptsache, es wird besprochen, und Hauptsache, es kommt hier zu dieser Reform – aber, wie gesagt, bisher ist es nicht ernst genommen worden. Und es stört mich auch deshalb, weil wir hier schon seit Jahren viele, viele Anträge eingebracht haben, in denen genau diese Punkte verlangt worden sind. Wir haben gerade vor wenigen Monaten – im Herbst 2022 – ein Verbot eines Pädophilenhandbuchs, das unglaublicherweise hier im Internet herumschwirrt, das Verbot von Kindersexpuppen verlangt. Wir haben immer wieder das lebenslängliche Berufsverbot für überführte Kinderschänder in den sensiblen Berufen, bei denen sie mit Kindern zu tun haben, verlangt – das wurde immer abgeschmettert. Es hat immer geheißen, das ist nur Law and Order und solche einfachen Lösungen gibt es nicht. – Jetzt sind wir genau dort angelangt, und das verbittert mich ein bisschen. Und wenn es jetzt heißt: Gut, ein Kinderschutzpaket mit vier Säulen kommt – mehr Prävention, Aufklärung, Opferschutz und höhere Strafen –, ja, natürlich sind wir alle dabei. Jetzt heißt es auch von der Justizministerin: Nur kein Wegschauen, nur kein Vertuschen, aber ich finde jetzt schon auch, gerade die Abwicklung des prominenten Falles Teichtmeister konterkariert nun das Ganze. Ich meine, wir haben jetzt die vertagte Verhandlung, wir haben da ein Vertuschen. Werden da Prominente, auch Mitwisser geschützt? – Also mich macht das Ganze misstrauisch, wie das hier abgewickelt wird, und auch alleine, dass das eigentlich eineinhalb Jahre unter der Decke gehalten wurde, dass es heißt: Ja, eben, da gibt es nur sechs Beamte, die das recherchieren können. Wir haben auch immer wieder verlangt, dass da – das wird jetzt auch gemacht – das Personal aufgestockt wird, aber auch wirklich innerhalb der Justiz und im Beamtentum und nicht, dass das Geld nur an externe Vereine rinnt, denn ich denke, wenn Herr Teichtmeister fähig ist, das alles, diese unglaubliche Menge an Dateien im Darknet zu finden, auch wenn ihm wer geholfen hat, dann müssten das ja Ermittler auch finden und ausschalten können. Also hier wurde so viel versäumt und dadurch wurden sicher auch sehr viele Opfer generiert.
GROẞ: Herr Oxonitsch, ich habe in einer Aussendung von Ihnen beziehungsweise der SPÖ zu diesem Thema einen Hinweis, was jetzt die Strafen betrifft, auf Deutschland gefunden zum Beispiel, wo dieselben Straftaten mit fünf beziehungsweise zehn Jahren Strafe versehen sind, was deutlich höher ist als in Österreich, auch nach den derzeitigen Plänen. Das heißt, Sie wollen noch höhere Strafen oder wollen da auch in diese Richtung gehen?
Christian OXONITSCH (SPÖ, Mitglied Familienausschuss): Also grundsätzlich ist ja schon darauf hingewiesen worden: Strafrahmen orientieren sich natürlich immer in einem Gesamtsystem, und wenn es da Verweise auf Deutschland gibt, dass es das in diesem Bereich gegeben hat, so orientiert sich möglicherweise auch Deutschland an anderen Strafrahmen. Darauf hinzuweisen ist uns wichtig gewesen, dass natürlich eine Strafe immer auch ein klares Verurteilen von gesellschaftlichen Missständen ist, und daran orientieren sich Strafen. Das muss aber in einem Gesamtkontext sein. Daher bin ich, als dieses Paket präsentiert wurde, sehr froh gewesen, sage ich auch ganz offen, dass es eben um mehr als um Strafen geht, denn in der ersten Diskussionsrunde ging es ja eigentlich sofort nur um Strafen. Jeder hat: Mehr Strafen!, gerufen, und es war eigentlich der gesamte Bereich der Prävention ausgeklammert, jener der zusätzlichen Unterstützung für Gewaltschutzeinrichtungen, der Schaffung von zusätzlichen Anlaufstellen, damit eben rasch Beweisaufnahmen möglich sind – etwas, was ganz wichtig ist und sich bei aller Kritik in diesem Paket Gott sei Dank findet. Also insofern, glaube ich, ist es ganz wesentlich, und da bin ich genauso wenig Jurist wie Sie, dass es sich in den Gesamtrahmen ein bisschen einfügt. Und hier eine neue Gewichtung vorzunehmen, dagegen spricht von unserer Seite nichts, nur wissen wir alle, und wir haben es ja auch im Einspieler gehört, dass Strafen per se keine einzige Tat verhindern. Das, worum es geht, ist, dass im Falle eines Missbrauchs rasch Beweisaufnahmen erfolgen können, dass es tatsächlich auch Präventionsarbeit gibt, auch mit potenziellen Tätern, dass es hier niederschwellige Beratungsangebote gibt. Also die Palette ist hier eine sehr, sehr breite. Einige Punkte sind aufgenommen, aber einige fehlen uns auch.
GROẞ: Wir werden auf einige dieser Punkte im Laufe dieser Diskussion ja noch zurückkommen. Die Juristen hier unter uns sind heute Frau Fürst – sie war ja schon am Wort –, und der zweite ist Herr Margreiter von den NEOS. Herr Margreiter, wie ist Ihr Zugang zum Thema Strafhöhen?
Johannes MARGREITER (NEOS, Justizsprecher): Es gehört zu den schwierigsten Aufgaben eines Strafverteidigers, wenn man im Rahmen der Pflichtverteidigung – dazu kann man nicht Nein sagen – mit derartigen Fällen konfrontiert wird, und das ist mir in meiner Berufslaufbahn leider sehr häufig passiert. Das wird vielen Kollegen so gehen, weil die Zahl solcher Fälle einfach zunimmt und immer höher wird. 2021 haben wir in Österreich 2 700 gehabt, Tendenz steigend. Ich kann aus der Erfahrung und aus den Gesprächen mit den Tätern sagen: Strafdrohungen helfen gar nichts, ich muss da der Frau Professor vom Strafrechtsinstitut der Universität Wien vollkommen recht geben. Diese Täter haben kaum ein Unrechtsbewusstsein, speziell dann, wenn es digital abläuft. Die fragen: Was ist das Problem, wenn ich mir das anschaue? Das tut ja niemandem weh!, denn die Verbindungen dahin, dass, damit ein solches Video oder ein solches Foto produziert werden kann, tatsächlich Kinder missbraucht werden, die fehlt. Deswegen denke ich, dass wir diese gesellschaftliche Aufgabe und vor allem auch diese politische Aufgabe in drei Richtungen strukturieren müssen. Das Wichtigste, und da müssen wir am meisten Ressourcen hinlenken, ist es, jeden Übergriff auf unsere Kinder zu verhindern. Das Zweite ist: Wenn es passiert ist, müssen wir viel mehr hinschauen und Möglichkeiten finden, hinzuschauen, weil die Dunkelziffer viel zu groß ist. Es gibt wahnsinnig viele missbrauchte Kinder, bei denen nie ein Staatsanwalt oder eine Staatsanwältin dahinterkommt, um eine Anklage zu erheben. Und erst das Dritte ist dann - -
GROẞ: Aber Entschuldigung, nur zum zweiten Punkt noch: Möglichkeiten hinzuschauen, was wäre das zum Beispiel?
MARGREITER: Das fängt für mich in der Ausbildung der Elementarpädagog:innen an und das geht über die Schulen, dass es da mehr Sensibilität gibt, denn man merkt es, wenn Kinder verstört in den Kindergarten oder in die Kinderkrippe, in die Betreuung kommen. Da gibt es schon viele Möglichkeiten, wo man viele Ressourcen freimachen sollte. Und erst dann ganz zum Schluss, wenn wir Täter haben – und es sind meistens Täter, da brauchen wir gar nicht zu gendern –, können wir uns den Kopf darüber zerbrechen, ob wir heute an der Strafdrohung herumschrauben. Ich halte davon nichts, denn es ist halt das Übliche, wenn irgendetwas passiert, egal, ob es ein Terroranschlag oder sonst etwas ist: Es wird sofort aus der Hüfte mit höheren Strafdrohungen geschossen. Helfen wird das gar nichts, sondern wir müssen uns wirklich viel strukturierter und viel systematischer der Aufgabe stellen, dass wir diese Zahlen herunterbringen, dass wir uns als Gesellschaft in den Spiegel schauen können, denn das ist ein verheerender Übergriff, der da passiert; solche Kinderseelen sind ihr Lebtag gestört. Und auch das weiß ich von vielen Fällen, wenn man mit den Tätern redet: Sie waren meistens selber Missbrauchsopfer. Das geht von Generation zu Generation weiter. Deswegen ist es so wichtig, dass wir diese unselige Weitergabe, diese unselige Kette durchbrechen. Da können wir nicht früh genug ansetzen.
GROẞ: Bitte, Frau Fürst.
FÜRST: Ganz kurz zu den höheren Strafen, weil es immer heißt, wir seien nur für die höheren Strafen: Das ist völlig richtig. Ich finde, sie gehören dazu, ich finde, sie gehören erhöht, einfach auch deshalb, um auszudrücken, welchen Stellenwert diese Verbrechen haben. Es gehören hohe Strafen her. Aber natürlich: Die Täter fürchten vor allen Dingen, ob sie erwischt werden, das ist das Entscheidende für Täter. Sie wissen schon, dass das nicht in Ordnung ist, aber gerade im Cyberbereich fühlen sich ja alle sehr, sehr sicher. Leider, wie wir ja jetzt auch aus den Fällen in Wiener Kindergärten und in Wiener Schulen wissen, wo es doch auch einen jahrelangen Verdacht gegen einen Lehrer, der übergriffig geworden ist, und eine Reihe von Opfern gibt, findet dieses Hinschauen nicht statt, dass man da offensichtlich sehr unangenehm berührt ist. Oder beim Fall Teichtmeister: Ich glaube nicht, dass da niemand etwas gewusst hat oder sich etwas gedacht hat, es ist ja auch schon rausgekommen, dass sich manche distanziert haben, dass aber offensichtlich keine Anzeigen erfolgt sind. Also es geht auch darum, dass die Gesellschaft und die Verantwortlichen nicht versagen. Aber die hohen Strafen sind ein Aspekt, der wird dann gefürchtet, wenn die Täter auch wissen, sie werden erwischt. Das ist jetzt noch nicht der Fall und da braucht man eben auch wirklich das Personal.
GROẞ: Vielen Dank für diese erste Runde. Ich bin gespannt, was unsere beiden Expertinnen sagen. Ich darf noch einmal herzlich willkommen heißen und vorstellen: Frau Hedwig Wölfl, sie ist klinische Psychologin und Gesundheitspsychologin, Psychotherapeutin, ist Geschäftsführerin der Möwe-Kinderschutzzentren, hat auch langjährige Erfahrung als klinische Psychologin im Krankenhaus und mehrere Lehraufträge. Und Barbara Neudecker, fast ähnliche Karriere, möchte man sagen: Psychotherapeutin und psychoanalytisch-pädagogische Erziehungsberaterin mit eigener Praxis, Leiterin der Fachstelle für Prozessbegleitung für Kinder und Jugendliche im Bundesverband Österreichischer Kinderschutzzentren und ebenfalls Lehrbeauftragte an verschiedenen Universitäten und Einrichtungen, Fachhochschulen und so weiter. Frau Wölfl, Frau Neudecker, bleiben wir noch ein bisschen bei diesem Thema der Strafhöhen, aber versuchen wir gleich, vielleicht das aufzuarbeiten und mitzureflektieren, was jetzt immer wieder gekommen ist, dieses Thema des mangelnden Bewusstseins auch bei den Tätern, dass man hier überhaupt etwas Verbotenes macht. Offensichtlich ist es ja bei vielen so, ist alles nicht so schlimm, weil es ist ja eh im virtuellen Raum passiert, da ist ja alles sozusagen digital und: Warum soll ich mir das nicht anschauen dürfen?! Wie schafft man es, dieses Bewusstsein stärker in der Gesellschaft zu verankern, dass da letztlich immer individuelle, einzelne Opfer, Kinder dahinterstehen und -stecken?
Hedwig WÖLFL (die möwe, Kinderschutz): Also das Phänomen, dass es gerade bei Übergriffen oder einfach auch Gewalthandlungen an Kindern zu Bagatellisierung, zu Verharmlosung kommt, sehen wir leider in allen Bereichen. Übergriffe, Cybergrooming und ähnliche Delikte, eignen sich – das wurde schon gesagt – auch besonders dafür, weil die Täter einfach auch das Gefühl haben, die Distanz sozusagen ist so groß, ich habe keine - - Es wird auch manchmal zwischen Hands-on- und Hands-off-Delikten unterschieden. Dieses Bewusstsein, dass hinter diesen Bildmaterialien realer Missbrauch an Kindern steckt, bei dem Kinder zutiefst verletzt, verstört wurden, das ist für manche – Sie haben auch ein Delikt genannt, wo angeleitet wird, wo es sozusagen auch über virtuelle Anleitung zu digitalem Missbrauch kommt – sicher etwas, wo wir diese Art der Verharmlosung sehen, die sich auch am jetzigen Namen des § 207a ausdrückt, wo wir auch gefordert haben – und ich freue mich sehr, dass das auch umgesetzt werden soll –, dass der Begriff Kinderpornografie hier nicht mehr verwendet wird, weil Pornografie etwas ist, wo man moralisch die eine oder andere Haltung dazu haben kann, aber etwas, was einvernehmlich unter erwachsenen Personen einfach Teil der Sexualität sein kann, und dass hier diese Insinuierung durch die Verwendung des Begriffes fehl am Platz ist. Es ist, glaube ich, noch nicht klar, welcher Begriff kommt, aber international spricht man hier von Darstellungen sexuellen Missbrauchs oder von Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen. Ich denke, es ist ganz wichtig, hier begrifflich klar zu sein und das tut unserem Strafgesetz auch gut. Zur Strafhöhe: Das wurde auch schon mehrfach gesagt, aber aus Kinderschutzsicht ist sicher dieser Aspekt, dass hier eine Verhältnismäßigkeit auch durch ein Strafausmaß ausgedrückt werden muss, nämlich die Schwere des Delikts, auch, was es für Kinder und Jugendliche, die Opfer werden, bedeutet, denke ich, auch so ein Ausdruck eines Gerechtigkeitsgefühls, das eine Berechtigung hat. Ansonsten ist es aber auch sicher so, dass es nicht abschreckend ist und damit keine präventive Wirkung hat, weil das Unrechtsbewusstsein derer, die diese Taten setzen, sehr gering ist. Eine große Problematik ist, dass eigentlich die umfasste Tätergruppe zu mehr als der Hälfte selbst aus Minderjährigen besteht und da einfach ein Überbegriff gefunden wurde, der nicht für alle passt. Also hinter diesen Personen, die hier angezeigt werden, verstecken sich ganz unterschiedliche Tätergruppen.
GROẞ: Das gibt uns die Möglichkeit, an dieser Stelle eine vorbereitete Grafik einzuspielen und einmal einen Blick darauf zu werfen, weil Sie nämlich die Tätergruppen angesprochen haben. (Im Folgenden werden die Ausführungen des Moderators durch ein eingespieltes Diagramm unterstützt.) Wir haben uns die Zahlen aus dem Jahr 2021 aus dem Innenministerium geholt. Was die Tatverdächtigen betrifft, gab es 2 147 Tatverdächtige. Die Altersstruktur – das sehen Sie jetzt schon an diesen Balken – zeigt, dass etwa die Hälfte der Tatverdächtigen selbst Minderjährige unter 18 Jahren sind, rund 20 Prozent davon sogar wieder Kinder unter 14 Jahren. Und man sieht, sogar bis 10 Jahre gibt es hier Täter, immerhin 35 an der Zahl. Was lernen wir, Frau Neudecker, aus dieser Grafik?
Barbara NEUDECKER (Bundesverband Österreichischer Kinderschutzzentren, Fachstelle Prozessbegleitung): Ich glaube, man lernt vor allem, dass man diese Fälle wirklich differenziert betrachten muss. Ein großes Problem, das wir in der Praxis ja auch haben, ist, dass verhältnismäßig wenige Fälle, die in diesem Bereich angezeigt werden, dann auch tatsächlich zu einer Verurteilung führen.
GROẞ: Warum ist das so?
NEUDECKER: Das hat sehr viele Gründe. Man muss sagen, paradoxerweise ist es eigentlich so, dass Fälle, wo es um Darstellungen von Kindesmissbrauch geht, eine höhere Verurteilungsquote haben als andere Fälle von sexuellem Missbrauch, einfach weil es einen Sachbeweis gibt. Wir würden uns sehr wünschen, dass es da auch mehr wissenschaftlich erhobene Zahlen dazu gibt, mit denen man arbeiten kann, aber in einer Studie aus dem Jahr 2018 wurde, ich glaube, eine Verurteilungsquote von etwa 50 Prozent bei Darstellungen von Kindesmissbrauch und circa 30 Prozent bei Fällen von schwerem sexuellen Missbrauch genannt, bei leichteren Delikten ist es dann noch einmal ein bisschen weniger. Das heißt: Bei vielen von den Fällen, die hier angezeigt werden, wird es nie zu einer Verurteilung kommen. Ein Problem, das ich habe, wenn sich die Diskussion immer so um die hohen Strafen bewegt, ist, dass wir damit sehr bei den Tätern sind und sehr wenig bei den Opfern, bei den Betroffenen. Das, was wir erleben, wenn wir Kinder, Jugendliche, die Gewalt erlebt haben, die Missbrauch erlebt haben, in der Prozessbegleitung durch diesen Prozess nach der Anzeige während des Gerichtsverfahrens durchbegleiten, ist, dass halt nicht alles, was falsch ist, auch straffähig ist und verurteilt werden kann und dass deswegen sehr, sehr viele Fälle eingestellt werden oder freigesprochen wird und damit leider den Opfern manchmal und auch den Tätern, muss man sagen, eine sehr zweifelhafte Botschaft zurückgespielt wird, nämlich: Das ist kein Delikt, das ist kein Vergehen und deswegen wird das Verfahren eingestellt. Das ist für Opfer - -
GROẞ: Wird sich Ihrer Einschätzung nach daran durch dieses Paket etwas ändern? Oder ist das ein Punkt, den Sie sozusagen noch als Schwachstelle sehen?
NEUDECKER: Ich glaube, das Paket hat viele positive Aspekte, die im Kinderschutz etwas weiterbringen, aber wenn wir das Thema Kinderschutz von der strafrechtlichen Seite betrachten wollen, dann müssen wir, glaube ich, ein anderes Problem viel stärker in den Blick nehmen, und zwar die Tatsache, dass es bei einem Großteil der angezeigten Fälle nicht zu einer Verurteilung kommt. Im Einspieler sind zwei Fälle, zwei andere Fälle genannt worden, der Fall des Lehrers, der sehr lang in einer Schule Übergriffe begangen hat. In diesem Fall wird es nie eine Verurteilung geben, weil sich der Täter, der Beschuldigte, muss man sagen, suizidiert hat, dann gibt es kein Strafverfahren. In all den Fällen, wo es Übergriffe in Kindergärten gibt, wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zu keiner Verurteilung kommen, weil es da um sehr junge Kinder geht. Bei sexuellen Übergriffen an Vorschulkindern sehen wir in der Praxis in den seltensten Fällen Verurteilungen, eigentlich nur dann, wenn es auch Sachbeweise gibt. Wenn man in dem Bereich etwas tun möchte, dann braucht es wirklich ernsthafte Bemühungen, unsere Justiz ein bissel kindgerechter zu machen.
GROẞ: Kindgerechtere Justiz würde was heißen?
NEUDECKER: Ich habe jetzt keine Patentlösungen, aber ich glaube, was es bräuchte, wäre, dass nicht nur vonseiten des Kinderschutzes, sondern auch vonseiten der Gerichte ein Verständnis da ist, dass das, was Gerichte brauchen, um Missbrauchstäter zu verurteilen, und das, was Opfer, vor allem Kinder, aufgrund ihres Entwicklungsstandes, auch aufgrund ihrer Belastung, ihrer Traumatisierung teilweise in der Lage sind, dem Gericht an Material zu liefern, irgendwie nicht zusammengeht und dass wir da neue Lösungen brauchen.
GROẞ: Frau Fürst.
FÜRST: Ja, nur um meiner Ansicht nach auch eine tiefere Ursache anzusprechen: weil man hier die Statistik sieht, dass auch so viele Minderjährige angezeigt werden – ich meine, die Kinder werden ja auch wirklich so mit ihrem Onlinekonsum und mit dem Internetkonsum alleine gelassen. Unendlich viele Kinder sind stundenlang im Netz, sind damit völlig alleine und haben Zugang zu Inhalten, die man ihnen niemals in Buchform oder Filmform oder so weiter gewähren würde. Viele sehen da wirklich stundenlang Gewaltexzesse und sexuelle Gewalt in einem Ausmaß, wie wir uns das ja, glaube ich, gar nicht vorstellen können. Ich meine, das sieht man ja jetzt auch an diesem entsetzlichen Fall Luise in Deutschland, die von einer Zwölfjährigen und Dreizehnjährigen sozusagen hingerichtet wurde. Und dem zu Grunde liegt ein Tiktok-Streit. Also da kann man erahnen, was da dahintersteckt und wo die Kinder abgedriftet sind. Die Frage ist: Was ist mit den Erwachsenen? Was ist mit der Schule? Was ist mit den Eltern? Was ist mit den Lehrern? Natürlich sind so Übergriffe an kleinen Kindern, das ist furchtbar schwierig, weil es ja jetzt auch nicht zu Verurteilungen kommen soll, wo es nicht zutrifft, aber ich glaube, es gäbe da schon gute Konzepte, wie es auch in den Volksschulen ist, wenn die Lehrer:innen einfach erstens im Umgang mit sozialen Medien, mit Handys, mit Zugang zu solchen Inhalten gelehrt werden, und: Was darf nicht sein? – Ein Erwachsener oder ein Fremder darf mich nicht küssen, darf mich nicht berühren, ich steige in kein Auto ein oder so. Da gibt es gute Schulungen, wie auch von Polizisten, die da schulen, aber dieser Weg wie jetzt, wo es auch diese Tendenz der Frühsexualisierung gibt, ist nicht der Weg, den ich als erfolgsversprechend ansehe.
GROẞ: Da gibt es jetzt viele Wortmeldungen dazu. Ich übersehe niemanden, aber ich glaube, Frau Neßler war die Erste, die sich jetzt gemeldet hat. – Bitte.
NEẞLER: Also dazu: Wir brauchen dringend einen Kulturwandel im Sinne von Hinschauen, ganz dringend, denn wir dürfen, gerade wenn es um Kinderschutz geht, nicht einmal kurz blinzeln, weil das zu einem Schneeballeffekt führt. Und es sind immer noch mehr und noch mehr Kinder von Kindesmissbrauch betroffen. Der passiert aber nicht einfach so – das war mir am Verhandlungstisch wichtig zu sagen –, darum sollen auch die Kinderschutzkonzepte zu einem Kulturwandel beitragen. Das, was wir im Kinderschutzpaket vereinbart haben, ist eine Kinderrechtekampagne, damit man den Kindern in kindgerechter Sprache erklärt, was sie für Rechte haben, was okay ist, was nicht okay ist, wohin sie sich wenden können. Das ist ganz wichtig. Das Nächste ist – und das ist ein gesellschaftlicher Auftrag –: Wir müssen anfangen, Kindern und Frauen zu glauben. Kinder müssen sich durchschnittlich an acht erwachsene Personen wenden, bis ihnen geglaubt wird, wenn sie solchen Missbrauch, solche Gewalt erlebt haben. Das ist ein Wahnsinn. Und wir müssen mit diesem blinden Täterschutz aufhören, wir müssen wirklich anfangen, Frauen und Kindern zu glauben.
GROẞ: Herr Oxonitsch und Herr Margreiter, Sie waren beide zu Wort gemeldet.
OXONITSCH: Ich denke, es ist ja richtigerweise darauf hingewiesen worden, das Problem der Justiz ist natürlich vielfach die Frage der Beweisaufnahme et cetera. Ich glaube, ganz wesentlich ist zunächst einmal, dass tatsächlich die Sensibilität in den unterschiedlichsten Einrichtungen, vom Kindergarten bis zum Sportverein und zur Schule et cetera da ist, dass die Kolleginnen und Kollegen, die dort tätig sind, auf so etwas immer genauso achten wie, ob das Kind genug trinkt und ob es genug isst, ob es irgendwelche Verhaltensauffälligkeiten gibt, wo man feststellen kann, da stimmt etwas nicht. Dann kann man ja darüber schon sehr rasch auf eine Ursachenforschung gehen: Liegt es an der Gewalt in der Familie? Stimmt im Team irgendetwas nicht? Das heißt, das so selbstverständlich zu machen, auf solche Signale genauso zu schauen, wie in der klassischen Situation geschaut wird: Gibt es einen Ausschlag? Ui, das Kind könnte Masern, Röteln, sonst etwas haben! Das muss so selbstverständlich sein, denke ich, dass man auf solche Indizien, die es ja vielfach gibt, immer auch sofort reagiert, genauso wie man bei anderen Problemen immer wieder hinschaut. Da ist die Ausbildung natürlich ganz wesentlich. Es ist ja darauf hingewiesen worden, natürlich sind Kinderschutzkonzepte ein ganz wesentlicher Bereich, das auch ins Bewusstsein zu rufen, auch mit entsprechenden Verhaltensregeln. Ich glaube, da gibt es genügend Expertinnen und Experten mit ihrem Wissen, die auch darauf hinweisen können, was diese Verhaltensänderungen sind und wie man da tun kann. Das ist der wesentliche Bereich, dass der eben in der Ausbildung als Elementarpädagog:innen, als Lehrerinnen und Lehrer, als Pädagoginnen und Pädagogen in den verschiedensten Bereichen auch ein selbstverständlicher Stellenwert ist und nicht nur vielleicht das Basteln, das Stricken, das Häkeln, das Malen und das Blockflötespielen.
GROẞ: Herr Margreiter und Frau Pfurtscheller noch.
MARGREITER: Wir müssen natürlich schon aufpassen, wir haben einen sehr tragenden Grundsatz, und das ist die Unschuldsvermutung. Es darf nicht dazu kommen, dass man heute zu sehr sagt, man glaubt immer den Kindern. Zum Beispiel in Pflegschaftsverfahren, in Obsorgeverfahren, werden Kinder unter zehn Jahren nur selten angehört, nur in ganz großen Ausnahmefällen, weil wir wissen, wenn es allein um irgendeine Kontaktrechtsregelung geht, dass Kinder dann, wenn die Eltern Krieg gegeneinander führen, sehr oft auch missbraucht werden. Da kommen jetzt immer häufiger genau solche Geschichten daher, dass das Kind irgendetwas erzählt, was dann möglicherweise dazu führt – und solche Fälle haben wir schon gehabt –, dass dann jemand plötzlich wegen des Verdachtes des Kindesmissbrauchs vor dem Strafrichter steht, und es stellt sich aber dann heraus, es gibt keine tragfähige Beweisgrundlage. Das ist eine Riesenschwierigkeit. Ich kann das sehr gut verstehen, wenn Sie das sagen, dass natürlich die Zahl der Verurteilungen hinter den angezeigten Fällen zurückhinkt. Auch wenn ich sage, Kinderschutz über allem, plädiere ich trotzdem dafür, wir dürfen unsere rechtsstaatlichen Grundsätze jetzt auch nicht einfach über Bord werfen. Deswegen sage ich ja: Gehen wir strukturiert vor! Verhinderung dort, wo wirklich Fälle sind, mit den Möglichkeiten, die uns die Technik der Algorithmen heute geben. Wenn ich heute irgendwo im Internet eine Stadt google, dann dauert es nicht lange, da kommen sofort die Angebote von den verschiedenen Veranstaltern daher. Da sieht man, wie Algorithmen funktionieren. Mir leuchtet es nicht ein: Warum soll es nicht möglich sein, einschlägige Darstellungen sofort herauszufiltern, ohne dass deswegen die Privatsphäre von Menschen verletzt wird? Das läuft einfach automatisch drüber. Da ist ein ganz wichtiger Hebel, denn dieser Markt ist extrem groß. Da spielt natürlich auch ein internationaler Aspekte eine Rolle, da können wir in Österreich tun, was wir wollen. Diese schauderhaften Darstellungen und Videos werden weiß Gott wo ins Netz gestellt. Über meinen letzten Fall, den ich als Verfahrenshilfeverteidiger hatte, könnte ich in aller Kürze erzählen, wie das gelaufen ist, das war ein internationaler Zusammenhang. Der Täter hat sich vollkommen sicher gefühlt. Es war nur einem Zufall zu verdanken, dass in Norddeutschland Nachbarn bemerkt haben, dass sich das zweijährige Nachbarskind irgendwie komisch verhält und verstört ist. Dann ist man draufgekommen, dass der Vater dieses Kind ständig missbraucht. Über die IP-Adressen ist man an den Tiroler Abnehmer gekommen, der da live zugeschaut hat und angefeuert hat, wie der Mann sein zweijähriges Kind auf übelste Weise missbraucht. Das war aber Kommissar Zufall. Der hat 40 000 so grausige Darstellungen auf seiner Festplatte gehabt. Die Dosis wird immer größer, und dann ist man halt in so einem Chatroom drinnen, wo man live anfeuert. Schrecklich!
GROẞ: Also - -
NEẞLER: Lassen Sie mich einen Satz kurz dazu sagen. Jedes Mal, wenn ich davon rede, dass wir mit dem blinden Täterschutz aufhören müssen, dann kommt reaktionsartig immer – und ich weiß, Johannes, du hast es nicht so drastisch gemeint, aber es kommt immer reaktionsartig – Unschuldsvermutung, und wie schlimm das denn nicht für einen Mann sein muss, wenn er zu Unrecht beschuldigt wird, und da denke ich mir immer: Na ja, und jetzt stellen wir uns einmal vor: Was ist das Schlimmste für ein Kind oder für eine Frau in dem Kontext? Und ich glaube, da muss auch immer unsere Priorität liegen.
GROẞ: Ich versuche jetzt ein bisschen eine Ordnung hineinzubringen. Frau Pfurtscheller hat sich auch noch gemeldet, dann noch einmal ganz kurz Frau Fürst und dann dürfen Frau Wölfl und Frau Neudecker wieder etwas dazu sagen, weil, ich glaube, da schon einiges unter den Nägeln brennt. – Bitte, Frau Pfurtscheller.
PFURTSCHELLER: Ja, jetzt ist so viel Input gekommen. Ich wollte eigentlich auf Kollegen Oxonitsch replizieren, aber jetzt möchte ich doch auch noch einmal zu deinem Statement und zu dem von Kollegen Margreiter etwas sagen. Ich weiß nicht, ob es das ganz Allerwichtigste für uns alle ist, ob dieser Täter verurteilt wird oder nicht. Ich glaube, viel wichtiger ist, dass man im Sinne des Kindes interveniert, unterbindet, dass es weiter passiert, und dem Kind hilft, das traumatische Erlebnis zu verkraften. Also ich glaube, wir sollten viel mehr opferorientiert arbeiten. Und die Täter: Ja okay, vielleicht wird er verurteilt, vielleicht nicht – ich meine, ich sage das jetzt so flapsig, weil ich auch keine Juristin bin –, aber am Ende des Tages hilft es dem Kind genau gar nichts. Ob der jetzt im Gefängnis sitzt oder nicht, spielt für dieses Kind, das betroffen ist, das auf irgendeine Art Gewalt erfahren hat - - Ich möchte auch ein bisschen von den Bildern und den Videos wegkommen, sondern Gewalt an Kindern im Allgemeinen da jetzt mehr in den Mittelpunkt stellen, weil Kinder ja auch geschlagen werden und auf ganz üble Art und Weise gemobbt werden und auf andere Art und Weise ganz viel Leid erfahren, nicht unbedingt durch sexualisierte Gewalt und Bilder. Am Ende hilft es diesem betroffenen Kind nichts, und deswegen finde ich natürlich schon, dass es wichtig ist, dass man Ermittlungen führt und dass möglichst viele auch verurteilt werden, aber viel wichtiger, finde ich, ist der Fokus auf die Kinder. Das war mir jetzt wichtig. Und zu Herrn Oxonitsch möchte ich noch ganz kurz sagen: Ich teile natürlich die Meinung, dass Pädagogen und Pädagoginnen da eine sehr wichtige Aufgabe zu erfüllen haben. In meiner Wahrnehmung, in meiner Umgebung könnte ich jetzt eigentlich schon behaupten oder sagen, dass sehr viele Pädagogen und Pädagoginnen da sehr sensibilisiert sind und auch die Kinder schon in die Richtung prägen, also schon im Kindergarten, dass sie Stopp sagen, dass sie sehr wohl ausdrücken können, wenn sie sich nicht mehr wohl fühlen. Ich glaube, wir dürfen auch die Eltern nicht aus der Verantwortung lassen, und da bin ich schon ein Stück weit auch bei Kollegin Fürst: Wenn sich Kinder stundenlang irgendwelche Gewaltfilme, -videos, ähnliche Dinge anschauen dürfen, ohne dass kontrolliert wird, wenn keine Schutzfilter auf den PCs sind und Kinder alles herunterladen können, wenn nie aufs Handy vom Kind geschaut wird, welche Fotos es geschickt kriegt oder welche Whatsapp-Nachrichten es geschickt bekommt, dann liegt es schon auch in der Verantwortung der Eltern, da vielleicht sensibler zu sein als früher. Früher war es halt einfacher, jetzt – in Zeiten von Internet – ist es schwieriger.
GROẞ: Frau Fürst, ganz kurz.
FÜRST: Ich wollte nur auf die Wortmeldung von Kollegen Margreiter eingehen, weil das leider wirklich die Erfahrung aus der anwaltlichen Praxis ist und man das Thema Kindesmissbrauch und Übergriffe hier nicht diskutieren kann – leider –, ohne auch das Thema falsche Anschuldigungen zu diskutieren, weil das eben bei Gericht so präsent ist und dort auch wirklich rauskommt. Da müssen auch viele externe Berater in der Justiz - - Es gibt sowohl bei Scheidungsverfahren, Obsorgeverfahren und bei strafrechtlichen Übergriffen schon einen Wildwuchs auch an Vereinen, die da tätig sind. Bei einer Scheidung haben wir Familiengerichtshilfe, Jugendgerichtshilfe, Kinderbeistand, Besuchsmittler. Und da gibt es oft leider auch wirklich den Ratschlag an Frauen: Wie hole ich mir eine gute Scheidung, wie hole ich mir das alleinige Obsorgerecht? – Halt sehr leicht, indem ich den Vater da beschuldige, aber falsch beschuldige, dass er sich am Kind vergreift. Und das ist ein ganz großes Problem, weil es zahlenmäßig nicht zu vernachlässigen ist, und daher muss man das reflexartig sagen, wenn Sie sagen, wir müssen den Kindern und Frauen glauben. Man muss dem nachgehen, aber man muss es leider einkalkulieren, dass es da einen großen Prozentsatz an falschen Beschuldigungen gibt, und auch da sind wie gesagt - - Das ist auch eine gesellschaftliche Verantwortung, falsche Beschuldigungen zu ächten. Ich finde das wirklich entsetzlich, wenn so etwas in Scheidungs- oder Obsorgeverfahren verwendet wird, und da, wo wirklich etwas passiert, aber weggeschaut wird und das unter den Tisch gekehrt wird.
GROẞ: Frau Wölfl und Frau Neudecker, jetzt haben Sie lange zugehört. Ich hoffe, Sie haben sich alles gemerkt, wo Sie jetzt überall auch etwas dazu sagen wollen beziehungsweise darüber noch weiter reflektieren wollen. – Bitte sehr.
WÖLFL: Bitte, gern. Also ich denke, ein Faktor, der noch nicht genannt wurde, der so wichtig wäre, wäre die Beschleunigung von Verfahren. (NEUDECKER: Ja!) Es ist eine Katastrophe: Wir haben Verfahren mit kleinen Kindern, und wir wissen, dass wir uns in unserem Menschsein in den ersten Lebensjahren und in den ersten Vorschuljahren am meisten weiterentwickeln; Kinder haben manchmal mangelnde Verbalisierungsfähigkeit, sind einfach aufgrund ihres Entwicklungsstandes auch nur kurz in der Lage, etwas mit Realitätszeichen – so wie wir das nennen –, aber auch so zu schildern, dass das vor Gericht verwendbar ist, und wir müssten da viel bessere Methoden haben, dass rasch – und wirklich gut geschulte – Gutachterinnen und Gutachter bestellt werden. Es ist vollkommen für die Katz, wenn das sechs Monate nach einem vermeintlichen oder behaupteten – das gibt es auch, also das ist auch ein Problem, das wir im Kinderschutz sehen: Gewaltbehauptungen im Rahmen von hochstrittigen Scheidungen zum Beispiel - - Aber eben: Auch wenn es plausible Gründe gibt, ist es juristisch nicht mehr verwertbar, das wird aussagepsychologisch sozusagen, wie wir das nennen, dann einfach niedergeschmettert, weil ein kleines Kind eben auch beeinflussbar ist. Wenn es mithört, wie die aufgeregte Mama das wem am Telefon erzählt, entstehen in den Kindern Bilder, wo das dann schwer zu unterscheiden ist. Und es gilt da natürlich, wenn keine Sachbeweise da sind, trotzdem gerecht – möglichst – zu sein. Und das ist wirklich auch für ältere Kinder oft das Belastendste, dass sich diese Verfahren über Monate, über Jahre hinziehen, und das wäre eine ganz dringende Forderung, die - - (In Richtung Neudecker:) Ja, bitte, ergänze du noch einmal.
GROẞ: Scheitert woran? Am mangelnden Personal? Sie haben die Gutachter genannt.
NEUDECKER: Ich denke, ja. Also Sie haben vorhin davon gesprochen, dass die Justiz ausgehungert ist. Ich denke, wir bräuchten auch da – bei den Staatsanwaltschaften zum Beispiel – mehr Personal, damit sich die auch die Zeit nehmen können, Akten zügig zu bearbeiten und vielleicht auch ein bisschen einen gründlicheren Blick darauf zu werfen. Natürlich, die Unschuldsvermutung und im Zweifel für den Angeklagten, das sind ganz hohe rechtliche Güter, das haben auch wir nicht Nichtjurist:innen über die Jahre gelernt, allerdings glaube ich, dass das nicht der Großteil der Fälle ist, in denen es genau daran scheitert. Ich glaube auch nicht, dass es die hochstrittigen Fälle sind – diese Fälle kommen vor, aber nach meiner Erfahrung machen die jetzt nicht das Gros der Fälle aus –, sondern: Es scheitert daran, dass ein Fall aufgedeckt wird und die Kinder werden sehr schnell zur Polizei geschleppt, sage ich jetzt einmal, zur Anzeige, und die Kinder sind ganz aufgeregt und wissen nicht, worauf es ankommt, was sie dort erzählen müssen, damit das Verfahren weitergeht. Dann wird diese vielleicht sehr karge oder ein bisschen chaotische Aussage an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet, und die sehen: Das ist keine sehr überzeugende Aussage. – Dann wird eingestellt. Oder die Kinder sagen bei der Polizei aus, dann dauert es zwei Monate oder noch länger, bis es dann zu einer kontradiktorischen Vernehmung kommt, dann können sich die Kinder manchmal nicht mehr an alles erinnern. Dann sagt die Staatsanwaltschaft, da gibt es Widersprüche in der Aussage: Bei der Polizei hat sie gesagt, es war am Ende der zweiten Klasse, und jetzt bei Gericht hat sie gesagt, es ist am Anfang der dritten Klasse. – Da könnte man sich auch die Zeit nehmen, um zu überlegen oder nachzuprüfen: Lässt sich das dadurch erklären, dass es eben keine erlebnisbasierte Aussage ist, sondern vielleicht mit ganz normalen Unschärfen, die mit der Erinnerung auch zu tun haben? Noch etwas, was ganz häufig vorkommt, ist, dass Kinder eine Aussage bei der Polizei machen, und der Beschuldigte ist ein Angehöriger. Dann vergeht Zeit, bis sie bei Gericht wieder befragt werden. In der Zeit wird der Loyalitätskonflikt der Kinder so hoch, und wenn sie dann gefragt werden, ob sie sich der Aussage entschlagen, sagen ganz viele Kinder Ja, weil ihnen der Druck einfach zu hoch ist. Das sind alles ganz viele Fälle, da sind wir überhaupt noch nicht bei der Unschuldsvermutung. Natürlich kann nicht jeder Fall, der angezeigt wird, mit einer Verurteilung enden – in manchen Fälle wird nichts daran sein, in anderen Fällen ist es vielleicht zu wenig –, aber ich würde mir wirklich wünschen, dass man sich gemeinsam Gedanken darüber macht, wie man diese große Zahl an Fällen ein bisschen gründlicher überprüfen kann, bevor man zu dem Schluss kommt, dass sie eingestellt werden.
GROẞ: Wir haben vorhin davon gesprochen und Sie haben es jetzt auch wiederholt: Die Zahl der Fälle wird mehr, die Zahlen steigen, und vor allem wird das Gewaltpotenzial noch immer mehr sozusagen. Das heißt, es gibt eine Eskalation nach oben. Wo endet das und wie kann man dem Einhalt gebieten? Immer wieder kann man dann davon lesen, dass auch Täter sich fast damit rechtfertigen, dass sie sagen, sozusagen normale Pornographie war ihnen schon zu wenig, also haben sie jetzt sozusagen bewusst auch den Kick nach mehr gesucht, nach Verbotenem – bei Kindern ist das teilweise offensichtlich schon so. Wenn vielleicht aber überhaupt die Grenzen verschwimmen, zwischen dem, was – unter Anführungszeichen jetzt – „normal“ ist und was nicht, wie soll man dann erkennen, was schon lange abnormal ist beziehungsweise einfach kriminell ist?
WÖLFL: Ich denke, die eine Gruppe, die Sie ansprechen, das sind wirklich pädophile Straftäter oder solche, die einfach eine pädophile Neigung haben und noch nicht zum Täter geworden sind, die auch dringend - - Und da muss man wirklich sagen, dass das Wichtigste eine therapeutische Arbeit mit diesen potenziellen Tätern ist, denn das bedeutet wirklich Kinderschutz. Aber das ist eine sehr kleine Gruppe trotz allem, und man muss auch sagen: Von denen, die wirklich schweren sexuellen Missbrauch durchführen, machen die nur einen kleinen Teil aus, sondern es wird einfach auch über die Sexualität ein Autoritäts-, ein Abhängigkeitsverhältnis ausgenützt. – Das ist das eine. Das andere ist sicher ein Thema, das Sie ansprechen, und das haben wir jetzt auch an den Zahlen gesehen: dass es einfach extrem viele Jugendliche sind – und teilweise auch Unmündige, also nicht strafmündige Kinder, sage ich jetzt einmal –, denen diese Delikte wie Weiterleiten sexualisierter Bilder oder eben auch einvernehmlich hergestellter Sextingvideos, die zur jugendlichen Sexualität heute dazugehören, zuzurechnen sind. Wenn dann halt diese junge Beziehung in Brüche geht, dann ärgert man sich und schickt sie in irgendeine Klassengruppe, und da fehlt auch das Unrechtsbewusstsein. Und das finde ich einen guten Punkt in diesem Kinderschutzpaket, Maßnahmenpaket zum Kinderschutz, dass da eine Kampagne dabei ist. Das ist eigentlich ein sehr trauriger Zustand, dass wir in Österreich noch nie eine von bundes-, von staatlicher Seite getragene umfassende, langjährige und wirklich an alle Zielgruppen adressierte Kinderschutz- oder Kinderrechtskampagne hatten. Wir wissen: Die Länder, wo ein klares Nein zu Gewalt an Kindern wirklich funktioniert, haben das, und das seit vielen Jahren – das sind vor allem die skandinavischen Länder. Das ist ganz einfach zu machen, kostet auch nicht so wahnsinnig viel Geld, braucht aber natürlich eine Regelmäßigkeit. Auch die Maßnahmen, die Sie angesprochen haben, Herr Oxonitsch: Es ist in Österreich möglich, ein Medizinstudium - - Ich bin selber Psychologin, Psychotherapeutin, und nie in meiner Ausbildung habe ich gelernt: Was sind Meldepflichten? Wie erkenne ich Kindeswohlgefährdung? Das musste ich – oder wollte ich – mir selbst aneignen. Und das gilt genauso für pädagogische Berufe und sonst etwas. – Das ist nicht im Kinderschutzmaßnahmenpaket drinnen, das gälte es aus unserer Sicht sicher auch nachzuschärfen.
GROẞ: Frau Fürst, vielleicht merken Sie es sich (FÜRST: Ja, ja!) für die nächste Runde, ich möchte nämlich gerne an dieser Stelle jetzt zu unserem zweiten Film kommen, den wir vorbereitet haben, denn der passt, finde ich, an dieser Stelle sehr gut, weil jetzt schon sehr viel vom Thema Prävention und Therapie auch die Rede war. Dass es Kindesmissbrauch und Gewalt an Kindern wohl zu allen Zeiten gegeben hat, darüber sind wir uns auch einig. Was sich verändert hat, ist – und das ist ja jetzt bereits oft angeklungen – der Zugang und die Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen. Beides ist durch die Digitalisierung und das Internet viel einfach geworden, und die Hürden sind nicht nur in technischer Hinsicht ganz offenbar niedriger geworden. Was bedeutet das für Prävention und Therapie? Die meisten Experten und Expertinnen sind sich einig: Opferschutz und Prävention auf Täterseite sind zwei Seiten ein- und derselben Medaille.
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Es folgt eine Videoeinspielung:
Sprecher: Mit nur wenigen Klicks werden im Internet Bilder ausgetauscht und konsumiert, die Kindesmissbrauch zeigen. Es sind vor allem Männer, die sich dadurch sexueller Gewalt an Kindern mitschuldig machen, denn jeder, der sich solche Darstellungen anschaut, trägt dazu bei, dass Kinder missbraucht werden. Rotraud Perner arbeitet seit Jahrzehnten mit potenziellen und tatsächlichen Tätern. Als Psychotherapeutin betreut sie in Beratungsstellen jahrelang Menschen, die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen oder eine Sucht entwickelt haben, immer wieder Missbrauchsdarstellungen von Kindern zu konsumieren.
Rotraud Perner (Psychotherapeutin): Ich erinnere mich an einen Klienten, der gesagt hat: Die erwachsenen Frauen sind ja alle so versaut, ich will ein reines, unschuldiges Kind. – Und das war dann halt eine Neunjährige.
Sprecher: Ihre Klienten kommen freiwillig zu ihr in die Praxis und wollen etwas verändern.
Rotraud Perner: Das, was ich bei Klienten von mir erlebt habe, ist, dass irgendwann Fantasien sehr bedrängend wurden: So, jetzt will ich es einmal ausprobieren! – Also das wäre der Zeitpunkt, wo man auf jeden Fall kommen sollte, um da etwas zu ändern. Oder sie werden von ihren Müttern geschickt: Also die Mütter sind da, wenn sie sozusagen draufkommen oder einen Verdacht haben, meistens die treibende Kraft.
Sprecher: Die Klienten, mit denen Psychotherapeut Alexander Seppelt von der Männerberatung Wien zu tun hat, kommen meist nicht freiwillig zu ihm, sondern werden nach einer Verurteilung zu ihm geschickt. Er arbeitet seit über 30 Jahren mit Sexualstraftätern, viele davon ohne Schuldbewusstsein.
Alexander Seppelt (Psychotherapeut, Männerberatung Wien): Die Klienten wissen dann sehr schnell einmal, sie brauchen uns gegenüber nicht mehr verharmlosen, weil wir ja nicht in erster Linie dazu da sind, um sie zu beurteilen, sondern wir sind dazu da, damit sie keinen Rückfall mehr haben, damit wir einen Opferschutz garantieren können, damit Kinder und Jugendliche nicht mehr gefährdet sind. Und da ist es wichtig, dass er möglichst ehrlich mit uns all das durchbespricht, was er sich auch denkt.
Sprecher: Zum Schutz der Kinder müssen Täter über Jahre therapeutisch begleitet werden.
Alexander Seppelt: Im Internetbereich gibt es eine wahnsinnig hohe Rückfallswahrscheinlichkeit, weil das meistens von sehr starker Suchtsymptomatik begleitet ist, und da ist unbehandelt in Wahrheit der Rückfall vorprogrammiert. Mit Therapie kann man jeweils ungefähr drei Viertel der potenziell Rückfälligen unterstützen, dass sie nicht rückfällig werden, das ist doch ein recht hoher Anteil.
Sprecher: Pädophilie ist nicht heilbar, Denk- und Verhaltensmuster können jedoch verändert werden, sagt Perner. Wichtig sei es auch, nicht wegzuschauen.
Rotraud Perner: Meist regt man sich auf, wenn es irgendeine prominente Person betrifft, und man vergisst: Die große Zahl ist in der Familie – in der engeren, in der weiteren. Ich kenne so viele Fälle, in denen meistens die Mütter einen Verdacht haben oder das Corpus Delicti gefunden haben, also Fotos oder Datenträger, und nicht wissen, wie man das ansprechen soll, weil sie Angst haben, dass ihnen dann Gewalt geschieht oder auch dass sie, wenn es jemand Entfernterer ist, wegen Verleumdung geklagt werden. Und ich denke, da fehlt eine entsprechende Whistleblowerregelung.
Sprecher: Die meisten Expertinnen und Experten sind sich einig: Nur höhere Strafen lösen das Problem nicht. Neben dem Opferschutz muss auch mehr in Prävention auf Täterseite investiert werden. In dem neuen Kinderschutzentwurf sind zwar Mittel für die Therapie von Menschen vorgesehen, die bereits zu Tätern geworden sind; für Präventionsarbeit mit denjenigen, die eine Therapie wahrnehmen wollen bevor sie sich an Kindern vergehen, sind im Entwurf derzeit keine Mittel vorgesehen.
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GROẞ: Reden wir also über das Thema der Prävention und der Therapie beziehungsweise der Mittel dafür: Sind sie ausreichend vorgesehen oder nicht? Ich beginne jetzt gerne bei der Opposition, einmal bei Ihnen, Herr Oxonitsch: Wie würden Sie das einschätzen?
OXONITSCH: Wenn ich mir den Ministerratsvortrag ansehe, dann muss ich sagen: Rein von den nüchternen Zahlen her gesprochen ist das nicht der wesentliche Schwerpunkt in dem gesamten Paket. Wenn ich lese, dass – richtigerweise ist darauf hingewiesen worden – für eine große Kampagne mit 3,5 Millionen Euro – eine Supersache, ich glaube, auch dringend notwendig, von einer Organisation kommend, die diesem Bereich immer wieder Aufmerksamkeit geschenkt hat, aber natürlich nie die Möglichkeiten hat, da die entsprechende Aufmerksamkeit zu bekommen – und dann für die Präventionsmaßnahmen 800 000 Euro jährlich vorgesehen sind, dann kann ich mir schon ausmalen, dass das wahrscheinlich – für uns als Opposition jedenfalls – sicher nicht genügend ist. Aber ich glaube, was mir in dem Bereich wesentlich ist, ist, dass man tatsächlich bei diesem Maßnahmenpaket - - Und da muss uns klar sein: Wir reden ja derzeit einmal nur über präsentierte Maßnahmen, noch liegt ja nichts im Parlament, noch haben wir keinen einzigen Gesetzesentwurf, noch haben wir keine einzige entsprechende Beschlussvorlage, worum es dann wirklich gehen wird, und da kennen wir schon viele Ankündigungen; also ich beurteile das gerne dann, wenn es wirklich vor uns liegt, und nicht nach der Ankündigung. Aber wenn die Ankündigung schon so wenig Mittel vorsieht, dann, glaube ich, ist ein Nachbessern tatsächlich noch dringend notwendig und dringend erforderlich, um tatsächlich das leisten zu können, was man will. Und ich glaube, das wollen tatsächlich alle hier: Missbrauch bei Kindern verhindern. Und da ist die Präventionsarbeit wesentlich, da ist natürlich auch die ganze Frage – der im Ministerratsvortrag meiner Ansicht nach auch zu wenig Beachtung geschenkt wird – der Personalaufstockung auch bei der Polizei wesentlich. Also gerade angesichts der gesamten Cyberkriminalität ist da sicherlich tatsächlich noch mehr notwendig – das wird ja auch bestätigt. Also ich glaube, es gibt schon noch einiges zu tun. Wichtig ist dabei, dass der Dialog mit den Organisationen geführt wird, die Jahre und jahrzehntelange Expertise darin haben. Das ist mir auch immer wichtig, diesen Dialog auch zu führen, weil, ich glaube, wir alle sind politisch tätig, wir können Schwerpunkte setzen, aber die Experten sitzen in dem Bereich woanders, und sie sehen wahrscheinlich viele Dinge, die wir wahrscheinlich – da können wir jetzt zu fünft reden – aus der Praxis heraus nie so miterleben können. Daher ist es mir wichtig, dass dieser Dialog geführt wird, zum Beispiel auch, wenn es um diese Zertifizierungsstelle, also um das Qualitätssiegel, geht, wo ich sage: Ich brauche jetzt nicht eine neue Organisation. Da gibt es genügend, die Erfahrung und Expertise haben. Ich hoffe, es ist so, aber immer wieder höre ich dann: Na da wird man etwas Neues gründen. Ich glaube, das ist nicht notwendig. Wenn das gelingt, glaube ich, kann aus dem Paket durchaus auch etwas Positives werden.
GROẞ: Frau Fürst, wo sind Ihrer Meinung nach noch die Lücken, beim Thema Prävention zum Beispiel?
FÜRST: Also die großen Lücken sind für mich: Prävention und Täterarbeit ist bei diesem Delikt absolut wichtig, weil wie gesagt viele Täter ja eben wirklich die eigene Erfahrung auch als Opfer haben; und dass die Rückfallwahrscheinlichkeit so groß ist, weil das Ganze ja Suchtfaktor hat. Das heißt, das muss gebracht werden, aber wie Sie gesagt haben, wenn ich Sie richtig verstanden habe: Das ist natürlich dann trotzdem eine kleine Zahl. Ich glaube, wenn man von Prävention spricht und darüber, dass man wirklich auch massenhaft Delikte verhindern will und vorbeugen will, kommen wir nicht darum herum, ein großes Thema zu besprechen, nämlich diesen unbeschränkten Zugang der Kinder und Jugendlichen zu Gewalt und sexuellen Inhalten. Ich glaube, das wird von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr noch steigen. Die werden jetzt groß, wachsen schon im Kindergarten sozusagen mit dem Handy auf, mit diesem unbeschränkten Zugang - -
GROẞ: Aber was ist die Lösung?
FÜRST: Das ist bisher nicht - - Es ist noch nicht einmal diskutiert worden. Bisher hat man immer gesagt: Digitalisierung ist alles. Jede Volksschule, die nicht für jedes Kind einen Laptop hat, ist schon irgendwie in Verruf gekommen. Ich habe immer gesagt, ich bin froh, wenn sie keinen haben, denn sie sollen einmal nicht den Zugang haben. In der Coronazeit wurden die Kinder in das hineingedrängt: stundenlang vorm Laptop zu sitzen, im Internet zu surfen. Also da muss einmal wie gesagt überhaupt auch die gesellschaftliche Ächtung, dass dieser Zugang so frei ist - -
GROẞ: Aber läuft das über Verbote – und da wäre ja dann die Frage, wie solche Verbote überhaupt herzustellen und zu kontrollieren sind – oder über Aufklärung und - -
FÜRST: Richtig. Also ich muss - - Aber ich glaube, da ist auch einfach der gesellschaftliche Wille und der Druck noch nicht da, dass da auch die großen Unternehmen und Konzerne - -, dass da wirklich auch die technischen Vorrichtungen verstärkt werden, ausgebaut werden. Ich bin da nicht Experte, aber ich denke, es sollte selbstverständlich sein, dass für alle Kinder unter 18 Jahren Schranken eingebaut sind und diese nicht Zugang zu allen Gewaltinhalten haben. Ich denke, das wird man umsetzen können – technische Möglichkeiten haben wir; wie, das kann ich nicht sagen, aber es muss überhaupt einmal diskutiert werden. Wir werden mit dieser Masse an Kindern und Jugendlichen nicht fertig werden, die wie gesagt schon solche Gewaltinhalte konsumiert haben, wie wir uns das gar nicht vorstellen können. Es werden jetzt schon so viele sexuelle Übergriffe, Vergewaltigungen mitgefilmt – das ist, glaube ich, etwas, das für unsere Generation ja überhaupt nicht mehr fassbar ist –, ins Netz gestellt, weil man sich offensichtlich damit profiliert. Daraus kann man nur schließen, was 13-, 14-Jährige da schon alles gesehen haben, dass sie das sozusagen als Profilierung ansehen.
GROẞ: Herr Margreiter.
MARGREITER: Diese Gesetzgebungsperiode hat im Herbst 2019 begonnen, und aufgrund meiner Berufserfahrung habe ich bereits im Jahr 2020 im Justizausschuss einen Entschließungsantrag eingebracht, der sich genau auf das Paket bezieht, das jetzt von der Regierung abgefeiert wird. Er ist dann vertagt worden. Da haben wir mindestens zwei Jahre verloren, in denen man schon hätte daran arbeiten können. Den Vorwurf, dass sie einen prominenten Fall gebraucht hat, um sozusagen in die Aktion zu kommen, muss sich die Regierung schon gefallen lassen. Auch, muss ich sagen, wird das Pferd irgendwie falsch aufgezäumt: Man fängt bei den Strafdrohungen an – da ist dann schon etwas passiert. Es wäre viel wichtiger, alles in Bewegung zu setzen, damit man verhindert, dass etwas passiert, und da gibt es Möglichkeiten. Die Expertinnen haben schon einiges aufgezeigt. Ich fasse unser Thema schon hauptsächlich in Richtung sexueller Kindesmissbrauch auf, also nicht alle Gewalthandlungen. Die müssen wir auch alle verhindern, aber das Thema ist – so verstehe ich es –: Es geht in erster Linie darum, sexuellen Missbrauch von Kindern zu verhindern, und da wird wirklich einer der wichtigsten Wege schon sein, dass man versucht, die Kanäle, die digitalen Kanäle, trockenzulegen. Ich würde meinen, dass das nicht ganz so schwer ist, denn man kann global unterschiedliche Kulturkreise, unterschiedliche Einstellungen zu sexueller Freiheit haben, was aber in allen Kulturen und immer geächtet ist, ist der sexuelle Missbrauch von Kindern. Es gibt keine Kultur, die das gutheißt, ganz im Gegenteil. Und auf diesem Boden sollte es doch wohl möglich sein, dass wir das weltweite Internet inklusive Darknet so ausstatten, dass eben durch Algorithmen und mit künstlicher Intelligenz alle diese Darstellungen, diese Gewaltdarstellungen, sexuelle Gewalt an Kindern, herausgefiltert wird. Das muss möglich sein. Da sollte Österreich ganz wild vorpreschen, damit wir da international etwas tun, denn das lässt sich nur international lösen. Es hilft nichts, wenn wir da in Österreich allein Lösungen herbeiführen. Das ist schon einmal ein ganz ein wichtiger Punkt, denn das ist die Einstiegsdroge – wir haben die Altersgruppen gesehen –, und mit der Einstiegsdroge entwickelt sich ein Suchtpotenzial, die Dosis muss gesteigert werden. Dann sind wir irgendwo bei dem Fall, wie ich ihn erlebt habe, was wirklich ganz, ganz schrecklich ist: dass Kinder für ihr ganzes Leben geschädigt werden, gebrochen und die Seelen zerstört werden.
GROẞ: Die beiden Vertreterinnen der Regierungsparteien waren zu diesem Thema noch nicht dran, und wir springen jetzt ein bisschen in der Weltgeschichte herum, aber es lässt sich nicht vermeiden. Wir müssen wieder zum Thema Lücken bei Prävention beziehungsweise Therapien zurückkommen. Was können Sie da bereits sagen? Herr Oxonitsch hat gemeint, wir haben außer diesem Ministerratsvortrag ja noch nichts vorliegen. Gibt es da inzwischen schon mehr?
NEẞLER: Wir haben die Verhandlungen wie gesagt nicht aufgrund von Teichtmeister gestartet. Das war im Juni, medial übrigens auch nachzulesen. – So: Im Juni sind wir gestartet. Was war unsere Ausgangsposition? – Wir hatten eine Justiz, die relativ ausgehungert war, als wir in die Regierung gekommen sind. Wir haben im Gewaltschutzbereich massiv aufstocken müssen, weil dieser ausgehungert war. Und 2019 wurde, leider auch mit der SPÖ, die Kinder- und Jugendhilfe verländert, was massive Probleme in diesem Bereich verursacht hat. Das war unsere Ausgangsposition.
GROẞ: Warum hat die Verländerung Probleme geschaffen? Können wir das vielleicht erörtern?
NEẞLER: Das hat die Volksanwaltschaft und alle Organisationen damals schon kritisiert. Die Probleme, die es grundsätzlich in der Kinder- und Jugendhilfe gab, sind massiv verschärft worden. Es macht ein einheitliches Bundesschutzgesetz – dass wir einheitliche Qualitätskriterien haben – de facto unmöglich. Das können wir nicht machen, weil wir jetzt in allen Ländern unterschiedliche Voraussetzungen haben, und die Länder können natürlich in diesem Bereich massiv sparen, und das wirkt sich gravierend auf unsere Kinder und jungen Menschen aus. Das war unsere Ausgangssituation, und das hat mich schon während der Verhandlungen massiv wütend gemacht. Trotzdem haben wir es geschafft, ein Kinderschutzpaket zusammenzukriegen, in dem einerseits die härteren Strafen drin sind, einfach weil das schon an unser Wertesystem angepasst gehört. Das andere aber, das Herzstück, sind diese Kinderschutzkonzepte. Und diese Kinderschutzkonzepte sind die Prävention, bevor es eben überhaupt zu einem Fall kommt, denn bisher, in der Vergangenheit, ist die Politik jedes Mal, wenn so ein Fall war, hergegangen, hat härtere Strafen gefordert – und das war’s. Darum war es uns am Verhandlungstisch so wichtig, dass wir tatsächlich Lösungen finden und keine Scheinlösungen.
GROẞ: Aber was - -
NEẞLER: Und wir haben auch die Täterarbeit aufgestockt. Dass da einige Sachen noch fehlen und stärker aufgestockt werden sollen, da bin ich absolut dabei. Wichtig ist, dass wir keine Schritte zurück machen. Man muss auch eines dazu sagen: Dieses Kinderschutzpaket ist auch darum so gut geworden, weil wir uns mit den Experten und Expertinnen ausgetauscht haben, natürlich ist da ganz viel Expertise von unseren Experten und Expertinnen drinnen. Darum, würde ich einmal sagen, wird dieses Paket schon grundsätzlich breit positiv angenommen, weil man das Rad ja nicht neu erfinden muss, sondern wir Personen haben, die jahrelang im Bereich gearbeitet haben.
GROẞ: Ich möchte trotzdem noch Frau Pfurtscheller fragen, ob sie uns sagen kann, was die konkreten Lösungsvorschläge gerade beim Thema Prävention sind, was Sie da konkret anbieten können.
PFURTSCHELLER: Ja, zur Prävention: Die Kollegin hat schon die Kinderschutzkonzepte angesprochen. Da geht es darum, dass alle Schulen dazu verpflichtet werden, Kinderschutzkonzepte aufzustellen. Das wird dann aber über den Bildungsminister abgewickelt. Und alle Vereine und Organisationen, die auf irgendeine Art und Weise Kinder aufnehmen, mit Kindern zu tun haben, Kinder beaufsichtigen (GROẞ: Kultur, Sport!) – Kultur, was auch immer, Ferienlager, Pfadfinderlager et cetera –, werden nicht dazu gezwungen, Kinderschutzkonzepte zu erstellen, sondern sie werden dazu motiviert.
GROẞ: Entschuldigung, ich darf da einhaken, weil ich ein ein leises „leider“ vonseiten von Frau Wölfl vernommen habe: Warum hat man sich nicht entschlossen, das verpflichtend zu machen?
PFURTSCHELLER: Der Grund ist derjenige: Es ist in diesem Bereich, glaube ich, ein bisschen schwierig, sozusagen die Waage oder den Ausgleich zu finden, wie viel Bürokratie man den Vereinen aufladet. Wenn es eine große Kinderorganisation ist, die sehr viel mit Kindern arbeitet, wie – jetzt fällt es mir nicht ein – (OXONITSCH: Kinderfreunde!) – Kinderfreunde, genau, Entschuldigung, das mir jetzt nicht eingefallen, oder die Pfadfinder oder andere Organisationen, die großflächig in Österreich tätig sind, dann haben diese entweder schon Kinderschutzkonzepte oder sie sind natürlich sehr stark daran interessiert, möglichst schnell Kinderschutzkonzepte zu entwickeln. Wenn es aber kleine Vereine sind, zum Beispiel eine Blasmusikkapelle in einem Dorf, die auch eine Kindergruppe hat oder die Kinder aufnimmt, damit sie ein Instrument lernen, dann ist das für die natürlich eine Riesenherausforderung, wenn sie innerhalb kürzester Zeit ein Konzept machen müssen. Deswegen haben wir uns darauf geeinigt, dass wir versuchen, die Organisationen möglichst zu motivieren und auch finanziell zu unterstützen, wenn sie Kinderschutzkonzepte machen, ihnen auch sozusagen einen Schimmel, der gerade ausgearbeitet wird, zur Verfügung zu stellen, der für den normalen, landläufigen Verein dann auch genügt, sie dann auch auszuzeichnen und das Ganze natürlich auch durch ein Monitoring zu überprüfen. Wir haben uns für diesen Weg entschieden. Ich kann verstehen, dass Sie aus Ihrer Sicht das Verpflichtende für besser halten würden. Unsere Bedenken sind aber, dass kleine Organisationen, die sehr wohl, gerade in der ländlichen Struktur, für Kinder oft sehr wichtig sind, dann einfach sagen würden: Ja, dann nehmen wir halt keine Kinder mehr, dann brauchen wir uns darüber keine Gedanken zu machen! Da kann man jetzt lang drüber diskutieren, aber jetzt fangen wir einmal so an. Ich bin da sehr positiv gestimmt, weil es einfach ganz, ganz viele, sehr engagierte - - (GROẞ: Okay!) – Okay, jetzt sind wir bei den Kinderschutzkonzepten (GROẞ: Mhm! Ja!), das sind also diese zwei Varianten: Schule muss, die anderen sollen, und sie werden finanziell unterstützt. Weiters werden die Familienberatungsstellen finanziell besser ausgestattet, damit auch Beratung von Familien, die ein Problem haben, stattfinden kann. Da geht es natürlich auch ganz stark drum, sie zu ermutigen, dann zu kommen, wenn noch nichts passiert ist. Wir wissen ja, dass 80 Prozent der Gewaltfälle in Familien passieren, im engsten Bereich, so wie bei Frauen übrigens auch – das wissen wir ja –, und wir wollen sie natürlich ermutigen, in eine Familienberatungsstelle zu kommen, bevor etwas passiert ist, und zu sagen: Wir sind überlastet, wir kriegen das nicht mehr gebacken, wir haben Probleme – was sollen wir tun? – Das gehört auch zu diesem Präventionskonzept beziehungsweise zu diesen Präventionsmaßnahmen dazu.
GROẞ: Okay, vielen Dank. – Ganz kurz möchte Frau Fürst etwas ergänzen, und dann möchte ich gerne von Frau Wölfl und Frau Neudecker hören, was sie dazu sagen, denn sie müssen ja damit arbeiten.
FÜRST: Ich wollte zu verpflichtenden Kinderschutzkonzepten für Schulen und freiwilligen Gütesiegeln für Vereine nur sagen: Ich glaube, das sage ich einmal voraus, dass das Papiertiger werden. Auch der Wissenschaftsminister hat sich ja dazu verstiegen, dass er da jetzt – ich weiß nicht, ob das umgesetzt wird – von allen neu angestellten Lehrern eine Erklärung verlangen wird, in der sie unterschreiben, dass sie sich bisher nicht irgendwelcher Übergriffe an Kindern schuldig gemacht haben an. – Ich meine, ein Kinderschänder oder einer, der das vorhat, oder ein Pädophiler wird das locker unterschreiben! Herr Teichtmeister war auch bei Kinderschutzgalas. Ich kann das damit nicht verhindern, das hat überhaupt keinen Wert. Die besten Konzepte und Erklärungen und Gütesiegel bringt nichts, wenn das System versagt. Ich möchte hier noch einmal auf den einen Fall von dem Lehrer erinnern, der sich jahrelang durch Übergriffe an Kindern an einer Wiener Schule schuldig gemacht hat, wo es zu keiner Verurteilung kommt, wie Sie sagen, weil er Selbstmord begangen hat. Der hat das aber jahrelang gemacht, es hat Mitwisser gegeben. Es ist nur zu keiner Anzeige gekommen und es ist alles vertuscht und verdrängt worden. Es gibt jetzt einen Kommissionsbericht – nur ganz kurz dazu –, der ein umfassendes Systemversagen auf allen beteiligten Ebenen festgestellt hat: Schulen, Bildungsdirektion, Ministerium, ermittelnde Behörden. Also ich glaube, in das beste Konzept, in das beste Gesetz, in Kampagnen wird viel Geld hineingesteckt, aber wenn der Lehrer nicht meldet, was ihm auffällt, wenn Beschwerden von Eltern, wie in den Kindergärten, nicht nachgegangen wird und wenn die Bildungsdirektion sich nicht drum kümmert, dann wird das alles nicht nützen. Wir brauchen schon die Verantwortlichen. Das sind nach wie vor Eltern, der Lehrer in der Schule ist es nun einmal, der Klassenvorstand und der Direktor; und da sollte man das nicht auf lauter Externe verteilen, sondern die sind verantwortlich, und wenn die versagen, nutzen diese ganzen Konzepte nichts.
GROẞ: Danke. – Frau Neudecker.
NEUDECKER: Ich glaube, diese Unterschrift, die ein Lehrer leistet, ist in der Praxis total wichtig, weil es im Dienstrecht unglaublich schwierig ist, schlechte Lehrer oder Lehrerinnen zu versetzen; und wenn jemand etwas wider besseres Wissen unterschreibt, dann ist das, habe ich gehört, eine der wenigen Handhaben, die man hat, wenn man Lehrer von der Schule bekommen will. Also ich glaube, es ist nicht ganz - - (FÜRST: Da braucht es ein Berufsverbot für die Kinderschänder, damit das ganz - -! Es darf doch niemand Lehrer sein, der - -!) – Natürlich, ja, aber was macht man mit einem Berufsverbot, wenn der eben nicht verurteilt ist, sondern einmal angezeigt wurde oder vielleicht gar nicht angezeigt wurde? Ich möchte nur eine Bemerkung noch zur Täterarbeit machen, weil wir auch über die jungen Täter gesprochen haben: Es gibt in Wien seit 20 Jahren, 30 Jahren den Verein Limes, der mit jungen, auch teilweise strafunmündigen Sexualstraftätern arbeitet, da ganz viel Expertise angesammelt hat. Die mussten lange immer wieder auch um ihr Überleben kämpfen, und ich frage mich seit Jahren, warum andere Bundesländer nicht sagen: Wir brauchen so etwas auch! – Also es gäbe schon viel an Expertise, und das müsste man auch ein bissel übers Land verstreuen. Zur Prävention: Ich glaube, die Kinderschutzkonzepte sind ein ganz wichtiger erster Schritt (GROẞ: In den Schulen jetzt, diese verpflichtenden?) – ja, in den Schulen, langfristig in allen Bildungseinrichtungen und in allen Einrichtungen, wo mit Kindern gearbeitet wird. (Zwischenrufe.)
GROẞ: Schulen sind verpflichtet, Vereine sind nicht verpflichtet. (NEẞLER: Schulen sind verpflichtet, Vereine ...!)
NEUDECKER: Der Bundesverband der Kinderschutzzentren hat viele Einrichtungen, Organisationen begleitet, die so ein Kinderschutzkonzept erarbeiten. Es ist viel Arbeit, so ein Konzept zu erarbeiten, und es ist auch wichtig, dass das wirklich individuell auf eine Einrichtung maßgeschneidert ist. Deswegen ist es vielleicht ein erster Schritt, wenn es eine Vorlage gibt, aber es muss dann an die jeweilige Einrichtung angepasst werden. Und: Es ist mit dem Schutzkonzept alleine nicht getan, denn es braucht dann ganz viele Ressourcen, um das auch umzusetzen. Es ist genauso wie beim Brandschutz: Nur dass man an alle Einrichtungen einen Brandschutzplan austeilt, das ist es ja noch nicht. Das muss gelebt werden, das muss immer wieder in Erinnerung gerufen werden. Es gibt dann Kinderschutzbeauftragte oder Kinderschutzteams in den Einrichtungen – die brauchen ganz viele Ressourcen. Wir haben schon die Justiz als ausgebrannten Bereich genannt, die Polizei, die unterversorgt ist, Sie haben die Kinder- und Jugendhilfe erwähnt, und jetzt muss man das ganze Set noch mit dem pädagogischen Bereich komplett machen, wo wir in Kindergärten, in Schulen, in Bildungseinrichtungen eigentlich den Fachkräftemangel ganz stark spüren. Die guten Pädagog:innen, muss man sagen, sind chronisch erschöpft, seit Jahren, leiden unter schlechten Arbeitsbedingungen. Wenn man denen jetzt ohne zusätzliche Ressourcen auch noch die Umsetzung der Kinderschutzkonzepte auf’s Auge drückt, dann packen die das nicht, und vor allem werden sie dann ein Kinderschutzkonzept nicht als das erleben, was es ist – als hilfreich –, sondern als einen weiteren Erlass der Bildungsdirektion.
GROẞ: Das heißt, da wäre die Lösung aber, dass es zusätzliches Personal braucht, schlicht und einfach?
NEUDECKER: Ja! Ja, mehr Personal in den Kindergärten, in den Schulen. Und wenn wir bei der Prävention sind: Ich glaube, ein ganz großes Thema ist, dass wirklich viele gute Fachkräfte diesen Bereich gerade verlassen. In Wien wird über die Förderskandale bei irgendwelchen Kindergartenbetreibern diskutiert. Das Problem ist, dass ganz viele Kindergartenträger sich schwertun, Fachkräfte zu bekommen, dass es unglaublich viele Fachkräfte gibt, die jetzt mit Nachsicht eingestellt werden und eben nicht die pädagogische Ausbildung haben, die man eigentlich haben sollte, wenn man mit so jungen Kindern arbeitet. Es ist einfach so: Gestresste Erwachsene sind keine guten Sensoren, Sensorinnen im Kinderschutz. Und Kinderschutzfälle beginnen ja in der Regel sehr leise, die brauchen aufmerksame Erwachsene, die merken, da geht es einem Kind nicht gut, die das Kind beobachten und auch eine Zeit lang begleiten – und wenn man ständig sozusagen am Limit ist, dann kann man diese Arbeit nicht leisten. Eine letzte Bemerkung: Prävention ist etwas sehr Komplexes. Da geht es ja nicht darum, Kindern zu sagen: Geh nicht mit Fremden mit! – denn wir wissen: die Fremdtäter, das ist der allerkleinste Teil –, sondern es geht darum, Kindern zu vermitteln: Hör auf dein Gefühl, du hast Rechte, und wenn du Sorgen hast, sollst du wissen, an wen du dich wenden kannst. Es ist Arbeit mit Gefühlen, es ist Arbeit an Beziehungen, und das ist Prävention, nicht nur für die Opfer, sondern das ist auch Prävention im Täterbereich. Je mehr man in die soziale, emotionale Entwicklung von Kindern investiert, je mehr man Empathie fördert, umso mehr reduziert man auch die Täter.
GROẞ: Vielen Dank. – Frau Wölfl, abschließend noch einen Punkt, den wir noch gar nicht angesprochen haben, zumindest hätte ich es jetzt nicht wahrgenommen, vielleicht habe ich es überhört: Gewaltschutzambulanzen, das ist noch so ein Thema. Was kann man sich darunter vorstellen? Was können die leisten?
WÖLFL: Das ist ein Schlagwort, mit dem unterschiedliche Ideen verbunden werden. Es gibt forensische Gewaltschutzambulanzen, in denen es einfach um eine rasche Abklärung geht, auch von etwaigen Symptomen oder psychologischen Folgen; das gibt es in Wien und Graz. Aber ich möchte noch einmal auf Folgendes eingehen: Ich denke, es ist hier, in diesem Paket, so sehe ich es, auch wirklich ein ganz zentraler Schritt gelungen: Prävention in die Mitte zu nehmen durch diese Verpflichtung von Kinderschutzkonzepten. Ich denke, das Wesentliche ist schon, dass die gelebt werden, und zwar so, dass Kinder sich auskennen – (in Richtung Neudecker:) du hast es auch gerade gesagt –, auch mit: Wohin wende ich mich, wenn es mir nicht gut geht? Und trotzdem ist ein ganz wichtiger Punkt: Erstens gelingt Kinderschutz nur gemeinsam, und zwar sind wir als Erwachsene dafür verantwortlich – Eltern, Lehrpersonen –, und wir müssen für Kinder Schutzräume in ihrem Alltag schaffen, sodass sie in den Kindergärten, in den Schulen auch Vertrauenspersonen vorfinden, wo sie das Gefühl haben, hier kann ich mich an jemanden wenden. Da gibt es eine Schulung, dass man aufmerksam sein muss. Und weil es genannt wurde: Wir haben zum Beispiel in den österreichischen Kinderschutzzentren – da gibt es mehr als 30 in ganz Österreich – sehr viele Fälle, wo es im Sportbereich Übergriffe gibt. Hier gibt es natürlich viele Förderungen, und das wäre eine Chance, das zum Beispiel an Fördermittel zu knüpfen, wenn innerhalb einer bestimmten Zeit – und das muss ja nicht von heute auf morgen sein, man kann auch zwei Jahre Zeit lassen – ein passgenaues - -; und hier ist es wirklich wichtig, denn im Segelsport braucht es andere Regelungen als bei Sportarten, bei denen es wirklich auch manuelle Anweisungen braucht. Wichtig ist, hier einfach in diese Richtung weiterzugehen, was mit diesem Paket begonnen wurde. Das, was Sie angesprochen haben, ist, denke ich, auch noch einmal wichtig zu sagen, und da bin ich auch als Leiterin einer großen Kinderschutzorganisation neugierig, was hier auch ankommt, denn ich kann nur sagen: Wir können ohne Spenden von Firmen und Privatpersonen den Kinderschutz nicht gewährleisten. Das ist, finde ich, in einem Sozialstaat, wie es Österreich ist, auch noch in einem sehr reichen Land, eigentlich wirklich skandalös, dass man Spenden sammeln muss, damit man Kinderschutzarbeit, und wir bemühen uns auch, hier viel Präventionsarbeit zu machen, leisten kann. Es sind hier in diesem Paket auch wichtige Projekte genannt: Gesund aus der Krise, also ein Projekt für Kinder und Jugendliche, die jetzt nach der Pandemie auch Unterstützung brauchen, und ich denke, das ist im Sinne von Mental Health – und das ist das große Problem der Zukunft – ein ganz Wesentliches, nur, das ist kein Kinderschutzprojekt. Das sind niedergelassene Psycholog:innen und Psychotherapeuten, die mit Kindern und Jugendlichen 15 Stunden arbeiten, das trifft aber nicht die, die wirklich schwere Gewalt erlebt haben. Und das steht auch in diesem Paket. Ich denke, das ist schön und gut und es freut mich auch, dass das weiter bedeckt wird. Und ähnlich bei den Kinderschutzzentren, also Familienberatungsstellen. Viele Kinderschutzzentren sind Familienberatungsstellen und trotzdem gibt es rund 400 in Österreich und rund 30 Kinderschutzzentren – dort ist aber die Expertise. Deswegen wäre es auch so wichtig, wirklich zu schauen: Wo gibt es Fachpersonen, die gut ausgebildet sind – denn, wir haben es jetzt mehrfach von Opfer- und Täterseite beleuchtet, das sind Dynamiken in Familien, Loyalitätskonflikt war ein Stichwort und so weiter, die man kennen muss, um hilfreich sein zu können?
GROẞ: Vielen Dank. – Ich möchte zur Schlussrunde kommen und möchte zunächst Sie, die Abgeordneten der Opposition, etwas fragen. Ich glaube, wir haben jetzt mitgenommen: Da ist einfach sehr viel Gutes, das ist ein guter Anfang, die Prävention ist sozusagen endlich in der Mitte – haben Sie gesagt –, natürlich geht es darum, dass das auch mit Leben erfüllt werden kann, dass es genügend Personal dafür gibt, dass es aber auch genügend Geld gibt, das auch wirklich dort ankommt, wo es hingehört. Wenn Sie, Herr Margreiter, Herr Oxonitsch, Frau Fürst, vielleicht jetzt einen Punkt herausgreifen, von dem Sie sagen, was es noch braucht, damit Sie diesem Paket zustimmen können: Was wäre das?
MARGREITER: Grundsätzlich werden wir zu diesem Paket sicher nicht Nein sagen – wir werden sagen: Wir brauchen noch mehr! –, alleine deswegen, weil es ist einmal ein erster und richtiger Schritt ist. Unser Zugang wäre der – wenn ich ganz punktuell ein Thema herausgreifen darf –, dass man wirklich einen Fokus darauf richtet, wie wir – wenn ich also einen Begriff, den wir jetzt aus der Pandemie kennen: Infektionsketten durchbrechen – diese Ketten durchbrechen. Dass wir Angebote an Menschen richten, die jetzt schon erwachsen sind, aber selber Missbrauchserfahrungen gemacht haben; wie man diese offensiv ansprechen kann, dass sie ihr Problem erörtern, dass sie ihr Problem mit jemandem anderen teilen, mit dem Ziel, dass vielleicht dann wirklich diese unselige Entwicklung gestoppt wird, dass dann unsere Kinder eben nicht mehr in Gefahr sind, ihrerseits wieder missbraucht zu werden.
GROẞ: Herr Oxonitsch.
OXONITSCH: Das Wesentliche ist, dass wir das Paket einmal haben und es präsentiert wird. Also wir leben jetzt immer noch mit einem sechsseitigen Ministerratsvortrag mit guten Schlagworten, mit einzelnen Summen, von denen ich glaube, sie können nicht ausreichend sein. Ich nehme noch einmal nur das Beispiel der Kinderschutzkonzepte her: Wenn man hier von 800 000 Euro für ganz Österreich – für alle Schulen, für alle elementarpädagogischen Einrichtungen – spricht, dann wird sich das, glaube ich, wenn man es wirklich ernsthaft angehen will, nicht ausgehen; und ich sage das von einer Organisation kommend, die sehr intensiv an den Kinderschutzkonzepten gearbeitet hat, die diese implementiert hat, die zwei Kinderschutzbeauftragte auch installiert hat. Da kann ich schon sagen: Das wird nicht passen. Das Wesentliche aber ist, dass wir das Paket jetzt endlich bekommen. Am 25. Jänner wurde es präsentiert, das ist jetzt zwei Monate her, ich weiß, so etwas dauert, das respektiere ich auch. Aber ich glaube, man sollte jetzt ganz rasch ein Paket haben und dann diskutiere ich darüber: Kann man diesem zustimmen, ist es zu wenig, was braucht es noch?
GROẞ: Frau Fürst.
FÜRST: Frau Perner hat, denke ich, das Wichtigste gesagt in ihrem Beitrag, sie hat gesagt: Wir dürfen nicht wegschauen. Denn alle Fälle, die wir jetzt haben – Teichtmeister, in den Wiener Schulen, in den Kindergärten und so weiter –, alle diese Fälle sind nur deswegen passiert, weil so viele Leute weggeschaut haben und weil so viel vertuscht worden ist. Wir sind sicher nicht damit einverstanden, wenn die Schulen mit Kinderschutzkonzepten überfrachtet werden, denn wenn das notwendig ist, heißt das für mich, dass an den Schulen etwas nicht stimmt. Wir alle wissen, was falsch ist; was bei einem Kind ein Übergriff ist und was nicht, das wissen alle Lehrer. Ich erlebe die Lehrer auch so, dass sie die Kinder wirklich jahrelang begleiten, sehr gut kennen und hier auch aufmerksam genug sind, und man soll sie jetzt nicht mit irgendwelchen Papiertigern überfrachten. Die Kinder müssen wissen, wohin sie sich wenden können. Das sind im Normalfall die Eltern, wenn es in der Familie nicht stimmt, sind das für mich an erster Stelle einmal die Lehrer. Also wir sind sicher nicht damit einverstanden, dass man hier noch weitere Papiertiger einzieht, noch mehr Bürokratie und noch mehr Generalverdacht; und nämlich auch wie im Wissenschaftsministerium auf der Homepage steht, so quasi: Kinderschutz ist Sexualpädagogik – also wenn dann hier auch noch diese Frühsexualisierung weiterbetrieben wird, dann sind wir ganz in die falsche Richtung unterwegs. Ich glaube, dass man da dem Missbrauch eher noch den Weg ebnet, anstatt hier eine Schranke einzuziehen.
GROẞ: Frau Neßler und Frau Pfurtscheller, was nehmen Sie aus dieser Diskussion mit, von dem Sie sagen: Das muss unbedingt noch in dieses Paket einfließen. Und überhaupt: Wann wird das Paket vorgelegt werden – sozusagen in einer endgültigen Fassung?
NEẞLER: Die Frist steht ganz klar drinnen, das ist das erste Halbjahr. Es arbeiten verschiedene Ministerien, also zum Beispiel der Bildungsminister, an verpflichtenden Kinderschutzkonzepten, die anscheinend nicht ganz klar für alle sind. Von der FPÖ höre ich quasi nie Lösungen, aber sie verteufeln immer Sachen, bei denen sie sich nicht auskennen. Ich glaube, wir müssen diese Kinderschutzkonzepte noch einmal besser erklären, dass die tatsächlich helfen. Das BMJ arbeitet an der Kinderrechtekampagne und, und, und. Also da sind quasi alle Minister, Ministerinnen involviert, und da müssen wir natürlich mit Hochdruck daran arbeiten. Ganz ehrlich: Was ich mir wünsche, ist, dass wir eben nicht nur über Kindesmissbrauch diskutieren, wenn solche Fälle wie Teichtmeister oder jetzt der bekanntere Fall dieses Lehrers in Wien auftauchen, sondern dass wir laufend darüber diskutieren, weil dieses Thema leider wirklich oft unter dem Radar fliegt, weil es einfach auch unangenehm ist, über dieses Thema zu reden. Ich finde es aber extrem wichtig, und ich bin stolz auf dieses Paket, aber ich sage gleich dazu – das liegt so ein bisschen in meiner Natur –, dass ich gleich das Nächste möchte, und das ist ein einheitliches Kinderschutzgesetz. Das werden wir lieber früher als später in Österreich brauchen.
GROẞ: Danke schön. – Frau Pfurtscheller.
PFURTSCHELLER: Ja, ich bin ganz stark bei Kollegin Neßler, was das Thema Enttabuisierung betrifft. Ich bin ja in meiner Funktion in der ÖVP die Frauensprecherin und deswegen kenne ich mich besser im Gewaltschutz bei Frauen aus als bei Kindern, aber es gibt natürlich ganz viele Parallelen. Was wir in den letzten Jahren im Gewaltschutz, wenn es um Frauen geht, erlebt haben, ist eben, dass es sehr hilfreich und sehr wichtig ist, wenn man ständig darüber spricht, und das sollten wir auch beim Kinderschutz tun. Wir müssen einfach der Gesellschaft laufend den Spiegel vorhalten und immer wieder thematisieren, dass Kinder eben in schwierigen Situationen sind und dass es sehr viele Kinder gibt, die auf die eine oder andere Art Gewalt erfahren. Das halte ich für ganz, ganz wichtig. Zu diesem Paket an sich, auch aus der Erfahrung mit Gewaltschutz im Frauenbereich: Ich würde sagen, das ist Work in Progress. Man setzt einmal einen Anfangspunkt, das haben wir jetzt auch gemacht; damals mit dem Gewaltschutzgesetz 2019, das 2020 umgesetzt worden ist, und es wurde dann eigentlich ständig, in Monatsschritten, die eine oder andere Maßnahme noch zusätzlich gesetzt und wieder evaluiert und wieder diskutiert und Fachexpertisen eingeholt. Das wünsche ich mir auch im Kinderschutz: dass eben jene Damen und Herren, die sich in diesem Bereich besonders gut auskennen, auch immer wieder einbezogen werden, dass evaluiert wird. Und was ich mir auch sehr wünsche, ist, dass wir auch in einen guten Dialog mit den Ländern kommen. Wir sind da in ganz unterschiedlichen Verantwortungen: über die Parteien, querbeet, in den Ländern gibt es Zuständigkeiten für Jugend und Kinder, und ich glaube, dass auch in den Ländern das eine oder andere noch schneller vorwärts gehen sollte. Das halte ich für einen wichtigen nächsten Schritt, weil einfach die Kompetenz ein Stück weit auch bei den Ländern liegt.
GROẞ: Dann sage ich vielen herzlichen Dank für diese angeregte Diskussion, aber auch konstruktive Diskussion, die auch in der Tonalität, wie ich finde, nicht nur der Brisanz, sondern auch der Sensibilität letztlich dieses Themas sehr angemessen war. – Danke ausdrücklich dafür! Meine Damen und Herren, bei Ihnen bedanke ich mich für das Dabeisein, und ich freue mich, wenn Sie im April wieder dabei sind bei „Politik am Ring“.